Rundgang durch das Oldtimer-Museum Zylinderhaus
Von Schrottplatz bis Schmuckstück
Das Zylinderhaus in Bernkastel-Kues zeigt 90 Jahre deutsche Automobilgeschichte – und das, ohne sich dabei auf Autos zu beschränken.
17.10.2021 Patrick Lang"Die Versicherung hat den Wert unserer Ausstellungsstücke auf insgesamt 25 Millionen Euro geschätzt", raunt einer der gut gelaunten Mitarbeiter im Zylinderhaus. Wer seinen Blick durch das Oldtimer-Museum im malerischen Bernkastel-Kues an der Mosel streifen lässt, kann nur anerkennend nicken. Doch wenn Sie jetzt glauben, dass hier einfach gut erhaltene Klassiker in Reih und Glied stehen, wird diese Annahme dem Konzept kaum gerecht. Das Museum erzählt nicht nur die Geschichte deutscher Autos, sondern auch vom Lebensgefühl der 50er und 60er Jahre. Der Geruch von Öl und Leder vermischt sich hier mit dem Zeitgeist des Wirtschaftswunders.
Einer der Senioren unter den Exponaten begrüßt die Besucher direkt am Eingang – ein Audi Typ M von 1928, übrigens einer von nur noch drei existierenden. Vom einstigen Glanz ist allzu viel nicht mehr übrig. Das liegt nicht ausschließlich an der ausgeprägten Patina, sondern auch an der Tatsache, dass dieses Exemplar 1934 zum Feuerwehr-Mannschaftswagen umgerüstet wurde. Der 80 PS starke Sechszylinder war ein Arbeiter, kein automobiler Gockel. Wenige Schritte weiter freut man sich als auto-motor-und-sport-Redakteur besonders: Hinter dem Scheibenwischer eines Mercedes 190 SL klemmt die Ausgabe unseres Heftes, deren Cover der Stuttgarter Klassiker einst zierte – Nummer 15 aus dem Jahr 1960. Dieser Umstand deutet bereits an, was sich hinter der nächsten Ecke überdeutlich manifestiert. Hier stehen nicht einfach nur Autos herum, das Museum inszeniert das Lebensgefühl vergangener Tage auf breiter Front.
Der 7. Sinn und die Frauen
Aus einem kleinen Röhrenfernseher in der Ecke zwischen dem Regal mit alten Verbandskästen und der Vitrine mit Parkuhren (30 Minuten für 10 Pfennig!) dringt eine blecherne Stimme. Sie erklärt, dass Frauen schon wegen ihrer hochhackigen Schuhe und engen Hosen keine versierten Autofahrer seien und zudem der Versuchung nicht widerstehen könnten, die Spiegel am Fahrzeug permanent als Schminkspiegel zu missbrauchen. Sie ahnen es – hier läuft jene bei heutiger Betrachtung absurd-komische Folge der TV-Sendung "Der 7. Sinn", in der das Talent am Steuer nach Geschlechtern getrennt betrachtet wird. Wer es vorurteilsfreier mag, findet einige Meter weiter einen nachgebauten Kiosk, auf dessen Theke – natürlich – eine Ausgabe von auto motor und sport ausliegt. Dieses Mal: Heft 20 von 1970; damals mit dem Dauertest des Fiat 128 auf dem Cover.
Damit biegen wir auf das Schmuckstück des Zylinderhauses ein: die nachgebaute Ladenzeile, in der sowohl ein Konsum als auch ein Fachgeschäft für Miele-Erzeugnisse, ein Spielwaren-Laden, eine Apotheke, eine Fahrradwerkstatt und eine alte Aral-Tankstelle aufgebaut sind. Daneben parkt eine illustre Truppe aus Fahrzeugen wie dem Messerschmitt Kabinenroller, dem NSU Prinz oder dem Zündapp Janus vor alten Werbeplakaten von Persil, Lux Seife und Meinl Kaffee. Kaum ist man an den beiden Aral-Zapfsäulen vorbeigeschlendert, leuchtet es im Augenwinkel grell gelb. Ein VW Fridolin der deutschen Bundespost parkt vor der Kulisse eines Fachwerkhauses. "Die Poststelle haben wir gebaut, als wir während der Corona-Pandemie geschlossen hatten. Die Zeit muss man ja nutzen", erzählt ein Museums-Mitarbeiter nicht ohne Stolz.
Die Zeitreise ist an dieser Stelle noch längst nicht vorbei. Zwei weitere Stockwerke warten auf einen Besuch. Im ersten OG geht den Zweirad-Freunden das Herz auf. Zwischen Rollern und Motorrädern von Puch, Kreidler, Vicky, Miele, BMW, DKW, NSU oder Zündapp finden sich auch Kuriositäten wie ein Solo Elektra Typ 720. E-Scooter sind ein Phänomen des 21. Jahrhunderts? Von wegen! Die Solo Kleinmotoren GmbH aus Sindelfingen hatte diesen Trend bereits 1973 kommen sehen.
Ein Käfer von Mercedes
Auf der obersten Etage lässt es das Zylinderhaus dann nochmal so richtig krachen. Wussten Sie, dass der erste Käfer nicht von VW, sondern von Mercedes gebaut wurde? Zwei Jahre vor dem Volkswagen fuhr ab 1936 bereits der Mercedes 170 H vor. Ebenfalls mit Heckmotor (daher das "H" in der Typ-Bezeichnung), allerdings mit einer Leistung von 38 statt 28 PS. Tatsächlich sollte damals Ferdinand Porsche das Projekt bei Daimler ankurbeln, doch erst sein Nachfolger Ernst Nibel bringt den "Volkswagen" aus Stuttgart auf die Straße. Die Reise führt weiter, vorbei am ersten Auto mit Servolenkung (ein Horch-V8 von 1937), über die ersten Audi-Modelle, BMW 700 und 2000 bis an einen Porsche 356 mit Heckgepäckträger samt Ski-Ausrüstung. Einen Schwerpunkt setzt das Zylinderhaus übrigens auch beim einstigen Firmen-Imperium von Carl Borgward. Neben den Klassikern wie der Isabella sind auch Hansa, Lloyd und Goliath vertreten.
Eine kuriose Idee gibt es im letzten Raum zu bestaunen. Hier wurde ein Oldtimer-Schrottplatz nachgestellt, der gleichzeitig auch als Tatort fungiert. Hier parkt nämlich ein alter BMW-Dienstwagen (E12) neben einem – glücklicherweise bereits geräumten – Leichen-Fundort. Thematisch ganz weit weg vom "Schrottplatz" sind die Sportwagen auf der anderen Seite des Raumes. Der DKW Monza aus den 1950ern ist sozusagen ein Gründungsmitglied des Zylinderhauses. Mit dem Erwerb der 40-PS-Flunder entstand überhaupt erst die Idee, das Museum an den Start zu bringen. Am Ende unseres Rundgangs schließt sich der Zeitreise-Kreis mit einem Stück zeitgenössischer Popkultur, denn das schwarze Käfer-Cabrio des österreichischen Sängers Falco glänzt mit den umliegenden Schätzen (einem Karmann Ghia und einem Audi Quattro) um die Wette.