Ford Orion, Opel Kadett & VW Jetta
Diese 3 billigen Opa-Autos will keiner haben!
In den 80ern waren Stufenheck-Autos als Spießer-Kutsche oder Opa-Auto verrufen. Dabei waren Ford Orion, Opel Kadett E und VW Jetta doch so treu! Folgt darum jetzt das Revival der kantigen Stufen? Wer will, kauft jetzt billige Youngtimer mit viel Gebrauchswert und solider Technik.
09.12.2015Wenn sich Youngtimer für einen Fahrbericht qualifizieren, dann meist durch ihre eindrucksvollen Fahreigenschaften oder eine bewegende Entstehungsgeschichte. Dieser Bericht jedoch handelt von drei unscheinbaren Stufenheck-Limousinen aus den 80er-Jahren. Warum? Weil sich die unaufgeregten Autos nach Jahrzehnten des Vergessens einen Auftritt verdient haben.
Zugegeben, Liebe auf den ersten Blick gibt es bei Ford Orion, Opel Kadett E und VW Jetta II kaum. Mit ihrem kantigen Heck haben die gewählten Autos so viel Sex-Appeal wie Helga Feddersen. Dafür hatten sie ein leichtes Leben: Als Rentnerfahrzeuge wurden die Stufenheck-Limousinen gepflegt und wenig gefahren. Und dank ihrer unkomplizierten Technik blieben diese Autos lange treue Weggefährten. Dennoch sind gut erhaltene Exemplare heute schwer zu finden.
Denn es gibt kaum Idealisten, die sich für deren Erhaltung einsetzen. Allmählich erobern die Stufenheck-Underdogs aber die Herzen der Liebhaber. Frühe Exemplare der drei ausgewählten Modelle haben bereits H-Kennzeichen-Status.
Orion nur 10 % der Escort-Verkäufe
Schließlich sind es die inneren Werte, die eine Stufenheck-Limousine liebenswert machen. Für diesen Vergleich konnten wir einen Ford Orion mit gerade einmal 67.000 km ausfindig machen. Dieses Exemplar wurde 1983 gebaut und besitzt somit bereits die H-Zulassung. Technisch ist der Orion identisch zum Escort. Ford entschied sich jedoch, das Stufenheckmodell durch den Namen Orion deutlich von der Fließheckversion abzugrenzen.
Die zweite Generation nach dem 86er-Facelift verkaufte sich vor allem in den neuen Bundesländern sehr gut. Dennoch machte das Stufenheck nie mehr als zehn Prozent des Escort-Absatzes aus. Ford setzte beim Orion auf ein mechanisch-hydraulisches ABS von Lucas-Girling. Im Test 1986 merkte der auto motor und sport-Redakteur an, ein elektronisch geregeltes ABS von Bosch oder Teves reagiere sensibler - heute beim gemütlichen Cruisen spielt das keine Rolle mehr.
Ford Orion mit kleinstem Kofferraum
Auch ohne Servolenkung wird die Fahrt mit dem Ford Orion nicht zum Kraftakt. Dieses Fahrzeug ist außerdem mit einer Dreigangautomatik ausgestattet. Die ersten beiden Gänge schalten butterweich, nur beim Wechsel in den dritten Gang ist ein leichter Ruck zu spüren. Zur Serienausstattung gehört sonst ein Viergang-Schaltgetriebe.
Im Vergleich hat der Ford Orion mit 490 Litern Fassungsvermögen den kleinsten Kofferraum unter den drei Fotokandidaten. Immerhin kann die asymmetrisch geteilte Rücksitzlehne bei Bedarf umgeklappt werden. Der Vierzylinder bietet ein hohes Drehmoment. Bei hohen Drehzahlen wird das Ford-Triebwerk aber laut. Wer zurückhaltend fährt, kann den Verbrauch auf sparsame sieben bis acht Liter drücken.
Der Ford Orion fährt sich gutmütig, nur Bodenwellen beeinträchtigen den stabilen Geradeauslauf. Wie der Ford Sierra und später der Scorpio, wurde auch die Stufenheck-Limousine vom Designteam um Uwe Bahnsen entworfen. Die flache Front lässt den Orion sportlich wirken, mit dem 105 PS starken Top-Motor gibt er sich auch so.
Opel Kadett mit herausragendem cW-Wert
Der Opel Kadett E zeigt sich betont aerodynamisch. Der cw-Wert von 0,30 war zur damaligen Zeit in seiner Klasse unschlagbar. So gut erhaltene Exemplare wie unser Fotoauto sind selten: Baujahr 1989, 37 000 km, Originalzustand. Mit 550 Litern ist das Heck des Kadett recht üppig. Bei umgeklappter Rücksitzlehne erweitert sich der Frachtraum gar auf 890 Liter.
Als Opel 1984 den Kadett E auf den Markt brachte, gab es zunächst nur eine Schrägheckversion und einen Kombi - genannt Caravan. Erst ein Jahr darauf lieferten die Rüsselsheimer die sechste Kadett-Generation auch mit Stufenheck aus. Mit 740.000 gebauten Exemplaren hat es das Stufenheck zum zweiterfolgreichsten Kadett-E-Modell geschafft. 1993 beendete Opel die Ära des Kadett und führte fortan den Astra F als Nachfolger im Programm.
Kadett E ist außen neu - und innen der D-Kadett
In der Praxis zeigt sich der Opel Kadett unkompliziert: Das Einladen von Getränkekisten gelingt beim Opel ohne Verrenkungen. Schwere Gegenstände können problemlos in den tief liegenden Kofferraum des Stufenheck-Kadett gehoben werden.
Der Opel Kadett E war der erste Vertreter seiner Familie, der im Windkanal entwickelt wurde. Die starke optische Abgrenzung zum Vorgänger darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Kadett E technisch auf dem D-Modell basiert - was keinen Nachteil bedeutet, da schon der Kadett D als erster Opel-Fronttriebler mit Verbundlenkerachse sehr fortschrittlich war.
Wer sich für die GL-Version des Opel E-Kadett entschied, bekam für 395 DM Aufpreis eine Wohlfühlausstattung mit viel Plüsch innen und Chrom außen. Außerdem gab es Intervallschaltung für den Heckscheibenwischer, seitliche PVC-Schutzleisten und einen Warnsummer, der beim Verlassen des Fahrzeugs auf aktivierte Scheinwerfer aufmerksam macht. Das Cockpit ziert eine Quarzuhr, ein Tageskilometerzähler ist ebenfalls inklusive.
VW Jetta auch mit Allrad
Dagegen ist der extrem kantig geratene VW Jetta II der Inbegriff des Spießerautos. Wegen des bürgerlichen Images fand der technisch zuverlässige Rucksack-Golf bei den Deutschen nur wenig Anklang. Während der Sohnemann seine erste automobile Beziehung in den 80ern mit dem Golf I einging, fand der Vater sein Familienglück im geräumigen Jetta. In seinem ausladenden Kofferraum verschlingt der VW ganze 575 Liter Gepäck - Spitzenwert unter den Stufenheck-Limousinen seiner Zeit.
Praktisches Detail: Dank einer Durchladeluke können Skier bis in die Fahrerkabine geschoben werden. Im ams-Vergleichstest mit dem Opel Kadett GL 1.6 S konnte der rund 1.200 Mark teurere Jetta CL die Beschleunigungsmessung dank seines größeren Hubraums für sich entscheiden. 1989 legte VW sogar eine Allradversion nach, genannt Jetta CL Syncro, für Jäger und Förster.
Das Spießer-Image bescherte dem durchdachten Wolfsburger jedoch schlechte Verkaufszahlen. Trotz höherem Ausstattungsniveau kam auf sieben Golf nur ein Jetta - in Deutschland zumindest. In Südeuropa fand der VW Jetta, wie die meisten Stufenheck- Limousinen, deutlich mehr Abnehmer. In den USA erlangte der kantige Jetta rasch Kultstatus.
Zweiter Frühling für die Spießerautos
Mit diversen Sondermodellen wollte VW den Verkauf des Jetta Ende der 1980er ankurbeln. In diesem Fall konnten wir das Sondermodell Coach, Baujahr 1988, ausfindig machen. Auffällig sind das Schiebedach und der Getränkehalter in der Mitte der Rückbank.
Auch heute ist der VW Jetta noch täglich im Einsatz und meistert mit dem 90-PS-Vierzylinder auch weite Autobahnstrecken zuverlässig. Inzwischen hat sich das Image der einstigen Rentnerschaukel gewandelt: Heute greift der Sohn bewusst zum Jetta.
Selbst gut erhaltene Garagenfahrzeuge kosten selten mehr als 2.500 Euro - da bleibt genug Budget für individuelle Modifikationen. So wie bei unserem Fotofahrzeug, dessen Dach und Rückspiegel ein Schachbrettmuster ziert. Auf dem rechten Kotflügel bringen Aufkleber Farbe an die sonst recht langweilig gestylte Karosserie.
Aber nicht nur Aufkleber und Lackierungen sind beliebt: Der geräumige Kofferraum der ehemals als Rentnerfahrzeug abgestempelten Limousine wird gerne mit Endstufen und Lautsprechern gefüllt. Auch wenn Klassiker in der Regel so original wie möglich erhalten bleiben sollten, in diesem Fall wird dem Jetta immerhin ein neues, aufregenderes Leben zuteil.
So viel kosten VW Jetta, Opel Kadett und Ford Orion
Der VW Jetta ist mit rund 2.000 Euro für ein Zustand-2-Exemplar der teuerste aus diesem Trio. Ford Orion und Opel Kadett E liegen bei etwa 1.600 Euro. Mäßige Fahrzeuge im Zustand 4 gibt es ab 300 Euro (Orion, 400 Euro (Kadett) und 500 Euro (Jetta). Das Angebot ist immer noch groß, obwohl auch bei diesen Fahrzeugen die Abwrackprämie ihren grausigen Dienst getan hat.