VW Passat GTI Prototyp
Wind-Jammer - der heißeste Werks-Passat
Der VW Passat GTI hätte der Traum sportlicher Familienväter sein können, doch für den Vorstand der Volkswagen AG passten Passat und Powerplay nicht zusammen. VW-Vorstandschef Toni Schmücker wollte keinen Sport-Passat. Also blieb der bahamablaue Passat GTI ein Einzelstück.
Die siebziger Jahre hielten so manche Überraschungen für die Auto fahrende Nation bereit. So hatten beispielsweise Volkswagen-Produkte plötzlich Frontantrieb. Noch unangenehmer war die Ölkrise von 1973 als zweite Überraschung. Nachdem der doppelte Schock verdaut war, konnten Autos von Volkswagen sogar richtig rennen: Der 1976 vorgestellte VW Golf GTI wurde zum Verkaufshit. Der Einspritz-Golf lief sogar so gut, dass in der VW-Abteilung Forschung und Entwicklung intensiv darüber nachgedacht wurde, dem gutbürgerlichen Passat mit der Überarbeitung für das Modelljahr 1978 auch eine sportliche Version zur Seite zu stellen.
Golf GTI wird nach der Ölkrise zum Bestseller
Die 85 PS des Passat TS waren bislang das höchste der Gefühle. Allerdings hatte Audi mit dem GT/E bereits eine leistungsstarke Mittelklasse-Limousine im Angebot. Der hier gezeigte Passat GTI erblickte am 9. Dezember 1976 als Nullserienfahrzeug der zweiten Serie der Passat B1-Baureihe, intern Typ 32 genannt, das vermutlich trübe Licht eines Wolfsburger Wintertages.
Er bekam die Fahrgestellnummer 3272096095 eingestanzt und war noch nichts weiter als ein schlichter Zweitürer-Passat mit Heckklappe in Polarweiß und bescheidenem 1,3 Liter großen und 55 PS starken Motor. Im Cockpit des Facelift-Modells kündigte sich bereits die Wolfsburger Innenarchitektur der achtziger Jahre an. Die Audi-Instrumente der ersten Passat-Serie waren verschwunden. Und ähnlich wie beim VW Golf erhielt der Passat einen Träger, der Instrumente, Radioschacht und Heizungsbetätigung beherbergte.
Auffälliger waren die Änderungen an der Außenhaut des Passat: Die dünnen Chrom-Stoßfänger waren klotzigen Plastikanbauteilen gewichen. Das Zusammenspiel aus abgekanteter Motorhaube und großen, neben den Scheinwerfern hochgezogenen Kunststoff-Stoßfängern verlieh dem überarbeiteten Modell von vorn fast das Aussehen eines Autoscooter. Ein wenig unbeholfen schienen auch die aufgesetzten Rückleuchten, die nicht mehr wie beim Vorgänger-Passat bündig in die Karosserie eingefügt waren. Das Passat-Facelift wurde jedoch positiv aufgenommen, zumal die Absenkung der Ladekante auch handfeste Vorteile mit sich brachte.
Optik-Paket: Verwandlung vom Bieder- zum Power-Passat
Das brave Polarweiß des Passat wich zum Jahreswechsel einem glamourösen Bahamablau Metallic, wobei sogar die vorderen Stoßfänger zum Teil in Wagenfarbe lackiert und zum Spoiler ummodelliert wurden. Kotflügelverbreiterungen und Schwellerleisten kamen dazu, und auf Hüfthöhe ein roter Zierstreifen. Die einfachen Rechteckscheinwerfer des Passat wurden durch die runden Doppelleuchten der teureren Passat-Varianten ersetzt. Auf dem Heck thronte ein Spoiler, der den Auftrieb an der Hinterachse um 50 Prozent verringern sollte. Und analog zu der mattschwarzen Umrahmung der Heckscheibe des Golf GTI rundete eine schwarze Fläche zwischen den Rückleuchten die optische Verwandlung vom Bieder- zum Power-Passat ab.
Doch das entscheidende Transplantat saß unter der Haube des Passat: der aus Audi 80 GT/E und Golf GTI bekannte 1,6-Liter-Motor mit 110 PS. Dem Fahrwerk halfen straffere vordere Stoßdämpfer, rundum härtere Federn, breitere Reifen, Stabilisatoren und eine leichte Tieferlegung auf die Sprünge. Lauter Operationen also, die auch jeder halbwegs talentierte Tuner am Passat hätte vornehmen können.
Nur 59 Kilometer gelaufen - Der Passat wird zum Stehzeug
Der Passat GTI sollte trotz seiner viel versprechenden Anlagen ein Einzelstück bleiben. VW-Vorstandschef Toni Schmücker wollte keinen Sport-Passat. Also fristete der Prototyp in den folgenden Jahren ein eintöniges Dasein als Stehzeug. Ganze 59 Kilometer Gesamtfahrleistung zeigte der Zähler in seinem Cockpit. Ein wenig halbstark steht der Passat GTI heute da - mit seinem Spoiler, den Verbreiterungen und dem dünnen roten Zierstreifen. Durch die Tieferlegung und die coupéartige, zweitürige Karosserie wirkt er gerade von schräg vorn ein wenig wie ein Familien-Scirocco, von dem mancher Coupé-Freund mit Anhang damals geträumt haben mag. Gewonnen hat die Passat-Frontpartie auch durch den teillackierten Stoßfänger, der den klobigen Auftritt der Serienversion deutlich mildert.
Das bürgerliche Ambiente des normalen Passat in besserer Ausstattungsvariante wurde ebenfalls der Sportlichkeit geopfert. Man nimmt auf sehr angenehmen Sportsitzen Platz, deren Karo-Muster auch in Golf- und Scirocco GTI aufgezogen wurde. Im Zusammenspiel mit dem Dunkelblau der Außenhaut sorgt die Farbwahl "Schottenbeigebraun" zwar für leichte Irritation, doch das ändert nichts am wohnlichen Eindruck des Passat-Innenraums mit seinem stoffbezogenem Dachhimmel.
Die Hinterbänkler im Passat können sich über Kopfstützen freuen, der Fahrer über einen von innen einstellbaren Außenspiegel und eine Mittelkonsole mit Zusatzinstrumenten. Auch das legendäre Spucknapf-Lenkrad fehlt nicht. Es war damals unverzichtbares Insignum eines jeden sportlichen VW. Der Zweck der Vertiefung in der Lenkradmitte wurde 1976 übrigens in einem Golf GTI-Test in sport auto in einer Funktion als "zusätzliche Ablage - zum Beispiel für Schlüssel und Golfbälle" vermutet. Wirklich praktisch hingegen ist das so genannte "Klappsystem für Hintersitzbank", worunter eine geteilt umklappbare Rücksitzbank des Passat zu verstehen ist. Sie kostete 1977 allerdings ebenso noch Aufpreis wie die große Heckklappe, die den sportlichen Passat in eine Art Shooting Brake verwandelt.
Komfortables Langstreckenauto
Beim Fahren gibt sich der Passat-Protoyp problemlos und langstreckentauglich. Man fühlt sich gut aufgehoben, sitzt bequem und darf auch staunen, wie wenig Knöpfe und Hebel damals nötig waren, um eine schnelle, sportliche Limousine zu bedienen. Das spielerische Handling eines Golf GTI kann der Einspritz-Passat freilich nicht bieten. Doch verleihen ihm der starke Motor und das gestraffte Fahrwerk jene gewisse Lebendigkeit, die bei einem GTI-Logo auf der Heckklappe zu Recht erwartet werden darf. Und die Bedauern aufkommen lässt, dass der Passat GTI nie in Serie gebaut wurde.
Den 110 PS starken Motor bekam der Passat 1979 dennoch. Allerdings im eher dezenten und komfortbetonten GLI, der, von Heck- und Frontspoiler einmal abgesehen, sehr schlicht auftrat. Wer seinen Sportsgeist auch äußerlich dokumentieren wollte, musste sich also an den Zubehörhandel wenden. Andererseits konnten sportliche Familienväter den Passat GLI sogar als Variant ordern. Die Fahrwerksmodifikationen des Passat GTI hatte auch dieser Typ. Und zusätzlich neue, innenbelüftete Faustsattel-Scheibenbremsen.
Auf die Tieferlegung wurde beim Passat indes verzichtet. Der GLI in der Serienausführung kam dem Golf GTI in der Beschleunigung jedenfalls recht nahe und übertraf ihn in der Höchstgeschwindigkeit wegen seiner besseren Aerodynamik gar um 2 km/h. Dafür musste er allerdings gnadenlos gedreht werden. Denn das von der Bosch K-Jetronic gespeiste Triebwerk erreichte sein maximales Drehmoment von 140 Nm erst bei 5.000 Umdrehungen.
Den Nachfolger gibt's auch mit Audi-Fünfzylinder und 115 PS
Zudem brachte der Passat deutlich mehr Gewicht auf die Waage als ein Golf GTI. Für Youngtimer-Interessenten ist der letzte Passat B1 in der GLI-Ausführung dennoch eine Überlegung wert, allein schon wegen seiner geringen Stückzahl. Der stärkste Passat B1 kam 1979 auf ganze 1.062 Zulassungen, 1.113 waren es 1980. Nach den Werksferien 1980 stand der Nachfolger B2 schon parat. Ihn gab es sogar mit dem Audi-Fünfzylinder und 115 PS. Jedoch wog der geräumigere neue Passat-Typ rund 200 Kilogramm mehr als das Leichtbau-Urmodell.
Die Chancen, einen guten Passat GLI zu finden, sind freilich minimal. Auch wird sich die VW-Klassikabteilung sicher nicht von ihrem Passat GTI in Bahamablau trennen. Eine gewisse innere Größe gehört ohnehin dazu, um so ein Auto in seinem Fuhrpark zum Klassiker reifen zu lassen. Wer sich diese Größe zutraut, hat eine Alternative: Den Jetta gab es auch als GLI - in viel größerer Stückzahl, mit vollem GTI-Ornat, 110 PS und dem einen oder anderen Zierstreifen. Zweitürig, versteht sich.