VW Käfer 1200 trifft den aktuellen Golf
Volksnahes Generationentreffen
Filmkulisse, Sehnsuchtsort: Rothenburg ist der VW Käfer unter den Städten, hier trifft der Volkswagen 1200 auf seinen Nachfolger VW Golf – Impressionen einer Begegnung mit altem Blech und noch älterem Gemäuer.
04.08.2016 Heinrich LingnerDas hatte ich mir leichter vorgestellt. „Käfer und Golf fotografieren wir in Rothenburg“, hieß es, und weil ich gern alte Autos fahre, sagte ich: „Den Käfer fahre ich selber hin.“ Da sitzen wir nun, der Käfer und ich, genauer gesagt sitze ich, und der VW quält sich. Weil es bergauf geht und es nieselt. Im vierten Gang verhungert der Käfer auf der B 14 in Richtung Kappelbergtunnel, die Tachonadel sinkt ermattet unter die 60er-Markierung, und auf der linken Spur wischen die Handwerker-Transporter vorbei wie eine weiße Wand, noch 150 Landstraßenkilometer nach Rothenburg.
Im VW Golf von 2016, der gemeinsam mit dem Käfer gebracht wurde, hätte ich mich leichter getan: Ziel ins Navi programmiert, einen Tankstellenkaffee in den Cupholder gestellt, rauf auf die Autobahn, fertig. Mit 150 Diesel-PS und praktisch allen Segnungen zeitgemäßer Assistenz- und Infotainment-Systeme an Bord, die für den Golf lieferbar sind, wäre die Reise ins Mittelfränkische ein schlichter Autobahn-Kurztrip geworden. Die Tachonadel hat sich inzwischen nicht wirklich erholt.
Der solide Käfer-Motor muss jubeln
Bis ich mich einer alten Käfer-Fahrer-Weisheit entsinne, die im Wesentlichen besagt, dass der Motor jubeln muss. Will sagen, ruhig mit Volllast ans Drehzahllimit gehen, das kann der Boxer ab, dafür wurde er konstruiert. Womöglich geht die Weisheit auf die Versuchsfahrer des Ingenieurbüros Porsche zurück, die Mitte der 30er-Jahre von Stuttgart-Killesberg aus zu hügeligen Testfahrten aufbrachen. Also Gang raus, Zwischengas, den Dritten rein, Vollgas. Langsam pendelt die Nadel wieder hoch, bei 75 ist der dritte Gang am Ende, bei 80 im vierten dröhnen wir durch den Tunnel. Später verlassen wir die vierspurige Bundesstraße, fahren über schmale Straßen und durch dichte Wälder. Das dauert ungefähr drei Stunden bis zum Ziel.
Dort wartet bereits der VW Golf, parkt zwischen Touristen und Passanten mitten in Rothenburg, er wirkt in metallischem Grau hier so vertraut und selbstverständlich wie an jedem anderen Ort in Deutschland. In über 40 Jahren ist aus dem Käfer-Land das Golf-Land geworden. Rund 50.000 VW Käfer aller Baujahre soll es hierzulande noch geben, 3,6 Millionen Gölfe gibt es dagegen. Auch wenn diese Begegnung mit dem Golf nur eine eher flüchtige ist, gibt sie einige Hinweise darauf, warum der Kompaktwagen aus Wolfsburg das Lieblingsauto der Deutschen ist: Es liegt wohl an der Kombination aus hoher Produktqualität, unprätentiösem Design, aktueller, doch nicht überkandidelter Technik sowie gutem Preis-Leistungs-Verhältnis bei gleichzeitig hohem Werterhalt. Und nicht zu vergessen: an jener sprichwörtlichen Klassenlosigkeit, die den Golf mit seinem Vorgänger verbindet.
Rothenburg als Filmkulisse
Die Sonne blinzelt über die Fachwerkfassaden, Touristen wickeln ihre Regenumhänge zusammen und zücken wieder Smartphones und Fotoapparate. Nicht wenige umrunden den Käfer. Welches Baujahr, fragt ein chinesisch aussehender älterer Herr in stockendem Englisch, 1958, antworten wir, beinahe 60 Jahre alt. Oh, staunt der Herr, und ob er ein Foto machen dürfe. Vielleicht denkt er daran, dass 1958 in der Chinesischen Volksrepublik der sogenannte „Große Sprung nach vorn“ angesagt war, eine von Mao Tse-tung gestartete Kampagne zur Produktionssteigerung in Landwirtschaft und Industrie, die bald zu einer unfassbaren Hungerkatastrophe mit geschätzt bis zu 45 Millionen Opfern führte.
Hunger war in Deutschland im gleichen Jahr schon lange kein Thema mehr. Andere Geschichten beherrschen die Schlagzeilen, etwa dass Elvis Presley als Soldat über den Atlantik gekommen ist oder Schalke nicht nur Meister der Herzen, sondern echter Deutscher Fußballmeister wird, zum bisher letzten Mal übrigens. Das im Krieg kaum zerstörte Rothenburg ist längst wieder beliebtes Touristenziel.
Bereits zwei Jahre zuvor diente die Stadt als Filmkulisse für die überaus erfolgreiche Komödie „Die Christel von der Post“. Claus Biederstaedt fährt da als Trompeter Mecki im Borgward Isabella Cabrio vor, doch nicht, weil es so gut in den Film passt, sondern weil der Wagen Regisseur Karl Anton gehört und gerade greifbar ist
VW Käfer – nach 21,5 Millionen Exemplaren war Schluss
Ein Käfer Cabriolet wäre sicher passender gewesen, auch das gab es 1958 natürlich, gebaut von Karmann in Osnabrück und bis 1980 330.000-mal hergestellt. Die Käfer Limousine bleibt in Mexiko bis 2003 im Programm, genau 21.529.464 Exemplare werden insgesamt gebaut. Das erfolgreichste Auto der Welt – bis es 2002 vom Golf überholt wird.
Wir haben mittlerweile die Stadt wieder verlassen, Regenschleier ziehen vorbei, die Silhouette sieht noch genau so aus wie auf dem bekannten Kupferstich von Braun und Hogenberg aus dem Jahr 1572. Was sie wiederum mit den beiden Autos verbindet: Die Umrisse sind unverkennbar. Der Regen wird stärker, 150 Kilometer sind es zurück nach Stuttgart, diesmal nehme ich den Golf. Wir sehen uns in drei Stunden.