VW Golf III Rallye A59
Der Super-Golf für die Rallyepiste
VW wollte mit dem Golf A59 im Januar 1994 die Rallye Monte Carlo fahren. Doch Piëch stoppte das Projekt. Was blieb, war ein Prototyp. Lesen Sie hier den originalen Fahrbericht von Bernd Ostmann aus der auto motor und sport 15/1993.
09.11.2022 Bernd Ostmann, Andreas Of-AllingerFerdinand Piëch schätzt extreme Technik. Und seit die Konzerntochter Audi die Legende der Silberpfeile für sich in Anspruch nimmt, soll der Konzernlenker einen Hang zum silbernen Lack haben. Kaum hat Piëch nun den VW-Konzernvorsitz übernommen, da zaubern seine Mitarbeiter auch schon einen Golf hervor, silbern lackiert und von hoher technischer Brisanz. Der geheime Golf-Plan wurde noch in der Vor-Piëch-Ära ausgeheckt. In der VW-Forschung entstand das Konzept, der VW-Designvorposten Düsseldorf steuerte das auffällige Outfit bei: mit Luftschlitzen, mit Hutzen und Höckern auf der Motorhaube, mit bauchigen Kotflügelausbuchtungen, die an die hohe Zeit der Opel Manta-Manie erinnern.
Geplante Rallye-Premiere: Monte Carlo 1994
Neu gestylt präsentiert sich auch das Heck. Das Nummernschild ist jetzt im Stoßfänger platziert. Die Mitte der Heckklappe ziert ein großes VW-Logo, und ganz oben an der Dachkante trägt der silberne Wagen, keck wie eine Baskenmütze, einen kleinen Dachspoiler. Das ist quasi die zivile Variante, denn es gibt noch einen anderen. Der ist größer und verstellbar, und er trägt links und rechts zwei Lufthutzen. Die Luftschächte verschwinden in der wuchtigen C-Säule und versorgen im Ernstfall die hinteren Bremsen mit Kühlluft. Der Ernstfall wäre für das VW-Projekt mit dem Kürzel A 59 im Januar 1994 eingetreten. Dann hätte der Golf bei der Rallye Monte Carlo zum Star werden sollen. Um diesen Erfolg zu sichern, bediente man sich ungewöhnlicher Methoden.
VW suchte Unterstützung bei externen Experten, beispielsweise bei Karlheinz Goldstein, bei Eduard Weidl und Norbert Kreyer. Die drei arbeiteten zu jener Zeit noch bei Toyota und waren nicht unerheblich an den Rallye-Erfolgen des Celica beteiligt. Das VW-Angebot war überzeugend, das Techniktrio wechselte den Arbeitsplatz und ging zu Konrad Schmidt nach Cardolzburg bei Nürnberg. Schmidt ist in der Renn- und Rallyeszene kein Unbekannter. Und er hatte sich nicht zuletzt durch seine Entwicklungs- und Tuning-Arbeiten für Audi empfohlen. Kompromißlos ging das Quartett an die technische Umsetzung. Dass dabei an den technischen Grundfesten des Golf III gerüttelt wurde, musste man sich in Wolfsburg gefallen lassen. Beispielsweise war schon im Lastenheft aus Gewichtsgründen von einem Alu-Motor die Rede. Unter anderem, weil bei Turboaufladung und den dabei entstehenden Mitteldrücken die Wandstärken zwischen den einzelnen Zylindern ausreichend dimensioniert sein müssen, blieb die bewährte Serienkonstruktion des 827-Motors auf der Strecke.
Am 17. Januar 1992 fiel in der Produkt- und Strategie-Kommission (PSK) die Entscheidung für das ehrgeizige Sportprojekt. Nach einigen Grundsatzversuchen kam im Juli 1992 das Okay für den neuen Motor. Norbert Kreyer, der Baumeister des Sportmotors: "Eine Ehrenrunde konnten wir uns da nicht mehr leisten, da musste alles passen." In Niederzissen, im Dunstkreis des Nürburgrings, arbeitete er mit vier Konstrukteuren unter Hochdruck. Und Kreyer erklärt nicht ohne Stolz: "Ende April 1993 lief der erste Motor bereits auf dem Prüfstand."
So fährt der Turbo-Golf mit Allrad
Entstanden war ein Rennmotor mit einem ausgeklügelten Wasserhaushalt, raffiniertem Ölrücklauf und bester Entlüftung. Gute Voraussetzungen also für einen optimalen Turbomotor. Aber auf diesem Gebiet ist Kreyer schließlich Experte: Erbaute schon die erfolgreichen Toyota-Turbo und den 1.200 PS starken Zakspeed-Formel-1-Vierzylinder. Der kurzhubige und quadratisch ausgelegte Golf-Motor (Bohrung x Hub 86 x 86 Millimeter) begnügt sich im Serienzustand mit 275 PS (202 kW). Was Kreyer nicht zufriedenstellt: "Wir haben ja erst zwei Motoren gebaut und gerade mit der Abstimmung begonnen." Für dieses frühe Stadium macht das Zweiliter-Aggregat einen ausgesprochen reifen Eindruck. Der aufgeladene Motor hängt gut am Gas und dreht mit Leichtigkeit bis zur Drehzahlgrenze bei 7.000 Touren. Unterstützt wird diese Leichtigkeit des Fahrens durch ein kurz abgestuftes Getriebe – zumindest in den ersten fünf Gängen. Die sechste Fahrstufe ist länger ausgelegt – eine Art Overdrive, nur ein sehr sportlicher. Gekoppelt sind Vierzylinder und Sechsganggetriebe an ein intelligentes Allradsystem. Erst wenn das Super-Hirn weiß, wie heftig der Motor am Gas hängt, wenn die Radsensoren des Antiblockierbrems-Systems gemeldet haben, wie rasch die Räder rotieren, und wenn es sich überzeugt hat, wie sehr sich die Karosserie gerade in eine Kurve neigt, gibt es den Kraftstrom in Richtung Bug oder Achtern frei. Der Spielraum ist freilich begrenzt. Mindestens 25 Prozent der Kraft fließen beständig in Richtung Vorderachse, der Rest nach hinten. Das heißt nicht, daß der Golf hiermit die Spur seiner Urväter verlässt und vom harmlosen Untersteuern zum hektischen Übersteuern wechselt.
Ausgetüftelt wurde die Kraftverteilung über alle viere von einer der ersten Adressen in Europa, wenn es um 4x4-Antriebssysteme geht. Diesen Entwicklungsteil am Super-Golf übernahm Steyr Daimler Puch im österreichischen Graz. Karlheinz Goldstein ist begeistert von der Intelligenz des Steyr-Systems und bezeichnet die erfolgsverwöhnte Toyota-Allradtechnik im Vergleich dazu als eine einfache "Schwarzweiß-Lösung". Das Geheimnis des neuen 4x4-Antriebs für den Super-Golf sitzt im Verteilerdifferential: Eine computergesteuerte Lamellensperre verteilt die Turbokraft zwischen 25 und 100 Prozent auf eine der beiden Achsen – gerade so, wie der Computer den Hydraulikdruck auf die zentrale Sperre steuert. Bevor der Rechner entscheidet, welche Achse mehr Leistung übernehmen darf, holt er sich die nötigen Informationen.
Der Allrad-Golf, der mit dem VW-Allradler Syncro soviel gemein hat wie ein Segelflieger mit der Concorde, hat gerade 200 Kilometer auf dem Tacho. Trotzdem zeigt er sich ausgesprochen kurvenwillig. Wenn man etwas zu schnell ist, dann schiebt der Super-Golf zunächst einmal harmlos über die Vorderachse in Richtung Kurvenaußenrand. Ob das Projekt A 59 die Kurve kriegt, ist ungewiss. 2.500 Exemplare hätten für die Sport-Zulassung gebaut werden müssen. Sicherlich wäre der Turbo-Golf A 59 ein ideales Breitensportgerät geworden. Der ehrgeizige Plan: 80.000 Mark teuer, sollte der Super-Golf direkt auf Rallye-Piste oder Rennstrecke durchstarten. Die Mittel für die Weiterentwicklung sind aber längst gestoppt: Das kann der Sparmeister Piëch.