Volvo PV 444, Volvo 240 und Volvo 740
Volvos Weg vom Buckel zur Kante
Seit 1944 macht der Volvo PV 444 den Buckel krumm. Seit 1974 führt der 240 das Gerade des Vorgängers fort, und seit 1984 macht der 740 in aller Eckigkeit klar, dass Volvo stets eine eigene Linie verfolgt.
29.12.2014 Michael OrthEs mag ein bisschen deplatziert wirken, im Zusammenhang mit Volvo von runden Geburtstagen zu sprechen. So sehr dominiert Eckiges ein Bild, das vielen zum Thema Volvo ganz automatisch in den Sinn kommt. Zu Unrecht freilich, wie ja auch der liebevoll "Buckel" getaufte Volvo PV 444 zeigt. Aber an den von Volvo 240 und Volvo 740 gesetzten formalen Orientierungsmarken lässt sich nun mal nicht so leicht vorbeiblicken. Außerdem ist es mit dem Zeitpunkt des Jubiläums selbst nicht ganz so einfach.
Buckel-Vorstellung in der Königlichen Tennishalle
Einerseits wurde der Volvo PV 444 erst ab 1947 in Serie produziert. Andererseits ist der Personvagn schon im September 1944 zur offiziellen Vorstellung für zehn Tage in die Königliche Tennishalle zu Stockholm gerollt. So erklärt sich auch seine Modellbezeichnung: vier Sitze und das Erscheinungsjahr. Alternative Herleitung: vier Sitze, 40 PS und vier Zylinder. Der 240 wiederum wurde zum Modelljahr 1975 eingeführt. Das aber beginnt bei Volvo stets nach den Sommerferien des Vorjahres. Heißt im Fall des 240 also: August 1974. Die 700er-Serie schließlich debütierte zwar schon 1982, doch kamen die Vierzylinder erst zwei Jahre später, um im Laufe der Zeit allerdings die Sechszylinder nach Verkaufszahlen um beinahe das Fünffache zu übertreffen.
Tatsächlich ein Jubiläum also, das drei Typen zusammenbringt, die sich ohnehin näherstehen, als Alter und Äußeres es erwarten lassen. Einer nicht weniger ein typischer Volvo als der andere, können technische Daten und Details sie nicht so voneinander unterscheiden, wie ihre wesentlichen Züge sie einen.
Alle drei Volvo zeigen wahren Luxus
Die 3 Volvo brechen keine Geschwindigkeitsrekorde, aber auch niemals auseinander. Sie absolvieren hohe Laufleistungen mit weniger Mühe als hohe Drehzahlen. Sie wirken nicht aufregend (wieso sollte ein Auto einen auch aufregen müssen?), sondern beruhigend. Sie brauchen keinen Schutz, sie vermitteln ihn. Sie lassen sich gerne pflegen, so wie man eine alte Freundschaft pflegt, aber eine aus Vorsicht motivierte Fürsorge wollen sie so wenig, wie es einem Hund guttut, verhätschelt zu werden. Sie zeigen, dass es wahren Luxus bedeutet, auf Accessoires und Attitüde verzichten zu können, weil das Wenige, das gegeben ist, in seiner Art den Wunsch nach mehr verstummen lässt.
Das Einfache muss nicht gewöhnlich sein. So wie spontanes Gefallen selten echt Schönes erkennt, versaut der Versuch, zu gefallen, oft jeden Stil, sogar noch den schlechten. Ein Herzensbrecher ist weder der Buckel noch der Kasten, ob seine Modellbezeichnung nun mit zwei oder sieben anfängt. "Ich verglich ihn mit einem Mann, den man zuerst gar nicht mag, aber dann doch heiratet, weil man ihn wirklich liebt", hatte Volvo eine Anzeige zum 140 betextet. Sie hätte sich für Vorgänger wie Nachfolger ohne Änderung verwenden lassen. Weil sie das Wesentliche trifft.
Schwedische Schönheit
"Das Funktionelle ist oft das Schöne. Man folgt den Gesetzen der Natur und macht die Dinge nicht komplizierter als sie wirklich sind. Funktionelle und vernünftige Lösungen sind oft die attraktivsten." Sagte Jan Wilsgaard. Der Bildhauer und Innenarchitekt kam 1950 im Alter von 20 zu Volvo. Der erste Wagen, an dem er mitwirkte, war der Amazon. Assar Gabrielsson, damals Volvo-Chef, meinte, das Auto sehe aus wie ein Pin-up-Girl, es sei viel zu hübsch und sollte hässlicher sein.
Derart ermutigt fand der Designer zu einem Schönheitsbegriff, der sich in einfachen Formen äußert. Wilsgaard machte sich Kante und Kasten zu Schlüsselbegriffen eines Gestaltungsprinzips, das er mit dem Volvo 140 vorstellte, mit dem 240er verfeinerte und im 740er radikalisierte. Dessen Ecken wirken so wesentlich wie das Rund der Räder. Anders geht es eben nicht.
Dieselbe Konsequenz zeigte Volvo in anderer Form bereits mit dem PV 444, damals als "Svensk Skönhet" - schwedische Schönheit - bezeichnet. Der PV machte Volvo zum Massenhersteller und damit auch deutlich, dass das nicht bedeutet, sich dem Diktat der Massen-Geschmacksvorstellungen beugen zu müssen. Die Mischung aus amerikanisch beeinflusster Üppigkeit und dem 1,3-Liter-Hanomag, den Volvo gekauft hatte, um sich das selbsttragende Konstruktionsprinzip zu eigen zu machen, verkaufte sich schon während der Präsentation rasant.
Friedenswagen von Volvo wird zum Erfolgsmodell
Zwar stand des Krieges wegen noch gar nicht fest, wann er geliefert werden könnte. Doch wollten schon während der Ausstellung in Stockholm 1944 weit über 2.000 Kunden Volvos "lilla Fredsvagn", den kleinen Friedenswagen. Und das hat sicher nicht allein am Preis gelegen, obwohl der zur Vorstellung sensationell günstig war. 4.800 Kronen, derselbe Betrag, der 1927 für den ersten Volvo überhaupt, den ÖV4, fällig war. Bis 1947 gab es 10.000 Vorbestellungen, und noch heute gibt jeder Buckel den damals Schnellentschlossenen recht. So auch der maronrote von Edgar R. Mößner.
Es ist ein Volvo PV444 ES von 1953, und nur weil dieses Modell als erstes serienmäßig über eine Heizung verfügte, gibt es im Innenraum auch mehr Schalter als der Markenname Buchstaben hat. Exakt so viele Sprünge teilen unterdessen das helle Bakelit des Lenkrads, hinter dem das "Hastighetsmätare" bis 150 sehr optimistisch beziffert ist. Da muss man sich im PV bei geringerem Tempo schon anschreien. Immerhin aber erreicht er mit seinen drei Gängen überhaupt Geschwindigkeiten jenseits der 100 km/h. Das feinmechanisch Filigrane ist nicht Sache des dreifach gelagerten Gusseisen-Vierzylinders. Im Serienzustand, zumal unterdessen sehr betagt, taugt der 444 am besten für Picknick-Partien über Land.
Fürsorgliche Bitte statt Befehl
Dann dürfen die Schaltvorgänge gerne so lang sein wie der Stock, der sich dazu in den Innenraum krümmt. Ohnehin reicht im VOlvo PV444 ab Tempo 40 der dritte Gang. Weil der kleine Vierzylinder, der da unter der bauchigen Haube grummelt, so ungeheuer elastisch ist. Mit dem Mantra, dass der erste Gang links unten zu finden ist, gelingt die Bedienung des alten Knochens bald ganz mühelos.
Und wird doch nicht zur Beiläufigkeit, weil der PV stets ein bisschen Nachsicht und Sorgfalt für seine knorrige Mechanik fordert – und ja auch verdient. Wie ließe sich besser eine enge Verbundenheit von Fahrer und Gefährt herstellen? Vielleicht über das Gefühl, sich hinter solidem Blech, schweren Türen und vertrauenserweckend dimensionierten Stoßfängern jederzeit gut aufgehoben zu finden. Damit es nicht beim Gefühl bleibt, erinnert der 38 Jahre alte Volvo 245 von Frank Karle die Insassen mit einer eckigen Kontrollleuchte daran, den Sicherheitsgurt anzulegen: "Fasten Seat Belts" steht auf der roten Leuchte in der Mittelkonsole. Und was sich wie ein Befehl lesen ließe, versteht sich im Volvo 245 doch wie der Ausdruck einer fürsorglichen Bitte.
Volvo Experimental Safety Car
Sicherheit war das große Thema bei der Entwicklung der Baureihe gewesen, die viel vom Vorgänger Volvo 140 übernahm, aber ebenso auch viele Details vom Volvo Experimental Safety Car, das der Hersteller 1972 präsentiert hatte. Der Volvo 240 selbst wiederum galt dem Insurance Institute for Highway Safety noch 19 Jahre später als sicherstes Fahrzeug auf dem amerikanischen Markt.
Erklärt das den immensen Erfolg des Volvo 240? Nicht hinreichend. Und nicht so charmant, wie es Jan Wilsgaard ausdrückte. Im verbalen Ausdruck seinem gestalterischen nicht unähnlich, meinte er zur Beliebtheit des 240, sie könne wohl daher rühren, dass das Auto "a little square and sluggish" daherkomme, ganz wie die Schweden selbst ja auch. Wobei sich "sluggish" mit "träge" übersetzen lässt und "square" sowohl mit "eckig" wie auch mit "anständig" oder "spießig".
Wie auch immer man das sehen will, im täglichen Umgang zumindest gibt sich der 245 noch immer ganz und gar nicht eckig.
Lebensmitte mit 250.000 km
Dreht auf dem sprichwörtlichen Bierdeckel, wechselt die Richtung leichtfüßig, wenn auch nicht sehr präzise. Dem Gussblock unter der langen flachen Haube will das Drehen nicht leichtfallen, obwohl doch die Nockenwelle über den Ventilen rotiert, das Gas ihm quer durch den Kopf strömt und die Bohrung größer ist als der Hub. Arbeit zu verrichten strengt an. Wieso sollte man das verbergen wollen? Vom elastisch arbeitenden B21 A dringt eher ein Rauschen als ein Brummen in den Innenraum des Volvo 245.
Bis zur Autobahnrichtgeschwindigkeit steht das, was der Wagen an Geräuschen produziert, einer ohne Nachdruck geführten Unterhaltung nicht im Wege. Die Dreigangautomatik passt in der Bedächtigkeit ihres Wandelns ganz gut, denn auch wenn sich die 200er von Hand die Gänge wechseln lassen, kommen sie nur schwer in dieselben. Müssen sie nicht. Andere sind sowieso schneller. Doch der Volvo wird auch nach 250.000 km nicht langsamer. Er ist dann gut eingefahren und bereit für die Lebensmitte, seine und die der Besitzer. Man könnte den Plan hegen, ihn den Kindern zu vermachen. Das ist selbst dann nicht vermessen, wenn die potenziellen Erben gerade die Schulpflicht erreicht oder die Windeln noch nicht verlassen haben.
Auch der Volvo 740, vorgestellt zwei Jahre nach den Sechszylindern der Serie, hat ja den 240 nicht kaputtgekriegt. Lange liefen die Modelle parallel.
Von Anfang an alles besser
Von Anfang an konnte der Neue alles besser als der Alte. Nur gefallen nicht. Was nicht bedeutet, dass er hässlicher wäre, nein, nein. Er braucht nur etwas länger, um anzukommen. Er wirkt, wenn man so will, langsamer. Fährt aber schneller, viel schneller. Vor allem wenn auf dem Kofferraumdeckel nicht nur Volvo 740 steht, sondern wie bei dem silbernen 1988er-Exemplar von Dirk Jürgens noch: TURBO INTERCOOLER. Die Buchstaben sehen aus, als kämen sie aus dem Nutzfahrzeugbereich, wobei das passt, denn Nutzfahrzeuge sind ja auch die Pkw von Volvo in erster Linie, egal ob nun Kombi oder nicht.
Obwohl erst mit dem Volvo 850 verabschiedet, stand schon während der Planungen zu den 700ern der Heckantrieb zur Debatte. Die Starrachse nicht. Den Vierzylindern leistete sie bis zum Schluss gute Dienste. Den Dampf des Turbos bringt sie locker auf die Straße. Nun sind 156 PS nicht die Welt für ein Auto dieser Größe. Die Leistungsentfaltung beeindruckt trotzdem. Weil es weniger eine Entfaltung ist, mehr ein Ereignis unter der quadratmetergroßen Haube, wenn der Lader ins Laufen kommt. Der Motor selbst, solide wie eine Festung, verträgt ohne Stress weit mehr Ladedruck, als Volvo ihm mitgegeben hat. Und er weckt den leisen Wunsch danach. Gut, der Volvo 740 darf solch halbstarke Anwandlungen gerne mal fördern. Er ist ja selbst noch so jung, gerade mal 30.
Fazit von Michael Orth zu Volvo PV444, 245 und 740
Volvo PV444, 245 oder 740 - ich stehe zwischen den Autos und bin unentschlossen. Nicht, weil ich keinen von ihnen will, sondern weil sie mir alle gefallen. Und zwar alle aus demselben Grund. Der Grund heißt Volvo. Also rolle ich. Im 444 gemächlich, im 245 geräumig und im 740 geladen. Wenn's einer sein müsste? Der kantige Turbo. Oder doch der runde Buckel? So ein Kombi andererseits? Dürfte auch gerne ein spätes Baujahr sein.