Volvo Coupés 262C und 780
Geheimtipp für Designliebhaber
Volvo 262C und 780 sind Autos für Genießer. Die beiden schwedischen Coupés mit Bertone-Design sind selten und schön, aber nicht frei von Schwächen.
12.12.2019 Alf CremersDie Krone macht den Unterschied, das Zeichen für Würde, Autorität und Elite auch in ästhetischer Hinsicht. Schweden ist eine Monarchie, und gleich drei Kronen, „Tre Kronor“, sind neben der blau-gelben Fahne allfällige Symbole in dem weiten Land an der Ostsee. Die Krone ziert die beiden großen Volvo-Coupés 262 C und 780 in dieser Geschichte an der C-Säule, eine Auszeichnung für die exklusiven Bertone-Flaggschiffe der Baureihen 200 und 700. Beim 262 C schmückt die Krone als kleine Intarsie auch die Prallplatte des lederbezogenen Lenkrads. Coupés sind nicht nur bei Volvo die Krönung des Typprogramms.
Beide Coupés baute Bertone
Elegant gezeichnete, edel ausstaffierte Karosserien, gepaart mit leistungsstarken, vielzylindrigen Motoren zaubern selbst Volumenmodellen mit profaner Limousinen-Herkunft einen Hauch von Noblesse ins wohlgeformte Blech. Im Gegensatz zum 262C, für den Bertone lediglich die Fertigung und Endmontage übernahm, geriet der 780 zum Gesamtkunstwerk aus einem Guss. Kein Einzelteil der von Bertone in Stil eines klassischen Gran Turismo entworfenen Karosserie ist mit der verwandten 760 GLE Limousine identisch.
Volvos Budget für Neuentwicklungen war stets wegen allenfalls mittelgroßer Stückzahlen beschränkt, was sich vor allem in den langen Modellzyklen, aber auch in der Kreativität raffiniert abgewandelter Nischenmodelle wie etwa dem 262C ausdrückt. So schuf Volvo-Chefdesigner Jan Wilsgaard, den als Bildhauer neben einem besonderen Gespür für Ästhetik auch ein geniales Improvisationstalent auszeichnete, aus dem zuletzt altbacken wirkenden P 1800 das kultige Kombi-Coupé 1800 ES. Ein frühes Lifestyle-Auto, das vor allem in den USA zum Verkaufsschlager wurde.
Volvo „made in Italy“
Wilsgaard war es auch, der studienhalber aus einer späten 1974er-Ausführung des Topmodells 164 eine betont luxuriöse und stilistisch provokante Coupé-Version machte: Die Windschutzscheibe stärker geneigt, das Dach um sechs Zentimeter niedriger und mit Vinyl bezogen und die C-Säule massiv betont. „Tre Kronor“ hieß das Projekt, der Prototyp 162 C entstand bei Coggiola Carrozziere in Piemont. Es lieferte die Blaupause für den extravaganten 262 C, der auf Basis des nur an Front und Heck modifizierten Nachfolgemodells 264 entstand.
Premiere auf dem Genfer Salon 1977
Die ersten 262-C-Prototypen wurden 1976 noch vom 262 abgeleitet, einer nur 3269-mal gebauten zweitürigen Limousine mit dem Europa-V6, die es in Deutschland nicht gab. Offiziell wurde das stolze, 40.000 Mark teure neue Volvo-Flaggschiff auf dem Genfer Salon 1977 vorgestellt und fand vor allem beim amerikanischen Publikum, Volvos größtem Markt, beste Resonanz. Fast alle Extras, von Tempomat bis Automatik, waren serienmäßig. Die erste Ausführung gab es nur in Silber-Metallic mit schwarzem Vinylbezug.
Bertone komponierte zum ebenfalls in Schweden bei Olofström gepressten Flachdach auf den angelieferten 242-Rohkarosserien noch ein sehr exklusiv anmutendes Interieur mit gerafftem Leder für Sitzbezüge und Türverkleidungen sowie Wurzelnuss-Applikationen. Damit zog ein Hauch von Cadillac in das Volvo-Coupé ein. Auch der kantige Dachaufbau orientiert sich am Cadillac Seville, was den Amerikanern sehr gefiel und in Europa oft als bizarr empfunden wurde. Drei Serien entstanden von diesem nur 6622-mal gebauten Exzentriker, sie unterscheiden sich in der Auswahl der lieferbaren Farben und in der Gestaltung der Heckleuchten und Stoßfänger. Die schönste ist die erste Auflage bis 1978, sie trägt filigrane Leuchten am fein proportionierten Heck.
Ungewöhnliche Technik: Starrachse, 90-Grad-V6
Die polarisierende Form des 262C spricht heute noch mutige Avantgardisten an, die mit der vordergründigen Eleganz eines Mercedes 280 SLC oder eines BMW 630 CS nichts anfangen können. Die Technik des exquisiten Volvo ist weit weniger spektakulär, vorne arbeiten McPherson-Federbeine und hinten federt eine starre Achse an Schraubenfedern mit doppelten Längslenkern und Panhardstab. Der zuletzt in der dritten Serie 155 PS starke 2,7-Liter-V6, eine Gemeinschaftsentwicklung von Peugeot, Renault und Volvo, weshalb für das kettengetriebene Leichtmetalltriebwerk mit zwei Nockenwellen gerne das Kürzel PRV verwendet wird, leitet sein erstaunliches Drehmoment von 230 Nm bei zahmen 3000/min an eine Dreigang-Wandlerautomatik von BorgWarner weiter, wahlweise gab es auch ein Viergang-Schaltgetriebe mit Overdrive. Der V6-Motor läuft, trotz seines ungünstigen Zylinderwinkels von 90 Grad, leise und vibrationsarm. Eine K-Jetronic-Einspritzung sorgt für moderate Verbrauchswerte, die 13 Liter auf 100 km selten übersteigen. Auch in diesem späten 262 C, lackiert in Light Blue, dominiert einmal mehr das typische Volvo-Fahrgefühl, es wird von Wohlbefinden geprägt, ja mehr noch, es ist Geborgenheit, die sich schon auf den ersten Kilometern einstellt. Durch die schmalen Scheiben fällt nur gedämpftes Licht.
Leistung als Nebeneffekt
Die breiten Ledersessel und der lange, griffgerechte Automatikwählhebel laden zum gemütlichen Cruisen geradezu ein, der Sechszylinder fühlt sich schon ab 2000/min kraftvoll an, sein nachdrückliches Temperament wird mit dem schweren Wagen leicht fertig. Nominell sind die rund 150 PS der beiden Volvo-Coupés nicht gerade beeindruckend, auch das ließ sie zu radikal-individualistischen Außenseitern der Leistungsgesellschaft werden. Aber es reicht für den Connaisseur, der Understatement mehr schätzt als Imponiergehabe. Die starre Hinterachse fällt nur auf sehr schlechten Straßen unangenehm auf. Der Volvo ist keine Sänfte und kein Kurvenräuber, dafür untersteuert er zu stark. Schnell gefahren, will er nachdrücklich um die Biegung gebracht werden.
Volvo 780 mit kultiviertem V6
Der Fahreindruck wird im lichten, hellen, weil üppig verglasten Volvo 780 nicht grundlegend anders empfunden. Schließlich ist der gleiche V6-Motor an Bord des noch weit luxuriöser und vor allem im italienischen Stil ausstaffierten Bertone-Coupés. Als Zeichen der Reife ist das Alu-Triebwerk jedoch abgasgereinigt und mit einer anderen Kurbelwellenkröpfung für einen gleichmäßigen Zündabstand versehen, die dem typischen V6-Klang bei hohen Drehzahlen die ungepflegte Rauheit nimmt. Der in Deutschland seinerzeit wegen seines für die Wagenklasse exorbitant hohen Preises nicht angebotene 780 begnügt sich im Fahrbetrieb dank der Aisin-Warner-Viergangautomatik mit einem deutlich niedrigeren Drehzahlniveau. Der große Wagen, lackiert in distinguiertem Pearl Blue, kombiniert mit vanillefarbenem Edel-Leder, macht jede Reise zum Genuss. Auch im Fond ist genügend Platz, für Unterhaltung sorgt die klangvolle serienmäßige Sound-Anlage, die Vordersitze lassen sich elektrisch verstellen, obendrein gibt es ein Schiebedach und eine Klimaautomatik, auch der Tempomat ist ein nettes Mitbringsel. Der Volvo 780 ist mehr als ein Auto, er ist eine fahrende Lounge, die in ihrer wertvollen Opulenz an einen Rolls-Royce Camargue erinnert.
Es gab den Volvo 780 auch mit einem sportiven 2,3-Liter-Turbomotor, der 165 PS leistet, und mit dem bewährten Turbodiesel, einem Reihen-Sechszylinder aus dem Hause V.A.G, der ordentlich mit gekühlter, druckreicher Ladeluft gedopt, auf stramme 129 PS kommt. Damit wurde der 780 zum schnellsten Diesel der Welt. Fraglos passt der weit kultiviertere Europa-V6 viel besser zu diesem feinen Gran Turismo. Ab Modelljahr 1988 kam das Coupé auch in den Genuss der neuen einzeln aufgehängten Multilink-Hinterachse von Volvo. Sie ist in den Disziplinen Fahrkomfort und Straßenlage der zuvor verwendeten aufwendigen Starrachskonstruktion mit Wattgestänge überlegen und betont die inneren Werte dieses Geheimtipps für stilsichere Individualisten