Volvo 960 Kombi mit 407.212 km

Ein nobler Volvo für 550 Euro

Mehr als 400.000 km und das Potenzial für die Verdoppelung. Nein, kein Taxi, sondern ein alter Volvo-Kombi mit Hinterradantrieb. Da sind solche Laufleistungen ganz normal. Und es klappert nichts.

Volvo 960 Station Wagon, Frontansicht Foto: Karl-Heinz Augustin 26 Bilder

Er stand hinter dem Zaun im Grünen. Im letzten zugewachsenen Winkel eines großen Fähnchenhändlers. Ich habe ihn im Vorbeifahren aus dem Augenwinkel kurz gescannt, mein Altauto-Radar sprach für eine Zehntelsekunde an, der Radlaufchrom signalisierte mir entweder einen Volvo 760 oder 960. Schnell verschwand er aus dem Rückspiegel meines BMW 525i. Ich hatte es sowieso eilig, nach Hause zu kommen und vergaß den alten Volvo Kombi für ein paar Tage. Schließlich muss ich nicht jedes Auto kaufen, das sich mir in den Weg stellt. Aber so ein großer Kombi wäre doch nicht schlecht. Da passen locker zwei Rennräder rein. Wäre echt praktisch für mein altes Hobby, das ich unlängst neu entdeckt habe.

Nachhaltiger Kombi mit 2,5 Kubikmetern Laderaum

Ein paar Tage später fällt mir der Volvo wieder ein, als ich im Straßenbild einen 850 in der gleichen Farbe sehe. Blaugrünmetallic, selten und edel. Ich assoziere sofort den 960 in Rosenheim, bemühe noch am gleichen Abend mobile.de und finde ihn prompt: Volvo 960 Prestige, 407.212 km, 550 Euro. Der Wagen sieht auf den Fotos erstaunlich gut aus, auch innen, vor allem in Relation zum jenseitigen Kilometerstand. Der ist zwar bei allen 960 auf der Trefferliste astronomisch hoch, aber die maximale Entfernung Erde – Mond (405.500 km) toppt nur er.

Und dieser nachhaltige Langzeitkombi mit zweieinhalb Kubikmetern europalettentauglicher Ladefläche hat exakt 20 Jahre dafür gebraucht. Macht rund 20.000 km pro Jahr, auch nicht so dramatisch. „Fast alle Kundendienste“, steht im detaillierten, fehlerfrei verfassten Begleittext, und weiter: „gepflegter Zustand, kein Rost, einsteigen und losfahren“.

Volvo-Kombi – nur echt mit Heckantrieb

Weil ich solche Experimente liebe, will ich ihn mir mal wieder geben, den kleinen Thrill im Alltag. Der große, starke, gottlob noch hinterachsgetriebene klassische Volvo 960 ist abermals ein Auto, bei dem alle abraten und sich auf die Stirn tippen. Aber TÜV gibt es noch zwei Monate, und der im Inserat aufscheinende Prüfbericht einer kürzlichen Vorführung kennt zwar ein Dutzend Mängel, aber keine gravierenden. Dank Vollverzinkung ist der verhängnisvolle Passus „Korrosion an tragenden Teilen“ ein Fremdwort für den Volvo. Die ausgeblichenen Rückleuchten werden bekrittelt, eine gesprungene Scheinwerfer-Streuscheibe rechts und ein gerissenes Seil der Feststellbremse moniert.

Die werde ich aber dank funktionstüchtiger Parksperre des serienmäßigen Aisin-Warner-Viergang-Automatikgetriebes auch gar nicht brauchen. Der Automat harmoniert im Volvo 960 wahrscheinlich bestens mit dem leistungsfähigen und drehmomentstarken Dreiliter-Reihensechszylinder, der meinen künftigen Volvo zum wahren Königs-Kombi macht: leise, souverän, großzügig. „First Class Cargo“, sage ich dazu.

Drei 124er opfern, um diesen Volvo 960 zu kaufen

Graues Leder, Prestige-Ausstattung mit Wurzelnussfurnier auf der Instrumententafel und an den Türverkleidungen, dazu diese geheimnisvoll von Dunkelblau nach Dunkelgrün changierende meeresbodentiefe Metallicfarbe: Der Königs-Kombi Volvo 960 hat das gewisse Etwas, beschließe ich einstimmig, schwöre, dafür drei 124er zu opfern, und überrede den Fotografen, mit mir nach Rosenheim zu fahren. Es gibt Tage des Glücks, dieser sonnige 24. Juli ist so einer, das spüre ich.

Der große, starke, unzerstörbare Volvo 960 hat schon jetzt mein Vertrauen. Das spüre ich, als ich mir den Weg durchs Grün bahne und den vergammelten Chrysler Voyager nebenan wegrangiere. Es dauert nicht lange, dann steht die Volvo-Motorhaube zum Check offen: Ein Bild von einem Triebwerk, gekrönt von zwei Nockenwellen und 24 Ventilen, der reinste Überfluss an Leistung und Drehmoment.

Volvo 960-Triebwerk von Audi und Porsche

Einst von Audi entwickelt, dann trotz Alu-Gehäuse für die Fronttriebler als zu kopflastig empfunden und von Porsche optimiert, kann der ungewöhnliche Langhuber hier im Volvo 960 dicht vor der Spritzwand sitzen und helfen, die Achslasten auszubalancieren. Der niedrige Ölstand an der Minimum-Marke macht mir mehr Sorgen als der überzogene Zahnriemenwechsel. Es ist bestimmt nur die übliche Vernachlässigung unter dem letzten Halbjahresbesitzer. Auf dem Typenschild steht „Made in Sweden“ statt in Belgium – wie es sich für einen Volvo gehört.

Trotz niedrigem Ölniveau wage ich einen Startversuch. Fast gierig springt der Motor an, anfangs klappern die Hydrostößel, aber das legt sich rasch. Während ich zum ersten Mal hinter dem Lenkrad des Volvo 960 sitze, spüre ich die typische Volvo-Aura. Den Hartplastik-Charme der Instrumententafel, die bequemen Ledersessel und den spröden Reiz der sachlichen Form. Man muss ihn einfach mögen, den billigen 960, schon jetzt im Stehen habe ich mich in ihn verliebt.

204 PS für gemächliches Gleiten

Es gibt kein Zögern mehr, alle Zweifel sind ausgeräumt. Richtig begeistert bin ich von dem Wagen, dem zwei Jahrzehnte und 400.000 Kilometer so wenig anhaben konnten. Er soll es künftig gut bei mir haben, die Anhängerkupplung wird er nicht mehr brauchen. In seiner stoisch-skandinavischen Ruhe liegt viel Kraft. Kein Selbstzweck sind die 204 PS, sie kraftmeiern nicht, sie dienen dazu, das Fahren angenehm zu machen, für ein müheloses Tempo von 130 km/h bei 3.000/min. Einfach leise, mit großer Reserve und moderat im Verbrauch.

Ich träume schon vom Fahren, dabei muss ich den großen Volvo 960 erst aus dem Gebrauchtwagendickicht herauszirkeln. Dank des winzigen Wendekreises geht das jedoch schneller als erwartet. Die Vorderräder lassen sich mangels Antriebswellen extrem stark einschlagen.

Erst mal freigeschaufelt, steht der Volvo 960 in seiner ganzen Pracht vor dem Bürocontainer vom Auto-Paradies. Natürlich hat der alte Schwede Kampfspuren von der langen intensiven Nutzung, Kratzer, Dellen und gesplitterten Kunststoffchrom vorne rechts am Stoßfänger.

Handeln ist nicht mehr nötig

„Die 550 Euro sind Festpreis, da geht nix mehr“, sagt Paradies-Inhaber Landauer noch nicht einmal unfreundlich. Ich schlage ein, bezahle und fahre endlich los. Die Automatik des Volvo 960 schaltet so, wie sie soll, der Motor läuft jetzt leise und rund. Die Shell-Tankstelle am Stadtrand erhält einen Großauftrag: Waschen, Tanken und zwei Liter Öl. Dass man die Heckklappe außen nicht öffnen kann, ist für einen Kombi eigentlich eine Bankrotterklärung, bei dem Spottpreis nehme ich es hin. Wahrscheinlich ist es nur ein gerissener Seilzug.

Zur Einstimmung fahren mein Volvo 960 und ich erst einmal Landstraße, gemäßigtes Tempo. Das Einlegen der vierten Fahrstufe und das Aktivieren der Wandlerüberbrückung folgen dicht aufeinander. Das gibt manchmal einen seltsamen Doppelruck, den ich auch von meinem BMW 525i kenne.

Der letzte echte Volvo?

Während ich so lenke, denke und die Geborgenheit im Volvo 960 spüre, auch dann, wenn es am Irschenberg dreispurig im dichten Verkehr bergauf geht, kommt mir das Selbstverständliche dieses Wagens in den Sinn. Er ist groß, praktisch und trotz hinterer Starrachse komfortabel. Man kann mit ihm Pferde stehlen, auch nach einer halben Million Kilometer. Er ist authentisch – die Lifestyle-Modelle von heute sind es nicht. Er ist anders. Er ist besonders. Er ist Volvo.