Volvo 850 T5-R (1995)
Der gelbste Volvo Kombi der 90er!
Vor rund 25 Jahren stiftete Volvo mit der Vorstellung des 850 T5-R ganz schön Verwirrung. Die gesamte Automobilszene rieb sich die Augen. Wieso? Das klären wir mit einem Fahrbericht zum damals sportlichsten Kombi am Markt.
22.11.2020 Sandro VitaleBegeben wir uns dafür doch zuerst einmal in aktuellere Zeiten und in eine ganz andere Sportwelt. Der schwedische Fußballstar Zlatan Ibrahimovic sagte einmal: "Ich kam als König und gehe als Legende." Inwiefern das mit diesem Volvo zu tun hat? Immerhin insofern, dass der 850 T5-R wohl eine ähnliche Aussage träfe, könnte er denn sprechen. Und man würde ihm glauben. Der Klassiker war damals schon ein bisschen so wie Ibrahimovic sich heute sieht: Einerseits königlich – nicht etwa aufgrund vermeintlicher Vornehmheit, im Gegenteil. Allerdings in Sachen Leistung. Es war das bis dato stärkste Modell der Markengeschichte! Zum anderen legendär, weil der Kombi wie der Kicker – der netzte schon per Fallrückzieher aus 30 Metern Entfernung – für unerwartete sportliche Hexereien berühmt ist. Sie wirken ähnlich selbstbewusst, kommen beide aus Schweden. Und nebenbei: "Ibras" Trikot bei Länderspielen war mindestens so gelb wie die Karosserie des T5-R. Dessen Form wiederum ist genauso "kastig" wie ein Fußballtor. Zudem wären sich beide einig: Angriff ist die beste Verteidigung! Aber genug der Vergleiche.
1994 fuhr Volvo in der Britischen Tourenwagen Meisterschaft
Der schwedische Autobauer hatte bereits für großes Kino gesorgt, als er 1994 in der Britischen Tourenwagen Meisterschaft (BTCC) auf die sportliche Bühne zurückkehrte und beachtliche Renn-Auftritte hinlegte. Mit dem wuchtigen 850 Kombi, wohlbemerkt! Bei der Präsentation des T5-R, verschlug es allen vollends die Sprache. "Volvo ist auch nicht mehr das, was es einmal war" – so leitete auto motor und sport-Redakteur Wolfgang König seinerzeit in den Kompakttest (1994/26) des Modells ein. Zurecht. 240 PS, 330 Nm und Normsprint in 7,5 Sekunden. Top-Speed: 240 km/h. In einem blassgelben "Kofferraumbomber" für öffentliche Straßen? Das war ein Wort! Zuvor hatte man StVZO-konforme Volvo-Modelle höchstens mit biederer Sicherheit konnotiert. Und sowieso: In seiner Gesamtgestalt erinnerte der Koloss mehr an Schloss Drottningholm als an ein schwedisches PS-Biest – auch eine Form von königlich, wenn man so will.
Dementsprechend frustriert reagierte der, den diese Kombi-Rakete mit dezenter Hooligan-Optik unvorhergesehen überrannte. Der unerhörte Schwede stellte damals klar: Er ist weder vernünftig noch Spießer. Und wer das Sammlerstück Probe heute fährt, merkt sofort: In seinem wilden Charakter steckt tatsächlich ein richtiger "Zlatan", mit ihm legt man sich nicht an.
Quer eingebauter R5-Turbo
Diese Ehrfurcht verdankt der Sportkombi seinem Herzstück: Volvo setzte schon im 850 T5 erstmals auf einen quer statt längst verbauten 2,3-Liter-Fünfzylinder-Motor mit Turbolader, 225 PS und 300 Nm. In der R-Version liefert die softwaregesteuerte "Overboost-Funktion" kurzzeitig 0,1 Bar höheren Ladedruck, also 0,8 statt 0,7 bar. Das Resultat: Nochmal 15 Pferde und 30 Nm extra!
Ein beherzter Tritt aufs Gaspedal, und das wassergekühlte Aggregat grollt dermaßen respekteinflößend los – so heroisch schreit Ibrahimovic höchstens auf, wenn er trifft. Dafür muss man sich jedoch einen Moment gedulden, hängt der T5-R doch sehr träge am Gas. Und sobald das Viergang-Automatikgetriebe seine Power auf die Vorderräder transferiert, scharrt das Heißblut übermütig mit den Hufen. Auch das Traction Control System (TRACS), wie Volvo die Antriebsschlupfregelung im 850 taufte, ändert daran nichts. Vor allem wenn der Turbo bei feuchter Straße ab 3000 Umdrehungen mit aller Macht wütet. Ja, Traktion geht anders. Aber zugegeben, das macht richtig Spaß! Einfach deshalb, weil das Geräusch schleifender Reifen im Einklang mit dem Fünfzylinder-Sound tierisch rockt. Wehe man behandelt das Gaspedal beim Ampelstart nicht so zart wie schwedisches Rörstrand-Porzellan. Wer dann nebendran steht und nicht um sein Temperament weiß, den schockiert dieser Hitzkopf von Kombi ähnlich wie die mit Horrormasken vermummte nordische Metal-Band "Lordi" das Publikum beim Eurovision Song Contest.
Arbeitsscheues Getriebe
Doch bei allem Übereifer des Motors: Während das Triebwerk den T5-R über die Geraden wuchtet, prollt sich sein Getriebe ein bisschen arbeitsscheu durch die Gänge. Die betörende Kraft ist trotzdem in jedem einzelnen zu spüren. Nicht zuletzt deshalb, weil es auf nassem Asphalt selbst im dritten Gang noch schwerfällt, die zappelnde Vorderachse im Zaum zu halten. Aber sobald die 17-Zoll-Reifen mit dem Straßenbelag kooperieren, bringt der Wagen die Power gelassen auf die Fahrbahn. Wenn man seine 6000 Touren ausdreht, ist er einfach nur schnell und nicht mehr so töricht impulsiv. Dann: der Kickdown. Reinsteigen, kurz abwarten bis er staubtrocken vom Vierten in den Zweiten schaltet und "Vrooööhm", bölkt er aufs Neue draufgängerisch los. Hinter den Kulissen beatmet der "Overboost" 35 Sekunden lang das Aggregat. Erst danach regelt die Elektronik den Ladedruck wieder um jene 0,1 Bar herab, und der Wagen agiert eine Nuance gezügelter. Einfach herrlich!
Leergewicht: sportliche 1451 kg
Lediglich die Landstraße holt ihn zurück auf den Boden der Tatsachen und den Fahrer auch. Gewiss – die vorderen Federbeine halten die Dreiecksquerlenker bei Kurvenfahrten stabil. Jedoch spielt der brünstige Antrieb mit der Lenkung erfolgreich Powerplay – die Einflüsse sind enorm. Allerdings treibt man den Wagen automatisch etwas bedachter durch die Kurven. Denn dass er gemächlich lenkt, das merkt man schnell. "Ich zählte damals zwar zu den PS-, aber keineswegs zu den Agilitäts-Monstern", scheint sein untersteuerndes "Ich" schon in der ersten Spitzkehre zu mahnen. Dafür startet die zwischen dreieckigen Längs- und Querlenkern verbaute Deltalink-Hinterachse keine überraschenden Revolten. Da der T5-R das Gas nur zaghaft an- und wegnimmt, braucht man auch keine fiesen Lastwechsel zu fürchten. Zudem wiegt der Kombi trotz "kastiger" Erscheinung trocken gerade mal sportliche 1451 Kilo – für die Scheibenbremsen ein Klacks. Nur bei Schlaglöchern, da attackiert der T5-R mit seiner straffen Radaufhängung die Bandscheiben. Aber von wegen Angriff: Insgesamt steht der Volvo in Sachen sportliche Dynamik eher für Verteidigung ein. Ob das Zlatan so passen würde?
Doch gerade deshalb verschmolz dieser Volvo vor 25 Jahren die Klassen miteinander: Sportlichkeit und Vielseitigkeit – der Wagen brachte beides mit. Obendrein gehörte er zu den ersten Autos mit Seitenairbags. Bei allem Übermut pflegt er so auch noch Volvos Sicherheits-Image. Ein bisschen Vernunft steckt eben doch in ihm.
90er-Cockpit mit Kassettendeck
Wer im "Atrium" dieser schwedischen Festung auf vier Rädern sitzt, den verwöhnen Ledersitze, eine niedrige Gürtellinie und vor allem riesige Scheiben. Wahnsinn, diese Übersicht! Auf den Fußmatten prangt "850" – in gelber Schrift, versteht sich. Tastenreiche Bedienfelder auf der Mittelkonsole rings um das Kassettendeck des Radios herum deuten an: Moderne Technik hat er, Komfort ebenfalls. Funkgesteuerte Zentralverriegelung gab es serienmäßig, dazu elektrische Fensterheber und Schiebedach. Der Bordcomputer informiert über die Reichweite, als er 1995 auf den Markt kam, konnten das noch nicht viele Autos.
Den Verbrauch des Kraftpakets blendet man allerdings lieber aus. Der kann bis zu 20 Litern in die Höhe schießen. Doch wer seine Familie herumchauffiert – im T5-R hat sie mehr als genug Platz – der beherrscht sich mit der Fahrweise ja sowieso. Dann braucht man deutlich weniger Benzin, und so standen bei Herrn Königs Test im Jahre 94 gerade noch passable 13,2 Liter auf der Uhr – allerdings immer noch 3,8 Liter mehr als Volvo behauptete.
Ebenfalls in die Höhe schießt der Wert des Klassikers. Bekam man um 2015 für gut 10.000 Euro ein gepflegtes Exemplar, werden solche mittlerweile zwischen 12.800 und 17.300 Euro gehandelt (Quelle: Classic-Analytics). Wen wundert es? Insgesamt rollten bei Volvo nur 5500 Stück vom Band. Trotz des stattlichen Grundpreises von 81.750 DM waren sie sofort vergriffen. Zu haben war die Ikone ausschließlich in besagtem "Merkurgelb" oder in schwarz (je 2500 Stück). Aufgrund der hohen Nachfrage bauten die Schweden am Ende des Produktionszeitraums noch 2500 dunkelgrüne Exemplare, und das war`s.