Volvo 740/760 Kaufberatung
Stärken und Schwächen des kantigen Schweden
Das Schöne an so einem 700er ist ja, dass er sich heute perfekt in dieses Klischee des treuen und uneitlen Begleiters für viele weitere Jahre fügt. Und dann ist da auch noch dieses extra-schräge Coupé.
24.04.2019 Michael Harnischfeger„Meine Vorgänger warfen die Autos weg und spielten mit den Schachteln, wenn sie als Kind ein Matchbox-Auto geschenkt bekamen“, witzelte vor vielen Jahren mal ein Volvo-Designer über seine Vorgänger im Amt und deren Liebe zum Eckigen. Seinen Namen lassen wir mal beiseite hier, er ist ja noch als Designer tätig.
Als er das sagte, waren an Volvo nicht mehr nur Räder, Lenkrad und Instrumente rund, sondern in weiten Teilen auch schon das Blech. Damit hätten wir ein Standardthema in Gesprächen über mittelalte Volvo elegant abgehakt und um eine neue Anekdote erweitert. Und wo wir gerade in der Erinnerung und in unserem Archiv kramen, etwas Erstaunliches: Volvo hatte – man mag es nicht glauben – schon in den 70er-Jahren einen Windkanal. Glauben Sie nicht? Doch, es muss so gewesen sein. Schließlich veröffentlichten die Schweden zur Vorstellung der neuen Top-Limousine 760 im Jahr 1982 deren Luftwiderstandsbeiwert: unter 0,4 (also wahrscheinlich 0,39999999). Der Vorgänger 264 hatte sich noch mit cw 0,46 durch den Wind geschoben, da war ein Fortschritt also durchaus zu erkennen, wobei Fortschritt ja relativ ist: Der im selben Jahr, 1982, präsentierte Audi 100 kam auf einen Luftwiderstandsbeiwert von 0,30.
Mäkelei an der Größe
Volvo-Chefdesigner Jan Wilsgaard, der bereits am Amazon mitgearbeitet hatte, am 140, am 240 oder am P1800, hatte ein mächtiges, langradständiges Auto gezeichnet, das mit seinen tief ansetzenden Seitenfenstern licht wirkte und mit seiner fallbeilartig verlaufenden Heckscheibe das amerikanische Limousinen-Design zitierte. „Container-Volvo“ nannte man ihn, oder auch – in den USA – „schwedischer Ziegelstein“. Dazu war der 760 nochmals größer geworden als der auch nicht eben zierliche Vorgänger, sodass manche über Unvernunft auf Rädern mäkelten angesichts knapper werdender Rohstoffe und deren reichlicher Verwendung.
Ach ja. Schnee von gestern. Denn wie jeder Volvo ließ der 760, dem 1984 mit dem 740 eine weniger opulent ausgestattete und daher volksnäher gepreiste Ausgabe an die Seite gestellt wurde, solche kurzfristige Kritik an sich abperlen. Auch Genörgel über die nicht gerade verbrauchsgünstigen Vierzylinder, die schon in den Vorgängern verbaut waren, ließ die Käufer kalt. Und das Auto auch – gerade so, wie es die neuen Volvo tun, wenn jemand sich statt der Zweiliter-Vierzylinder doch gern einen V6 wünscht.
Außerdem: Im 760 – anders als im 740 – gab es ja einen V6! Der war leider doch eher eine Krücke mit vielen Vätern, dafür geringer Leistung bei großem Durst und übersichtlicher Laufkultur. Genau, nicken nun die Kenner. Der PRV-Euro-V6, der gemeinsam von Peugeot, Renault und Volvo entwickelt worden war, um den jeweiligen Flaggschiffen eine zumindest auf dem Prospektpapier adäquate Motorisierung zu verpassen.
Starrachse hinten, Plüsch innen
Gekauft wurden die 700er trotz der gut abgehangenen Motoren, deren Kernkompetenz – nicht ganz unerwartet – im Erreichen gigantischer Laufleistungen lag. Weil ein Volvo eben ein Volvo ist und dich umgarnt mit seinem Charme, der heute natürlich viel zeitgeistiger ist als in den 80er-Jahren, als der 700er noch starrköpfig auf eine hintere Starrachse setzte, während vor allem europäische Konkurrenten den Wettbewerb um die aufwendigste Hinterachskonstruktion ausgerufen hatten. Starrachse hält doch und erfüllt ihren Zweck, oder?
Bis 1992 entstanden weit mehr als 1,2 Millionen 700er, darunter auch gut 8.500 Coupés mit Namen 780. Entworfen und produziert bei Bertone, huldigten sie dem leisen Luxus eines heimeligen, mit dickem Leder ausgeschlagenen Rückzugsortes. Formale Eleganz im klassischen Sinne? Natürlich, wenn man die auch einem Bristol Blenheim oder einem Maserati Karif reinen Herzens attestieren mag. Wer eher an skurril oder extravagant denkt, ist auch dicht an der Wahrheit. Wer ein solches Coupé heutzutage ergattert, darf sich glücklich schätzen. Denn zu uns wurde der große Zweitürer nie offiziell importiert. Immer wieder einmal gelangen meist gut gepflegte Exemplare aus Schweden, der Schweiz oder den USA nach Deutschland. Viel exklusiver kann man sich nicht kleiden, man dürfte in seinem Zulassungsbezirk auf kein zweites Exemplar treffen. Der Preis dafür ist mit um die 16.000 Euro absolut gesehen nicht wirklich hoch, er liegt aber um den Faktor drei über dem, was für gut gepflegte Limousinen oder Kombis dieser Erfolgsbaureihe aufgerufen wird.
300.000 km – na und?
Nun haben wir uns lange über den 700er an sich ausgelassen und müssen noch die wunderbaren Sitze, die Qualität (seit 1985 verzinkte Bleche), die Kaminofenheizung, den Nutzwert (Kofferraum, Anspruchslosigkeit!) und sein beruhigendes Wesen loben. Erhöhten Herzschlag ruft so ein 700er nur selten hervor, dafür in der Regel tiefe Zufriedenheit. Wie ein guter Kumpel, der einem nichts Neues erzählt, mit dem man aber gern Zeit verplempert.
Das Motorenkapitel ist ebenso kompliziert wie das der Typologie. In Letzterem unterscheiden Nerds ja nicht nur zwischen 740, 760 und 780, sondern mischen auch noch die Zahl der Türen ein. Eine Limousine heißt demzufolge 744 oder 764, ein Kombi 745 oder 765 – Sie verstehen schon. Und bei den Motoren sorgt Volvo für Verwirrung, indem immer neue Varianten des Grauguss-Denkmals mit dem Alukopf erschienen. Anfangs mal mit, mal ohne Katalysator, mal mit Vergaser, mal mit Einspritzung, mal mit Turbo, mit und ohne Intercooler, später auch mit vier Ventilen.
Die Motoren halten. Und halten
Auch die Leistungsangaben wechselten immer mal wieder geringfügig. Daher machen wir es uns hier leicht. Kein Vierzylinder ist ein Ausbund an Drehfreude oder Sparsamkeit (hören wir da die Turbos irre lachen?). Aber sie halten. Und halten. Und halten. Mit 200.000 Kilometern sind sie gerade eingefahren, mit 300.000 Best-Ager ohne graue Haare. Alle 50.000 Kilometer das Ventilspiel prüfen, alle sechs Jahre oder 75.000 Kilometer den Zahnriemen wechseln (was erstaunlich wenig kostet), Zündkerzen- und Ölwechsel nicht vergessen – fertig. Bei Laufleistungen, die manche Wettbewerber nur mit dem zweiten oder dritten Tauschmotor erreichen, kann schon mal die Zylinderkopfdichtung blasen. Doch auch das ist kein finanzieller Hochseilakt. Gleich neue Ventile und Schaftdichtungen mit rein, und schon geht’s weiter.
Auch die V6-Benziner sind gut für hohe Laufleistungen. Gelängte Ketten des Nockenwellenantriebs weisen mit Rascheln auf ihr baldiges Ende und drohende Motorschäden hin, kontinuierlichen Kühlwasserverlust sollte man auch ernst nehmen: Der Austausch der Kühlwasserschläuche im Zylinder-V stellt diese leichte Inkontinenz gemeinhin ab.
Günstige Ersatzteile, unkompliziertes Schrauben
Das Schöne an diesem Volvo ist: Ersatzteile sind zumeist billig, die Arbeit unter der Motorhaube nicht kompliziert. Vieles gelingt in Selbsthilfe, und ein Werkstattbesuch treibt das Konto nicht in den Dispo – auch bei den zwei Sechszylinder-Dieseln übrigens nicht. Die Wirbelkammer-Triebwerke zweigte Volvo aus der LT-Produktion bei VW ab, wobei der 82-PS-Sauger noch haltbarer ist als der Turbo mit 109 PS, der bei extensivem Anhängerbetrieb gern mal den Hitzetod stirbt.
Im Grundsatz sind beide auf Dauerhaltbarkeit und nicht auf Laufkultur oder Spritzigkeit ausgelegte Kaltblüter mit sedierender Wirkung. Dank H-Kennzeichen stehen sie mittlerweile unter Artenschutz und erzielen am Markt erstaunlich hohe Preise.
Im Rosten nichts Neues
Wenig Kummer macht die Karosserie. Verzinkte Bleche und reichlich Hohlraumkonservierung schützen gut vor Korrosion, dennoch lohnt vor dem Kauf die Suche nach Kantenrost an Hauben, Türen und hinteren Radläufen sowie den vorderen Kotflügeln. Nachlässig behobene Unfallschäden geben Korrosion auch oft Angriffsfläche, aber die Substanz der 700er ist bestens darauf vorbereitet, mit den Motoren und den ebenso langlebigen Getrieben (bei der Probefahrt die Funktion des coolen Overdrive prüfen!) mitzuhalten.
Auch Fahrwerk und Bremsen sind solide und alles andere als unterdimensioniert gemacht. Die Starrachse, die bei den Limousinen nach dem winzigen 88er-Facelift (zu erkennen an der weicher gezeichneten Bugpartie) einer etwas verschleißfreudigeren Mehrlenkerachse wich, macht auch im Alter kaum einmal Ärger; an der Vorderachse müssen alle Jubeljahre mal Spurstangenköpfe und Traggelenke gewechselt werden – fertig.
Die Technik bietet also keine großen Aufreger und passt damit zu diesem großen Entschleuniger. Er ist einfach immer da und macht seinen Job. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Die Vertrautheit wächst mit jedem Monat. Ein Langzeitauto jenseits aller Moden. Kann man schon machen.
Karosserie-Check
Rost macht beim 700er keinen Kummer. Trotz verzinkten Blechen und reichlich Hohlraumkonservierung lohnt sich beim Kauf aber die Suche nach Kantenrost an den Hauben, Türen und hinteren Radläufen sowie den vorderen Kotflügeln. Die Substanz ist ebenso wie die Motoren und Getriebe bestens auf ein langes Leben vorbereitet.
Preise
Damals waren die Kombis weniger beliebt als die Limousinen. Heute ist’s andersherum, wie die Preise zeigen. Das 780 Coupé kam offiziell nie zu uns.
Ersatzteile
Ersatzteile des Volvo 700 sind zumeist billig und die Arbeit unter der Motorhaube nicht kompliziert. Obwohl das Konto selbst bei einem Werkstattbesuch nicht in den Dispo getrieben wird, gelingt vieles in Selbsthilfe.
Schwachpunkte
- Verschleiß an Vorderachse
- Wasserverlust, Steuerkette (V6)
- Kopfdichtung
- Kantenrost an Hauben, Türen und Radläufen
- Overdrive streikt
- Ventilspiel lange nicht justiert
- Zahnriemen überaltert
- Interieur verschlissen