Veritas: Silberpfeile aus der Provinz
Die kurze, tragische Geschichte von Veritas
Die Rennsport-Marke Veritas lebte kurz, aber heftig: Verleger Pietsch gewann damit Rennen und es war die erste deutsche Marke in der Formel 1. Gegründet hatten die Firma drei ehemalige BMW-Mitarbeiter.
17.12.2020 Dirk JohaeQuizfrage: Welche deutsche Automarke war die erste, die in der 50er-Jahren bei einem Formel-1-Rennen eingesetzt wurde? Es war Veritas: Am 27. Mai 1951 startete der Schweizer Peter Hirt mit einem Formel-2-Auto der deutschen Marke bei seinem Heim-Grand-Prix in Bern-Bremgarten. Der Erfolg für den rot-weiß lackierten Rennwagen blieb allerdings sehr bescheiden: Hirt startete als 16. und schied noch in der Startrunde mit Benzinpumpenschaden aus.
Aber schon am folgenden Wochenende erzielte Paul Pietsch beim Eifelrennen den wohl größten Veritas-Erfolg in der Formel 2. Der Gründerverleger der Motor Presse gewann das Rennen auf Nordschleife des Nürburgrings vor zwei schnellen AFM aus dem Rennstall des späteren BMW-Motorenentwicklers Alex von Falkenhausen – trotz eines abgefallenen Heckteils seines Meteors. Licht und Schatten kennzeichnen die gesamte, aufregende Geschichte von Veritas.
Revival des BMW-Sportwagens
Alles begann mit der Technik des BMW 328, des von 1936 bis 1940 in Eisenach gebauten Sportwagens. 1947 spannten die ehemaligen BMW-Mitarbeiter Ernst Loof, Lorenz Dietrich und Georg ("Schorsch") Meier zusammen, um ein Revival der sportlichen Zweisitzer zu starten. Dazu stieß der ehemalige Sechstage-Radrennfahrer und Manager Werner Miethe für Kontakte zu zahlungskräftigen Kunden. Die ersten offenen Rennsportwagen hießen BMW-Veritas, exakt elf Exemplare. Dann schob die BMW-Zentrale in München den Riegel vor, den Start der eigenen PKW-Produktion schon in Planung.
So bleibt das lateinische Wort Veritas ("Wahrheit") als Markenname. Die Entscheidung traf Geschäftsführer Lorenz Dietrich kurz entschlossen, als er von einem Vertreter der französischen Besatzungsmacht nach dem Markennamen gefragt wurde. Frankreich-Kenner Dietrich fiel spontan eine halbstaatliche französische Prüforganisation für technische Produkte gleichen Namens ein. Dietrich war auch der Antreiber für die Serienproduktion, blieb jedoch ohne Fortune. Wirtschaftlich kam Veritas weder in Hausen noch in Meßkirch und Muggensturm wie auch später am Nürburgring nie in Schwung.
Edler Karosserieschneider aus Oberschwaben
Bestseller bleibt der RS, ein offener zweisitziger Rennwagen mit Zweiliter-Sechszylinder mit Leichtmetall-Karosserie. Vertraut man Hans Peter Rosellens Standardwerk über Veritas, wurden davon insgesamt 25 Exemplare gebaut. Die Kleinserie, deren Karosserielinie an die ONS-Roadster (Berlin-Rom-Wagen) von 1941 erinnerte, bildete auch die Basis für die ersten Straßensportwagen Comet. Die Coupé-Karosserie stammte von Spohn in Ravensburg, bekannt als Karossier des Luxusautos von Maybach in den 30er-Jahren.
Die Version mit dem schwächeren, 55 PS starken Sport-Coupé bekam Paul Pietsch für einen ausgiebigen Test auf den Straßen seiner Heimat Schwarzwald. Der Bericht erschien Mitte 1949 in "Das Auto". Pietsch war begeistert, lobt vor allem die Straßenlage und die Bremsen. Solche Qualitäten durfte man von einem damals 20.000 Mark teuren Sportwagen auch erwarten. Pietsch Verlags-Kompagnon Joseph Hummel zählte damals bereits zu den Veritas-Kunden. 1948 erwarb er einen RS mit 1,5-Liter-Motor, zwei Jahre später Pietschs Meisterauto.
Veritas-Rennwagen beherrschten die Deutschen Meisterschaften
Ab 1948 beherrschten die Rennwagen aus der exklusiven Manufaktur die Entscheidungen in den heimischen Meisterschaften. Insgesamt 13 Titel sammelten Veritas-Fahrer bis einschließlich 1953. Allein vier Championate gingen auf das Konto von des Düsseldorfers Toni Ulmen.
Es ist nicht zuletzt das Verdienst von Veritas, dass der Automobilrennsport nach dem Zweiten Weltkrieg besonders in Deutschland wieder aufleben konnte. Die Firma verkauft zwar auch einzelne Rennwagen ins europäische Ausland und sogar an US-amerikanische Fahrer. Aber dem Unternehmer gelingt es bis zuletzt nicht, eine Produktion von Serienfahrzeugen auf die Beine zu stellen. Der Ruhm der Marke Veritas gründet allein auf den Rennerfolgen.
Mercedes-Testfahrer auf Veritas
1948 gewann Karl Kling in einem RS bei den Sportwagen bis zwei Liter Hubraum und Firmen-Mitgründer Georg ("Schorsch") Meier bei den Rennwagen. Kling, später rennfahrender Ingenieur im Formel-1-Werksteam, hatte die Freigabe der Daimler AG, auf Veritas mit BMW-Technik Rennen zu fahren. Im Jahr darauf sicherten sich die Veritas-Fahrer sogar drei Titel – auch in der Sportwagen-Klasse bis 1,5 Liter setzte sich mit dem Frankfurter Helm Glöckler ein Veritas-Kunde durch.
1950 feierte der Motor Presse-Verleger Paul Pietsch seinen ersten Meistertitel und folgte dem Markenkollegen Glöckler auf den Thron bei den Sportwagen bis 1,5-Liter Hubraum. In der folgenden Saison wurde Pietsch im Meteor-Monoposto deutscher Formel-2-Meister. Sein Erfolg beim Eifelrennen auf dem Nürburgring trug dazu bei.
Letzte Station Nürburgring
Seit dem Winter 1950/51 waren Veritas und Ernst Loof in der Eifel echte Lokalmatadoren: Der Techniker hatte sich in die ehemaligen Auto-Union-Boxen am Nürburgring eingemietet und baute hier seine Renn- und Serienwagen. Nach dem Konkurs der "Veritas Badische Automobilwerke" in Muggensturm bei Rastatt hielt Loof als letzter Ritter aus dem ursprünglichen Gründer-Dreigestirns noch die Fahne hoch. Doch auch mit dem Umzug blieben die alten Probleme: Geldmangel verhinderte den Aufbau einer Serienproduktion von Straßenautos und behinderte zunehmend auch die Weiterentwicklung der Renn- und Sportwagen.
Die Zeitschrift "Das Auto" und ihr Verleger Paul Pietsch begleitete die Entwicklung der Veritas-Rennwagen sehr kritisch. Pietsch, der sich 1950 in einem Veritas RS 1.5 auf der Rennstrecke zurückgemeldet hatte, bemängelte den neuen Meteor II mit dem 140 PS starken Sechszylinder: "Das seriöse Finish fehlt." In den Rennen fehlt die Zuverlässigkeit für den Monoposto mit dem bei Heinkel gebauten Triebwerk. "Das ist eindeutig eine Katastrophe", so Sportredakteur Ernst Hornickel. "Noch selten in der Geschichte des Rennwagenbaus wurde ein neuentwickelter Typ zu einer größeren Enttäuschung."
PS-Anschluss an die Italiener
Veritas-Chef Loof unterschätzte darüber hinaus die internationale Konkurrenz. 1952 verkündete er im Nachrichtenmagazin Der Spiegel: "Den PS-Anschluß an die Italiener haben wir nahezu". Damit meinte er Maserati und Ferrari. In Maranello baute man mit dem 500 den dominierenden Formel-2-Wagen. Motorleistung: 165 PS, also 25 PS mehr als der Heinkel-Sechszylinder, und 560 Kilogramm Leergewicht. "Ein paar ordentliche Rennerfolge, und ich habe um die Firma gar keine Sorgen mehr", meinte Loof.
Ein Erfolg erhoffte sich der Veritas-Nürburgring-Chef auf der Berliner Hochgeschwindigkeitsstrecke Avus. Für 30.000 Mark ließ sich Paul Pietsch auf Basis eines Meteor-Monopostos einen Stromlinien-Rennwagen bauen. Im Training setzte er in der Nordkurve mit der Karosserie auf und überschlug sich über die Längsachse. Die Spohn-Leichtmetallkarosse zerknüllte bei dem Unfall wie Papier, Pietsch erlitt einen Schulterbruch und Prellungen. Das Bild des völlig zerstörten silbernen Stromlinien-Monoposto wurde zum Sinnbild des tiefen Falls von Veritas.
Das Ende
Im August 1953 musste Ernst Loof seine "Veritas-Automobilwerke" zusperren. Ihm war das Geld ausgegangen. Sein treuer Kunde Paul Pietsch fuhr nach Bonn und sprach bei Bundesverkehrsminister Hans-Christoph Seebohm vor. Der Politiker bewegte BMW, Loofs kleine Firma am Nürburgring samt seinem Personal zu übernehmen. Aber die "BMW Forschungs- und Entwicklungsabteilung, Außenstelle Nürburging" überlebte nur bis 1954. Nur der schwerkranke Loof "durfte weiterarbeiten" (Rosellen). Am 3. März 1956 starb er an einem Hirntumor.