6 Generationen Mercedes E-Klasse im Fahrbericht
50 Jahre Mercedes-Mittelklasse im Vergleich
Die Mittelklasse von Mercedes war immer schon so was wie der Kern der Marke. Wir konnten sechs Modelle aus 50 Jahren Probe fahren und vergleichen: Vom Oldtimer Mercedes 170 DS (W191) über Ponton (W 120), Heckflosse (W110), Strichacht (W114), W123 zum Youngtimer W124.
13.05.2016 Clemens HirschfeldZeitreisen gibt es bislang nur in der Fiktion. Aber zum Glück muss man nicht in alte Zeiten reisen, um sie erfahren zu können. Das Mercedes-Museum hat seine Zeitmaschine für uns angeworfen, sechs bestes erhaltene Mittelklasse-Schätzchen aus der Garage geholt und uns die Schlüssel gegeben.
Die Mercedes 170 DS Limousine (W191) begründet die Mittelklasse-Tradition
Erste Station unserer Zeitreise: 1953. Beeindruckt schleiche ich um den Mercedes W191 herum. Die Mercedes 170 DS Limousine könnte meinem Kindheitsbild eines Oldtimer entsprungen sein: Mit ausgestellten Kotflügeln, steil ansteigendem Chrom-Kühlergrill auf dem der Mercedes-Stern thront. Dahinter breitet sich die lange Haube aus, die bis zu den Selbstmördertüren reicht.
Ich steige ein und sinke gefühlt einen halben Meter tief in den Fahrersitz. Das Auge schweift vorbei am Dreispeichen-Lenkrad samt Blinker-Kranz und fällt auf den Nadelstreifen-Tacho und die benachbarte Analog-Uhr. Viel mehr Uhren gibt es nicht: Tankanzeige, Wassertemperatur, das war's. Aus den Holzrahmen und Verkleidungen ragen ungeniert Befestigungsschrauben heraus.
Den Mercedes W191 in Bewegung setzen - so einfach ist das nicht. Erst den Zündschlüssel auf die Fahrtposition drehen, dann warten bis die Vorglühanzeige - liebevoll Pfefferstreuer genannt - erlischt. Erst jetzt erwacht der 1,76-Liter-Diesel durch einen beherzten Dreh am Anlasser-Hebel zum Leben.
Mercedes 170 DS störrisch wie ein Esel?
Stock-Handbremse lösen, hinter dem ausufernden Lenkrad thront der chromglänzende Schalthebel, der willig den ersten Gang entgegen nimmt. Verblüffender Weise passiert das alles mit spielerischer Leichtigkeit. Dabei hatte ich mir immer ausgemalt, dass so ein alter Diesel-Benz sich störrisch wie ein Esel gibt und deshalb mit starker Hand geführt werden will.
Aber nichts da, beinahe entspannt biege ich auf die Landstraße. Zweiter, Dritter, Vierter - die Gänge flutschen wie von selbst in die richtige Position. Ich fasse schnell Vertrauen. Ein bisschen zu schnell, denn Kurven wollen früh angebremst werden und die Wirkung der alten Trommeln geht gegen Null. Etwas zügig und stark geneigt meistere ich die Kehre dennoch. Seitenhalt, Sicherheitsgurt – Fehlanzeige.
Der 40 PS schwache Viertakter hat überraschend leichtes Spiel mit dem Mercedes W191. 80 km/h sind, wenn man dem Tacho glaubt kein Problem - zumindest solange sich kein Hügel in den Weg stellt. Doch bevor das passiert, steige ich um.
Mercedes Ponton ein richtiges Auto
Nächster Halt ist das Jahr 1958. Damals erblickte diese Mercedes 180 a Ponton Limousine (W120) das Licht der Welt. Der Fortschritt gegenüber dem Vorgänger ist immens. Der Ponton sieht schon eher aus wie ein modernes Auto, auch wenn die wesentlichen Stilelemente wie Chromkühlergrill und lange Haube nach wie vor dominieren.
Selbst innen ist die Veränderung spürbar. Kaum noch sichtbare Verschraubungen, zentral platzierter Tacho in schickem Nadelstreifenanzug samt Anzeigen für Wassertemperatur, Öldruck Tankinhalt, Licht. Man nimmt vorne wie hinten Platz auf noch weicheren durchgängigen Federkern-Sitzbänken. Lenkrad und Position des Automatik-Wahlhebels sind vertraut aus dem Vorgänger. Leider dominiert ansonsten Plastik und Kunstleder den Innenraum des Mercedes W120.
Fahren ist auch hier mehr Entspannung als Anstrengung. Gemächlich geht es weiter durch den Schwarzwald. Kurven mag allerdings auch der Mercedes Ponton nicht besonders. Dafür nimmt der Mercedes W120 Steigungen souveräner als sein Vorgänger. Die Fahrt mit dem Ponton ist trotzdem etwas Besonderes. Schwäbische Dörfer ziehen vorbei, während der Blick über die lange Motorhaube schweift und immer wieder am Kühler-Stern hängen bleibt. Das viel beschworene Mercedes-Gefühl macht sich breit.
Die Heckflosse, der amerikanische Mercedes
Der Zeitsprung in die 60er Jahre ist auch ein Sprung über den großen Teich. Denn beim Mercedes W110 sind amerikanische Designeinflüsse schon von außen unübersehbar. Auch wenn die „Heckflosse“ im Vergleich zu den US-Vorbildern deutlich dezenter ausfällt.
Im Innenraum verfliegt dagegen jede Form von Zurückhaltung. Chrom blendet den Insassen an allen Ecken des Armaturenbretts. Das edle elfenbeinfarbene Zweispeichen-Lenkrad fügt sich wunderbar in das braune Kunstleder-Interieur ein. Dahinter baut sich der Fieberthermometer-Tacho wie ein Wolkenkratzer auf.
Im Fahrbetrieb steigt das Geschwindigkeitsband erst gelb, ab 30 km/h gelb-rot schraffiert und ab 60 km/h leuchtend rot wie in einer Juke Box auf. Die Servo-Lenkung gibt sich gefühllos, die Federung extrem weich - Cruisen ist also angesagt. Es fehlt nur noch ein bisschen Rock´n´Roll für die Ohren, doch leider produziert das Becker Europa TR nur Rauschen. Macht nix, dann genieße ich eben den wolkenlos blauen Himmel durch die große Öffnung des Schiebedachs.
Mit dem Mercedes Strichacht in die Moderne
So ausgefallen sich die Heckflosse gab, so konservativ ist sein Nachfolger der Mercedes W114. Für unsere Probefahrt steht ein 280 E bereit. Der war 1972 das Topmodell mit dem starken 185 PS Doppelnockenwellen-Motor. Zu erkennen an den Ausstellfenstern, den doppelten Stoßstangenecken vorn und glatten Rückleuchten.
Leider scheint dem Käufer des in Papyrus-weiß lackierten Mercedes W114 nach der Motorenauswahl das Geld ausgegangen zu sein. Elektrisches Schiebedach, Klimaanlage, elektrischen Fensterhebern sowie die erstmals lieferbaren Scheinwerfer-Reinigungsanlage sind nicht mit an Bord. Nicht mal die H4-Scheinwerfer für damals nur 55,50 Mark waren drin.
Und so richtig warm werde ich dann auch nicht mit dem karg ausgestatteten Strichacht. Klar, er kann vieles besser - ist vom Fahrgefühl schon moderner als die Heckflosse. Der Sechszylinder hängt wunderbar am Gas, allerdings ist die Viergang-Schaltung eher ein Graus, statt Schmaus. Sie verlangt beim Einkuppeln nach viel Gefühl. Und beweist, dass die besten Mercedes-Schaltungen schon immer automatisiert waren.
Der Mercedes W123 ist durch und durch solide
Vom Design eher Evolution, denn Revolution ist der Mercedes W123, der optisch keine Experimente macht. Abgesehen von der Außenfarbe Sahara-gelb und der Tabak-braunen Stofffarbe im Innenraum. Nach heutigen Maßstäben eine ungewöhnliche Mischung, die mir aber außerordentlich gut gefällt. Überhaupt strahlt der W123 eine fast stoische Ruhe aus.
Leider geizte der erste Besitzer auch hier mit Sonderausstattungen. Bis auf den rechten Außenspiegel (der damals nur beim Kombi zur Serienausstattung gehörte), Mittelarmlehne und Becker Europa Kurier wirkt auch der 123er sehr frugal. Sachliche Nüchternheit und schwarzer Kunststoff dominieren das Cockpit.
Was sein Interieur verspricht, löst das Fahrverhalten ein. Unaufgeregt gehen die 109 PS zu Werke, liegen hör- und spürbar erst bei 4.800/min an. Nur widerwillig reagiert die Vier-Gang-Automatik auf den Kick-Down und schiebt den 230er gemächlich vorwärts. Der Spitzname Wanderdüne für den 200 Diesel erschließt sich nach dieser Fahrernüchterung auch für den Benziner.
Mercedes W124 Youngtimer als Kontrast
Die letzte Station der Zeitreise: Das Jahr 1986, ein Mercedes W124. Die erste E-Klasse, die mit der zweiten Modellpflege auch E-Klasse heißen sollte. Im Gegensatz zu seinen beiden Vorgängern galt bei der Bestellung: Alles rein, was geht. Egal ob Multikontursitzlehne mit einstellbarer Lordosenwirbelstütze, Standheizung oder Schiebehubdach.
Doch wirklich selten ist der Reiserechner, Sonderausstattungscode 245. Der antiquierte Bordcomputer kostete damals 1.026 Mark und versorgt den Fahrer mit zwölf Informationen zu Fahrbetrieb und Fahrstrecke. Zumindest, wenn man weiß wie - denn die Bedienung ist leider alles andere als trivial. Die Programmierung der Fahrtstrecke soll mir heute nicht gelingen. Aber es geht auch ohne.
Der Mercedes 300 E durfte ohne Kat mal 188 PS leisten - mit Katalysator sind es immerhin noch 179 PS. Die Abgas-Reinigungsanlage kostete auch fünf km/h Höchstgeschwindigkeit - 30 Jahre später fällt das nicht mehr ins Gewicht. Souverän zieht der Reihensechser im Mercedes W124 durch. Im Sportmodus, reagiert die Automatik durchaus flott - kein Vergleich zum Vorgänger - macht ihn aber noch lange nicht zum Sportler. Eher zum komfortablen Gleiter der seine Kraft nur dann abruft, wenn er sie auch wirklich braucht.