Vauxhall Hurlingham Roadster 20/60
Vom Schlossmuseum in die Reihenhausgarage
Vauxhall Hurlingham Roadster 20/60 im Fahrbericht. Wer da meint, ein Vorkriegsbolide könne artgerecht nur in großzügig ausgestatteten Werkstätten und mit entsprechendem Budget am Laufen gehalten werden, der irrt. Den Gegenbeweis tritt ein Vauxhall-Liebhaber mit Minigarage an.
01.06.2011 Frank Schädlich
Der Einstieg in die Liebhaberei zu altem Blech erfolgte über einen Youngtimer namens Triumph TR7. Ihm gesellten sich ein TR3 bei, ein Super Seven aus der Vorkriegsära der Triumph-Werke und ein Roadster aus gleichem Hause, Baujahr 1938. Der der Hang zu Vorkriegsfahrzeugen gedieh, war dem Angebot eines typischen Vintage-Vertreters der Bolidenklasse von 1929 nicht zu widerstehen. Heute verkörpert er den Höhepunkt der Leidenschaft zu Vorkriegsautos - ein Vauxhall Hurlingham Roadster 20/60.
1927 Produktionsende des Prince-Henry-Wagens
Die Marke Vauxhall ist als Hersteller von außergewöhnlichen, leistungsfähigen Sportwagen längst aus dem Bewusstsein verschwunden. In den Zwanzigern warb Vauxhall selbstbewusst und ohne Übertreibung mit "The Car Superexcellent". Fahrzeuge von Vauxhall standen mit Herstellern wie Mercedes-Benz, Alfa Romeo und Delage auf einer Stufe. Der eigentliche Aufstieg der Marke begann mit der fortschrittlichen Konstruktion eines Dreiliter-Vierzylinders durch den jungen Konstrukteur Laurence H. Pomeroy. Mit diesem Motor entstand einer der berühmtesten britischen Sportwagen der Zwanziger, der 30/98HP Typ E "Prince-Henry"-Wagen. So genannt nach seinem Sieg bei der großen Deutschen Prinz-Heinrich-Fahrt 1910 - auch ein Seitenhieb in Richtung der Deutschen Autoindustrie. Erfolge bei Langstreckentrials, Rekordwagen und Grand-Prix-Teilnahmen festigten das sportliche Image der Marke.
Für die Klientel der wohlhabenden Herrenfahrer war ein Vauxhall in England die erste Wahl. Durch nachhaltige technische Verbesserungen konnte die Leistung des Vauxhall 30/98 in der OE-Version bis auf 120 PS gesteigert werden. Vauxhall war nie in der Lage, hohe Stückzahlen zu realisieren. Langfristig führte das 1925 zur Übernahme durch den US-Konzern General Motors. Die rückläufigen Verkäufe bedingten 1927 das Produktionsende des Prince-Henry-Wagens und damit des wichtigsten Vertreters der ursprünglichen Marke Vauxhall. Der vom amerikanischen Management ungeliebte, großvolumige Vierzylinder wurde 1928 durch einen Sechszylinder ersetzt. Diesem Aggregat mit der Bezeichnung R-Type 20/60 HP ist die Herkunft unschwer anzusehen - ein Vertreter des amerikanischen Big-Six-Motorenbaus. In diese Zeit des Umbruchs fällt die Produktion des 20/60 Hurlingham Roadster auf Basis der Rund späteren leistungsgesteigerten T-Serie.
Trotz Leichtbau kein Verkaufsschlager
Die Karosserie aus Aluminium, getrieben über einen Holzrahmen, ist ein Zeichen der hohen handwerklichen Kunst britischer Karosseriebauer jener Zeit. Nur die Kotflügel und die Motorhaube wurden aus Stahlblech hergestellt. Den Namen des Dreisitzers steuerte ein in den 20er Jahren beliebter Sport-Club auf den Hurlingham Grounds bei London bei. Mit dem typischen Bootsheck und der zweiten Windschutzscheibe für den im hinteren Notsitz befindlichen Passagier war der Roadster ein für Sportwagen durchaus attraktives Angebot. Trotzdem erreichte der Vauxhall Hurlingham Roadster 20/60 nie den Erfolg des Prince Henry. Die verwöhnte Käuferschaft konnte selbst durch eine vergleichbar gute Fahrleistung von 120 km/h nicht für diesen Wagen gewonnen werden. Nach nur wenigen gebauten Exemplaren verschwand der Vauxhall Hurlingham Roadster 20/60 im Jahr 1931 aus den Vauxhall-Verkaufsprospekten.
Teilnahme bei der Historischen Rallye Monte Carlo
Überzählige Karosserien wurden nach Australien zu Holden verschifft und, gering modifiziert, auf Chevrolet-Fahrgestelle montiert. Im weiteren Verlauf der 30er Jahre konzentrierte sich Vauxhall auf das Segment kleinerer Wagen - 1930 mit dem 17 HP Cadet und dem A-Type Light-Six von 1933. Der 10-HP-Typ von 1938 war das erste britische Massenfahrzeug mit selbsttragender Karosserie-Konstruktion.
Wenn auch dem Vauxhall Hurlingham Roadster 20/60 in der Zeit seiner Produktion kein besonderer Erfolg beschieden war, ist er bei heutigem Einsatz ein großer Hingucker. Die grell gelbe Lackierung trägt dabei erheblich zum ungewöhnlichen Erscheinungsbild bei. In den Siebzigern wurde im Auftrag des Fürsten Kraft zu Hohenlohe-Langenburg die originale rotbraune Farbgebung in das derzeitige Gelb umgespritzt. Der Fürst setzte das Auto 1974 bei der Historischen Rallye Monte Carlo ein. Der fürstliche Tross bestand damals aus drei Fahrzeugen. Den Vauxhall Hurlingham Roadster 20/60 bewegte Prinz Ludwig von Baden nach Monte Carlo. Nach diesem Einsatz wurde der Roadster nur noch gelegentlich vom Fürsten zu Hohenlohe für Ausfahrten und sogar für Festumzüge verwendet.
Über 30 Jahre dämmerte der Vauxhall Hurlingham Roadster 20/60 als Stehzeug im Automuseum Schloss Langenburg. Nach dieser für ein Auto relativ langen Zeitspanne und nach einigem Aufwand für das Reanimieren ist einiges aus dem Alltag mit einem derartigen Vorkriegsboliden zu berichten. Stets aufs Neue erheiternd ist der fast schon stereotype Vergleich mit einem Postauto, der immer wieder ironisch von Passanten angestellt wird. Selbst ein aufklebbares Posthorn wird angeboten.
Als Fahrer hat man in dem beengten Cockpit des Vauxhall Hurlingham Roadster 20/60 durchaus ein Gefühl, das dem eines Kutschers vom Typ "Hoch auf dem gelben Wagen" recht nahe kommt. Über breit ausladende Trittbretter will die hohe Sitzposition erstiegen sein. Akrobatisch hat der Fahrer das Einfädeln der Beine zwischen der weit in den Innenraum ragenden Lenksäule und den Pedalen zu bewerkstelligen. Ist diese Hürde genommen, bietet das überschaubare Instrumentenbrett des Vauxhall Hurlingham Roadster 20/60 keine sonderlichen Geheimnisse. Geschwindigkeitsmesser, Öldruck, Tankanzeige, Wassertemperaturinstrument, Zeituhr, das war's dann auch schon. Eine ungewöhnlich sparsame Instrumentierung für ein derartiges Fahrzeug.
Langhuber mit Durchzug schon ab 300/min
Das Fehlen eines Drehzahlmessers fällt sofort ins Auge. Doch wozu sollte er auch dienen? Bei einer maximalen Drehzahl von 4.000/min genügt die Kraft des langhubigen Sechszylinders, um den Vauxhall Hurlingham Roadster 20/60 lochfrei aus der Leerlaufdrehzahl von zirka 300 Touren zu beschleunigen. Ist einmal der vierte Gang eingelegt, genügt die Durchzugskraft des Motors vollauf, um den Wagen ohne überflüssiges Schalten zu bewegen. Die Spitzengeschwindigkeit des Vauxhall Hurlingham Roadster 20/60 liegt bei immerhin 120 km/h. Allerdings benötigt der Beschleunigungsvorgang aus dem Stand heraus einige Zeit.
Ist der 1,8 Tonnen schwere Vauxhall Hurlingham Roadster 20/60 aber erst einmal in Fahrt, beeindruckt die Art der Fortbewegung. Die aus der Tiefe dringende, wummernde Geräuschkulisse des 2,9-Liter-Motors unterstützt das Gefühl, scheinbar durch den Verkehr zu pflügen. Die Konstrukteure von General Motors lassen grüssen. Der Anlassvorgang des Vauxhall Hurlingham Roadster 20/60 gestaltet sich für ein Automobil der Dreißiger problemlos. Zündstrom einschalten, Zündung per Hebel am Lenkrad auf die Startposition bringen, Choke ziehen und ein Tritt auf den im Fußraum angeordneten Starterknopf genügen, um den niedrig verdichteten Motor sofort anspringen zu lassen.
Alle 800 Kilometer müssen 22 Stellen abgeschmiert werden
Dank des ebenfalls an der Lenksäule befindlichen Handgas-Hebels läuft der Motor des Vauxhall Hurlingham Roadster 20/60 unter Zuhilfenahme der Zündverstellung und langsamer Zurücknahme des Chokes nach wenigen Minuten ruhig vor sich hin. Ein beherzter Tritt auf das Pedal der Zentralschmierung vervollständigt die Startprozedur. Im Vauxhall Instruction Book wird darauf hingewiesen, dies tunlichst außerhalb der eigenen Garage zu bewerkstelligen. Heute, mit geschärftem Blick für die Umwelt, ist es angeraten, diese Tätigkeit in der heimischen Garage auszuführen und das Fahrgestell dann einige Zeit abtropfen zu lassen. Das Öl der Zentralschmierung markiert den Standbereich des Vauxhall Hurlingham Roadster 20/60 sehr deutlich. Ansonsten gilt es, 22 weitere Schmierstellen alle 800 Kilometer per Hand zu versorgen. Dabei kommt es gelegen, dass das vorgeschriebene Ölwechselintervall des Vauxhall Hurlingham Roadster 20/60 ebenfalls bei 800 Kilometer liegt. Jeweils 9,7 Liter 50er-Einbereichöl sind dabei nötig.
Sitzkomfort darf im Vauxhall Hurlingham Roadster 20/60 übrigens kaum erwartet werden. Die entsprechenden Kissen liegen direkt auf den dicken Holzplanken des Fahrzeugbodens. Zusätzlich zu diesen harten Bedingungen hat der Passagier im einzelnen Schwiegermuttersitz bei Ein- und Ausstieg noch eine turnerische Glanzleitung zu vollbringen - wer einmal in dem drinnen ist, kommt nur schwer wieder heraus. Die aus heutiger Sicht ungewöhnlich wirkende Windschutzscheibe des Vauxhall Hurlingham Roadster 20/60 vor dem Platz des Heck-Solisten war damals ein praktischer und willkommener Wetterschutz, da das Faltdach nur über den vorderen Sitzen aufgebaut werden kann.
Imposanter Blick auf die Motorhaube
Aus der tiefen Position der Frontpassagiere des Vauxhall Hurlingham Roadster 20/60 ergibt sich ein imposanter Ausblick - durch die geteilte Windschutzscheibe auf die lange Motorhaube mit der markanten Vauxhall-Sicke. Das war eine typische Sicht, die das damalige Publikum von einem Boliden erwarten durfte. Man war es dabei gewöhnt, durch das Lenkrad hindurch zu schauen statt darüber hinweg. Der hoch aufragende Kühler, welcher allen Gesetzen der Aerodynamik zu trotzen scheint, wird durch eine stilisierte Wappenfigur gekrönt. Diese löste die filigrane Figur eines Wyvern der Vorgängermodelle ab. Mehr als dreißig Jahre stand die Aluminiumfigur des Vauxhall Hurlingham Roadster 20/60 im Museum in der Glasvitrine, irgendwann muss sie wohl beim Abstauben zu Boden gegangen sein. Ein verbogener Flügel zeugt davon.
Ist der britische Bulle erst einmal in Bewegung, ist er kaum noch zu bremsen
Ein dosiertes Verzögern mit den seilzugbetätigten riesigen Trommeln ist nur mit äußerster Umsicht zu bewerkstelligen. Vorausschauendes Fahren und rechtzeitig eingeleitete Bremsvorgänge gehören daher zur wichtigsten Regel des Vauxhall Hurlingham Roadster 20/60-Fahrers. Eine Handbremse im heutigen Sinn hat der Wagen nicht. Sie ist bauartbedingt eine reine Feststellbremse, welche direkt auf die Transmission greift. Auf Grund ihrer Position neben dem rechten Bein des Fahrers ist sie während der Fahrt sowieso unerreichbar in den Tiefen des Fußraums verborgen. Nur mittels eines entschlossenen Griffs durch die Lenkradspeichen ist die Handbremse des Vauxhall Hurlingham Roadster 20/60 zu betätigen. Diese Option fällt somit während der Fahrt als zusätzliche Notbremsmöglichkeit gänzlich aus.
Wartungsarbeiten durch Schlangenmenschen
Den Vauxhall Hurlingham Roadster 20/60 durch den heutigen Verkehr zu bewegen, bedeutet immer eine Mischung aus Fahrvergnügen und ständiger Konzentration auf andere Verkehrsteilnehmer. Dabei ist körperlicher Einsatz gefordert. Das unsynchronsierte Getriebe muss mit Zwischenkuppeln und Zwischengas beherzt geschaltet werden. Kracht es trotz aller Sorgfalt doch einmal, macht die Crash Box ihrem Namen alle Ehre. Die Lenkung des Vauxhall Hurlingham Roadster 20/60 ist amerikanisch indirekt und überrascht durch leichte Funktion während der Fahrt. Parkvorgänge dagegen geraten durch die 20-Zoll-Räder zu einem schweißtreibenden Akt, wie bei einem Lastwagen ohne Lenkhilfe. Ein Oldtimer mit hohem Spaßfaktor - aber nicht gerade zum Brötchen holen geeignet. Unmittelbar nach dem Besitzerwechsel wurde der Vauxhall Hurlingham Roadster 20/60 durch eine Oldtimer-Fachwerkstatt von den gröbsten Standschäden befreit. Vor allem ein neuer Tank erwies sich als unumgänglich. Auf Grund der langen Standzeit war der alte vom Rost zerfressen worden.
Ausfahrten bergen aus heutiger Sicht ein gewisses Risiko
Das Gaspedal des Vauxhall Hurlingham Roadster 20/60 liegt mittig zwischen Kupplung und Bremse. Das ist grundsätzlich nichts besonderes bei einem Vorkriegswagen. Nur speziell bei diesem Fahrzeug ist das Gaspedal zusätzlich noch knapp neben der Lenksäule und halb verborgen unter dem großen Bremspedal verbaut. Bei einem Bremsvorgang muss der rechte Fuß zwischen den Pedalen ausgefädelt werden. Nach langen Überlegungen wurde das Gaspedal zur heute gebräuchlichen Anordnung Kupplung-Bremse-Gas umgebaut. Der Eingriff ist aber leicht rückgängig zu machen. Bliebe noch über die Wartungsfreundlichkeit eines Vorkriegsroadsters zu berichten. Alle anfallenden Wartungs- und Restaurierungsarbeiten an dem Vauxhall Hurlingham Roadster 20/60 werden vom Besitzer in einer Standardgarage ausgeführt. Durch die Ausmaße des Vauxhall Hurlingham Roadster 20/60 ist dabei teilweise die Beweglichkeit eines Schlangenmenschen gefragt. Für Arbeiten unter dem Vauxhall Hurlingham Roadster 20/60 ist die hohe Bodenfreiheit ideal, einen Wagenheber benötigt man nur selten. Persönliches Restaurierungsziel des Autors ist es grundsätzlich, die Patina seines Vauxhall Hurlingham Roadster 20/60 zu erhalten. Natürlich soll die Technik dabei nicht in Vergessenheit geraten und sich in einem voll funktionsfähigen Zustand befinden.
Die wegen des Monte-Einsatzes montierten Zusatz-Aggregate wie der zweite Scheibenwischer, eine Scheibenwaschanlage, ein abschließbarer Tankdeckel von Mercedes und artfremde, aber lichtstarke Scheinwerfer wurden in den originalen Zustand zurückversetzt oder demontiert. Verschiedene Ausfahrten und Rallyes ergaben in jüngerer Vergangenheit eine befriedigende Fahrleistung und Zuverlässigkeit. Störend ist lediglich der hohe Wasserverbrauch des Vauxhall Hurlingham Roadster 20/60, der einem mit Dampf getriebenen Auto alle Ehre machen würde. Durch die lange Standzeit litt das Kühlernetz stark und wurde undicht.
Der hohe Wasserverbrauch wurde durch Mitführen eines Wasserkanisters bekämpft, was aber auf Dauer nicht voll befriedigt. Daher steht demnächst die Reparatur des Kühlernetzes an. Das erscheint auf den ersten Ansatz unspektakulär. Wer aber schon einmal im Winter in einer unbeheizten Garage Motor oder Getriebe aus einem Oldtimer gezerrt hat, kann die Schwierigkeiten ahnen, die selbst beim Ausbau eines Kühlers entstehen können. Doch selbst wenn es eng wird: Von derartigen kleinen Hindernissen lässt sich ein Oldtimerfan nicht bremsen. Dann geht es eben in der Minigarage mal wieder mit etwas weniger Ellenbogenfreiheit her.