Tatra T77 von 1934 in der Auktion
Das 390.000-Dollar-Schnäppchen
Diesen Tatra T77 hat ein in der Slowakei geborener US-Amerikaner für eine Million US-Dollar restaurieren lassen. Am 4. März kam er unter den Hammer, der Verkaufspreis hat Schnäppchen-Charakter.
06.03.2023 Gregor HebermehlSeine Vorstellung auf dem Prager Automobilsalon am 4. März 1934 war eine Sensation: Der Tatra T77 sah so modern aus, wie kein anderes Auto zuvor. Die Karosserie der Oberklasse-Limousine hatte Aerodynamik-Fachmann Paul Jaray im Windkanal geformt. Nach dem Rumpler-Tropfenwagen von 1921 war der Tatra T77 erst das zweite Auto, dessen Karosserie die Konstrukteure in einem Windkanal optimiert hatten. Paul Jaray half 1932 Manfred von Brauchitsch, mit einem Mercedes SSKL Stromlinienwagen das Berliner AVUS-Rennen zu gewinnen – die stromliniengünstige Karosserie machte den SSKL um 20 km/h schneller. Die Vorstellung des Tatra T77 war auch deshalb eine Sensation, weil das Auto überraschend kam: Chefkonstrukteur Hans Ledwinka hatte für die Entwicklung strengste Geheimhaltung angeordnet. Von 1934 bis 1936 hat Tatra 106 T77 an seinem tschechischen Standort gebaut. Restauriert und fahrbereit sind heute nur noch fünf. Einer davon ist aktuell Teil einer Auktion.
Zukunftsauto als Nazi-Killer
In die Restauration dieses Tatra T77 sind mehr als eine Million Dollar (aktuell umgerechnet circa 914.800 Euro) geflossen, im Herbst des Jahres 2022 war die aufwendige Aufbereitung abgeschlossen. Die Fahrzeuge von Tatra wirkten damals, als kämen sie aus der Zukunft. Nur Spitzenverdiener konnten sie sich leisten – und sie flogen mit den Autos manchmal aus der Kurve. Schließlich sitzt der luftgekühlte 3,0-Liter-V8 im Heck, der vordere Teil des Autos ist vergleichsweise leicht. Obwohl der Motor nur 60 PS leistet, fährt ein T77 aufgrund seiner aerodynamisch guten Form bis zu 150 km/h schnell. Auf von Morgentau überzogenen oder sonst rutschigen Fahrbahnen konnte ein zu schneller und ungeübter Fahrer blitzartig die Kontrolle über das ausbrechende Heck verlieren. Deshalb trägt der T77 eine riesige Finne am Heck – die sollte die Seitenstabilität erhöhen. Angeblich starben viele Wehrmachts-Offiziere bei Unfällen mit Tatras, weil sie ihre Fahrfähigkeiten überschätzt hatten – die Autos galten in Tschechien augenzwinkernd als Geheimwaffe gegen die Nazis.
Der verkaufte T77 ist das neunte von Tatra gebaute Modell dieses Typs. Erstkäufer war Graf Jaromir Egon Rudolf Franz Czernin von Chudenitz und Morzin, der mit dem Auto 1935 eine Tour durch die italienischen Alpen gemacht hat. Der Graf fuhr den T77 bis 1936, danach verliert sich die Spur des Autos in den Wirren des zweiten Weltkriegs und der in Osteuropa folgenden Ostblock-Zeit. Die Auktionatoren vermuten, dass der Tatra bis Mitte der 1970er-Jahre in Betrieb war und dann in einer Scheune in der heutigen Slowakei landete. Die Slowakei war damals Teil der Tschechoslowakei.
Über Deutschland in die USA
2005 hat ein deutscher Tatra-Enthusiast den T77 gekauft und 2006 auf der Essen Motor Show ausgestellt. Im folgenden Jahr kaufte der US-Amerikaner Andy Simo das Auto und verschiffte es in die USA, mit dem Ziel, den T77 ohne Kostenlimit zu restaurieren. 1938 in einem Dorf in der Nähe der slowakischen Hauptstadt Bratislava geboren, fuhr er als Achtjähriger erstmals in einem Tatra T77 mit. Das aerodynamische Design und die Technik des Autos hatten ihn sofort begeistert.
Die Restauration ist auf der Website Million Dollar Tatra dokumentiert. Keine der bekannten Restaurationswerkstätten in den USA hatte je einen Tatra restauriert – Simo und seine Mitarbeiter mussten mit ihren Recherchen für das Fahrzeug teilweise bei null beginnen. 2016 erfuhr er von International Auto Restoration aus Oak Lawn im US-Bundesstaat Illinois. Die Spezialisten hatten gerade mit einem T87 ein T77-Nachfolgemodell wiederaufgebaut. Also betraute Simo die Tatra-Kenner mit der Restauration. Am 18. Mai 2017 starb Andy Simo im Alter von 79 Jahren unerwartet. Seine Frau Cherie, seine Tochter Melanie und sein Sohn Steven hatten Andy Simos Enthusiasmus längst verstanden – und führten die Restauration unter diesen ultimativen Standards fort. Viele Blechteile waren noch in einem guten Zustand, nur der darunterliegende Eschenholz-Rahmen war teilweise verrottet. Ein französischer Spezialist hat den Rahmen unter Beibehaltung von möglichst viel Originalholz wieder aufgebaut. Das seinerzeit optionale Schiebedach machte bei den damaligen Modellen viele Probleme – im Zuge der Restauration hat das Auto das Serien-Stahldach bekommen.
Schlichte Innenraum-Eleganz im Original-Look
Die vordere Stoßstange ist eine Nachfertigung und beim Innenraum haben die Restaurateure mit viel Arbeitsaufwand die originalen Muster und Farben herausgefunden – die grauen Ledersitzbänke entsprechen also dem Original-Look. Die elfenbeinfarbenen und in einer mit Wurzelholz-Furnier bedeckten Einfassung sitzenden Instrumente sind ebenfalls originalgetreu. Der V8-Motor hat neue Pleuel, Lager und Ventile bekommen, der neu verbaute Original-Vergaser stammt sogar aus einem Lagerbestand in Tschechien. Sämtliche anderen technischen Komponenten wie das Getriebe, den Anlasser und die elektrischen Systeme haben die Restauratoren überholt.
Mithilfe der weltweiten Tatra-Community konnten die Spezialisten jedes kleine Detail restaurieren. So konnten der fehlende Vergaser-Dämpfer, die ebenfalls fehlenden Ausklapp-Blinker und drei Räder nachgefertigt werden – bei der Lieferung des Autos waren nämlich nur noch zwei Räder original. Inzwischen soll das Auto Concours-Qualität haben.
Verkaufspreis: 366.600 Euro
Die Verantwortlichen des Auktionshauses RM Sotheby’s haben den extrem seltenen und im Bestzustand befindlichen Tatra T77 am 4. März 2023 im Zuge ihrer Amalia-Island-Auktion versteigert. Es gab keinen Mindestpreis. So reichten 390.000 US-Dollar (umgerechnet rund 366.600 Euro) für den Erwerb des raren und aufwendig restaurierten Automobils. Erwartet worden waren 500.000 bis 700.000 Dollar (470.000 bis 658.000 Euro).