Sachsen Classic 2014
Das Auto für die DDR-Elite
Die Briten machten es sich beim Automobilbau oft einfach - so waren sie lange Zeit die ungekrönten Könige des Badge-Engeneering. Zwei - oder besser: ein - Beispiel ist bei der Sachsen Classic zu sehen.
23.08.2014 Kai KlauderBack to the Rootes - drei Schwestermodelle mit gleicher Basis
Bei den Startnummern 98 und 99 wissen viele Zuschauer - und auch Teilnehmer - nicht so recht, was sie vor sich haben. Denn Hillman Minx Mk III und Singer Gazelle gehören zu der Kategorie der eher unbekannten britischen Automobile. Wenn man sich diese beiden Kleinwagen anschaut, fallen Ähnlichkeiten auf. Während sich die freundlichen Auto-Gesichter noch deutlich unterscheiden, kann man am Heck und der Seitenlinie Gemeinsamkeiten entdecken. Doch dazu unten mehr.
Was übrigens auch nur wenige von denen, die die Autos kennen, wissen: Der Hillman Minx wurde in den 60er-Jahren in die DDR ausgeliefert - als Auto für Ärzte, Funktionäre und Rechtsanwälte. Es war das Auto für eine kleine Elite des real existierenden Sozialismus. Bei der Sachsen Classic fährt eines von mehreren hundert Exemplaren mit, die damals in der DDR von den Oberen Zehntausend gefahren wurden.
Per Facebook an die Fahrzeughistorie
Es ist nun im Besitz des Verkehrsmuseums in Dresden. Dessen Direktor und Geschäftsführer Joachim Breuninger steuert den Briten. "21.000 Ostmark kostete der Minx damals in der DDR, das konnten sich nur ganz wenige leisten", weiß Breuninger", Und dieser hier gehörte von 1960 bis 1985 einem Arzt aus Hermsdorf in Thüringen". Der Zweitbesitzer kaufte den ursprünglich zweifarbig lackierten Wagen im Alter von 17 Jahren. In der Mangelwirtschaft kam er nicht an den originalen Lack heran, und so lackierte er in der Farbe, die er bekommen konnte - in Weiß. Kurz vor der Wende wurde der Besitzer noch im Jahr 1989 in die Nationale Volksarmee eingezogen - und verkaufte seinen seltenen Hillman. Eine Entscheidung, die er nur wenige Wochen später bereut haben dürfte.
Als das Verkehrsmuseum den Hillman Minx im Jahr 2012 entdeckte, startete es einen Facebook-Aufruf, um an Informationen über den Wagen zu kommen - und tatsächlich: Der ehemalige Besitzer meldete sich und konnte mit wertvollen Informationen über die Historie des Wagens helfen.
Restaurierung mit Punktlandung
"Vor zwei Wochen sind wir mit der Restaurierung fertig geworden - rechtzeitig zum Start der Sachsen Classic", sagt Thomas Giesel, der Kustos Straßenverkehr im Verkehrsmuseum Dresden.
Hillman Minx und Singer Gazelle sind ein Beispiel für das Badge-Engeneering der Briten. Sie wurden beide 1960 von der Rootes-Gruppe gebaut - als Schwestermodelle der Marken Singer, Hillman. Und damit nicht genug, auch als Sunbeam Rapier wurde dieses Automobil angeboten. Unter dem Blech sind alle drei nahezu identisch: Ein einfach konstruiertes Chassis mit Einzelradaufhängung vorne und einer an Blattfedern aufgehängten Hinterachse, ein seitengesteuerter 1,2-Liter-Vierzylinder, das Ganze getragen von einem Pressstahlrahmen - Geheimnisse gibt es nicht, dafür robuste Technik, die einfach zu reparieren ist.
Pragmatisch, luxuriös oder sportlich
Der Unterschied ist außen - und vor allem innen - zu spüren. Jede Marke bekam ein eigenes Gesicht. Der Hillman Minx einen flach liegenden Kühlergrill, der Singer Gazelle einen niedlichen, hoch aufragenden Plakettengrill und der Sunbeam Napier eine Kombination aus beidem. Im Innenraum ist die Zielgruppengerechte Aufteilung am besten erkennbar.
Der Singer Gazelle besitzt eine Mittelschaltung und lockt mit Luxus-Accessoires wie Edelholz und Leder, während der Hillman Minx mit Lenkradschaltung und karger Ausstattung eher die Arbeiterklasse anspricht. An die sportliche Fraktion wendet sich der Sunbeam Rapier.
"Das Modell gab es sogar noch dazu in drei Karosserieformen: Limousine, Kombi und eben als Kombi", weiß Stefan Wulff, der seinen Singer Gazelle vor einem dreiviertel Jahr in der Schweiz kaufte. Der Zustand des Gazelle war sehr gut, er hatte erst zwei Vorbesitzer und ist obendrein noch sehr selten."
Wulff ist seit 10 Jahren mit dem Engländer-Virus infiziert - seit er einen Austin-Healey kaufte. Danach folgte ein Triumph TR3 und ein Austin A40 Sports. "Die Autos sind einfach konstruiert, man kann alles selber machen, und die Teileversorgung ist erstens gesichert und zweitens auch noch günstig. Eine Lichtmaschine kostet für meinen seltenen Singer zum Beispiel nur 78 Euro. Wenn ich mir da die Teilekosten von Mercedes anschaue - da kostet eine Lima für ein Auto aus den 60ern gleich 500 Euro."
Wer jetzt glaubt, wegen der einfachen Technik, den niedrigen Teilekosten und der guten Verfügbarkeit aller Ersatzteile, hätten viele der "DDR-Minx" überlebt, irrt: "Soweit wir wissen, haben den einzigen. Weitere sind uns nicht bekannt", sagt Joachim Breuninger vom Verkehrsmuseum Dresden. Dort ist der Wagen auch zu sehen.
Mehr Informationen unter www.verkehrsmuseum-dresden.de und www.facebook.com/Verkehrsmuseum.Dresden