Sachsen Classic 2013

Maschinenbauer und Weltbürger

Was Niles-Simmons-Hegenscheidt mit Sachsen zu tun hat: Ein Interview mit dem geschäftsführenden Gesellschafter der NSH-Gruppe, Prof. Dr.-Ing. Hans J. Naumann.

Foto: Wolfgang Schmidt
Sie haben nach der Wende von der Treuhand das Kombinat Großdrehmaschinenbau 8. Mai übernommen. Warum gerade diese Firma? Lag es nur daran, dass es sich hierbei um einen ehemaligen Bestandteil der Niles-Gruppe handelte, die Sie 1984 erworben hatten oder gab es noch andere Gründe, gerade dieses Unternehmen auszuwählen?

Naumann: Ja, da gab es durchaus noch andere Gründe. Ich hatte immer schon ein Interesse, mich in Deutschland unternehmerisch zu etablieren, eine Anbindung an den deutschen Werkzeugmaschinenbau herzustellen. Das war mir nie richtig gelungen, und mit der Wiedervereinigung ergaben sich hier Möglichkeiten, insbesondere natürlich in Ostdeutschland. Die deutsche Niederlassung der amerikanischen Niles in Berlin-Weißensee hatte 1930 den traditionsreichen Maschinenhersteller Escher in Chemnitz übernommen. Niles in Berlin war zu veraltet und kam nicht infrage, aber auf der Messe EMO 1991 in Paris entdeckte ich Niles Chemnitz.

Chemnitz war das Zentrum und die Wiege des Maschinenbaus in Deutschland gewesen, es gab sehr gute Fachkräfte, und das Unternehmen hatte noch vor der Wende eine neue Fertigungs- und Montagehalle gebaut. Nach der Wende stand die Firma wieder unter dem Namen Niles unter Verwaltung der Treuhand, 1992 habe ich sie von der Treuhand in Berlin gekauft. Zu dieser Zeit habe ich noch sehr tief in den Geldbeutel greifen müssen, denn ich war mit einer der Ersten, der eine größere Firma privatisiert hat.

Es dauerte in Chemnitz einige Zeit, bis Sie das Unternehmen nicht mehr stützen mussten, sondern es selbst Erträge brachte. Woher der lange Atem? Was hat Sie so sicher gemacht, dass es sich auf Dauer lohnt?

Naumann: Die Jahre 1992 bis 97 waren sehr schwierig für mich und auch für viele andere Unternehmen. Gründe hierfür waren zum Beispiel die Umstellung auf das westliche Wirtschaftssystem, die fehlende Anerkennung ostdeutscher Firmen in Westdeutschland und im westlichen Ausland, sowie die zeitgleiche Wirtschaftskrise auch in West-Deutschland. Auch dort sind viele Betriebe über die Wupper gegangen. Niles hatte ebenfalls sehr große Probleme, denn der erste Großauftrag über eine Jahresproduktion Großmaschinen an die Russen im Wert von 38 Millionen Mark wurde storniert. Die Hallen standen voll mit den alten Maschinen, die Kosten liefen weiter und die neuen Produkte, die im ersten Jahr hätten entwickelt werden sollen, gab es noch nicht.

Mit Hilfe der amerikanischen Niles wurden dann im Rekordtempo neue Produkte entwickelt, hauptsächlich für den Bereich Eisenbahn, Metro- und Straßenbahnen. Einziger Konkurrent war damals Hegenscheidt (heute das „H“ in der NSH-Gruppe, Niles-Simmons-Hegenscheidt) und wir konnten schnell genug in den Markt kommen, um zu überleben. Die älteren Maschinen, die noch auf Lager waren, wurden über Klinkenputzen billigst möglich verkauft, und so kamen wir gegen das Abblocken der westlichen Kunden wie Konkurrenten in den Markt. Der lange Atem kam letztlich aus den Betrieben in den USA, mit deren Hilfe auch die Ausweitung der Produktpalette erfolgreich möglich war.

Mittlerweile haben Sie sogar den Sitz der Firma von USA nach Sachsen verlegt. Welche Vorteile hat es, Firmensitz und Zentrale in Deutschland zu haben gegenüber dem Standort USA?

Naumann: Durch die Zusammenarbeit mit Opel bekamen wir 1997 Kontakt zu General Motors, die gerade den Bau fünf neuer Motorenwerke auf dem Plan hatten. Niles
lieferte 84 Maschinen zur Kurbelwellenbearbeitung. 1997/98 kamen wir durch den Umsatz mit GM raus aus der Verlustzone. Außerdem hatte ich in meinen frühen Jahren die Firma Hegenscheidt von Ratibor, Oberschlesien danach in Erkelenz wieder aufgebaut, bis 1982 geleitet und praktisch weltweit bekannt gemacht. Als im Jahre 2000 das Unternehmen zum Verkauf anstand, konnte ich es für 35 Millionen D-Mark übernehmen. Nach 5 Jahren war Hegenscheidt schuldenfrei und in die Niles-Simmons-Hegenscheidt-Gruppe integriert.

Nun hatten wir auch in Deutschland zwei große Produktionsstandorte. Das größere Geschäft war nun in Deutschland, aber der Hauptgrund für die Verlegung der Zentrale der Holding war, dass ich zeigen wollte, dass es auch große Firmen mit Entscheidungszentralen in Ostdeutschland geben kann, mehr als nur ausgelagerte Produktionsbetriebe. Bei NSH werden alle Entscheidungen in Sachsen gefällt. Die Umstellung hat sich bestens bewährt, wir sind hier sehr schlagkräftig und liegen sehr zentral, zentraler als in den USA. Wir haben ja einen sehr starken Markt in Russland, China, im nahen Osten und natürlich Europa, aber auch in den USA. Diese Fäden alle zusammenzubinden ist von Europa aus doch besser, ich bin froh dass wir das damals gemacht haben. Es hat auch dem Unternehmen eine große Anerkennung gebracht.

Sie leben seit 1960 in den USA, sind nun auch privat den Schritt nach Deutschland gegangen und haben sich ein Haus in Chemnitz zugelegt. Ist das eine „Rückkehr in die Heimat“?

Naumann: Nein, so kann man das nicht sagen. Ich bin noch immer US-Staatsbürger und auch mein Lebensmittelpunkt ist in Amerika. Ich habe Häuser in Albany, New York, wo Simmons produziert, und in Florida. In Chemnitz habe ich 16 Jahre im Hotel gelebt, und nachdem ich alle Hotels durch hatte, haben mir Freunde ein historisches Gebäude in Chemnitz gezeigt, gebaut von den Gründern der Fahrradwerke Diamant, das ich erwerben konnte. Ein Hausbesitz bedeutet ja nicht, dass man immer dort lebt. Ein Haus bedeutet in erster Linie einen komfortableren Lebensstil, ich reise mit kleinem Gepäck, und wo ich hinkomme, habe ich alles. Was ich mitnehme, sind meistens nur Akten.


Aus vielerlei Gründen gefällt es mir allerdings in den USA besser, die USA sind ein freies Land. Die Mentalität liegt mir auch mehr, mein Sohn brachte ein gutes Beispiel: Vielen Menschen in USA geht es nicht gut, aber keiner klagt. Den Menschen hier geht es viel besser, aber jeder klagt. Das ist eben die unterschiedliche Einstellung zum Leben, der Amerikaner ist bereit, wenn er Schwierigkeiten hat, einen zweiten und dritten Job anzunehmen, und keinen dafür ans Kreuz zu nageln, wenn er keine Arbeit mehr hat. Aufgrund der Bevölkerungsdichte sind wir hier auch doch mehr ein Land, wo jeder dem anderen in den Kochtopf guckt, das ist in den USA nicht der Fall. Ich bin da mehr Weltbürger.

Sie besitzen einen faszinierenden Horch mit einer interessanten Historie. Wo stammt der Wagen her? Was verbindet Sie mit Oldtimern?

Naumann: Der Horch 853 ist ein Prestigewagen, der in der damaligen Zeit wirklich etwas darstellte. Mein Exemplar stammt aus dem Baujahr 1937. Er wurde von der Reichsregierung dem Königshaus in Afghanistan geschenkt, dann während des Krieges im Land auf den Gebirgsstraßen benutzt. Nach dem Krieg hat ein britischer Oberst den Wagen nach England verfrachtet und dort viele Jahre gefahren. 1995 wurde der Horch von einem deutschen Liebhaber erworben. Nach der letzten Restauration durch die Firma Zinke hier in Sachsen wurde der Wagen mir 2006 angeboten. Seit dem fahre ich ihn immer auf der Sachsen Classic. Es ist ein schönes Auto, aber schwierig zu fahren, er hat einen großen Wendekreis, Sie brauchen viel Kraft, um das Lenkrad zu drehen. Und Sie müssen wissen, dass die Bremsen nicht ganz dem Gewicht von 2,4 Tonnen entsprechen, bei einer Notbremsung müssen Sie mit vollem Gewicht in die Bremsen steigen.

Ich komme aus der Landwirtschaft, meine Familie besaß mehrere Güter in Sachsen nordöstlich von Leipzig. Mein Vater hatte einen Steyr, einen offenen Wagen, mit dem er über die Felder fuhr. Dann hatten wir noch einen Adler, einen Pullmann, aber die Autos standen während des Krieges in der Garage und konnten nicht gefahren werden, weil es keinen Sprit gab.

In Erinnerung an die alten Zeiten und weil auch Bekannte dem Oldtimerhobby frönen, habe ich mich dafür begeistert. Mein ältester Wagen ist ein 1932er Cadillac als Zweisitzer Limousine mit 16-Zylinder-V-Motor und über zwei Metern Fahrzeughöhe. Der läuft so ruhig, da können sie eine Münze hochkant auf den Block stellen, die fällt nicht um. Er hat keine Heizung, aber man kann Front- und Heckscheibe jeweils fünf Zentimeter hochdrehen und so Frischluft in den Innenraum lassen. Es ist nur ein Zweitürer, doch auf der rechten Seite gibt es eine kleine Tür, durch die man seinen Golfbag einladen kann. Das habe ich an noch keinem europäischen Wagen gesehen.

Leider ist es kein Cabrio, denn eigentlich fahre ich lieber in offenen Wagen, das engt mich nicht so ein. Dann habe ich noch einige Mercedes: einen Adenauer von 1951, von 1953 einen 300S, einen 300SL von 1958, eine Pagode und einen 280SE 3.5 als Cabriolet, der auf der Silvretta dabei war. Auf den Straßen des Erzgebirges werden die Autos auch am Wochenende regelmäßig bewegt, denn die Oldtimer sind alle in Europa.