Sachsen Classic 2011
Auf Achsen in Sachsen
Bei der Sachsen Classic trifft Klassik auf High-Tech: Sachsen vereint Mittelalter, Renaissance und Moderne. Autos stehen hier seit mehr als 100 Jahren hoch im Kurs. Wer mit einem Oldtimer wie dem Karmann Ghia reist, hat alle Sympathien auf seiner Seite.
Da mag die Dresdner Altstadt noch so viel Charme verströmen. An diesem lauen Sommerabend stiehlt ihr ein Osnabrücker die Schau. Ein Paar, beide so um die 60, schlendert am weißen Karmann Ghia Cabrio vorbei Richtung Semper-Oper und fängt bei dessen Anblick an zu strahlen: "Wir hatten auch mal einen, Baujahr 1966, mit 34 PS, und jedes einzelne davon hat man gespürt." Es ist das erste Mal, dass wir mit dem einst als Möchtegern-Sportwagen belächelten Typ 14 Aufsehen erregen, aber bei weitem nicht das letzte Mal auf dieser Tour.
In Sachsen kann man Geschichte und Benzin schnuppern
Schnell merken wir bei unserem Trip auf der Route der Sachsen Classic, dass die Sachsen - wie auch die Touristen - Benzin im Blut haben. Bei den Einheimischen verwundert das kaum: Bis Kriegsende war die Region ein Zentrum der Automobilproduktion, hier sind die Wurzeln von Horch, Auto Union, Audi, Wanderer sowie zu DDR-Zeiten von Barkas und natürlich Trabant. Heute produziert VW in Dresden in der Gläsernen Manufaktur Phaeton und Bentley Continental GT, dazu kommt die Fabrik in Zwickau-Mosel sowie ein Motorenwerk in Chemnitz. In Leipzig baut Porsche Panamera und Cayenne und BMW die Einser-Modelle.
"Ich hatte nie Zweifel, dass die Sachsen eine Produktion mit Vollgas fahren können. Handwerklich haben sie viel drauf. Besonders die Ingenieure mussten im Sozialismus ja viel mehr improvisieren als im Westen", erinnert sich der Mann, dessen Namen untrennbar mit der Renaissance des sächsischen Autobaus verwoben ist: Der damalige VW-Chef Carl Horst Hahn setzte sich nach der Wende vehement dafür ein, hier wieder Autos zu bauen.
Die Sachsen danken es ihm bis heute, wie man jedes Jahr am Applaus bei der Sachsen Classic erleben kann, an der der umtriebige Ruheständler traditionell teilnimmt. Hahn ist gebürtiger Chemnitzer, schuftete als Jugendlicher während der Sommerferien in den Autofabriken - mitten im Krieg. Seine Liebe zu Land und Leuten merkt man ihm an.
Endloses Kurvengeschlängel im Erzgebirge
Doch nicht nur für die Hersteller ist der Südosten der Republik ein gutes Terrain, sondern auch für Reisende im Oldtimer. Fast 22 Jahre nach der Wende erwarten den Touristen herausgeputzte Städtchen und kurvige Straßen ohne Ende, garniert mit einer abwechslungsreichen Landschaft. Südwestlich von Dresden holen wir uns einen ersten Vorgeschmack. Das Erzgebirge präsentiert sich hier als hügelige Landschaft mit zahlreichen Talsperren. Bergbau war einst der wichtigste Wirtschaftszweig, in Freiberg kündet die Bergakademie davon.
Doch dabei ist es nicht geblieben. Heute setzt man auf alternative Energiequellen. Ob Solar- oder Windkraftparks: Hier trifft man sie an vielen Orten. Ganz so zukunftsorientiert scheint eine Gruppe Schulkinder nicht zu sein, die auf dem Freiberger Marktplatz den verkleideten Käfer bewundert. Als der Boxer zum Leben erweckt wird, erschnuppern sie die ungefilterten Abgase: "Boah, riecht das gut." Dass moderne Kids nach Meinung der Marktforscher Handys bevorzugen, scheint ihnen noch niemand eingeredet zu haben.
Den Abend verbringen wir wieder in Dresden. Was das Flair angeht, muss das Elbflorenz keine Vergleiche scheuen. Wie in der Toskana schlendern Passanten über die Straßen, die Cafés sind voll. Nur die Mückenschwärme trüben die Stimmung direkt am Wasser etwas. Eigentlich sollte man mehr als nur zwei Tage in der Stadt verbringen, doch unser Zeitplan ist unbarmherzig. Am nächsten Morgen bleibt gerade noch genug Zeit für einen Abstecher ins Verkehrsmuseum, das übrigens zu Zeiten des real existierenden Sozialismus das Einzige seiner Art im Lande war. Doch was sind Exponate im Vergleich zum real erfahrbaren Klassiker? Der Vierzylinder-Boxer tickert und brabbelt vertraut im Heck und weckt Kindheitserinnerungen.
Märchenwälder im Nachbarland Tschechien
Nun geht es weiter entlang der Elbe Richtung Tschechien. Östlich von Bad Schandau ragt das Nachbarland wie eine Halbinsel nach Sachsen hinein. Wenige Hundert Meter hinter der Grenze in Hrensko biegt eine Landstraße links in ein enges Tal ein. An die Wände aus charakteristischem dunkelgrauem Elbsandstein geschmiegt, lockt ein buntes Sammelsurium von Duty-Free-Shops, Restaurants und Souvenirständen die Besucher. Dass die geschnitzten Fabelwesen von etnamesischen Budenbesitzern an den Mann gebracht werden, zeigt, dass die lobalisierung auch Nordböhmen erreicht hat.
Die Straße wird enger, während sie sich durch die Schlucht windet und in wilden Serpentinen durch den Wald schlängelt. Wir passieren wenige Dörfer mit einer Handvoll Häusern. Die Einheimischen winken heftig. Autobegeisterung also auch hier. Im Vergleich zu Sachsen wirkt alles ein wenig verschlafener. Je weiter der Weg nach Osten führt, desto weniger touristisch wird die Gegend.
Zurück in Deutschland geht es entlang der Oder Richtung Görlitz. Wer vom historischen Stadtbild Dresdens beeindruckt ist, kommt in der Grenzstadt zu Polen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Hier nahm die Renaissance in Deutschland ihren Anfang, erklärt Oberbürgermeister Joachim Paulick. "Nach einem großen Brand 1525 hat man vieles neu errichtet. Durch enge Handelsbeziehungen nach Italien wurde die Architektur stark durch den dort vorherrschenden Renaissance-Stil beeinflusst."
Dass die Stadt einst kräftig vom Tuchhandel profitierte, sieht man den stattlichen Fassaden, die nach der Wende aufwendig saniert wurden, noch heute an. Charakteristisch ist übrigens, dass die meisten Gebäude noch bis zu drei Kellergeschosse besitzen: "Fast jedes Haus hatte im Mittelalter Braurecht, immerhin war Bier als keimfreies Getränk wichtig. Wasser war meist voller Krankheitserreger", erklärt Paulick.
Sterbende Ortschaften in der Lausitz
Weiter Richtung Norden wartet gleich das nächste architektonische Highlight: In Bad Muskau nahm die Parkgestaltung in Deutschland ihren Anfang. Fürst Hermann von Pückler-Muskau schuf um die Grenzstadt herum ab 1815 einen 830 Hektar großen Park. Wer das Gelände nicht erwandern möchte, kann sich in einer Droschke kutschieren lassen.
Von Menschen umgestaltete Natur erleben wir auf der Fahrt gen Westen aus erster Hand. Bei Weißwasser fressen sich plattenbaugroße Bagger durch eine dem Mars ähnliche Landschaft. Der Braunkohle-Tagebau reißt tiefe Löcher ins Gelände. Im Informationszentrum Turm am Schweren Berg können sich Besucher einen Überblick verschaffen. Reinhild Martin, die Betreiberin des angeschlossenen Bistros, wird in wenigen Jahren ihr Heimatdorf verlieren.
Wie schon viele Lausitzer vor ihr wird sie ihr Haus verlassen und in ein neu errichtetes umziehen. An sich ein guter Tausch, doch "im Ort betreibe ich ein Gasthaus, das seit 85 Jahren im Familienbesitz ist. Das aufzugeben, fällt schon schwer", erklärt die 60-jährige Wirtin. Das Bistro im Informationsgebäude ist da nur ein schwacher Trost. Immerhin: Wenn die Kohlengruben ausgebeutet sind, wird auch dieses Loch wieder der Natur zurückgegeben. Dann soll hier ein See entstehen, wie schon viele vor ihm. Mit den neu geschaffenen Gewässern hofft die Landesregierung, Wassersportfans für die Lausitz begeistern zu können. So sollen neue Arbeitsplätze entstehen.
In Leipzig rollen die Oldtimer ins Ziel
Flankiert von Kieferwäldern, zieht sich die Straße weiter gen Westen. Unser Ziel heißt Leipzig. Ein fast makellos wirkender Kübelwagen kommt uns entgegen, als der Fahrer den Karmann Ghia erblickt, beginnt er zu strahlen und winkt uns zu. Am Spätnachmittag bei etwas milderen Temperaturen macht das offene Fahren noch mehr Spaß.
Überhaupt zeigt sich der schicke Bruder des Käfer von seiner problemlosen Seite. Ohne zu mucken fährt er. Die Bremsen packen zwar nicht so bissig zu, wie man das von modernen Autos gewöhnt ist, aber man hat nicht das Gefühl, in einem antiquierten Gefährt zu sitzen. Nur der Umstand, dass wir beim Tanken Bleiersatz in den Tank kippen müssen, zeugt vom Alter des 50 PS starken Zweisitzers. Na ja, um ehrlich zu sein sind auch die reichlich weichen Sitzmöbel ein Beweis für sein Alter von immerhin 37 Jahren, somit ist er einer der Letzten seiner Art. Doch das wollen wir dem Klassiker ebenso wenig ankreiden wie Dresden sein Kopfsteinpflaster rund um die Altstadt. Wo bliebe denn da das Flair?
Tipps für Trips in Sachsen
Verkehrsmuseum Dresden: Historische Autos nehmen in der Ausstellung einen
wichtigen Teil ein. Hier lässt sich auch der Porsche des Ostens, der Melkus RS 1000
bestaunen. Darüber hinaus ist im Johanneum - übrigens einst ein Stallhaus des kursächsischen Hofes - auch die Entwicklung von Nah-, Schiffs-, Schienen- und Luftverkehr zu sehen. Infos: www.verkehrsmuseum-dresden.de.
Restaurant Planwirtschaft/Dresden: Wer DDR-Geschichte live erleben möchte, ist im Restaurant Planwirtschaft richtig. An den Wänden hängen Alltagsgeräte aus
sozialistischer Fertigung. Gekocht wird nach alten Rezepturen. Die Zutaten stammen
aus der Region. Info: www.planwirtschaft.de.
Hotel und Restaurant Frenzelhof/Görlitz: Neben dem Rathaus im historischen
Altstadtkern befindet sich das Hotel Frenzelhof. Das im 15. Jahrhundert vom reichen Kaufmann Hans Frenzel errichtete Gebäude beherbergt sechs Doppelzimmer mit Blick auf den Untermarkt. Im angeschlossenen Restaurant wird bei schönem Wetter unter den Arkaden erstklassig gekocht. Info: www.frenzelhof.de.
Bad Muskauer Park: Die von Fürst Pückler geschaffenen Grünanlagen zeigen, wo die moderne Landschaftsarchitektur ihren Anfang nahm. Infos: www.badmuskau.info.
Allgemeine Infos: Weitere Informationen für Urlauber gibt es bei der Tourismus Marketing Gesellschaft Sachsen, www.sachsen-tourismus.de.