Sachsen Classic 2017 Vorbericht
Routencheck im roten Käfer Cabrio
Die 15. Sachsen Classic führt diesmal durch das Erzgebirge – auf deutscher wie auf tschechischer Seite. Eine Reise mit dem VW 1303 Cabrio zu Naturwundern wie dem Hirtstein und zu den Traditionen des Bergbaus.
12.08.2017 Malte JürgensDas Erzgebirge ersetzte den Berlinern einst die Alpen, besonders im Winter. Damals, vor dem Krieg, galt es als besonders sportliche Anreise, wenn zwischen Weihnachten und Neujahr das schwere Motorradgespann angeworfen wurde. Die jungen Sportsmänner nahmen dann in Wollpullovern und Kleppermänteln, mit korkgepolsterten Sturzhauben und drei Paar hölzernen Skiern die rund 350 Kilometer durch Eis und Schnee bis auf die Kämme der Höhenzüge in Angriff. Erst am Hüttentresen tauten sie wieder auf, dem Grog und den Saaltöchtern sei Dank.
Heute gestaltet sich das Erklimmen der Kammpfade im Erzgebirge viel bequemer. Mit seinen 50 PS aus dem 1,6-Liter-Boxermotor schnurrt das VW 1303 Cabrio von 1980 die Steigungen empor, als kenne es kein größeres Vergnügen; das zurückgeklappte Verdeck liegt wie ein Roi-des-Belges-Kragen zum Mindern von Staub, Schmutz und Zug hinter der Rückbank, und das Gebläse des luftgekühlten Vierzylinders wärmt mit der strahlenden Sommersonne auf Föhnstufe drei.
Des Schöpfers barocke Phase
Es ist die Gegend, in der die Dörfer Elterlein, Ehrenzipfel und Schmalzgrube heißen. Und genau hier hat das ewige Feuer im Leib der Erde ein höchst ansehnliches Naturwunder bewirkt. Zwischen Satzung und Reitzenhain, dem Übergang nach Tschechien, liegt nur ein paar Hundert Meter von der eigentlichen Rallyestrecke entfernt der Hirtstein. Sein riesiger Basaltfächer wirkt, als habe der Schöpfer keine Freude mehr an harmonisch-ausgewogener Renaissance gefunden und sie durch das leidenschaftliche Pathos der großen Form und kraftvollen Bewegung ein für allemal ersetzen wollen.
Geologen bezeichnen die Formation etwas legerer als Palmwedel, und ihre Entstehungsgeschichte gilt als geklärt: Vor rund 25 Millionen Jahren bahnte sich vulkanartig ein rund 1.100 Grad heißer flüssiger Gesteinsbrei aus dem Erdinneren den Weg nach oben, stieß auf Gneisschichten kristallinen Schiefers, fand keinen Ausgang und erstarrte eruptionslos zur Kuppel. Der so entstandene Basalt verkleinerte abkühlend sein Volumen, bildete Spaltlinien in Form einer Palme, und mit dem Fortschreiten der Jahrmillionen legte die Erosion das Naturwunder des Hirtsteins dann teilweise frei.
Anderswo längst abgesperrt, eingezäunt und mit Eintrittsgeld befrachtet, lädt der steinerne Fächer heute noch zum kostenlosen Besteigen, Bestaunen und Im-Gedächtnis-Behalten ein. Selbst das Kulinarische kommt hier nicht zu kurz: Direkt neben dem Basaltwunder wartet die Hirtsteinbaude mit einer appetitlichen erzgebirglerischen Regionalküche samt intakter Zapfhähne.
Schnitzereien, Porzellan und Kobaltblau
Der Route der 15. Sachsen Classic folgend liegt am Hirtstein die alte Bergstadt Schneeberg nahe Aue schon im Rücken der Rallyeteilnehmer. Sie während der Rallye zu besuchen ist zwar verlockend, hielte die Teams aber über Gebühr auf. Deshalb ist Schneeberg auf jeden Fall eine zusätzliche Visite wert, denn von hier stammt nicht nur die traditionelle Schnitzerei mit ihren Schwibbögen, Dioramen und Bergmannsfiguren, sondern auch eine berühmte Zutat hochherrschaftlicher Porzellanmanufakturen: das Kobaltblau.
Als der Silber- und Kupferbergbau in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts seine Bedeutung fast vollständig verloren hatte, konzentrierte sich der Schneeberger Bergbau auf die Gewinnung von Kobaltpigmenten, die den Grundstoff für das Schneeberger Kobaltblau lieferten. Und das war hochbegehrt: Venezianisches und böhmisches Glas wurde damit intensiv gefärbt, und die Porzellanmanufakturen von Delft bis Meißen verwendeten die Pigmente aus dem Erzgebirge für die Mustermalerei.
Taubes Gestein und Erzadern
Um das Erz zu verhütten, wollte es zunächst zerkleinert und vom tauben, also erzfreien Gestein geschieden sein. Zu diesem Zweck wurde 1517 im Osterzgebirge das Nasspochwerk erfunden. Ein Wasserrad dreht eine gewaltige hölzerne Welle, auf der Holznocken schwere Balken anheben, um sie danach wieder fallen zu lassen. So zertrümmern die hämmernden Stempel des Pochwerks das verwachsene taube und das deutlich schwerere erzhaltige Gestein. In Schwemmbädern lässt sich dann wie beim Goldwaschen das Erz vom Abfall trennen.
„Die Arbeit in einem Pochwerk war hart und laut, und Schichten von 12 oder 14 Stunden am Tag waren keine Seltenheit“, erläutert Stephan Tabel. Er demonstriert im restaurierten Siebenschlehener Pochwerk heute den Besuchergruppen die Arbeitsweise der hölzernen Konstruktion. Selbst die Schnitzereien des Erzgebirges haben in Schneeberg Konjunktur. Neben den bekannten Pyramiden, Schwibbögen, Weihnachtengeln, Kurrendechören und den Bergleuten in Kompaniestärke haben nun auch modernere Motive Einzug in die Welt der volkskünstlerischen Dioramen gefunden: Da wartet zum Beispiel eine liebevoll geschnitzte VW-Werkstatt zum An-die-Wand-Hängen auf einen neuen Besitzer.
VW 1303 Cabrio wie gemacht für die Tour
Apropos Käfer: Die tschechische Etappe von Reitzenhain über Komotau und Most bis hin nach Zinnwald-Georgenfeld ist eine Tour wie gemacht für einen offenen Oldie. Zwar bläst der Wind stramm über die sich selbst überlassenen Bergwiesen, aber die verdrehten Stämme und die zerzausten Kronen der störrischen Alleebäume formen hier Landschaftsbilder wie aus einem Realienbuch des 19. Jahrhunderts. Einzelne Streckenabschnitte, etwa um das tschechische Sportareal Kliny zwischen Mnišek und Nové Mesto herum, lassen bisweilen daran zweifeln, dass sich das gewundene Sträßchen noch im zivilisierten Mitteleuropa befindet. Solche Panoramen vermutet man eigentlich weit weg von Sachsen, zum Beispiel in den Büchern Karl Mays, aber nicht nebenan, kaum 90 Autominuten von Dresden oder Chemnitz entfernt.
Komfort und Straßenlage des zwischen 1972 bis 1980 immerhin rund 114.000-mal gefertigten 1303 Cabrios täuschen dabei über die mangelnde Qualität des Straßenbelags hinweg. An der Vorderachse mit McPherson-Federbeinen und negativem Lenkrollradius ausgerüstet und an der Hinterachse mit stabilen Schräg- und Längslenkern samt Doppelgelenk-Antriebswellen, meistert das rote Krabbeltier sowohl das Outback des Erzgebirges wie den Parcours des Sachsenrings. Dort wartet während der Rallye eine Wertungsprüfung, und wie flink sich der 1303 um die berüchtigte Omegakurve zirkeln lässt, überrascht.
Zieleinlauf in Dresden
Der dritte Rallyetag ist der Reise von Bad Schandau bis zum Ziel in Dresden gewidmet. Allerdings geht es diesmal nicht entlang der Elbe nach Pirna, wo es den historischen Marktplatz zu besichtigen gäbe, den der italienische Meister Canaletto zwischen 1753 und 1755 sorgfältig auf die Leinwand brachte. Stattdessen führt die Rallye über Bautzen und das Kloster Panschwitz-Kuckau bis nach Liegau-Augustusbad zur Rödertal-Rennstrecke, auf der zwischen 1985 und 1989 um Sekunden und Pokale gekämpft wurde.
Das neue Zeitalter, in das einzutreten das Automobil gerade im Begriff ist, kündigt sich auch in der Kulturmetropole Dresden an. Der Zielbogen steht vor der Gläsernen Manufaktur des VW-Konzerns, aber die Tage, in denen hier der luxuriöse Phaeton entstand, sind vorbei. Heute beherbergt die Manufaktur das Kompetenzzentrum Elektrofahrzeuge, und seit April wird hier bereits der e-Golf gefertigt.
Der Zusammenbau des Kompaktmodells kann als „Erlebnisfertigung“ von Besuchern hautnah besichtigt werden, und die Botschaft ist klar: Der Verbrennungsmotor wird angezählt. So gesehen ist die 15. Sachsen Classic eine wunderbare Erinnerung an die Zeit, als zum Autofahren noch Kompression und Zündung gehörten und die Batterie hauptsächlich den Anlasser in Gang zu setzen hatte.
Info: Route und Zeitplan der 15. Sachen Classic
Die 180 Teams starten auf dem Platz der Völkerfreundschaft in Zwickau am Donnerstag, 17. August, ab 12.01 Uhr. Um 12.15 Uhr erste Wertungsprüfung an der Steilen Wand von Meerane. Der Sachsenring wird ab etwa 14.10 Uhr befahren. Die Etappe Erzgebirge beginnt am zweiten Tag wieder in Zwickau, exakt um 8.01 Uhr.
Gegen 10 Uhr erreicht die Rallye Tschechien über Reitzenhain, um 12.30 Uhr steht Most auf dem Programm. Am Tagesziel Bad Schandau wird das erste Auto ab 15.45 Uhr erwartet. Finaltag ist der 19. August: Start in Bad Schandau 8.01 Uhr, 10.20 Uhr Bautzen, 14.40 Uhr Rödertal-Rennstrecke Liegau, Ankunft etwa ab 15.30 Uhr an der Gläsernen Manufaktur in Dresden. Mehr Infos: event.motorpresse.de