Unvernünftiger Kauf - Chrysler PT Cruiser (2001)
Low-Budget-Cowboy für 390 Euro
Mit 60 wird es Zeit, über die Stränge zu schlagen. Also zieh ich mit dem Geburtstagsgeld meiner Kollegen über die Kiesplätze und kauf mir einen knallroten Pseudo-Hot-Rod. Die schräge Karre fand ich peinlich, bis es spontan funkte.
12.07.2020 Alf CremersFrüher habe ich mich gerne über ihn lustig gemacht, so ein Chrysler PT Cruiser ist einfach nicht ernst zu nehmen. Ein Wagen im damals modischen Retro-Style, ein Möchtegern-Hot-Rod, der wirkt, als sei er einem Comic entsprungen. Ein niedliches Auto ohne jegliche Autorität. Frontantrieb, Quermotor und Vierzylinder, also technisch die komplette Antithese zu den dumpf brabbelnden Helden des Kultfilms "American Graffiti" von George Lucas. Frauen fanden ihn schick, so wie sie heute einen Range Rover Evoque mögen. Beide, PT Cruiser und Evoque, lassen sich in ihrer fragwürdigen Ästhetik sogar noch steigern, als lifestylig weiter überstrapaziertes Cabriolet.
Der PT Cruiser steht ganz hinten
Mitten in der Phase des Vergessens taucht der PT Cruiser plötzlich wieder in meinem Bewusstsein auf: leuchtend rot, ganz weit hinten vor einem rostigen Zaun, dort, wo der Kies gröber wird und welke Blätter sich im Wind kräuseln. Ich befinde mich auf einem langersehnten Streifzug über die Autoplätze des Südens, im Handschuhfach meines kaschmirbeigen BMW 520i liegt ein Umschlag mit 317 Euro Spielgeld. Meine lieben Kollegen sammelten es zu meinem 60. Geburtstag. Ich habe versprochen, dass ich mir damit einen "total außergewöhnlichen" Wunsch erfülle, nämlich ein unvernünftiges Auto. Zwei Monate blieb das Geld unangetastet, jetzt muss es raus, 317 Euro sind selbst für einen Verbrauchtwagen nicht viel.
Ich lege 83 Euro drauf, macht 400 Euro
Also leg ich noch 83 Euro aus eigener Tasche drauf, für 400, denke ich, gibt es schon was sehr Ordentliches, nicht völlig durchgerostet, nicht total verbeult und fahrbereit. Der PT Cruiser zieht mich auf einmal magisch an. Es ist die Faszination der Grenzüberschreitung, die mich zu ihm hintreibt. Dabei wären der dunkelblaue Volvo V70 für 450 Euro und der silberne BMW 525 tds Touring E39 für 590 Euro eigentlich viel eher meine Wunschkandidaten, doch sie sind so normal, so funktionell, so klassisch, so vorhersehbar. Warum denn nicht den PT Cruiser, der auf einmal gar nicht mehr so bizarr wirkt wie früher? Der kostet nur 390 Euro mit einem Jahr TÜV, hat obendrein eine tolle Farbe, Automatik, verchromte Aluräder und sieht für seine knapp 240.000 km rundum passabel aus, weil an ihm viel weniger Rost nagt als an einer C-Klasse von 2001. "Mensch, du bist jetzt 60", sage ich mir, "da kannst du mal über die Stränge schlagen, Kollegen und Freunde verblüffen und dich selbst dabei auf den Arm nehmen."
Schlüssel? Wartungsheft? Fahrbereit?
Also tief durchatmen, Büro-Container 18 wild entschlossen aufsuchen, den Umschlag in der Tasche. Meine typische Fragen-Litanei runterbeten: "Kann ich mal den Schlüssel haben, ist der Wagen auch wirklich fahrbereit, gibt es ein Wartungsheft?" Dann Kühlwasserstand prüfen, Motoröl- und ATF-Pegel kontrollieren, starten, im Stand ein paar Minuten laufen lassen, vor- und rückwärts rangieren, Bordmappe durchsehen, alles macht einen guten Eindruck. "Gekauft!", tönt es im Container aus mir heraus. Der Händler schaut mich mit großen Augen an, während er den Kaufvertrag aus der Schublade zieht, dabei spricht er roboterhaft die Worte: "Bastlerauto ohne Garantie, Motorkontrolllampe geht ab und zu an, vorsichtig fahren."
Leider keine Lenkradautomatik
Schon auf den ersten 20 Kilometern fühle ich mich mehr denn je befreit von der Bürde jedweder Vernunft und aller Konventionen. Für mich ist der als ach so uncool gescholtene Chrysler wie ein Spielzeug, das großen Spaß macht. Ich sitze hoch und gut hinter dem großen, steilen Lenkrad, die Instrumententafel gibt sich so verspielt wie eine Musicbox, sie könnte bis auf den Drehzahlmesser auch aus einem 40er-Jahre-US-Pick-up stammen. Es reicht, hier in der Ebene Fahrstufe D einzulegen und es laufen zu lassen. Leider sitzt der Wählhebel für die "Ultradrive"-Vierstufenautomatik wie üblich auf der Mittelkonsole statt wie damals am Lenkrad. Später werde ich mich gründlich einlesen in die neue Materie des PT Cruiser. Dabei erfahre ich, dass "PT" für "Personal Transportation", aber auch für "Plymouth Truck" steht, weil er 1999 analog zum extremen Spaßmobil Prowler als Plymouth auf den Markt kommen sollte und seine kesse Alligatorschnauze an einen Light Truck oder Pick-up erinnert. Oft wird er im Internet als "Pity Cruiser" ("Mitleids-Kreuzer") gehänselt, weil er, der technisch oft Fragile, dem treuen Hundeblick zum Trotz, den Besitzern arge Reparaturrechnungen bescherte.
Inoffiziell, was ich gar nicht leiden mag, habe ich doch eine ausgeprägte Van-Allergie. Für mich ist der PT wegen der hübsch rausmodellierten Kotflügel und des hohen Buckelhecks schlicht eine Nostalgie-Limousine der 30er- oder 40er-Jahre, also vor der Ponton-Ära. Den zarten Hauch von Hot Rod atmet er durch die komfortfeindlich hoch gelegte hintere Starrachse mit simulierten Hi-Jackers.
Fahrfreude durch Illusion
Ich habe Lust auf mehr Entfernung, der Tag ist sonnig, der Himmel blau, der Tank inzwischen voll. Ich lasse mich treiben. Das Fahren im PT Cruiser ist gänzlich unspektakulär, technisch hat er schließlich das konforme Layout eines Opel Astra oder Ford Mondeo. Aber das liebevoll dekorierte Ambiente der Touring-Ausstattung animiert stets zu bester Laune, zusammen mit der hohen Sitzposition, dem großen, dünnen Lenkrad und meinem Blick durch die schmale Frontscheibe auf die lange runde Motorhaube entsteht die Illusion, in einem Pick-up zu sitzen, auf dem hinter meinem Rücken die Strohballen gestapelt sind.
Der Zweiliter-Vierventiler ist mit 141 PS gut bei Kräften, er darf bis zu utopisch erscheinenden 6.500/min drehen, klingt aber brummig. Manchmal vibriert er seltsam bei Teillast, dann glimmt die Motorkontrollleuchte auf und er läuft hörbar auf drei Zylindern. Bei stärkerem Gasgeben und über 100 km/h benimmt er sich wieder tadellos. Es stört mich kaum, der Preis relativiert fast alles. Der PT Cruiser entfacht in mir Ausgelassenheit und Übermut. Unterwegs besorge ich mir in einem Billig-Kaufhaus eine Sonnenbrille und einen Cowboyhut mit großem blankem Sheriffstern. Weil gerade Karnevalszeit ist, fällt es nicht so auf. Ich möchte den Tag im PT Cruiser wie mein persönliches Roadmovie in der Weite des dünn besiedelten Südostbayerns gestalten, er flößt mir Freiheit ein.
Ein weiteres Schnäppchen: Cowboystiefel für 15 Euro
Ich surfe mit ihm auf einer Welle der Sorglosigkeit und Lebensfreude, die ich im funktional-technokratischen BMW 525 tds, der auch Touring heißt, wohl nie erlebt hätte. In Landshut mache ich Rast, gönne mir in der Altstadt einen Chicken Burger und ertappe mich dabei, in einem Secondhand-Laden nach Westernstiefeln zu stöbern. Ich finde sogar welche von der Kultmarke Sendra aus Spanien mit genagelter Sohle. Sie sind hellbraun und durch und durch aus rustikalem Leder, sie werden mir nicht passen, es ist mir egal, für 15 Euro kaufe ich sie. Denn sie sind 50 wert, und sie schmücken stilvoll mein neues Leben mit dem PT Cruiser.
Man glaubt es kaum, auch belächelte Autos machen Freude. Ausprobieren sollte man sie, bevor man über sie lästert. Rundweg zu überzeugen vermag so ein PT Cruiser, wenn ich meine Sonnenbrille mal ablege, natürlich nicht, dafür fehlt ihm der Perfektionismus. Er besitzt jedoch fraglos Charisma, das den Eindruck der Karikatur überwiegt. Ich werde seine optischen und technischen Mängel sukzessive beheben. Kult wird der PT Cruiser wohl so schnell nicht, zu tief steckt er noch in der Abwärtsspirale. Aber er hat die Chance, da herauszukommen. Schon jetzt freue ich mich drauf, wenn ich das nächste Mal den Knopf seines massiven Türgriffs drücke. Denn eines hat er allen Billigautos vor ihm voraus: Er gefällt meiner Frau.
Kaufberatung: Worauf Sie beim Chrysler PT Cruiser achten müssen
Eins ist schon mal klar: So ein Chrysler PT Cruiser ist weder ein Audi A4 noch ein BMW 520i. Nein, ihn zeichnet nicht deren Problemlosigkeit im Alter aus. PT zickt ganz schön rum, er färbte die Balken des TÜV-Reports schon damals rot. Die Verarbeitung des Wahl-Mexikaners aus Toluca überzeugt nicht, dafür fiel die Rostvorsorge vorbildlich aus. Typische Mängel sind Elektronikprobleme, polternde Vorderachsen aufgrund defekter Traggelenke, schwammiges Lenkgefühl wegen ausgeschlagener Spurstangenköpfe, hoher Verschleiß der vier Scheibenbremsen, Ärger mit Zündspulen und streikende Komfortextras. Motoren und Getriebe, egal ob CDI- Diesel, Benziner oder Turbobenziner, Schalter oder Automatik sind jedoch für hohe Laufleistungen gut. Die Ersatzteillage ist entspannt.