Chevrolet-Prototypen 1959 - 1990
Die Mittelmotor-Corvettes, die nicht sein durften
Vor der C8 gab es schon viele Corvette-Prototypen mit Mittelmotor – in Serie ging keine davon. Wir zeigen, welch langen Weg das Antriebskonzept im US-Sportwagenklassiker nahm.
20.07.2019 Thomas HarloffMit 66 Jahren, da fängt das Leben an, so heißt es jedenfalls bei Udo Jürgens. Für die Corvette fängt mit 66 Jahren ebenfalls ein neues Leben an. Erstmals trägt die Serienversion des US-Sportwagenklassikers ihren Motor nicht mehr unter der vorderen Haube, sondern als Mittelmotor direkt hinter den Insassen. Da also, wo es wegen der Gewichtsverteilung am sinnvollsten ist, weshalb die meisten ihrer Konkurrenten ihre Triebwerke auch in dieser Position tragen.
Zora Arkus-Duntov, der Corvette-Retter
Dass die Corvette von einem Mittelmotor profitieren würde, war vielen GM-Ingenieuren schon früh klar. Allen voran Zora Arkus-Duntov. Der Belgier mit russischen Wurzeln, als Techniker ebenso begnadet wie als Rennfahrer, wurde Mitte der Fünfzigerjahre der Chefingenieur für die Sportwagen-Baureihe. Deren Verkaufszahlen blieben damals weit hinter den Erwartungen zurück, und Arkus-Duntov erkannte, woran das lag: Die Zielgruppe empfand sie mit ihrem gerade einmal 150 bis 155 PS starken Reihensechser als untermotorisiert. Also erhielt die C1 einen Smallblock-V8, der bis zu 360 SAE-PS leistete, und die Corvette wurde doch noch zum Verkaufsschlager.
Doch Zora Arkus-Duntov war der Ansicht, dass die Corvette ihr Potenzial lange nicht ausschöpft. Aus seiner Erfahrung als Rennfahrer wusste er um die fahrdynamischen Vorteile der Mittelmotor-Anordnung. Er experimentiert viel damit herum – verbunden mit dem Ziel, auch der Corvette einen Mittelmotor zu verpassen. Wir stellen die dazugehörigen Prototypen aus der Arkus-Duntov-Ära und folgender Epochen vor. Zehn betörende Autos, bei denen Arkus-Duntov samt Mitstreiter und Nachfolger leider oft ein sensationell schlechtes Timing bewiesen oder an großen Kostenhürden scheiterten.
1959 Chevrolet CERV-I
Das erste „Chevrolet Engineering Research Vehicle“ (CERV) hat natürlich nur indirekt mit der Corvette zu tun. Tatsächlich war es für General Motors der erste Berührungspunkt mit der Mittelmotor-Anordnung. Inspirationsquelle waren offensichtlich die Mittelmotor-Rennwagen, die sich allmählich in der europäisch geprägten Formel 1 durchsetzten. Ursprünglich war geplant, aus dem CERV-I mit seinem 355 PS starken 4,6-Liter-V8 heraus einen Indy-Rennwagen zu entwickeln. Arkus-Duntov selbst war es, der die Konstruktion vorantrieb und sich als Testfahrer engagierte. Doch daraus wurde nichts. Im Gegenteil: GM hielt das Projekt zwei Jahre lang geheim; erst Ende 1960 machte es der Konzern öffentlich.
1964 Chevrolet CERV-II
In den Sechzigerjahren war das 24-Stunden-Rennen in Le Mans das Motorsport-Event, bei dem man glänzen wollte. Wenn Amerikaner die Europäer auf heimischen Territorium schlagen können, wäre der weltweite Ruhm unermesslich. So dachte man damals auch bei Ford, und die Triumphe des GT40 gingen tatsächlich in die Motorsport-Geschichte ein. Bei General Motors hätte es ähnlich laufen können, denn der Plan war, aus dem CERV-II heraus einen Le-Mans-Rennwagen zu entwickeln. Der Prototyp trug zuerst einen 497 PS starken 6,2-Liter-V8 zwischen Fahrgastzelle und Hinterachse, später ein Siebenliter-Pendant mit sogar 557 PS.
Dass daraus nichts wurde, lag vor allem am Straßenmodell Corvair, gegen das damals aufgrund angeblich unsicheren Fahrverhaltens eine Kampagne der Medien und Verbraucherschützer lief. Da daraufhin dessen Verkäufe einbrachen und GM in Geldnöte rutschte, schoben die Controller allen Motorsportaktivitäten einen Riegel vor. Auch der Trick der Ingenieure, den allradgetriebenen CERV-II zum Prototypen für eine neue Super-Corvette umzuwidmen, funktionierte nicht. Das Auto blieb ein Einzelstück, das weder an einem Rennen teilnahm noch in einem Serienauto gipfelte.
1968 Chevrolet XP-880 (Astro II)
Der XP-880, besser bekannt als Astro II, weist nicht umsonst viele Ähnlichkeiten mit der Corvette C3 auf. Wäre es allein nach Arkus-Duntov gegangen, wäre die Corvette schon bei diesem Modellwechsel zum Mittelmotor-Sportler mutiert. Schließlich entstand der Prototyp unter Verwendung vieler Serienteile, zum Beispiel der Radaufhängung. Dennoch gab es einige technische Eigenheiten. So saßen die Kühler für den 395 PS starken Siebenliter-V8 im Heck, wodurch keine Kühlleitungen durch das Auto verlegt werden mussten, wovon die Gewichtsverteilung profitieren sollte. Das Zweigang-Automatikgetriebe lieh der brave Mittelklassewagen Pontiac Tempest. Aber wieder konnten sich die Entscheider nicht zu der radikalen Neuerung durchringen, wieder vorrangig aus Kostengründen. Die Serien-Vette behielt ihren V8 demnach unter der Fronthaube. Der Astro II durfte sich immerhin einem großen Publikum auf der New York Autoshow 1968 zeigen.
1970 Chevrolet XP-882
Zora Arkus-Duntov scheint ein zäher Zeitgenosse gewesen zu sein. Trotz aller bisheriger Rückschläge machte der Ingenieur einfach unermüdlich weiter. Zwei Jahre nach dem Astro II debütierte mit dem XP-882 wieder der Prototyp eines Mittelmotor-Sportwagens, der das Potenzial zur nächsten Corvette gehabt hätte. Publikum und Presse nahmen das Showcar, dessen 6,5-Liter-V8 quer hinter der Fahrgastzelle eingebaut war und dessen Dreigang-Getriebe vom Oldsmobile Toronado stammte, begeistert auf. Aber kein Geringerer als John DeLorean, damals Manager bei Chevrolet, sorgte dafür, dass der XP-882 nicht in die Serienentwicklung überführt wurde. Immerhin durfte Arkus-Duntov die Basis für weitere Prototypen nutzen.
1972 Chevrolet XP-895 (Reynolds-Corvette)
Auf dem technisch unveränderten Chassis des XP-882 entstand zwei Jahre später der XP-895. Allerdings in zwei unterschiedlichen Versionen: Eine hatte ein Blechkleid aus Stahl, eine dagegen eine Vollaluminium-Karosserie. Letzterer, nach dem GM-Lieferanten Reynolds Metals benannter Prototyp soll über 200 Kilogramm leichter gewesen sein als das Stahl-Pendant, von dem es optisch kaum zu unterscheiden ist. Zur Serienfertigung kam es trotzdem nicht. Die Corvette C3 war in dieser Ära schlicht zu erfolgreich, um eine komplette Neuentwicklung zu rechtfertigen.
1973 Chevrolet XP-897GT Two-Rotor Corvette
In den späten Sechziger- und frühen Siebzigerjahren erlebte der Rotationskolbenmotor einen Aufschwung. NSU und vor allem Mazda brachten Serienautos mit Wankelmotor auf den Markt, Mercedes probierte ihn in dieser Zeit intensiv im legendären C 111-Experimentierfahrzeug aus. GM entwickelte in dieser Zeit einen 182 PS starken Zweischeiben-Wankelmotor, steckte ihn in ein modifiziertes Porsche-914-Chassis, stülpte eine Pininfarina-Karosserie darüber und präsentierte das Ergebnis 1973 auf der IAA in Frankfurt als Konzeptstudie. Ein eventuelles Serienauto sollte sich unterhalb der Corvette ansiedeln und den Weg bereiten, um den Antrieb später vielleicht auch in der richtigen Corvette verwenden zu können. Dazu kam es ebensowenig wie zur zuvor geplanten Verwendung des Motors im Chevrolet Vega.
1973 Chevrolet Four-Rotor Corvette
Arkus-Duntov war von der Idee, die Corvette mit einem Wankelmotor anzutreiben, nicht sehr begeistert. Doch GM hatte viel Geld für Lizenzgebühren ausgegeben und wollte ihn prestigeträchtig unbedingt in seinem Vorzeige-Sportwagen sehen. Also machte der Ingenieur zusammen mit Corvette-Designer Bill Mitchell einfach weiter. Mitchell schneiderte eine Karosserie, die vorne noch stark an die C3 erinnert, aber bereits Details der späteren C4 und aufsehenerregende Flügeltüren zeigt. Arkus-Duntov wiederum verband zwei der vorhandenen Zweischeiben- per Keilriemen und eigens gefertigter Kupplung zu einem Vierscheiben-Motor, der – je nach Quelle – zwischen 365 und 420 PS geleistet haben soll. Allerdings funktionierte der Antrieb nicht besonders gut. Außerdem war er viel zu durstig, was dem Projekt in Zeiten der ersten Ölkrise den Todesstoß versetzte.
1976 Chevrolet Aerovette
Nachdem die Wankel-Projekte scheiterten, zog Arkus-Duntov wieder das XP-895-Chassis mit konventionellem V8 hervor. Das Design war eine Evolution der Four-Rotor-Stylings, und wieder kam das nun werbewirksam Aerovette genannte Showcar bei Presse und Publikum hervorragend an. Die Entscheidung, das Auto tatsächlich in Serie zu bauen, stand kurz bevor. Doch nachdem Arkus-Duntov 1975 und Bill Mitchell 1977 GM verlassen hatten, bekam das Management kalte Füße und schwenkte doch wieder auf den bekannten Weg ein. Die C3 blieb weiter im Programm, und auch die 1983 eingeführte C4 hatte ihren Motor wieder vorne.
1986 Chevrolet Corvette Indy
Nachdem die Corvette-Pioniere inzwischen allesamt aus der Firma ausgeschieden waren, wurde es zehn Jahre lang still um das Projekt Mittelmotor-Corvette. Erst auf der Detroit Motor Show im Januar 1986 folge mit der Corvette Indy die nächste Episode. Das Auto sollte zeigen, wozu General Motors damals technisch in der Lage war. Unter der Karbon-Karosserie steckte ein Monocoque, es verfügte über Allradantrieb und -lenkung sowie eine Traktionskontrolle. Statt Federn und Stoßdämpfern kam ein hydraulisches Fahrwerk zum Einsatz, das von Mikroprozessoren gesteuert wurde, und ein Kamerasystem ersetzte dir Rückspiegel. Und dann saß da ein waschechter Rennmotor hinter den Passagieren: Ein 2,65 Liter großer und dank doppelter Turboaufladung 600 PS starker V8, wie ihn Chevrolet damals an seine Partner-Teams in der Indycar-Serie lieferte. Keine Überraschung, dass dieses Konzept für eine Serienfertigung viel zu aufwändig gewesen wäre.
1990 Chevrolet CERV-III
Doch die Entwickler wollten es unbedingt schaffen, den Mittelmotor produktionsfähig zu bekommen. Also entwickelten sie die 1986er Indy-Basis weiter und speckten an einigen Stellen ab. So ersetzten sie dessen Rennwagen-Motor gegen den LT5-V8 mit 5,7 Litern Hubraum und 32 Ventilen, wie er danach in der Corvette ZR-1 zum Einsatz kommen sollte. Allerdings nicht in dessen Saugmotor-Konfiguration, sondern mit doppelter Turboaufladung. Entsprechend beeindruckend sind die Daten: 659 PS, maximal 888 Newtonmeter, 3,9 Sekunden von Null auf Hundert und ein theoretischer Topspeed von 362 km/h.
Die Kohlefaser-Karosserie, den komplexen Allradantrieb, die Vierradlenkung, die Traktionskontrolle und die adaptive Dämpfung wollten die Ingenieure unbedingt ins Serienauto hinüberretten. Auch Titan-Federn und Karbon-Bremsen waren angedacht. Mit dem Ergebnis, dass die Fertigung so teuer geworden wäre, dass Chevrolet zwischen 300.000 und 400.000 Dollar (267.000 bis 356.000 Euro) für den Sportwagen hätte verlangen müssen. Zum Vergleich: Der Ferrari F40 kostete damals 444.000 Mark, der Porsche 959 war 420.000 Mark teuer und Jaguar verkaufte den sowohl dem Indy als auch dem CERV-III sehr ähnlichen XJ220 in den frühen Neunzigern für 413.000 Pfund. Eine Marke wie Chevrolet hätte solche Preise niemals verlangen können.