Porsche 911 Carrera RSR R7 Martini (1973) Auktion
Le-Mans-Elfer verfehlt Schätzwert
Dieser Porsche 911 fuhr in Le-Mans, war verschollen und Gegenstand eines Rechtsstreits. Am 9.9.2023 brachte er bei einer Auktion zwar Millionen – aber weniger als gedacht.
11.09.2023 Dirk JohaeIm Land der unbegrenzten Möglichkeiten fuhr ein Porsche-Rennwagen mit 1100 PS vor 50 Jahren der Can-Am-Konkurrenz um die Ohren. In der Markenweltmeisterschaft hingegen schlüpften die Zuffenhausener in die altbekannte Rolle des Underdogs. Wie in den Jahrzehnten vor der Ära von 908 und 917. Mit dem nur rund 300 PS starken Werks-911 Carrera RSR forderte Porsche die offenen Sportwagen-Geschosse von Matra, Ferrari und Mirage heraus, die von Formel-1-Triebwerken befeuert wurden.
Vierter bei den 24h von Le Mans 1973
Der größte Coup gelang Porsche Anfang Juni 1973 beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans: Herbert Müller und Gijs van Lennep prügelten den 911 Carrera RSR 3.0 des Martini Racing Teams auf den vierten Gesamtplatz. Sein markantes Detail ist der Heckspoiler, der sich wie ein Kragen über die ganze Wagenbreite zieht: der "Maria-Stuart-Kragen". Auf den zweitschnellsten Matra und den letzten Podiumsrang fehlten lediglich drei Runden. Vier Jahre nach diesem Erfolg verschwand der Werks-RSR mit dem Kürzel "R7" (Chassis 911 360 0686) hinter den Toren einer italienischen Privatsammlung. Jahrzehntelang war er wie vom Erdboden verschluckt.
Rechtsstreit um doppelte Identität
Und es passierte, was in solchen Fällen in der Oldtimerszene passieren muss: Irgendwann tauchte ein Auto mit der Identität des ehemaligen Werksautos auf. Allerdings befand es sich in der ehemaligen Spezifikation des Rebaque-Rojas-Teams mit Langheck, anderem Heckspoiler und der Zigarettenmarke Viceroy als Sponsor wie in der Saison 1974. Einige Zeit später traute sich der italienische Sammler Massimo Baliva aus der Deckung und reklamierte die Geschichte des Ex-Werksprototypen "R7" für sein Auto. Bei einer Rennveranstaltung in Monza 2009 kam er mit dem französische Porsche-Spezialisten Yvan Mahé ins Gespräch. Später wurde Balivas ehemaliger Werks-RSR an Mahés Werkstatt in Paris geliefert. Bei Restaurierungsarbeiten erhielt das Auto wieder einen "Maria-Stuart-Kragen" wie in Le Mans 1973 und die Martini-Lackierung.
Weil aber der Besitzer des zweiten "R7" nicht einlenkte, entstand ein jahrelanger Rechtsstreit. Der Streit zog sich bis Mitte 2023 hin. Schließlich entschied ein New Yorker Gericht: Der 911 Carrera RSR ehemals aus der Baliva-Sammlung ist das ehemalige Exemplar des Martini Racing Teams. Der Besitzer des Viceroy-911 darf seinen Nachbau unter der Auflage behalten, dass er sein Auto künftig nicht mehr als das originale darstellt.
Schätzpreis: 4,4 bis 6,7 Mio. Euro
Bonhams hat den Porsche 911 Carrera RSR Prototyp auf seiner Auktion im Rahmen des Goodwood Revival Meeting am 9. September angeboten. Als Schätzwert wurde ein Preiskorridor von 3.750.000 bis 5.750.000 britischen Pfund angegeben. Das sind umgerechnet rund 4,4 bis 6,7 Millionen Euro. Am Ende fiel der Hammer bei einem Verkaufspreis von 3,122 Millionen britischen Pfund, umgerechnet 3,644 Millionen Euro – also nicht ganz so viel wie gedacht. Dieses Auto ist eines von vier der ursprünglich acht Exemplare, die heute noch existieren sollen. Er ist zudem einer der beiden RSR, die in Le Mans mit dem "Maria-Stuart-Kragen" unterwegs waren. Außerdem befindet sich die Karosserie in einem weitgehend originalen Zustand. Das hat der ehemalige Porsche-Ingenieur Norbert Singer bestätigt, der seinerzeit die Entwicklung des Renn-RSR geleitet hat.
Im April 2016 inspizierte er nach den Angaben von Bonhams in den heiligen Hallen von Porsche Classic einen ganzen Tag lang das Auto. Dabei fand er zahlreiche Details wie beispielsweise zusätzliche Verstärkungen der Karosseriestruktur und einen versteckten Drehzahlmesser, wie sie nur die Werks-Prototypen aufwiesen. "Es ist sehr unwahrscheinlich, dass diese Fakten bekannt waren, außer für diejenigen von uns, die in die Entwicklung der Porsche RSR einbezogen waren", stellte Norbert Singer abschließend fest.
Fast disqualifiziert
Für den Ingenieur, der die Entwicklung der Porsche-Rennwagen über Jahrzehnte hinweg prägte, wurden an diesem Frühlingstag sicher Erinnerungen an die Saison 1973 wach – eine Achterbahnfahrt für den damals 33 Jahre alten Entwicklungsleiter. Ursprünglich setzte Porsche den RSR als GTS (Gruppe 4) ein. Beim 1.000-Kilometer-Rennen von Monza verfügten die beiden Werksautos am Tiefenlager des hinteren Drehstabs über Kugellager statt der Serienlager aus Teflon. Das fiel einem italienischen Porsche-Kunden und RSR-Piloten auf. Er schwärzte das Werksteam an. Nach dem Warm-Up wurde Norbert Singer zur Rennleitung bestellt. Es drohte der Ausschluss des Martini Racing Teams vom vierten Weltmeisterschaftslauf.
Ein Rückbau der Lager vor dem Rennen war nicht möglich. Durch die Vermittlung von Werksfahrer Herbert Müller, der auch Italienisch sprach, durften die beiden Werks-RSR starten – aber nicht als GT, sondern als Sportwagen und nur gegen die erneute Zahlung des Nenngelds. Norbert Singer fürchtete, bei seiner Rückkehr nach Zuffenhausen entlassen zu werden. Unbegründet: Cheftechniker Helmuth Bott war damit einverstanden, die Werks-RSR auch künftig als Sportwagen einzusetzen. Dadurch entfielen bei den Renneinsätzen die Fesseln der Homologation, die für die GTs galten. Außerdem musste das Werksteam somit nicht mehr gegen die Kunden wie beispielsweise Kremer Racing, das Team von Georg Loos oder Max Moritz Racing antreten.
Später sagte Norbert Singer dazu: "Das erlaubte uns intensive Entwicklungsarbeit bei den Rennen. So waren wir in der Lage, etliche technische Lösungen für die GTs zu erproben und für unsere Kunden zu homologieren."
Von den Freiheiten als Sportwagen machte Porsche reichlich Gebrauch. Neben dem Heckspoiler, der den Entenbürzel zu beiden Seiten bis auf den Kotflügel verbreiterte, experimentierten Norbert Singer und seine Mannschaft mit Fahrwerksverbesserungen einschließlich breiterer Reifen. Beim WM-Lauf auf dem Nürburgring rollten die beiden Autos hinten auf 15 Zoll breiten Walzen über die Nordschleife. Die Felgen mit Zentralverschluss stammten vom 917. In der Eifel wurde der gerade erst aufgebaute R7 zum ersten Mal eingesetzt. Gijs van Lennep und Herbert Müller, die Targa-Florio-Sieger, erreichten das Ziel auf dem fünften Gesamtplatz. Die härteste Bewährungsprobe folgte nur zwei Wochen später bei den 24 Stunden von Le Mans.
In der Zwischenzeit erhielt das Auto von Müller und van Lennep wie auch das Schwesterauto von Reinhold Joest/Claude Haldi (R6, 911 360 0588, Siegerauto Targa Florio) einen "echten" Dreilitermotor mit rund 310 PS Leistung. Norbert Singer ergänzt in seinen Erinnerungen: "Die Hinterräder in den ausgestellten Kotflügeln waren zwölf Zoll breit, die Bremse mit den innenbelüfteten, gelochten Scheiben stammte aus dem 917." Die Zusatzheckspoiler bestanden jetzt aus Kunststoff statt wie bei den Rennen zuvor aus Aluminium. Durch weitere Maßnahmen zur Gewichtseinsparung wogen die RSR-Prototypen bei der Technischen Abnahme in Le Mans 883 Kilogramm. Das erreichten sie auch dank der Kunststofftüren und -hauben. Die Heckscheibe bestand wie die Seitenscheiben aus Plexiglas.
Gegenüber den RSR der GTS-Kategorie hatte die Werksautos allerdings einen wesentlichen Nachteil: Auf der rund sechs Kilometer langen Hunaudières-Gerade (damals noch ohne Schikanen) war sie laut auto motor und sport rund 8 km/h langsamer als der beste 911 Carrera RSR der GTS-Kategorie. Auf den Wert beim Vortest im April fehlten dem Prototypen sogar 12 km/h. "Die Kotflügel waren voluminöser, die Aufhängung war für die breiteren Reifen eingestellt", begründete Norbert Singer die geringere Topspeed. Der Vorteil lag im Fahrverhalten: "Wir hatten das Übersteuern beseitigt, und die Fahrer waren mit dem Auto sehr viel zufriedener". Seine Kalkulation: In 20 Runden würde sich der Geschwindigkeitsnachteil ausgleichen.
Porsche-Chef Ernst Fuhrmann war dennoch unzufrieden. Er ließ keine Gelegenheit aus, seine Verbesserungsvorschläge anzubringen. Aber sie schienen an Norbert Singer abzuperlen. Für das Rennen gab der Chef allerdings die Strategie vor. Beim Dessert zum Abendessen im Café du Sport in Teloché, dem traditionellen Le-Mans-Domizil der Porsche-Werksmannschaft, machte er eine klare Ansage: "Die Strategie für das Rennen morgen lautet wie folgt: Sie sagen den Fahrern, dass wir von der ersten Runde volles Tempo gehen. Wie im Qualifying. Vollgas."
Diese Vorgabe kam bei den Fahrern an. Allerdings mussten Reinhold Joest und Claude Haldi früh die Segel streichen. Joest blieb mit leerem Tank auf der Hunaudières-Gerade liegen. Umso besser lief es für seine Teamkollegen: "Wie gut der Müller-Carrera ging, der sich ganz langsam vom 13. bis zum 5. Platz hocharbeitete", schilderte Yörn Pugmeister in seiner sport auto-Reportage aus Le Mans. Wobei langsam nur das Tempo der steten Verbesserungen im Gesamtklassement beschreibt. Im Cockpit leisteten Gijs van Lennep und Herbert Müller während der gesamten 24 Stunden Schwerstarbeit. Als beste Rundenzeit wurde 4:12,8 Minuten notiert – gut zwei Sekunden schneller als die Qualifyingzeit.
Mit welchem Einsatz vor allem Herbert Müller unterwegs war, belegen die Bilder von Fotograf Hans-Peter Seufert aus dem Archiv von auto motor und sport. "Ich war nach einem Rennen noch nie so müde wie jetzt nach diesen 24 Le-Mans-Stunden", gestand Gijs van Lennep später. Der Niederländer hatte zwei Jahre zuvor das Rennen gemeinsam mit Helmut Marko in einem 917 K gewonnen.
Aber bei allem Druck agierten die beiden Werksfahrer mit Köpfchen, zum Beispiel beim Bremsen. Das Team mit der Startnummer 46 kam elf Stunden mit einem Satz Bremsbelägen aus. Herbert Müller gab auto motor und sport-Reporter Karl Mauer einen Einblick in seine Fahrweise: "Am Ende der Hunaudières lasse ich den Wagen erst 200 Meter rollen, bevor ich weich in die Bremsen gehe. Erst wenn sich die Scheiben erhitzt haben, bremse ich stärker."
Nach 24 Stunden hatte sich das Team auf den vierten Gesamtrang nach vorne gekämpft. Der Rückstand auf den Matra von Jean-Pierre Jabouille und Jean-Pierre Jaussaud betrug nur drei Runden. Norbert Singer blickt noch heute zufrieden auf das Rennen 1973 zurück: "Ein Podestplatz war also in Sicht gewesen. Von einem solchen Resultat hatten wir vorher nicht einmal zu träumen gewagt."
"R7" diente noch ein weiteres Mal als Werkswagen: Beim 1.000 Kilometer-Rennen auf dem Österreichring Ende Juni wurden die Nachwuchspiloten Helmut Koinigg und Manfred Schurti Gesamtneunte. Danach trat der Werks-RSR eine Reise über den "großen Teich" an. In den USA kam er mit einem langen Heckflügel und IMSA-Frontspoiler beim Marken-WM-Lauf in Watkins Glen zum Einsatz. Peter Gregg und Hurley Haywood (Daytona-Gesamtsieger 1973 in einem RSR) wurden mit dem Auto des Brumos Teams Siebte im Gesamtklassement. Am Tag darauf sorgte Peter Gregg sogar für einen CanAm-Einsatz von "R7" und wurde Neunter.
Anfang 1974 verkaufte Brumos den ehemaligen Werks-RSR nach Mexiko an den Vater des späteren Formel-1-Fahrers Hector Rebaque. In den Farben des Zigarettensponsors Viceroy kam das Auto zu einem zweiten Le-Mans-Einsatz in Folge. Allerdings hatte das Fahrertrio Hector Rebaque/Guilermo Rojas und Fred van Beuren jr. weniger Glück als das Werksteam im Vorjahr. Sie fielen mit Zündproblemen aus. Danach kam er bei nationalen Rennen zum Einsatz. Bei einem Transport soll das Auto beschädigt und in der Folge ausgeschlachtet worden sein. Dieses Gerücht hielt sich lange Zeit. Da der RSR bei dem Unfall aber nur leicht beschädigt wurde, konnte der verschwiegene italienische Sammler Massimo Baliva im November 1977 einen nahezu kompletten ehemaligen Werksprototypen erwerben. Für über 30 Jahre hütete er diesen 911 Carrera RSR wie seinen Augapfel.