Porsche 911 (964) im Check
Vom Alltags-Elfer zur Wertanlage
Meinen Porsche 911 Carrera 2 habe ich vor über zehn Jahren gekauft, weil er billiger war als ein 993 und alltagstauglicher als ein Carrera 3.2. Heute ist der 964 ein Sammlerstück, das nur selten rausdarf.
31.05.2018 Heinrich LingnerAn den Tag kann ich mich gar nicht mehr so genau erinnern. Irgendwann suchte ich nicht mehr nach irgendeinem Elfer, ich wollte einen 964. Womöglich war es jener Wintertag, an dem ich mit meiner schwarzen Alfa Gummilippe im Stau an einem weißen 964 Carrera 4 vorbeischlich. Er knirschte neben mir durch den Schnee – gedrungen, kompakt und wunderschön.
Danach habe ich diverse 911 angeschaut und auch Probe gefahren, bei den wenigsten bereue ich es, sie nicht gekauft zu haben. Vielleicht bei dem irischgrünen Carrera 3.2 aus erster Damenhand und mit einer Viertelmillion Kilometer auf dem Zähler. Oder dem schlanken silbernen 2.7er aus Bonn mit den Schottenkaro-Sitzen.
Irgendwann steht er dann vor mir, eingeparkt in einer Halle zwischen einem Aston Martin DB7, einem Carrera 4 sowie einem kleinen Rudel MX-5 in diversen Abnutzungsstadien. Wahrscheinlich bin ich bereits verloren, als ich durch das Hallentor gehe und den Grand-Prix-weißen 964 umrunde. Es ist ein sehr frühes Exemplar, zugelassen im September 1989, unmittelbar nach der IAA, auf welcher der Carrera 2 präsentiert wird. Die ersten Jahre verbringt der weiße 964 bei einem Reifenhändler in Reutlingen, danach verliert sich die Spur in Jersey – der britischen Kanalinsel, nicht New Jersey, USA. Aus jener Zeit hat er ein Tachoziffernblatt mit gelben Meilenmarkierungen, das bis heute Spezialisten und solche, die sich dafür halten, irritiert.
Kein Leder, keine Klima
"Kauf bloß keinen Frühen", raten damals Experten; die frühen 964 hätten den Motor ohne Kopfdichtung, 16-Zoll-Räder, oft keine Klima, keine Airbags, keinen Bordcomputer. Genau. Nur so einen will ich, denke ich im April 2007 in Haßloch. D90-Räder, keine Cup-Spiegel, kein Cup-Rohr und schon etwas ermatteter Erstlack. Schiebedach, Blaupunkt Bremen und Grünkeil-Frontscheibe zählen zu den wenigen Extras, schwarze Teilledersitze möblieren den Innenraum.
Ich fahre den 964 kurz Probe, einmal um den Ort, durch die Zwiebelfelder und zurück auf den Händlerhof. Zu Hause überlege ich, telefoniere mit dem Händler, feilsche noch etwas um den Preis. Eine Woche später bin ich zurück, mit einem Briefumschlag voller Geldscheine und einem Herzen voller Vorfreude. Mehr als zehn Jahre sind seither vergangen, keine einzige Sekunde bedauere ich diesen Moment, in dem ich den Umschlag über den Tisch schob und den Kaufvertrag unterzeichnete. Der Händler war freundlich, schickte mir später ohne Nachfragen Scheinwerfergläser zu, als sich bei der TÜV-Prüfung herausstellte, dass mein Auto noch über Rechtslenkerlampen verfügte.
Alles, was ich vorher über den 964 las, hat sich bewahrheitet: Er ist teuer und aufwendig in Wartung und Unterhalt, eine kleine Inspektion mit Ölwechsel ist kaum unter 1000 Euro zu haben – wenn nichts weiter dran ist am 964. Meistens ist aber was dran. Denn auch das hat sich bewahrheitet: Am 964 ist einiges, was kaputtgehen kann. Und vieles davon tut es irgendwann auch. Bei meinem Auto sind es im Laufe der Jahre und ohne Anspruch auf Vollständigkeit: das ABS-Steuergerät, der Umlenkbolzen des Kupplungspedals, das Kontrollrädchen des Keilriemens, der Leerlaufregler, das Ölthermostat und die Servopumpe.
Irgendwann wird er undicht
Hinzu kommen zwei Sätze Reifen, die sind billig, denn 16-Zoll-Bereifung ist ja heutzutage nicht einmal mehr Golf-Format. Einen Satz Winterreifen samt D90-Rädern im Originalformat erstehe ich für einen lächerlichen Betrag über ein Internet-Auktionshaus. Von dort stammt auch der Leerlaufsteller, den ich selbst auswechsle. Das funktioniert, ist aber so ziemlich das Einzige, was ich an diesem Auto eigenhändig instand setzen kann.
Der wichtigste Freund des 964-Fahrers ist ja der vertrauenswürdige Schrauber, da hab ich viel Glück. Einer von ihnen lötet das ABS-Steuergerät wieder heil, die Rechnung fällt – verglichen mit dem Ersatzteilpreis – beschämend niedrig aus. Er repariert ebenso das Kupplungspedal und weiteren Kleinkram, den ich vergessen habe. Weil es noch viel größere Reparatur- und Instandsetzungsrechnungen gibt – über den zart aufblühenden Scheibenrahmen vorn, den Kupplungswechsel, Fahrwerkslagertausch und eine komplette Motorüberholung.
Die ist nicht etwa nötig, weil der Sechszylinder nach rund 150.000 km irgendwelche Ermüdungserscheinungen zeigen würde, sondern weil nach beinahe 30 Jahren die Dichtungen an Zylinderfüßen und der Gehäusemittelnaht mürbe geworden sind. Und die Überholung ist teuer. Doch nun weiß ich, dass das Triebwerk fit ist für die nächsten 30 Jahre, ganz gleich, wie viele Kilometer ich auf meinen Elfer drauffahre. Wenn Sie mich fragen, was das denn alles gekostet hat: Ich weiß es nicht. Die Rechnungen liegen fein gestapelt in einer Mappe, zusammengezählt habe ich die Summen auf den Computerausdrucken nie. Ich weiß nur, dass der Wertzuwachs meines 964 darüberliegt. Wenn auch nicht um so viel, wie ich wünschte.
Wolken im Passeiertal
Zum Glück denke ich so gut wie nie darüber nach. Auch nicht jetzt, als ich neben dem Auto auf einem Felsen am Timmelsjoch sitze und ins Passeiertal blicke. Hinter mir knistert sich der 964 kühl. Die Anfahrt aus Stuttgart hat er lässig gemeistert, das Reisegepäck im Kofferraum vorn, die Fotoausrüstung auf den vorgeklappten Rücksitzen. Einmal tanken, eine Wagenwäsche, Ölkontrolle überflüssig, denn zum einen zeigt ja der Ölstandsanzeiger am Armaturenbrett den Vorrat im Öltank an, und zum anderen kleckert seit der Überholung nichts mehr raus. An diesem Wochenende ist der Pass noch geöffnet, dann kommt die Wintersperre. Es ist wenig los so früh am Morgen, ein paar Urlauberautos trödeln vorbei. An solchen Tagen weiß ich, warum ich dieses Auto haben wollte. Und wieso es bis heute bei mir ist. Die kompetente Selbstverständlichkeit, mit der es aus dem Ötztal auf 2474 Meter hochgestürmt ist, dabei auf den kurzen Geraden einige modernere Autos lässig überholt hat. Wie er sich in die Kurven stürzt, die Lenkung jeden Millimeter Rutschen auf Splittresten in die Handgelenke meldet, so fährt nur ein 964.
Doch am meisten beeindruckt mich immer wieder der 250 PS starke Sechszylinder-Boxer: Wie kontrolliert, doch kontinuierlich und gewaltig er seine Kraft abgibt. Ab 4000 Umdrehungen powert er zur Nenndrehzahl bei 6100 Umdrehungen, jederzeit per millimeterfeinem Gasbefehl beeinflussbar. Das macht kein Turbotriebwerk auf dieser Welt so nach, erst recht keines, das auch nur annähernd so gut geht. Hatte ich den Sound bereits erwähnt? Cup-Rohr, Klappenauspuff – benötigt mein Elfer alles nicht. Er schnurrt leise beim Start, wird lauter, wenn die Saugrohrklappe öffnet, röhrt voll und lustvoll bei Volllast – auch das per Gaspedal kontrollierbar wie an einem Mischpult.
Vielleicht sollte ich doch öfter zu einer kleinen Pässefahrt starten, denke ich, während die Wolken unter uns durch Südtirol wallen. Denn so schön die Wertsteigerung der Luftgekühlten in den letzten zehn Jahren auch ist, eines ist mein Porsche dadurch nicht mehr: ein einfacher Fahr-Elfer. Er würde heute mehr kosten als ein neuer Cayman und ist unter Langfingern äußerst gefragt. Aus dem preiswerten Sportwagen für Kenner und Genießer ist ein Sammel- und Anlageobjekt geworden. Kein Auto mehr, das man nach der Ausfahrt am Straßenrand übernachten lässt. Und keines, dem man bei Schneefall die Winterräder unterschnallt. Mir fehlt der Herumfahr-Elfer. Auf meinem mobile.de-Parkplatz stehen drei 996er-Targa. Schauen wir mal, wohin das führt.
Karosserie-Check
Die vollverzinkte und im Detail exzellent verarbeitete 964-Baureihe gehört zu den am wenigsten problematischen Elfern überhaupt. Man kann jedoch unter den voluminösen Front- und Heckverkleidungen aus GFK durchaus Rostnester entdecken, oft als Folge von nachlässigen Unfallreparaturen. Hier sollte man außerdem wie am ganzen Fahrzeug auf gleiche Spaltmaße und ordentlichen Sitz der Keder (Kunststoff- profilschnüre zwischen den Bauteilen) achten. Ungepflegte Exemplare mit entsprechend hohen Laufleistungen können noch an weiteren Stellen Rostansätze aufweisen: an den Schwellern in Höhe der B-Säule, der Zone des Batteriekastens im Kofferraum oder an den Schwellern im Bereich der Wagenheberaufnahmen.
Weitere kritische Zonen sind die Stehbleche und Radhäuser des Vorderwagens, der Längsträger im Heckbereich sowie Haubenkanten und Türböden. Zuletzt sind die Ecken der Front- und Heckscheibenabschlüsse aufgrund von Reibungen oder fehlerhaft montierten Ersatzscheiben rostgefährdet. Der Zustand der Hitzeschutzbleche sowie der gesamten Bodenverkleidungen geben Auskunft über den Wartungszustand. Fehlende oder verbogene Bleche weisen auf ein hartes Autoleben hin. Bei allen An- und Einbauteilen wie Lenkrad, Sitz oder Felgen ist auf unbedingte Originalität zu achten. Falls Zubehör- oder Tuningteile verbaut sind, sollte es sich primär um Porsche-Komponenten handeln.
Technik-Check
Die Mechanik des ausgereiften Typ 964 genießt einen hervorragenden Ruf. Im 964 blickt der luftgekühlte Sechszylinder-Boxer auf immerhin 24 Jahre Alltagspraxis zurück. Außerdem ist der 3,6-Liter-Motor (Literleistung 69,5 PS) mit der relativ bescheidenen Nenndrehzahl von 6100/min eher niedrig belastet und hält deshalb bei regelmäßiger Wartung mindestens 300.000 Kilometer ohne eine grundlegende Komplettüberholung. Es sollte ein Fachbetrieb jedoch neben den üblichen Wartungsstandards regelmäßig folgende Arbeiten ausgeführt haben: Ventilspielkontrolle nach 20.000 Kilometern, Kontrolle des Doppelverteilers mit Zahnriemen nach 80.000 Kilometern, Wechsel der Steuerketten-Gleitschienen nach 150.000 Kilometern.
Trotzdem können besonders bei hohen Laufleistungen folgende Bereiche Probleme bereiten: Benzinpumpen-Relais und andere Elektrik-/Elektronik-Bauteile, Klimaanlage, ausgeschlagene Spurstangen, verschlissene Fahrwerksbuchsen, Motor- und Getriebeaufhängungen sowie Ölverlust am Motor. Es kann auch das komplexe Leitungssystem der Trockensumpfschmierung mit vorn eingebautem Ölkühler undicht werden – zum Beispiel durch unsachgemäßes Fahrzeugaufbocken bei Bastelreparaturen. Generell ist das Arbeiten an der im engen Elfer-Kleid verbauten Technik sehr zeitintensiv und entsprechend teuer.
Preise
Bei Einführung 1990 (Porsche 911 Carrera 2) 103.500 Mark
Classic-Analytics-Preis 2018 (Zustand 2/4) 62.000 / 20.000 Euro
Versicherung (Haftpflicht/Vollkasko) *150 / 1246 Euro
Bei Einführung 1989 (Porsche 911 Carrera 4) 116.000 Mark
Classic-Analytics-Preis 2018 (Zustand 2/4) 59.000 / 19.500 Euro
Versicherung (Haftpflicht/Vollkasko) *150 / 1246 Euro
Bei Einführung 1991 (Porsche 911 Turbo) 178.500 Mark
Classic-Analytics-Preis 2018 (Zustand 2/4) 115.000 / 24.000 Euro
Versicherung (Haftpflicht/Vollkasko) *161 / 1780 Euro
Bei Einführung 1990 (Porsche 911 Carrera 2 Cabrio) 118.000 Mark
Classic-Analytics-Preis 2018 (Zustand 2/4) 68.000 / 24.000 Euro
Versicherung (Haftpflicht/Vollkasko) *150 / 1246 Euro
Bei Einführung 1992 (Porsche 911 Carrera RS) 145.450 Mark
Classic-Analytics-Preis 2018 (Zustand 2/4) 180.000 / 85.000 Euro
Versicherung (Haftpflicht/Vollkasko) *157 / 2425 Euro
* Quelle: OCC, Jahresprämie, Auto in Zustand 2, mit Garage, jährliche Fahrleistung 5.000 km
- Bei Einführung 1989 (Porsche 911 Carrera 4) :
- 116.000 Mark
Ersatzteile
Ein gewisses Handicap des Porsche 911 Typ 964 sind die hohen Ersatzteilpreise, die am Porsche-Tresen verlangt werden. Selbst profane Dinge wie Dichtungen, Filtereinsätze, Bremsbeläge oder Silentbuchsen kosten richtig Geld. Das gilt besonders für spezifische Allrad-Ersatzteile des Carrera 4. Hinzu kommen technische Finessen wie Trockensumpfschmierung und Doppelzündung, welche die Unterhaltskosten in die Höhe treiben. So kommt ein Ölwechsel mit Filter auf rund 350 Euro, ein Zwölfer-Kerzenwechsel am schwer zugänglichen Motor auf rund 500 Euro.
Für die Montage neuer Antriebswellen an der Hinterachse muss man mit Material mindestens 1500 Euro investieren. Porsche-Spezialisten wie Freisinger Motorsport in Karlsruhe (www.m-freisinger.de), Sportwagen Eckert (www.sportwagen-eckert.com) oder MST-Mechanik bei Regensburg (www.mst-mechanik.de) bieten zumindest für die Ersatzteile oft preiswertere Alternativen. Preisgünstige Schlacht-964 vom Autoverwerter gibt es kaum, dafür ist die Baureihe inzwischen zu wertvoll.
Schwachpunkte
- Stehbleche und Radhäuser
- Unfallschäden
- Schweller in Höhe B-Säule
- Scheibenrahmen vorne/hinten
- Tür- und Haubenkanten
- Motorelektronik
- Ölverlust Motor/Leitungen
- Zahnriemen Doppelverteiler
- Traggelenke/Spurstangen
- Fahrwerksbuchsen
- Tiptronic-Elektronik
- Wartungsstau