Porsche 718 RS 60 im Fahrbericht
Herzensbrecher aus den 60ern
Er gewann 1960 die Targa Florio und gewinnt heute noch Herzen: Der 718 RS 60 begeistert nicht nur durch seinen Viernockenwellen-Motor mit Königswelle, sondern vor allem durch seinen drahtigen Charakter. Und alltagsfähig ist er obendrein. Nichts wie ab auf die Alb!
27.09.2016 Jörn ThomasWie das Leben so spielt. Kennengelernt haben wir uns vor ein paar Wochen in Italien, vorgestellt vom Porsche Museum. Anlass: die Targa Florio. Mit einer ganzen Rotte Geschwister stand er da, der 718 RS 60. Bis dahin kannte ich den flachen, silbernen Sportmann allenfalls von Bildern. Etwa als historisches Zitat neben dem neuen Boxster, vom Marketing ebenfalls als 718 gestempelt, von wegen Vierzylinder und so. Aber irgendwie ging der drahtige Klassiker gegen den größeren, muskulösen Boxster unter. Optisch. Kein Wunder, wenn man nicht mal einen Meter hoch und nur 1,51 breit sowie 3,70 lang baut.
Live sah die Sache dann schon ganz anders aus. Auf den Pisten der Targa Florio in Sizilien traf der RS 60 direkt ins Herz. Selbst vom Beifahrersitz spürst du, was da für ein zeitlos starker Typ am Start ist. 56 Jahre alt, drahtig, fettfrei. Du fädelst deine Beine irgendwo ins massive Gittergeflecht aus nahtlosen Stahlrohren, klinkst den Rest bündig in die rot belederte Sitzschale und spürst: So sieht sie aus, die perfekte Mensch-Maschine-Einheit.
Hurra: ab auf die Hausstrecke!
Steif wie ein Einbaum und flink noch dazu, wie Herbert Linge auf der diesjährigen Florio beweist. Linge, 88 Jahre alt, erfolgreicher Rennfahrer einerseits, aber auch ein ganz wichtiger Mann bei Porsche, schließlich haben sie ihm das Entwicklungszentrum Weissach zu verdanken, dessen Aufbau er organisierte. Der höfliche Herr Linge hat es immer noch drauf, führt den Rennwagen mit schnellen Reflexen und ruhiger Hand. Handwerksmeister und Rennfahrer zugleich. Und alte Stuttgarter Schule, liebe Freunde. Disziplin, Bescheidenheit, Ausdauer, Siegeswille. So wie der 1,6-Liter im Nacken. 160 PS bei knapp 550 Kilogramm, da geht was. Also, klarer Wunsch: Selber fahren. Kein Problem, die vom Porsche Museum klären das. Ihre Autos sind keine mumifizierten Auto-Pharaonen, sondern lebendige Geschichte. Rennfertig.
Größte Hürde: das Wetter. Jetzt kommt endlich die Sonne raus, es geht los. Kurz summt noch die Heckklappe des Mercedes Atego runter, dann darf der 718 raus aus dem Transporter, Morgenluft schnuppern. Buchstäblich, irgendwo zwischen Wiesensteig, Ochsenwang und Hepsisau. Unsere Hausstrecke. Dort, wo die Schwäbische Alb vielleicht am schönsten ist. Vulkanische Hügel, geschwungene Landstraßen, spitzkehrengewürzte Steigen. Nur wir, wabernde Getreidefelder, feiner Asphalt und ein paar Kumuli am Himmel. Bis heute Nachmittag gehört der 718 – übrigens einer von nur 19 insgesamt gebauten – uns. Ein, zwei Unterschriften für die Lkw-Fahrerin, danke schön, bis nachher um vier.
Vierzylinder-Boxer mit 100 PS Literleistung
Es gibt Leute, die mehr rummachen, bevor sie dir mit großer Geste den Schlüssel zu ihrem runtergerittenen Golf III überreichen. Okay, bei Porsche gab es vorher schon noch eine kleine Einweisung auf den Mittelmotor-Sportler inklusive Probefahrt. Vom Einsteigen – geht auch mit geschlossenen Türen – bis zum Motorstart: Batterie per außen liegendem Knauf anklemmen, die beiden Benzinpumpen aktivieren, abwarten, bis das aufgeregte Tickern einem entspannteren weicht. Jetzt liegt Sprit an. Viertelgas, Zündung. Nicht mit dem Pedal pumpen, das können die beiden Doppelfallstromvergaser (46er-Weber) nicht leiden, sie könnten den Motor beleidigt fluten – Beschleunigerpumpe, ist klar.
Besser den Vierzylinder-Boxer mit etwas Gas wecken, wach streicheln, warm laufen. Das Öl sollte flüssig sein, sonst könnte der Öldruck beim Fahren zu stark ansteigen, Dichtungen und Motor gefährden. Es wäre doch schade um den legendären Fuhrmann-Boxer mit seinen vier per Königswellen betriebenen Nockenwellen sowie Doppelzündung und in diesem Fall 100 PS Literleistung.
Alltag im Rennsportler
Also: Drehzahlmessernadel am besten zwischen 4.000 und 6.000 halten, Vorsicht, der Schleppzeiger steht bei 6.800, Öldruck und Temperatur im Auge behalten, läuft. Eigentlich ist der 718 ja ein Rennwagen. Mit klarem Stammbaum: 550, 550 Spyder, 550 A, 718 RSK. Für den Jahrgang 1960 verlangte die FIA nach mehr Alltagstauglichkeit, Porsche reagierte mit größerer Frontscheibe, Kofferraum, Tank, Verdeck – und einem innen liegenden Scheibenwischer. Er hilft, wenn Gischt ins Cockpit wabert oder die Frontscheibe bei Klimawechseln beschlägt.
Das droht heute nicht, die Sonne lacht, wir auch. Was für ein herrliches Gerät. Schön, wenn man jede Kurve aus dem Effeff kennt, da bleibt dem 718 volle Aufmerksamkeit. Wobei der nie die zickige Mittelmotor-Diva gibt, eher den Kumpel, bei dem du die Vorderräder sozusagen mit der Hand greifst, der dir einen Grenzbereich liefert, so habhaft wie eine Portion Linsen mit Spätzle. Er liegt hoch genug, um fix zu sein, ist im Verhältnis zu heutigen Sportlern aber so breit, dass aus Spaß nicht gleich Ernst wird. Der leichte Vorderwagen reagiert spontan, nicht hektisch, du führst den Halbtonner samt seinen 15-Zöllern mit feiner Hand, rund und sauber. Genau so, wie es bei Herbert Linge aussah, fühlt es sich jetzt an.
Motor und Getriebe brauchen noch kurze Einarbeitung. Neben den vier Standardgängen nach H-Schema gibt es noch einen Anfahrgang, sinnvoll bei Bergrennen. Unsynchronisiert. Also kurz im Zweiten anrollen, mit Gefühl den Anfahrgang reindrücken, losfahren und dann fix zurück ins normale Schema. Das läuft irgendwann genauso intuitiv wie das passende Gefühl fürs Gaspedal, um den Spritbedarf des Motors zu taxieren. Grobmotorische Pedallatscher bestraft der Einssechser mit asthmatischem Gesprotzel und Super-Plus-Plockhusten. Also sanft, mit Gefühl und leicht progressiv ans Gas. Am liebsten feuert der Boxer eh obenraus. Höchstleistung bei 7.800, maximales Drehmoment 147 Newtonmeter bei 7.000, da weißt du gleich, was Phase ist. Ein gescheiter Saugmotor mit lebendigen Gassäulen, dessen offene Vergaser sich ebenso auf Livemusik verstehen wie die rudimentär schalldämpfende Auspuffanlage.
Unterhaltsamer Underdog
Zeit fürs obligatorische Porsche-Zitat. „Wenn man drauftritt, muss er schießen“, forderte Ferry einst. Aber es passt, der 718 ist Philosophie. Firmenphilosophie. Typisch Porsche, kein Gigantismus, kein Selbstzweck, weder bei Hubraum noch bei Leistung. Schlank, effizient, gern mit Underdog-Biss versehen. Nicht umsonst lederten die 718 auf der Piste regelmäßig größere Apparate wie etwa Ferrari mit Dreiliter-V8 ab.
Du drückst das Pedal, die Vergaser besorgen es den vier hungrigen Brennräumen, der Kurzhuber dreht, sechseinhalb, Schalten, kleiner Drehzahlsprung, und weiter geht’s. Er klingt erstaunlich bassig, immer energisch, nur bei wenig Last manchmal etwas käfernd. Mühelos könnten wir jetzt landstraßenkonforme Tempi überschreiten, 230 km/h wären drin, sind aber gar nicht nötig. Der 718 unterhält schon bei 90, 100 km/h prächtig. Leichte Vorderachse, aber gut aufgelegte Trommelbremsen, da kommt automobile Achtsamkeit ganz von selbst.
Hätte ich gestern bloß nicht nach der ungefähren Preis-Hausnummer des RS gefragt. So um die zehn könnte er schon bringen, hieß es. Millionen. Euro. Ähem. Das verlagert Bremspunkte automatisch nach vorn, legt Scheitel konservativ, dämpft Übermut. Kein Problem, der Reiz des 718 bleibt. Er plaudert mit dir, belohnt sauberes Fahren. Gasgeben, Gangwechsel, Kurvenchoreografie. Langsam wird klar, warum die Jungs so viele Rennen gewannen.
Wie das Leben so spielt. Vor ein paar Wochen lernten wir uns kennen, heute sind wir endgültig Freunde geworden, der 718 und ich. An diesem sonnigen Tag, irgendwo zwischen Wiesensteig und Hepsisau.