Paul Pietsch Classic
Auf den Spuren von Paul Pietsch
Wer Benzin im Blut hat, wähnt sich hier im Paradies: Im Schwarzwald sind Geraden selten. Eigentlich kein Wunder, dass Paul Pietsch hier zum Rennfahrer reifte. Eine Tour von Freiburg nach Stuttgart.
Frühling im Breisgau. Da heißt es Verdeck auf und die milde Fahrtluft genießen. Zumindest theoretisch, denn praktisch behält der Mercedes 280 SL seine Stoffmütze erst mal auf. Dicke Regentropfen wecken Zweifel am Ruf Freiburgs als sonnenreichster Stadt Deutschlands. Bald schüttet es wie aus Kübeln. Auch gut, denn bevor wir die alte Bergrennstrecke am Schauinsland unter die Räder nehmen, steht ein Besuch in der Engesserstraße an. Hier liegen die Wurzeln von auto motor und sport und der Motor Presse Stuttgart. Im Wohn- und Geschäftshaus des Ölhändlers Josef Hummel entstand die erste Ausgabe von „Das Auto“. Hummel hatte 1946 zusammen mit den Rennfahrern Paul Pietsch und Ernst Troeltsch die Zeitschrift erdacht, nicht zuletzt, um bald wieder Rennen fahren zu können. Doch in der Nachkriegszeit entwickelte sich das Heft zum Erfolgsmodell. Die Redaktion zieht bald in ein Holz-Fertighaus um, das schnell zu eng wird. Da die Hefte ohnehin in Stuttgart gedruckt werden, ziehen Verlag und Redaktion schließlich 1950 in die Schwabenmetropole. Unter der ersten Verlagsadresse wird aber weiterhin die Autoleidenschaft gepflegt, 1977 zieht Eckhard Bergmann hier ein. Der Ingenieur hat ein Faible für Sportwagen, in der Garage stehen diverse Mercedes SL bis zur Baureihe R 107, alle selbst restauriert. Das neueste Objekt wartet in der Werkstatt, ein Porsche 356 Super 90 – nun ja, zumindest die blank geschliffene Karosserie. Der Pensionär hat einen ähnlichen Geschmack wie Paul Pietsch. Für den Verleger gehörte ein Porsche einfach zum Fuhrpark, selbstverständlich war auch der 356 darunter. Dass Bergmann damals historischen Boden erwarb, erfuhr er erst Jahre später. Beim Blick in einen Nachdruck der ersten Ausgabe von „Das Auto“ staunte er nicht schlecht, als er unter der Verlagsanschrift seine Adresse entdeckte. Langsam lässt der Regen nach, und beim Blick auf die Schönheit in Beigemetallic hält es uns nicht mehr in der Stadt. Vorerst bleibt das Dach aber zu. Der 43 Jahre alte Zweisitzer aus dem Fuhrpark des Mercedes-Museums wirkt nach einer Totalrenovierung fast fabrikneu. Seine mit braunem Leder bezogenen Sitze sind angenehm straff gepolstert und bieten einen ungewohnt guten Seitenhalt für so ein altes Auto. Der 170 PS starke Sechszylinder brummt beruhigend und treibt den Roadster beim Tritt auf das Gaspedal kräftig voran. Allerdings quittiert das Automatikgetriebe ohne Drehmomentwandler Gangwechsel mit einem leichten Ruckeln. Das Tor in Günterstal kündigt die Schauinsland-Bergrennstrecke an. Hier triumphierte Pietsch am 6. August 1950 im Maserati 4 CLT mit der Startnummer 162. In 8.16,5 Minuten scheuchte er den Formel 1-Renner zwölf Kilometer lang über 800 Höhenmeter mit Durchschnittstempo 87,05 km/h den Berg hinauf: Tagesbestzeit. „Es wäre sicher noch schneller gegangen“, meint er nach dem Sieg, „aber das Getriebe war für ein Bergrennen nicht optimal übersetzt.“ Ein Menschenmeer jubelt ihm an der Holzschlägermatte zu. Rund 50 000 Zuschauer kamen zum Rennen. Der SL muss heute keine Bestzeiten abliefern, sondern darf entspannt bummeln. Die Straße ist noch regennass, da wollen wir es nicht übertreiben. Uns winkt kein Pokal. Als die Passhöhe erreicht ist, blinzelt sogar die Sonne wieder durch die Wolken. Also Dach auf und wieder zurück zum Start. Wir schrauben uns abwärts wie die Rennfahrer einst bei ihrer Ehrenrunde. Vor der noch recht frischen Brise schützen nur Schal und zugeknöpfte Jacke. 1968 gab es noch kein Windschott. Nach dieser Extratour geht es weiter. Schließlich haben wir nur zwei Tage, um den Schwarzwald zu durchqueren und Stuttgart zu erreichen. Die Straße schlängelt sich durch enge, von steilen Wiesen flankierte Täler, die wohl nur besonders schwindelfreies Vieh zu beweiden wagt. Der Duft nach frisch geschlagenem Holz liegt in der Luft. Immer wieder zwingen Umleitungen zum Verlassen der geplanten Route. Wenn Holz geschlagen wird, hält man sich besser fern. Verbogene Leitplanken markieren die Stellen, an denen Stämme über die Straße donnerten. So kommen wir durch St. Blasien Menzenschwand. Der Luftkurort verdiente einst gut an zwei Kliniken. Die seien nun geschlossen, klagt der Kioskbesitzer gegenüber. Seitdem ginge das Geschäft spürbar schlechter. „Wenn es die Kliniken noch geben würde, sähe mein Laden anders aus.“ Wegen der Umgehungsstraße entfällt zudem der Durchgangsverkehr. So ähnlich ging es vielen Kurorten, als die Krankenkassen auf einen Sparkurs einschwenkten. Nach kurzer Rast lenken wir die Pagode wieder auf die geplante Route Richtung Schluchsee. Verblüffend: Aus der Fahrerperspektive meint man, in einem ganz anderen Auto zu sitzen. Die hügelige Landschaft mit der Wölbung der Motorhaube, flankiert von den Rundungen der Scheinwerfer, vermitteln den Eindruck eines bulligen Autos. Dabei erscheint die Pagode von außen eher schlank und grazil. Und mag so mancher über die enge Verwandtschaft zur behäbigen Heckflosse lästern: Mit ihrem wohnlichen Ambiente passt sie zum eher beschaulichen Schwarzwald. Sicher, mit reinrassigen Sportwagen wie Austin Healy oder Porsche 911 kann der SL nicht konkurrieren. Doch für entspanntes Reisen gibt es wenige Alternativen unter seinen Altersgenossen. Der Sechszylinder macht auch bergauf nicht schlapp, und bergab verzögern die vier Scheibenbremsen. Dass er im Grenzbereich schnell zum Heckschwung neigt, erfahren wir heute nicht. Reisen statt rasen. In Titisee-Neustadt begeben wir uns auf eine kurze Spurensuche. Hierher zog Paul Pietsch 1920 mit seinen Eltern. Es wird zur Heimat der Familie, bis heute. Sogar einen Paul-Pietsch-Weg gibt es. Dass man zu Ehren des Rennfahrers ausgerechnet einen Fußweg nach ihm benannt hat, birgt eine gewisse Ironie. Die winkligen Straßen rund um die Stadt macht der junge Pietsch auf dem Motorrad unsicher, oft ging es nach Baden-Baden. Motorisiert, so erklärt der Schüler seiner Mutter Amalie, könne er schneller zwischen dem dortigen Internat und der Heimat pendeln. Dass alle Klassenkameraden bereits motorisiert seien, ist allerdings eine Notlüge. Neben seiner Wanderer mit 200 Kubikzentimeter-Einzylinder parkt nur ein weiteres Krad vor dem Wohnhaus der Schüler. Weinberge bestimmen die Region zwischen Rheintal und Schwarzwald. In Durbach wird es Zeit für einen Boxenstopp. Das Hotel Ritter drängt sich als erstes Oldtimer-Hotel der Region als Herberge förmlich auf. Seit 2008 empfängt Dominic Müller Autofans mit passenden Extras. Ob Hebebühne, Werkzeug oder videoüberwachte Tiefgarage: Das Hotel ist auf alles vorbereitet, was Fans klassischer Automobile begehren. Der Chef hat selbst Benzin im Blut. Neben einer BSA und einer Moto Guzzi Le Mans besitzt er einen Alfa Romeo Zagato, und auch eine Pagode stand mal in der Garage. Zum Abschied gibt der gut gelaunte Chef noch Streckentipps. Doch die braucht man eigentlich nicht. Solange man die viel befahrene Schwarzwaldhochstraße meidet und auf die zahlreichen Nebenstrecken ausweicht, findet man Traumstraßen im Überfluss. Schmale Serpentinen schlängeln sich durch von Bachläufen geformte Täler, erklimmen Berge und durchschneiden die dunklen Nadelwälder, dann beginnt es wieder von vorn. Eine Gegend, um sich an Kurven und Kehren zu berauschen. Erst hinter Calw, wo Pietsch die Handelsschule besuchte, gibt es für das Lenkrad wieder etwas weniger zu tun. Felder grenzen nun an den Asphalt, Stuttgart ist nicht mehr fern. Doch bevor der Mercedes wieder zu seinesgleichen in die Museumsgarage darf, machen wir noch einen Schlenker zur legendären Solitude-Rennstrecke. Die ist zwar heute nur noch eine streng limitierte und zugleich vielbefahrene Landstraße, aber mit seinem geschwungenen Lauf taugt der alte Formel 1-Kurs immerhin als passender Abschluss für zwei Tage Kurbelei durch das Traumrevier für Autofans zwischen Freiburg und Stuttgart.
Wie es begann
auto motor und sport-Verleger Paul Pietsch Als Paul Pietsch am 20. Juni 1911 in Freiburg geboren wurde, dachten seine Eltern vermutlich nicht, dass der Filius einmal ein erfolgreicher Rennfahrer und später erfolgreicher Verleger werden würde. Nach seiner Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft waren 1946 die Aussichten für einen Rennfahrer in Deutschland eher düster. Die Gründung der Verlags Motorsport GmbH und der Zeitschrift „Das Auto“ in Freiburg geschah mehr mit dem Hintergedanken, so die finanzielle Grundlage für eine Fortsetzung der Motorsportkarriere zu schaffen. Dieser Plan ging auf, doch Verlag und Magazin entwickelten sich so erfolgreich, dass beide 1950 nach Stuttgart umsiedelten, wo die Motor Presse noch heute ihren Sitz hat. Nach dem Tod von Ernst Troeltsch 1956 übernahm Pietsch allein die Verantwortung für das Unternehmen. Aus dem kleinen Verlag wurde im Laufe der Jahre der größte Special-Interest-Verlag Europas mit heute weltweit rund 140 Magazinen. Pietsch blieb bis 1977 Geschäftsführer und wechselte danach als Vorsitzender in den Beirat, dem er fast 25 Jahre vorstand.