Paul Pietsch Classic 2017
Auf Streckenerkundung im Schwarzwald
Fast wäre die Streckenerkundung zur 6. Paul Pietsch Classic baden gegangen, doch ein Dreiliter-Bentley und ein Hebmüller-Cabrio gehören nicht zu den wasserscheuen Oldtimern. Auf Genusstour im pi(e)tschnassen Schwarzwald.
08.06.2017 Malte JürgensDer Plan war eigentlich nicht schlecht. „Wenn es regnet“, so der sonst völlig unerschrockene Bentley-Pilot Otto Ferdinand Wachs, „nehmen wir den Lastwagen, verladen die Autos und packen sie nur zum Fotografieren wieder aus.“ Wachs hatte allerdings die Rechnung ohne die zarten Asphalt-Deckchen jener Schwarzwald-Pfade gemacht, über die der ortskundige Strecken-Scout Karl Wolber diesmal die Rallye-Teilnehmer auf die Reise schicken wird. Mehr als sechs Tonnen Gewicht sind auf ihnen nur selten erlaubt, und der MAN mit seiner edlen Last kommt immerhin auf 18.
Solche Situationen verlangen nach Pragmatikern mit dem unbeugsamen Willen der Bentley-Boys, und da die Geschäftsleitung der Autostadt sich ohnehin darauf eingerichtet hatte, für den Auftakt zur 6. Paul Pietsch Classic zwei Tage lang auf ihren Sprecher verzichten zu müssen, gab Wachs die alternativlose Parole aus: „Dann machen wir das eben auf Achse. Wozu sonst haben wir denn ein Seepferdchen auf dem Kühler?“
Der Seepferdchen-Express
Das mögen sich viele fragen, die den Dreiliter-Bentley-Speed aus dem Jahr 1924 genauer anschauen: Dort, wo sonst das vom Jugendstilkünstler Charles Sykes gestaltete B mit den Schwingen Platz nimmt, pflügt in diesem Fall ein aus Bronze gegossenes Exemplar der Gattung Hippocampus durch den Fahrtwind.
Das war nicht immer so. Als XR 7787 am 30. April 1924 mit der Chassisnummer 506 ausgeliefert wurde, war als Werksextra lediglich ein Sportauspuff der Marke Layelne montiert. Die viersitzige Tourer-Karosserie, hier die Letzte ihrer Art, stammt von James Young, einem von 119 Karossiers, die ihre Blechträume einst auf Bentley-Fahrgestellen platzierten. Die Garantie betrug bei Bentley damals schon fünf Jahre und wurde dem Erstbesitzer, einem gewissen Mr. Methly aus Wylde Green im Kreis Birmingham, ausdrücklich noch einmal bestätigt. 16 Jahre später hatte es der stolze Tourer nach mehreren Unfällen fast bis zur letzten Ruhe auf dem Schrottplatz von Lancing in Sussex gebracht. Dort stöberte ihn ein Bootsbauer namens Austin Packard Farrar 1940 auf, kaufte ihn für 20 Pfund und nahm ihn wieder in Betrieb – als Arbeitspferd.
Der sportliche Tourer musste fortan Boote schleppen, die mit dem Bug auf den Rahmen der Windschutzscheibe und mit dem Heck auf einen hölzernen Bock montiert wurden; wahlweise kam, standen mehrere Boote zur Auslieferung an, noch ein Anhänger zum Einsatz. Und weil Mister Farrar sein Geld in Portsmouth mit Wasserfahrzeugen verdiente, setzte er dem Bentley ein Seepferdchen auf den Kühlerverschluss. Die Oldie-Sammlung der Autostadt erwarb vom Erben des Herrn Farrar den friedlichen Meeresbewohner gleich mit; so trägt ihn der Dreiliter voller Stolz noch heute.
Das kräftige Grummeln des Vierzylinders, der bei nur 80 Millimetern Bohrung den extralangen Hub von 149 Millimetern aufweist, führte zum Spitznamen des Tourers: Bumble. Das erinnert an Bumblebee, die Hummel. Die relativ kleine Zylinderbohrung, für englische Oldies nicht ungewöhnlich, hat übrigens nichts mit dem Wunsch nach viel Drehmoment im unteren Drehzahlbereich zu tun; in England wurden Autos einst nach der Kolbenfläche besteuert, und je kleiner die Bohrung, desto billiger wurde der Unterhalt. Der Bentley fährt auf dieser Tour gewissermaßen unter dem Regen hindurch; bei etwa 60 bis 80 km/h fällt kaum Wasser auf Mann, Leder und Instrumente, da der Luftstrom die Tropfen elegant über den Viersitzer hinweghebt.
Hebmüller Cabrio nur 696 mal gebaut
In Gewicht, Größe, Hubraum oder Leistung vermag das Hebmüller-Cabrio von 1949 nicht mitzuhalten; seine Stärke liegt in seinem Charme. 1889 in Wülfrath als Kutschenbau-Unternehmen gegründet, bekam Hebmüller 1948 von Volkswagen den Auftrag, ein 2+2-sitziges Cabriolet zu entwickeln und 2.000-mal zu bauen. Im März 1949 startete die Produktion, doch im gleichen Jahr fiel das Hebmüller-Werk einem Großbrand zum Opfer. Nur insgesamt 696 Cabrios wurden unter schwierigen Bedingungen gefertigt.
Die Karosserieform wirkt ebenmäßig wie ein umgedrehtes kleines Boot, das Verdeck sitzt als keckes Mützchen knapp über Fahrer und Copilot. 24,5 PS aus 1.131 Kubikzentimetern Hubraum – wer denkt da an Tempolimits? Und doch darf der Fahrer nicht zu leichtsinnig werden. Das Vierganggetriebe lässt sich unerwartet sanft und geräuscharm schalten, der kleine Boxermotor schnurrt hurtig hinauf in höhere Drehzahlbereiche, und ehe man sich’s versieht, nach kaum einer halben Minute also, rollt der offene Käfer mit 70 oder 75 Kilometern pro Stunde manierlich durch den gut gewässerten Wald. Das Dach hält überraschend dicht.
Je weiter das ungleiche Duo nach Süden schwimmt, desto sentimentaler werden die Blicke des Bentley-Boys im Dreiliter Red Label. Nicht weit von hier, erinnert sich Wachs, ging er einst mehr als sieben Jahre lang bis zum Abitur ins Internat, in den Birklehof in Hinterzarten. Die höhere Lehranstalt verfügte sogar über eine eigene Feuerwehr, und die hatte es dem heutigen Chef der Autostadt angetan: Mit 16 durfte er als Brandbekämpfer bereits Unimog fahren. Seine große Stunde nahte, als ein Hof im benachbarten Höllental in Flammen aufging – die Internatsfeuerwehr musste mitlöschen. Als sich im brennenden Wohnhaus eine leichte Explosion ereignete, kam heraus, dass der Bauer in seiner guten Stube eine handfeste Amüsierbar betrieben hatte, deren Alkoholvorräte nun schlagartig abfackelten. Just in diesem Moment trat die greise Bäuerin hinzu und klagte Wachs ein anderes Leid: In der Scheune, die ja auch schon kräftig kokele, stehe noch ein Auto. Ob er das wohl bergen könne? Nichts leichter als das, dachte sich Wachs und betrat das glimmende Gemach. Die Reue setzte ein, als er das Auto sah: einen Tankwagen mit 3.500 Litern Benzin für den Hofbetrieb. Dass er den Laster samt seiner gefährlichen Fracht im Rückwärtsgang trotzdem barg, brachte ihm die Nominierung zur Tapferkeitsmedaille der badischen Feuerwehr ein. Aber das, sagt Wachs, sei nun wirklich eine andere Geschichte.
Nicht weit vom Internat steht in Titisee-Neustadt das Haus des Paul Pietsch. Der legendäre Grand-Prix-Fahrer der großen Kompressor-Zeit, 1935 zusammen mit Bernd Rosemeyer im Team der Auto Union unterwegs, gehörte ebenfalls zu einem Menschenschlag, der die Gefahr zwar respektierte, aber letztlich erst seinem Willen und dann seinem Gaspedal unterordnete. Nach dem Krieg erfolgreich als Verleger und Mitbegründer der Motor Presse Stuttgart, zeigte sich der Sportsmann sein Leben lang von klassischen Automobilen begeistert. Die Rallye durch seine Heimat wird damit auch zu einem Gruß an ihn. „Pietsch-vergnügt“ heißt die Devise, auch wenn es mal pitschnass kommt.
6. Paul Pietsch Classic 2017 – Die Route
In diesem Jahr wird wieder die Schwarzwaldstadt Offenburg zum Dreh- und Angelpunkt der Paul-Pietsch-Rallye: Die Fahrerbesprechung findet am Freitag, den 9. Juni um 8 Uhr in der Reithalle des Kulturforums Offenburg statt. Um 9.01 Uhr wird dann gestartet; am Samstag geht es schon um 8.01 Uhr los.
Den besten Eindruck von der Größe und Vielfalt des Rallye-Feldes vermitteln die Mittagspausen: Am Freitag wird die Rallye ab etwa 12:30 Uhr am historischen Henslerhof nahe Hinterzarten erwartet; eine Kaffeepause ist ab etwa 15:15 Uhr in Hornberg auf dem Gelände der Firma Duravit geplant. Für Eindrücke von der herrlichen Strecke sind besonders Ettenheim, was Wildgutachtal, der Henslerhof und das Rathaus in Hornberg zu empfehlen. Am Samstag, den 10. Juni geht es von Offenburg über Appenweier zur Mittagsrast nach Pforzheim, wo die Rallye ab etwa 11.50 Uhr vor dem Congress Centrum nahe Bertha-Benz-Denkmal erwartet wird. Interessante Abschnitte bieten zum Beispiel die Ortsdurchfahrt Kappelrodeck, in Seebach has Hintersee-Panorama und die Ortsdurchfahrt Sasbachwalden.