Paul Pietsch Classic 2016

Wo krabbeln sie denn?

33 VW Käfer warten im Zeithaus der Autostadt in Wolfsburg auf ihren Einsatz. Bei der 5. Paul Pietsch Classic in Donaueschingen startet ein halbes Dutzend. Visite bei der Krabbelgruppe.

Foto: Hardy Mutschler 17 Bilder

In Herzensangelegenheiten sollte man keine Statistik führen, und doch kann man sich den einen oder anderen Blick in Autotabellen kaum verkneifen. Der VW Käfer, ist da nachzulesen, führt die Zulassungslisten der klassischen Automobile mit weitem Vorsprung an: Mehr als 30.000 Käfer sind hierzulande mit H-Kennzeichen unterwegs. Das sind doppelt so viele wie die Mercedes-Limousinen der Baureihe W 123, die den zweiten Platz belegt.

Der Erfolg des luftgekühlten Fünfsitzers kam parallel zum Wirtschaftswunder nach dem Krieg: Die Deutschen bekamen wieder Geld in die Hand, und Volkswagen nahm die Anzahlungen aus der Vorkriegszeit 1:1 in Verrechnung. Wer 1962 zum Beispiel 3.300 Mark besaß sowie eine vollständig vollgeklebte KdF-Sparmarkenkarte aus den 30er-Jahren, der bekam dafür einen anthrazitgrauen, nagelneuen Käfer, allerdings ohne Schiebedach und Radio, dafür aber mit 34 PS. Das waren knapp zehn mehr als die 24,5 der Jahrgänge aus den frühen 50ern. Nur 26 Sekunden nach dem Start flog man bereits mit 100 km/h dahin, und Tempo 115 galt als Höchst- und gleichzeitig Dauerleistung. Mensch, 115 Sachen!

Packtier und Prestigeobjekt

Der Käfer war nicht nur Transportvehikel, sondern auch Prestigeobjekt ("Wir können uns ein fabrikneues Auto leisten") − und gleichzeitig Fluchtfahrzeug aus dem Mief der nierentischbewehrten deutschen Nachkriegswohnzimmer. Über einen Käfer zu gebieten, hieß, die Welt endlich auf ganz eigene Faust entdecken zu können, zu campen, zu feiern, zu fahren. Damit wurde der Käfer zu einer Ikone der freien, individuellen Mobilität, bis heute. Mehr als 22 Millionen hat Volkswagen davon hergestellt, zwischen 1938 und 2003, als der letzte Käfer vom Band rollte. Heute verfügt das Werk in Wolfsburg im Zeithaus über einen Fundus von insgesamt 33 Käfern.

Zu ihrem Namen kamen die zweitürigen Limousinen übrigens durch die englischen Karossiers, die seit den 20er-Jahren hauptsächlich zwei Arten kannten, ein Auto zu beenden: Entweder zog man das abschließende Heckblech von der Hinterachse schräg bis zum Oberdeck hoch und nannte das Resultat "duck’s back" (Entenbürzel), oder man ließ die Heckpartie in einer sanften Krümmung nach unten enden und sagte "beetle back" dazu (Käferrücken). Der Volkswagen gehörte ganz eindeutig zu letzterer Designfamilie, das "back" fiel weg, und schon hieß der VW Beetle oder, auf Deutsch, eben Käfer.

Die Sammlung der Autostadt umfasst alle Modelle, die signifikante technische oder designerische Änderungen tragen. Ältester Urahn ist der rote Nachbau des KdF-Wagens von 1936, in dem der ursprüngliche Vierzylinder aus 985 Kubikzentimetern Hubraum 23,5 PS bei 3000/min mobilisiert. Alle Evolutionsstufen der über ein halbes Jahrhundert gewachsenen Technik sind in der Autostadt-Sammlung vertreten, bis hin zum 1600er der späten Jahre.

Dazu kommen noch die Derivate vom Bonito über den Colani bis zu den Beutler- und Hebmüller-Versionen, den ultra-eleganten Rometsch-Karosserien und den Buggys, mit denen fröhliche Amerikaner einst durch die Dünen am Pazifik tobten. Übrigens: Schon mal was vom Volkhart-Käfer namens V2 Sagitta gehört?

Passt, sitzt und hat Luft

Vor Beginn der Rallye-Saison wollen an den wohlgehüteten Belegstücken einer großen Zeit natürlich mögliche Standschäden entdeckt und behoben sein. Koordinator der lebenserhaltenden Technik-Checks ist Maik Döblitz, der dem Käfer an sich und den darin möglichen Sitzpositionen mit Lässigkeit und Nonchalance gegenübersteht: "Entweder der Käfer passt einem oder eben nicht." Manchen nachgeborenen Käferpiloten ist der Beinraum heute zu kurz, anderen das Dach zu niedrig, wieder anderen passen die serienmäßigen Sitze nicht. Aber wer je in einem Käfer sozusagen aufwuchs und die Welt so zumindest stückchenweise kennenlernte, der passt auch Jahre später noch hinein. Die Erinnerungen an die Jahre damals mit dem Käfer machen den Körper flexibler als jedes Fitnessstudio. Man seufzt: "Wieder daheim", spielt ein wenig mit dem Fußschalter für das Fernlicht und freut sich auf den heiseren Ton, mit dem der Luftikus die Arbeit aufnimmt.

Jenseits aller Traktate zur Fahrdynamik: Der VW Typ 1 Jahrgang 1951 war und ist ein pragmatisches Fortbewegungsmittel. Das weich gepolsterte Gestühl mit der bis zur vierten Rippe reichenden Lehne erfordert eine leicht nach vorne geneigte Sitzposition. Die so vordefinierte aufmerksame Sitzhaltung empfiehlt sich allerdings dringend, denn die schmalen Diagonalreifen im Format 5.00/5.25-16 arbeiten permanent gegen den Fahrer. Sie verhindern eine saubere Linie und walken stark. Hochkonzentriert sollte man daher diesen Typ 1 fahren, denn "der Hintern ist ständig am Wandern", wie es Döblitz auf den Punkt bringt. Also die Einfahrrunde langsam angehen, bis man sich an das Fahr- und Lenkverhalten gewöhnt hat.

1951 hatte der VW Typ 1 nicht mehr als 24,5 PS – dass damals jede halbe Pferdestärke erwähnenswert war, sagt schon viel aus. Das Export-modell aus der Sammlung der Autostadt wurde allerdings auf einen späteren 30-PS-Motor umgerüstet. Unser Fotomodell musste wegen der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung zudem mit Blinkern und einem Außenspiegel bestückt werden – beides war 1951 noch keine Pflicht. Stattdessen zeigten elektromagnetisch gesteuerte Winker die Richtung an.

Ein Käfer verlangt Gelassenheit

Wichtiger für den Fahrer ist allerdings der Außenspiegel, denn mit maximal 30 PS nervt man heutzutage selbst auf Landstraßen schnell andere Verkehrsteilnehmer. Nicht ganz logisch – schneller als 100 darf man ja auf der Landstraße nicht fahren. Im Käfer wirken die modernen Autos wie riesige Dinosaurier. Und wenn sie zum Überholen ansetzen, lässt man es im 51er Käfer liebend gerne geschehen. Zum einen ist es schnell vorbei, zum anderen hat man alle Hände und Füße voll zu tun, des unsynchronisierten Getriebes Herr zu werden. Nur der dritte und vierte Gang sind geräuschmindernd schräg verzahnt, der gradverzahnte erste und der zweite heulen wie eine Straßenbahn beim Anfahren. Im Kopf schwirrt die Regel "Zweimal kuppeln, einmal Zwischengas, dann flutscht es" herum.

Für eine Überraschung sorgt die Elastizität des kleinen 1,1-Liter-Boxers. Mit seinem maximalen Drehmoment von 75 Nm lässt es sich besser auf der Drehmomentwelle schwimmen, als es die Daten erwarten lassen – Boxer eben. Schnell erreicht man so den Zustand der Kontemplation und kann sich dem Innenraum widmen, der beim Exportmodell wirklich hübsch gelungen ist. Das streng symmetrisch aufgebaute Armaturenbrett bietet zwei mit Bezugsstoff ausgeschlagene offene Handschuhfächer, einen zentralen Tacho und als Sonderausstattung ein Telefunken-Radio, das an die Röhrenradios der Petticoat-Zeit erinnert.

Enormer Durchhaltewille

Der Umgang mit dem 34 Jahre jüngeren Jubiläums-Käfer gelingt im direkten Vergleich geradezu spielerisch. Gute Straßenlage, direkte Lenkung, ordentliche Bremsen – wie es sich für einen Millionenseller gehört. Wer einen VW Käfer mit unkomplizierter Technik als Klassiker sucht, sollte sich für einen ab etwa Baujahr 1970 entscheiden. Der letzte in Deutschland produzierte Typ 1 verließ am 19. Januar 1978 das Emdener VW-Werk. Doch der Käfer zeigte Durchhaltewillen. Erst 25 Jahre später endete die Produktion auch in Mexiko.