Paul Pietsch Classic 2015

Certus - Legende aus Offenburg

Den Certus, Ende der Zwanziger Jahre in Offenburg produziert, hat es tatsächlich gegeben. Recherchen des Offenburger Tageblattes und ein Leseraufruf brachten Infos und erstmals Bilder des legendären Automobils an die Öffentlichkeit.

Paul Pietsch Classic 2015, Certus Offenburg Foto: Archiv 8 Bilder

„Es ist ein Mysterium auf vier Rädern“ sagt Holger Herrmann Schneider, Mitorganisator der Oststadt-Rundgänge in Offenburg. Er hat bereits zahlreiche Dokumente zur Offenburg-Historie gesammelt, vom Certus jedoch ist ihm dabei nichts untergekommen. Bastian André vom Offenburger Tageblatt hat sich deshalb durch umfangreiches Archivmaterial gewühlt und einen Leseraufruf gestartet.

Der gelernte Karosseriebauer und ausgebildete Fahrlehrer Franz Wroblewski zog 1911 aus Thüringen nach Offenburg und gründete 1919 mit seinem Freund Wilhelm Dierks die Karosseriefabrik Dierks und Wroblewski. Sie pachteten 1920 Gelände auf der Ihlenfeldkaserne, kauften 1922 einen Teil des Areals samt Patronenschuppen und Exerzierhalle, der heutigen Reithalle, in der sich die Produktion des Certus befunden haben soll. Die Firma arbeitete zunächst als Karosseriebauer und Zulieferer, hatte die Firmenvertretung von Dürkopp, die damals noch eigene Autos bauten sowie Büssing für LKW und Busse. Zudem war man für Reparaturen an allen gängigen PKW-Fabrikaten gerüstet. Die kleine Offenburger Firma hatte bald alle für den Fahrzeugbau notwendigen Abteilungen im eigenen Haus, neben dem Karosseriebau auch eine Wagnerei, Polsterei und Lackiererei. Da scheint es naheligened, dass Gedanken an den Bau eines eigenen PKW laut wurden.

Die Marke Certus entsteht Ende der 20er

1927 schlug dann die Geburtsstunde des Certus. Allerdings wurde der Certus noch nicht am Fließband, sondern von Mechanikern in akkurater Handarbeit gebaut. Nur die Karossen wurden selbst gebaut, andere Bauteile von Zulieferern bezogen. Die Motoren kamen von der Firma Scap in Courbevoie bei Paris, und Bosch lieferte die Elektrik. Laut Dokumenten aus dem Deutschen Automobilarchiv wurde das Auto als 32-PS-Vierzylinder sowie als Achtzylinder mit 45 und 55 PS angeboten. Die Werbung soll sogar Kompressormotoren mit 60 und 80 PS versprochen haben.

Es entstanden Zwei- und Viersitzer, auf Wunsch auch Sonderkarossen, handwerklich in der eigenen Schreinerei gefertigt und mit Blech überzogen. Daher verließen – trotz offenbar großer Nachfrage – weniger als 50 Exemplare des Certus das Werk bis 1929. Sogar in Ostpreußen und im Rheinland fand der Certus Abnehmer. Manche Kunden holten ihr Auto selbst ab und verbanden dies mit einem Besuch im Schwarzwald, sonst wurden die Wagen auf dem Offenburger Güterbahnhof verladen. Die Produktion endete abrupt mit dem Beginn der Wirtschaftskrise 1929, bis jetzt ist kein überlebendes Modell bekannt.

Certus-Fahrzeuge bei Automobilrennen

Alte Ausgaben der ADAC-Motorwelt belegen sogar, dass mit Certus-Automobilen Rennen gefahren wurden, tauchte ein solches doch 1927 bei einem Tourenwagenrennen in der Siegerliste auf dem fünften Platz auf. Ein Aufruf der Zeitschrift nach Lesererfahrungen mit dem Certus blieb jedoch unbeantwortet.

Franz Wroblewski eröffnete bereits im Januar 1929 mit seiner Frau Luise eine Fahrschule in Offenburg, dann in den 30er Jahren ein Fachgeschäft für LKW und PKW. Die Firma in der Schutterwadlerstraße gibt es bis heute, denn nach Franz‘ Tod führte seine Frau Luise das Geschäft ab 1949 weiter.

Die meisten Fotos in der Fotogalerie verdanken wir aufmerksamen Lesern des Offenburger Tageblattes. Der Vater von Werner Hogenmüller war mit Franz Wroblewski befreundet gewesen, der Vater von Manfred Gutmann hatte gar einen Certus besessen. Beide konnten Bilder aus dem Familienalbum beisteuern, die nicht nur die imposanten Autos zeigen, sondern auch den Stolz der Besitzer. Bemerkenswert, wie eng die Verbindung zwischen Hersteller und Kunde hier anscheinend war. Leider konnte sie nur von kurzer Dauer sein. Ob wohl irgendwo noch ein Certus existiert?

Nach Recherchen von Bastian André, Offenburger Tageblatt. Fotos: Manfred Gutmann, Werner Hogenmüller, Wroblewski