Original-Test Opel Kadett
Der Keine-Experimente-Prinzipien-Wagen
Erste Fahrt im günstigen, jedoch kleinen und wenig repräsentativen Kadett. Den Original-Test verfasste Reinhard Seiffert. Den Original-Test verfasste im Jahr 1969 Reinhard Seiffert.
16.11.2023 Marcel SommerNeue Automodelle können nicht aus dem Ärmel geschüttelt werden. Zwar kann ein Team guter Konstrukteure in kurzer Zeit eine baureife Konstruktion aufs Reißbrett bringen, aber damit ist es nicht getan, denn das größere Problem ist die Produktion und ihre Vorbereitung. Wenn alle Minute, alle halbe Minute oder noch schneller ein neuer Wagen vom Band rollen soll, dann bedingt das eine Vorbereitungsarbeit, an der die Konstruktion des Wagens das wenigste ist. Es muss ein riesiger Mechanismus auf die Beine gestellt werden, der bei der Planung der Werkzeuge für Zulieferanten anfängt und bei der Anlage des Endmontagebandes aufhört.
Wenn das neue Modell dann erscheint, ist es mindestens ungefähr zwei Jahre alt: so lange muss man vom Erscheinungstag zurückrechnen, um den Zeitpunkt zu finden, an dem der neue Wagen sein endgültiges Gesicht haben musste. Im stark konkurrenzabhängigen modernen Automobilbau sind diese zwei Jahre ein großer Unsicherheitsfaktor: Man kann trotz allen Marktforschungen und Vergleichsüberlegungen nicht sagen, in welche Marktsituation der neue Wagen am Tage X hineingeraten wird. Der Opel Kadett ist ein klassischer Fall für Überlegungen dieser Art; er könnte aus einem Lehrbuch für Eleven der Automobilwirtschaft stammen. Denn der Kadett ist nicht nur ein neues Modell, mit dem ein neuer Käuferkreis angesprochen werden soll, er kommt nicht nur in eine äußerst interessante Wettbewerbslage hinein, er ist nicht nur völlig neu konstruiert, sondern er ist auch noch das Produkt einer vollständig neugebauten Fabrik. Wo er vom Band rollt, war noch vor zwei Jahren nichts als ein ödes Vorstadtgelände, unterhöhlt von Kohlenbergwerken.
Das ist viel auf einmal, zumal es ja nicht in einem Entwicklungslande geschieht, das fieberhaft darauf wartet, seine ersten selbstgebauten Autos zu sehen, sondern in einem führenden Automobilland mit großer Kapazität und einem verwöhnten Käuferpublikum. Aber hinter dem Hersteller des Kadett steht die größte Automobilfirma der Welt, die General Motors Corporation, und deren kaum überbietbaren Erfahrungen in der Massenproduktion von Autos bürgen dafür, dass nichts versäumt wurde, um diesem Modellfall alles an Erkenntnissen angedeihen zu lassen, was bisher bekannt ist. GM hätte wohl kaum eine gute Milliarde Mark in das neue Werk der Adam Opel AG hineingesteckt, wenn der Erfolg nicht nahezu sicher wäre. Er ist nahezu sicher, weil die Automobilkonjunktur in Deutschland und Mitteleuropa recht gesund ist; zumindest so gesund, dass eine Produktion zwischen fünfhundert und tausend Einliterwagen pro Tag (das dürfte ungefähr der Bereich sein, innerhalb dessen das Bochumer Werk rentabel arbeitet) gut unterzubringen ist. Dies sind die beruhigenden Grundlagen, auf denen man bauen konnte. Trotzdem ist ein gewisser Rest an Risiko vorhanden, denn man muss ja nicht nur verkaufen, sondern man muss gut verkaufen. Es kommt für Opel auf jeden Kadett an, der statt eines Volkswagens, statt eines Ford 12M oder eines anderen Konkurrenzfahrzeuges in die Hände des erwartungsvollen Käufers wandert.
Auf den ersten Blick scheint der Kadett dieser Notwendigkeit erstaunlich wenig gerecht zu werden. Er tritt nicht mit der großen Geste des starken Mannes auf, sondern klein, höflich und bescheiden. Stellt man ihn neben den Volkswagen, dann ist sehr die Frage, welches von beiden Autos repräsentativer wirkt, und stellt man ihn neben den neuen 12M, dann sieht der Opel wie ein Kleinwagen aus, der nicht wesentlich teurere Ford dagegen wie ein Mittelklassewagen.
Dieses Understatement ist eigentlich die größte Überraschung am Kadett. Amerikanische und amerikanisch beeinflusste Autofabriken wissen den Wert der äußeren Repräsentation sehr zu schätzen. Was veranlasste Opel zu solch spartanischer Bescheidenheit im Umgang mit den Mitteln äußerer Wirkung?
Wir glauben es zu wissen: der Preis. Im Konkurrenzkampf der Zukunft wird der Preis mitentscheidend sein, denn Europa sieht keinen überaus reichen Zeiten entgegen. Man hat sich also vermutlich als wichtigstes Gebot vorgenommen, dass der neue Wagen zu einem niedrigen Preis hergestellt und verkauft werden kann. Das ist gelungen, der Kadett-Preis liegt dicht am VW-Preis und wahrt einen deutlichen Abstand zum Preis des 12 M. Und Opel hat den Kadett-Preis vermutlich so kalkuliert, dass er für lange Zeit gehalten werden kann. Der 12 M-Preis dagegen tendiert eher nach oben (Mehrpreis für Sonderausstattung und eventuell stärkeren Motor).
Dafür muss man es hinnehmen, dass der Kadett ein kleineres , weniger repräsentatives Auto ist. Auch die Opel-Verkäufer müssen hinnehmen, denn sie würden bestimmt lieber ein Auto verkaufen, das so breit und groß aussieht wie der 12M. Aber Wunder können im Autobau nicht vollbracht werden, am allerwenigsten denken Firmen wie Opel und Ford an Wundertaten, denn sie wollen verdienen, und zwar auch da es nn noch, wenn die Kapazität nicht voll ausgenutzt ist. Opel hat auf den günstigen Verkaufspreis gesetzt, Ford auf das repräsentative Aussehen, und beide haben damit gute Argumente.
Um das zweifellos vorhandene psychologische Handicap zu überwinden, wartet Opel mit Zahlen auf, durch die sich Hinweise auf das "zu klein" dämpfen lassen: günstige Sitz- und Kofferraummaße. Freilich wird dabei nicht über die Innenbreite gesprochen, in der der Kadett dem Ford und – bezüglich der Rücksitze – auch dem Volkswagen unterlegen ist. Und der Kadett ist nur als Viersitzer zugelassen, 12M und Volkswagen dagegen als Fünfsitzer. Dass der Kadett seinem ganzen Charakter nach ein wirklicher Kleinwagen ist, lässt sich nicht verleugnen. Hätte man vor zwei oder mehr Jahren kurz vor dem Zeitpunkt, an dem es kein Zurück mehr gab, die heutige Situation – den neuen 12M, aber auch den Renault R 8 und den Morris 1100 – gekannt, dann hätte man vielleicht einen etwas anderen Weg eingeschlagen. Aber einen völlig anderen Weg hätte man nicht einschlagen können.
Prinzip: Konservativ
Denn Opel ist eine konservative Automobilfabrik, finanziell vom Detroiter Mutterkonzern abhängig, aber keineswegs ohne traditionelle Bindung an den europäischen Automobilbau. Aus der Mittelstellung zwischen Alter und Neuer Welt erklärt sich vielleicht die Tatsache, dass man bei Opel zwar produktionstechnisch äußerst fortschrittlich und modern, in der Konstruktion dagegen nicht gerade neuerungsfreudig ist. Unvorstellbar, dass ein Morris 1100 oder auch nur ein Renault R 8 bei Opel entstanden sein könnte! Am Rad des automobiltechnischen Fortschritts dreht man bei Opel nur höchst vorsichtig mit, aber man ist dafür auch außerordentlich seriös und überlegt sich jede Neuerung hundertmal, die sich andere nur fünfzigmal überlegen.
Dies Wort von der Seriosität trifft auch auf die Stabilität der Karosserie zu, die in der Zeit zwischen offizieller Vorstellung des Kadett (20. August) und Produktionsbeginn (10. Oktober) Gegenstand von mancherlei Gerüchten war. Der Kadett ist kein Auto, das sich unter voller Belastung so verwindet, dass die Türen nicht mehr schließen, sondern er ist ebenso wie alle selbsttragend konstruierten Wagen dieser Klasse so leicht wie möglich, aber statisch völlig korrekt gebaut. Wir haben ihn nicht nur mit dem zulässigen Gesamtgewicht von 1.025 kg, sondern noch mit etwa 60 kg mehr belastet, ohne dass Verwindungserscheinungen auftraten. Die Türen schlossen bei dieser Oberbelastung leicht und exakt wie immer, auch wenn der Wagen auf Verwindung beansprucht wurde (ein Rad auf hohem Kantenstein). Beim absichtlich rücksichtslosen Fahren auf schlechten Straßen zeigte sich ebenfalls nichts Nachteiliges.
Das Gewicht unseres Testwagens in vollgetanktem Zustand lag allerdings mit 694 kg um 24 kg über dem vom Werk angegebenen DIN-Leergewicht von 670 kg. In diesem Gewicht ist die vom Werk beigefügte Zusatzausstattung (Verbandkasten, Reservekanister) nicht enthalten, sondern lediglich das nicht sehr gewichtige Transistor-Radio. Die beim Testwagen mögliche Zuladung betrug also nur 331 kg, was nach der den DIN-Normen nicht entsprechenden AUTO,MOTOR und SPORT Formel (pro Person 75 kg + 10 kg Gepäck) nur eine Personen-Indexzahl von 3,9 ergibt. Mehr als ein Viersitzer ist der Kadett also vom Gewicht her nicht.
Vom Raum her ebenfalls nicht. Die Innenbreite reicht für zwei Personen vorn und hinten völlig aus, für drei Personen dagegen nicht. Gut ist die Sitzbequemlichkeit vorn und hinten, gut ist auch die Kniefreiheit auf den hinteren Sitzen, die in der Kadett-Werbung sehr hervorgehoben wird. Dass man vorn Einzelsitze einbaute, ist logisch und vernünftig, es brachte die Annehmlichkeiten einer handlichen Hebelhandbremse zwischen den Sitzen und eines sehr bequemen Einstiegs nach hinten mit sich, denn die Sitze werden als Ganzes nach vorn umgelegt. Ihr Sperrmechanismus (den der Kadett dem 12M voraus hat) ist einfach und solide; er lässt sich von den Rücksitzen aus mit dem Fuß betätigen, und mit einigem Geschick kann man mit einer Hand gleichzeitig die Arretierung lösen und den Sitz hochklappen. Ein Nachteil: es ist unmöglich, vom Fahrersitz aus den Beifahrersitz hochzuklappen. Daran muss man sich als Kadett-Besitzer gewöhnen. Im übrigen haben bei der Ausstattung des Kadett wenig Phantasie und Einfallsreichtum gewaltet. Dieser kleine wendige Wagen könnte ein ideales Stadtfahrzeug sein, aber es gibt außer dem kleinen Handschuhkasten (und natürlich dem großen, glattflächigen Kofferraum) nicht die geringste Ablagemöglichkeit. Es gibt auch keine Haltemöglichkeit für den Beifahrer, sondern dieser muss davor gewarnt werden, sich am Türinnengriff festzuhalten. Manches andere ist ohne rechte Liebe und Überlegung gemacht: das Band-Tachometer ist durch seine Riffelung, die elegant wirken soll, sehr unübersichtlich, der Aschenbecher ist so angebracht, dass man, wenn er geöffnet ist, an ihm beim Schalten die Knöchel poliert, die Kippschalter sind zu klein und unhandlich (nach dem Scheibenwischerschalter mussten wir immer wieder suchen),das weiße Lenkrad spiegelt sich stark in der Windschutzscheibe, der Hupenknopf in Lenkradmitte liegt aus der Welt, die Fußabblendung halten wir für antiquiert. Antiquiert ist schließlich auch die Betriebsanleitung, deren fahrtechnische Ratschläge offenbar von "Königs Kraftfahrlehre" aus dem Jahr 1925 inspiriert wurden ("Bergab ist mit dem gleichen Gang und der gleichen Geschwindigkeit zu fahren wie bergauf… Ein guter Fahrer reguliert die Fahrgeschwindigkeit möglichst ohne Benutzung der Bremsen ...").
Die Sitzposition wäre in jeder Hinsicht gut, wenn man nicht den verbreiteten Fehler gemacht hätte, das Lenkrad zu dicht an den Fahrer heranzusetzen, so dass dieser selbst bei ganz zurückverstelltem Sitz keine volle Bewegungsfreiheit hat. Wir würden dafür plädieren, die Lenksäule einfach um einige Zentimeter zu verkürzen, wodurch die Handlichkeit des Kadett erst voll zur Geltung käme. (Ein entsprechendes Experiment aus einer anderen Automobilfabrik ist uns bekannt: alle Versuchsfahrer waren zunächst dagegen, aber nachdem sie vier Wochen mit der neuen Anordnung gefahren waren, lehnten sie die alte völlig ab.)
Viel besser gelungen ist dagegen (von der Kollision mit dem Aschenbecher abgesehen) die Anbringung des Schalthebels. Die Hand fällt nahezu automatisch vom Lenkrad auf den Schalthebel, das Schalten geht sehr leicht und exakt- bis auf den Rückwärtsgang, der beim Testwagen schwer hineinzubekommen war. Auch an den Pedalen fanden wir nichts auszusetzen, der Fußdruck für Kupplung und Gaspedal ist gering, für die Bremse hält er sich in normalen Grenzen.
Lobenswert ist die gut funktionierende Scheibenwaschanlage; gefallen hat uns auch das einfache Schlüsselsystem mit einem einzigen sogenannten "Zentralschlüssel". Zum Fahren benötigt man den Schlüssel nicht, Zünd- und Anlassstellung können auch mit einer Münze oder mit der Hand betätigt werden, lediglich in Lenkrad-Sperrstellung ist das Zünd-Lenkschloss ohne Schlüssel unbenutzbar. Der Sinn dieser Einrichtung: man kann den Wagen mit abgeschlossenem Kofferraum zum Waschen oder zur Reparatur geben und den Schlüssel bei sich behalten. Ihr Nachteil: jeder kann ohne Schlüssel mit jedem Kadett losfahren, bei dem nicht Lenkung und Türen verschlossen sind.
Die Heizung des Kadett gehört zweifellos zu seinen Vorzügen, denn sie ist sehr wirksam und lässt sich gut regulieren. Schon nach etwa 3 km normaler Fahrt wurde der Wagen warm – auch wenn er vorher in Frostnächten draußen gestanden hatte. Reguliert werden kann sowohl die Temperatur als auch die Luftmenge, außerdem kann die Heizungsluft wie üblich zwischen Fußraum und Windschutzscheibe beliebig verteilt werden. Die Entfrostung der Windschutzscheibe geschieht schnell und auf einer erfreulich großen Fläche. Das Heizgebläse ist zweistufig und arbeitet in der normalerweise ausreichenden ersten Stufe so leise, dass man es während der Fahrt nicht hört. Neuartig ist, dass die Luft im Fußraum oberhalb des Mitteltunnels in genau seitlicher Richtung gelenkt wird und dadurch (beim Fahrer) den linken Fuß weit mehr erwärmt als den rechten (beim Beifahrer umgekehrt). Der Sinn dieser Maßnahme bleibt dunkel.
Mit Zentral-Gelenk
Die einfache und konservative Ausstattung des Kadett ist in Details noch verbesserungswürdig, aber im Ganzen ist sie so vernünftig, dass jeder mit diesem Wagen sofort zurechtkommen kann. Wir pflegen Betriebsanleitungen grundsätzlich erst nach einigen Tagen zu lesen, und es ist immer ein gutes Zeichen, wenn man auch ohne Betriebsanleitung alles versteht. Das war beim Kadett der Fall; er ist im Umgang denkbar unkompliziert. Man fühlt sich in ihm auch von Anfang an wohl, weil er handlich und übersichtlich ist (man kann sogar vom Fahrersitz aus alle vier Ecken des Wagens sehen). Es scheint auch alles stabil und dauerhaft zu sein; die Verarbeitungsqualität war zwar nicht an allen Stellen einwandfrei, aber grundsätzlich machte der Wagen einen soliden Eindruck und war völlig frei von Karosseriegeräuschen. Lediglich ein rhythmisches Schleifgeräusch trat auf, dos wir nicht genau definieren konnten; es war von der Raddrehzahl abhängig und kam vermutlich aus dem Tachoantrieb.
Beim Fahren zeigt sich noch deutlicher, dass der Kadett ein vernünftiges und einfaches Auto ist. Er gehört zu den Wagen, bei denen man den ersten Eindruck später kaum noch zu korrigieren braucht, denn er gibt dem Fahrer und auch dem Tester keinerlei Rätsel auf. Er ist nicht der fortschrittlichste der neuen Einliterwagen, die wir in den letzten Monaten gefahren haben, aber er ist der am wenigsten problematische.
Das dürfte in der Absicht seiner Schöpfer gelegen haben, denen es offenbar darum ging, guten Gebrauchswert mit produktionstechnischer Einfachheit zu verbinden. Aus dieser Perspektive wird man auch das einzige Detail sehen müssen, in dem sich der Kadett wesentlich von der bei Opel bisher praktizierten Standardbauweise unterscheidet: das "Zentralgelenk", das gleichzeitig als weit zurückverlegter dritter Punkt der Motoraufhängung, als (einziges) Kardangelenk und als Aufhängungspunkt der starren Hinterachse dient. Diese Konstruktion ist im Prinzip schon von früher bekannt, wurde aber kaum angewendet, weil sie für die Aufhängung und Federung der Hinterachse keine wesentlich besseren Voraussetzungen bietet als die übliche Lösung mit an Blattfedern aufgehängter Starrachse und durchgehender, beim Einfedern mitschwingender Kardanwelle.
Der Effekt, der mit der Kadett-Lösung erreicht wird, ist ähnlich dem einer Kardanwelle mit Zwischenlagerung, wie sie zum Beispiel von Fiat gebaut wird. Die durch ein Zwischenlager geteilte Kardanwelle besteht aus zwei verhältnismäßig kurzen Teilen, die weniger zu Vibrationen neigen als eine durchgehende lange Kardanwelle, außerdem schwingt nur der hintere Teil einer solchen Welle beim Einfedern mit. Eine geteilte Kardanwelle ist aber teurer und schwerer als eine einfache, und dem ging man beim Kadett durch den Kunstgriff aus dem Wege, das Zwischenlager gleichzeitig als dritten Punkt der Motoraufhängung zu verwenden. Man spart damit nicht nur den Lagerbock für die sonst übliche Aufhängung am hinteren Teil des Motorgetriebeblocks, sondern auch das vordere Kardangelenk: die Kardanwelle läuft in einem "Stützrohr", das starr mit dem Motor-Getriebe-Block verbunden und am Zentralgelenk hinter der Wagenmitte angelenkt ist.
Im Prinzip ist das eine Vereinfachung wie auch die Kombination von Motorblock und Vorderradaufhängung beim Ford 12 M, aber im Gegensatz zu dieser verstärkt sie nicht die Übertragung von Motorvibrationen auf Fahrwerk und Karosserie, sondern verringert sie. Das beweist schon der erste Eindruck, den man beim Fahren mit dem Kadett hat: der außerordentlich ruhige, beinahe unhörbare Leerlauf des Motors. Aber auch beim Fahren bewährt sich die Sache hervorragend; in keinem Geschwindigkeitsbereich treten störende Vibrationen auf, und beim schnellen Autobahnfahren, selbst im Bereich über der normalen Höchstgeschwindigkeit, der durch Kardanwellenvibrationen bei vielen Wagen kritisch ist, läuft der Motor mit der Ruhe eines Elektromotors. Das ist ausschließlich Verdienst der Aufhängung, der Motor selbst ist nicht vibrationsfreier als jeder andere; er bewies uns das dadurch, dass sich nach längerer Autobahnfahrt der Vergaser in seine Bestandteile auflöste – vielleicht, weil die Schrauben nicht richtig angezogen waren, vielleicht aber auch, weil der ziemlich große Luftfilter ohne weitere Abstützung nur auf dem Vergaser festgeschraubt ist und während der Fahrt ins Schwingen kommt. Die Phonzahlen des Motors, die wir gemessen haben, sind etwas, aber nicht wesentlich niedriger als beim 12 M, obwohl der Eindruck beim Fahren ein völlig anderer ist: die effektive Lautstärke ist kein Alleinmaßstab, die Übertragung von Vibrationen spielt für den Fahrkomfort eine mindestens ebenso große Rolle.
Weniger auffällig ist der zweite Effekt der Zentralgelenkkonstruktion: die exaktere Führung der Hinterachse. Die hintere Starrachse ist T-förmig ausgebildet und schwingt mit ihrem nach vorn zeigenden Teil um das Zentralgelenk. Dadurch ist die Achse so geführt, dass sie keinerlei unerwünschte Eigenbewegungen ausführen kann, wie es bei der normalen, lediglich an den Blattfedern aufgehängten Achse Vorkommen kann, weil die Federn ja nicht völlig starr sind. Nachteil der Lösung ist aber, dass die "ungefederten Massen" eher größer als geringer sind, weil ja nicht nur der hintere Teil der Kardanwelle, sondern auch noch das stützende Rohr mit auf- und abschwingt. Wenn man vermeiden will, dass die Achse ins Trampeln kommt, muss man also die Federung verhältnismäßig hart machen, und das hat man beim Kadett auch getan. Hier liegt ein unbestreitbarer Nachteil der Kadett-Konstruktion sowohl gegenüber den hinteren Einzelradaufhängungen der Heckmotorkonkurrenten als auch gegenüber der leichten starren Hinterachse des Frontantriebs-12M.
Federung und Fahrverhalten: Sportlich
Die Kadett-Hinterachse sorgt also für einwandfreie Fahreigenschaften, tut aber wenig für den Fahrkomfort. Man muss anerkennen, dass die Federung trotzdem nicht unangenehm hart ist und sehr gut gedämpft wurde. Sie verarbeitet Bodenwellen einwandfrei und ruft keine lästigen Nickschwingungen hervor, aber sie kann keine Wunder vollbringen: auf schlechten Straßen merkt man – besonders auf den Rücksitzen -, dass man nicht in einem Straßenkreuzer fährt.
Der durchaus noch akzeptable Gesamtcharakter der Federung ist sicherlich ein Mitverdienst der Vorderachse, die sehr sorgfältig konstruiert wurde: die Räder sind durch doppelte Querlenker exakt geführt, die Federung erfolgt durch eine "schwimmend” befestigte Weitspalt-Halbfeder. Weitspalt bedeutet, dass die drei Federblätter nicht aufeinander liegen, sondern durch Gummiblöcke auf Abstand gehalten werden. Das Ganze bürgt für eine reibungsarme, leicht ansprechende Vorderradfederung.
Die vordere Querfeder dient durch ihre schwimmende Aufhängung gleichzeitig als Querstabilisator, und sie sorgt zusammen mit der straffen Gesamtfederung dafür, dass der Kadett sportliche Fahreigenschaften hat: er neigt sich in Kurven kaum und kann auf schlechten und guten Straßen flott und sicher gefahren werden. Ganz selten kommt es vor, dass die Hinterachse einen leichten Hüpfer macht, aber das ist weder in Kurven noch auf der Geraden bedenklich und erfordert keinerlei Reaktion vom Fahrer; der Wagen nimmt es gutmütig hin.
Gutmütig ist auch sein sonstiges Fahrverhalten. Er verhält sich normalerweise auch bei schnellem Kurvenfahren leicht untersteuernd und bedarf also keiner Lenkrad-Korrekturen. Im Grenzbereich – wir haben das auch auf nassem Pflaster und auf Glatteis ausprobiert rutscht er zunächst leicht über die Vorderräder weg, geht dann aber in ein gut kontrollierbares übersteuern über. Der Übergang vollzieht sich nicht plötzlich, sondern weich und undramatisch. Diese Art des Fahrverhaltens im Grenzbereich ist zweifellos dem extremen Unter- oder übersteuern vorzuziehen. Die Fahreigenschaften des Kadett sind nicht sensationell, aber sie sind zuverlässig und sauber. Er ist sicherlich auch ein gutes Winterauto; wieweit sich die kleinen Räder beim Anfahren auf glattem Untergrund nachteilig bemerkbar machen, konnten wir allerdings nicht ausprobieren. Auf dem ersten Novemberglatteis verhielt sich der Kadett jedenfalls tadellos. Die auf dem Testwagen montierten Continental-Rundschulterreifen bewährten sich auf Eis, nasser und trockener Straße gut.
Eine Eigenschaft hat der Kadett allerdings, mit der man sich vertraut machen muss: er ist ein wenig "kurvengierig", reagiert also sehr willig auf Lenkradbewegungen. Man muss ihn mit lockerer Hand fahren und darf ihn in Kurven nicht "überziehen" – es passiert zwar weiter nichts Gefährliches, wenn man das tut, aber man muss dann korrigieren. Auch beim Wedeltest zeigte sich diese Eigenschaft: der Kadett lässt sich beim mehrfachen Verreißen der Lenkung gut beherrschen, wenn man sparsam mit Lenkradbewegungen ist. Andernfalls zeigen sich Schwenkbewegungen um die Hochachse, die man vorsichtig ausmanövrieren muss. Es ist dabei erfreulicherweise völlig unproblematisch, das Gas wegzunehmen; dadurch wird der Wagen sogar stabilisiert.
Vielleicht gelingt es, diese Eigenschaft des Kadett (die bei Wagen dieser Größenordnung übrigens keineswegs selten ist) noch zu mildern, ohne seiner Handlichkeit damit Abbruch zu tun. Das wäre nämlich schade, denn der Kadett lässt sich nicht nur leicht, sondern auch sehr exakt lenken. Seine Zahnstangenlenkung ist uns recht sympathisch, zwar ist sie nicht völlig stoßfrei, aber auch auf schlechter Straße strengt sie nicht an, wenn man das Lenkrad locker anfasst. Sie sorgt auch dafür, dass Windböen, die den Kadett nicht immer unbeeindruckt lassen, sicher ausmanövriert werden können.
Die Betriebsanleitung gibt sich alle Mühe, um von der Benutzung der Bremsen abzuraten. Wir halten das objektiv für unrichtig, denn eine zu wenig benutzte Bremse arbeitet im Ernstfall zumeist unzuverlässig, weil die Beläge kein "Tragbild" haben. Natürlich muss man die Fahranfänger, mit denen man es beim Kadett oft zu tun haben wird, darauf hinweisen, dass man Alpenpässe mit vollbeladenem Wagen nicht im großen Gang herunterfahren soll, aber der Hinweis "im gleichen Gang bergab wie bergauf" ist ebenso überholt wie unklar, denn woher soll man wissen, in welchem Gang man ein bestimmtes Gefälle bergauf fahren würde? Eine andere Empfehlung besagt, dass man nicht "schlagartig bremsen" soll – normalerweise ist das richtig, aber manchmal muss man es eben tun. Und wenn dann die nie benutzten Bremsen schief ziehen und der Fahrer weiß es nicht einmal, dann ist das Ergebnis eine Katastrophe. Darum würden wir zumindest noch den zusätzlichen Hinweis vorschlagen, dass man sich gelegentlich auf trockener und verkehrsfreier Straße durch mehrfaches Bremsen mit zunehmender Stärke vom Zustand seiner Bremsen überzeugen soll.
Solches hätte beim Testwagen freilich zu sofortiger Reklamation geführt, denn eine Vorderradbremse blockierte, so dass der Wagen beim Bremsen erheblich aus der Spur kam. Wir haben auch reklamiert, und eine Opelwerkstatt beseitigte den Mangel in kurzer Zeit. Danach arbeiteten die Bremsen völlig einwandfrei – ein bisschen Aufmerksamkeit auf ihren Zustand ist also kein Fehler...
Wir möchten nicht annehmen, dass die Bremsenhinweise der Betriebsanleitung Ausdruck eines schlechten Gewissens sind, denn man brachte uns gegenüber bei Opel schon mehrfach die Überzeugung zum Ausdruck, dass Trommelbremsen für Wagen dieser Art die zur Zeit beste Lösung seien. Die Bremsen unseres Testwagens sprachen, nachdem sie in Ordnung gebracht worden waren, nicht unbedingt gegen diese Überzeugung. Sie arbeiteten gleichmäßig und reichten für normale Beanspruchung aus. Ganz ohne Zweifel stellte sich bei ihnen aber auf Abwärtsserpentinen schneller Ermüdung (Nachlassen der Wirkung und Verlängerung des Pedalwegs) ein als beispielsweise bei den Vierrad-Scheibenbremsen des Renault R 8. 480 cm2 Bremsfläche für gut eine Tonne zulässiges Gesamtgewicht sind auch nicht gerade viel. Ohne zu der Frage, ob Trommelbremsen oder Scheibenbremsen vorzuziehen sind, damit Stellung nehmen zu wollen: den Kadettbremsen können wir nur die Note "ausreichend" geben.
Ein munteres Auto
Nach dem, was wir über die Fahreigenschaften des Kadett sagten, wird der Leser schon den Eindruck haben, dass es sich um ein recht munteres kleines Auto handelt. Tatsächlich ist der Kadett in seinem Charakter weniger mit seinen größeren Brüdern Rekord und Kapitän verwandt als mit sportlichen kleinen Autos wie den Fiat 600 und 1100 oder den entsprechenden Modellen von Renault und Simca. Ein "Opel" im Sinne eines gutbürgerlichen Autos für Normal-Automobilisten ist er tatsächlich nicht, sondern er ist ein Fahrzeug, in dem man echten Spaß am Fahren hat.
Dafür sorgen auch seine Fahrleistungen. 40 PS und 40 PS sind nicht dasselbe, wenn ein Gewichtsunterschied von mehr als 150 kg vorhanden ist – das beweist deutlich der Vergleich zwischen 12 M und Kadett. Es war gar nicht nötig, mit den bisher auf den Straßen vorhandenen 12 M, deren Besitzer zumeist noch einen gewissen Ehrgeiz zeigen, Privatrennen auszutragen, denn im Bereich unter 100 km/h hat ein 12 M gegen einen Kadett überhaupt keine Chance. Ober 100 km/h macht der 12 M mit seiner offenbar sehr strömungsgünstigen Form Boden gut; seine Höchstgeschwindigkeit liegt (sowohl nach unseren Messungen wie nach den Werksangaben) um 5 km/h höher, seine Beschleunigung dagegen ist spürbar schlechter als die des Kadett. Es ist unserer Meinung nach berechtigt, solche Vergleiche anzustellen- nicht der Rennen wegen, sondern einfach deshalb, weil jedes Plus an Beschleunigung bei Wagen dieser Größenordnung ein Plus an Fahrsicherheit bedeutet.
Unser Kadett-Testwagen war kein besonders schnelles Exemplar, er erreichte ziemlich genau die Werksangaben, die von im Ausland gemessenen Wagen dieses Typs erheblich übertroffen wurden. Aber sein Temperament war (mit 3.000 km auf dem Zähler) bereits so erfreulich, dass wir uns stets wohlgefühlt haben und niemals – weder beim Oberholen noch an Steigungen, auch mit vollbesetztem Wagen – einen Mangel an Leistung empfanden. Dabei spielt auch die Drehfreudigkeit des Motors eine Rolle: man kann den III. Gang bis über 100 km/h ausfahren, ohne dabei das Gefühl zu haben , dass der Motor sich anstrengt.
Der Motor ist überhaupt ein erfreuliches Exemplar seiner Gattung, weil er in fast allen Bereichen gleichmäßig ruhig und durchzugskräftig läuft. Für Schalten ist er trotzdem dankbar, im untersten Bereich arbeitet er wie alle Kurzhuber nicht mehr überaus elastisch; im IV. Gang kann man unter 50 km/h nicht viel Beschleunigung verlangen. Andererseits schaden ihm hohe Drehzahlen bestimmt nicht, selbst bei der Katalog-Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h liegt die Kolbengeschwindigkeit erst bei 9,5 m/s. Die Drehzahl beträgt bei 120 km/h 4.700 U/min, der Kadett-Motor erreicht also seine Nenndrehzahl von 5.000 U/min normalerweise nur in den Gängen oder bei SchneiIfahrten auf Gefällen und mit Rückenwind. Auf jeden Fall kann man den Kadett unbedenklich auf langen Strecken mit Vollgas fahren, und das Hochdrehen in den Gängen bis weit über 5.000 U/min hinaus nimmt der Motor völlig ungerührt zur Kenntnis, er wird nicht einmal lauter.
Zum Anspringen benötigte der Motor bei kaltem Wetter den Startzug und ließ sich manchmal etwas Zeit. Er lief dann aber sofort gleichmäßig rund und war auch nicht empfindlich auf die Einstellung des Startzuges, den man sehr bald nach dem Losfahren voll einschieben konnte. Wir fuhren den Kadett mit Normalbenzin und konnten nur bei starker Beanspruchung ein gelegentliches Beschleunigungsklingeln feststellen. Wer ihm etwas Gutes antun will, kann ihn mit "Verschnitt" fahren, aber notwendig ist das offenbar nicht.
Unsere Verbrauchswerte lagen zwischen 7 und 10 Liter/100 km; die 10 Liter-Grenze wurde nur bei Dauer-Vollgasfahrt erreicht oder überschritten. Erfreulich unempfindlich war der Kadett dagegen auf Fahren mit häufig wechselnder Geschwindigkeit- die Stadt- und Kurzstreckenverbrauchswerte blieben im Bereich um die 8 Liter. Hier macht sich das geringe Gewicht des Wagens positiv bemerkbar, denn die Vergasereinstellung wurde offensichtlich nicht auf niedrigen Verbrauch "gequält", sondern ist durchaus auf runden Lauf und gute Beschleunigung ausgelegt, ölnachfüllen war auf unserer 1.500 km-Teststrecke nicht notwendig.