Original-Test: Bugatti EB 18/4 Veyron
Auferstanden mit 18 Zylindern
Bugatti, die legendäre Marke eines genialen Konstrukteurs, soll wieder leben. Den Auftakt könnte der Mittelmotor-Sportwagen Bugatti EB 18/4 Veyron bilden, der mit seiner 6,3 Liter großen und weit über 500 PS starken 18-Zylinder-Maschine einen einsamen technischen Höhenflug darstellt.
18.12.2022 Götz Leyrer, Marcel SommerDer Anlasser dreht nur kurz durch, mit jenem hochfrequenten Singen, das der Kenner als typisches Merkmal italienischer Vielzylindermaschinen kennt. Dann springt der mächtige Mittelmotor, der seine oberen Extremitäten ungeniert ins Freie reckt, spontan an und verfällt in einen stabilen Leerlauf. Eine bunte Mischung mechanischer Geräusche verkündet, dass sich im Triebwerk der Bugatti-Studie EB 18/4 Veyron ein ungewöhnlich reges Innenleben entfaltet. Drei in W-Form angeordnete Sechszylinderbänke ergeben die bisher bei einem Personenwagenmotor noch niemals erreichte Zylinderzahl 18. Sechs Nockenwellen öffnen eine Schwadron von 72 Ventilen.
Höchst komplizierter Maschinenbau also, der bei weiterer Entwicklung noch durch Schaltsaugrohre und Nockenwellenverstellung ergänzt werden soll. VW-Chef Ferdinand Piëch hat das Konzept anlässlich eines Dinners bei der Tokio Motor Show 1997 höchstpersönlich auf einer Papierserviette skizziert. Böse Zungen behaupten allerdings, die Serviette sei zusammengeknüllt worden, bevor sie zu den Motorenbauern gelangte. Denn der 18-Zylinder, der bei der Studie Veyron seine Kraft über ein knochiges Lamborghini-Fünfganggetriebe an alle vier Räder weitergibt, gehört nicht zu den leicht erziehbaren Kindern, obwohl er grundsätzlich auf einem Serienmotor aufbaut. Die Basis bildet der kleine Vierventil-Vierzylinder mit der Entwicklungsnummer EA 111 beziehungsweise die davon abgeleitete Dreizylinder-Version. Sechs solcher Einheiten ergeben den W18, bei dem die drei Zylinderreihen in einem Winkel von jeweils 60 Grad zueinanderstehen. Das quadratische Hub-Bohrungs-Verhältnis (76,5 × 76,5 Millimeter) entspricht dem EA 111, woraus sich ein Gesamthubraum von 6,3 Litern errechnet.
"Die Technik haben wir im Griff"
Der Teufel steckt im Detail: Im engen V der beiden rechten Zylinderreihen müssen der Auspufftrakt der mittleren sowie die Ansaugrohre der rechten Zylinderreihe untergebracht werden. Die beschränkten Platzverhältnisse sind nicht vorteilhaft für die Gestaltung der Atemwege. Problematisch erscheinen auch die aus der engen Nachbarschaft von Auspuff und Saugrohr resultierenden thermischen Verhältnisse.
Im Bugatti Veyron gibt es aus diesem Grund ein schön gelochtes Abschirmblech, aber das wird wohl nicht reichen. Die Motorenbauer denken bereits über ein separates Kühlgebläse für diesen neuralgischen Punkt nach "Die Technik", meint Ferdinand Piëch optimistisch, "haben wir im Griff." Er muss sich allerdings auch die Frage gefallen lassen, welche Vorzüge der W18 gegenüber dem klassischen 60-Grad-Zwölfzylinder bietet. Liegen die womöglich nur im emotionellen, aber nicht im technischen Bereich?
555 PS und 650 Newtonmeter
Beim 18-Zylinder, der auf dem Prüfstand mühelos die angestrebte Leistung von 555 PS bei 6.800 Umdrehungen erreichen soll und bei 4.000/min ein mächtiges Drehmoment von 650 Newtonmetern entwickelt, entspricht nämlich der Zündabstand zwischen den einzelnen Zylindern exakt einem V12. Auf zwei Zylinderbänken wird gleichzeitig gezündet, das Laufverhalten ist also einem Zwölfzylindermotor gleichwertig. Der W18, bei dem je drei Pleuel auf einem Kurbelwellenzapfen sitzen, läuft voll ausgeglichen, ohne die Laufkultur beeinträchtigende Massenmomente. Genau wie ein V12.
Noch nicht einmal die mögliche Zylinderabschaltung liefert überzeugende Argumente. Wird eine Zylinderbank stillgelegt, bleibt zwar immer noch ein V12 übrig. Beim Zwölfzylinder arbeitet lediglich ein Reihensechszylinder, der aber ebenfalls voll ausgeglichen ist. Mercedes hat bereits bewiesen, dass der abgeschaltete V12 keine Einbußen an Laufkultur erkennen lässt. Erbsenzählerei? Vielleicht. Einem 16-Zylinder hat Piëch schon bei Porsche das Laufen beigebracht. Da darf es ruhig noch etwas mehr sein, wenn es um die Auferstehung einer legendären Marke geht, deren Autos ein ebenso einzigartiger Nimbus umgibt wie ihren Schöpfer. Der Wunsch, mit dem Zauberer von Molsheim in einem Atemzug genannt zu werden, darf dem ehrgeizigen Piëch getrost unterstellt werden.
Kunstwerke von höchstem historischem Wert
Ettore Bugatti, 1881 in Mailand geboren, war ein begnadeter Ingenieur, obwohl ihn keine Schule darin ausbildete. Die Automobile, die der kleine Mann mit dem steifen Hut und den schalkhaften Augen schuf, gelten als Kunstwerke von höchstem historischem Wert. Die Revitalisierung der Marke, die nach dem Tod von Le Patron 1947 sang- und klanglos erlosch, ist schon einmal fehlgeschlagen. Das italienische Zwischenspiel brachte zwar mit dem EB 110 einen technisch herausragenden Sportwagen hervor, aber es scheiterte unter anderem daran, dass es nicht gelang, den Mythos Bugatti auch stilistisch zu visualisieren.
Die Männer um Piëch wissen um die Schwierigkeit dieser Aufgabe so gut wie der Chef selbst. Die erste Studie eines Mittelmotor-Bugatti (EB 18/3 Chiron), die Giorgio Giugiaro zeichnete, genügte den Ansprüchen nicht. Zu normal, zu ähnlich all den anderen Mittelmotor-Sportwagen dieser Welt. Der EB 18/4 Veyron entstand deshalb im VW-Design. "Wir haben uns, ich glaube mit Erfolg bemüht, etwas Eigenständiges zu schaffen", sagt dessen Chef Hartmut Warkuß. Stimmt. Der Veyron bezieht seine Wirkung nicht nur aus bugattispezifischen Zutaten wie dem hufeisenförmigen Kühlergrill und der in zwei unterschiedlichen Blautönen gehaltenen Lackierung.
1,2 Meter flache Studie
Er entfernt sich vom üblichen Mittelmotor-Stil durch die extrem kurzen Karosserie-Überhänge, aber auch durch die Kompaktheit seiner Dimensionen. Die Studie ist mit 4,38 Meter so lang wie ein VW Bora. Zwei Meter Breite und 1,2 Meter Höhe schaffen Proportionen, die eindrucksvoll zur Geltung kommen, wenn der Bugatti im Rückspiegel auftaucht.
Dennoch nimmt die Flunder auf praktische Bedürfnisse Rücksicht. Der Einstieg fällt leicht, die Sichtverhältnisse sind gut. Sogar ein Kofferraum, der mehr zu fassen vermag als Zahnbürste und Kreditkarte, konnte realisiert werden. Wird er gebaut? Noch ist das Spiel offen. VW-Chef Piëch macht kein Hehl daraus, dass ihm von allen gezeigten Bugatti-Studien der Veyron am liebsten ist. Aber sollte der Name Rolls-Royce 2003 an BMW gehen wird die Bugatti-Renaissance mit einer Luxuslimousine gefeiert.