Original-Test: Audi Quattro (1980)
Optisch bieder, beim Fahren ein wahres Wunder
Sportcoupé mit Allradantrieb und 200 PS Turbomotor. Den Fahrbericht für Heft 8/1980 verfasste der damalige auto motor und sport-Redakteur Gert Hack.
23.11.2023 Gert HackSchon meine erste Begegnung mit dem Quattro-Projekt war eine Überraschung. Denn was die Audi-Techniker um Entwicklungschef Ferdinand Piëch in Form eines eher bieder dreinschauenden Audi 80 auf der verschneiten Turracher Höhe im Januar 1979 präsentierten, entpuppte sich beim Fahren als wahres Wunder. "Geben Sie ruhig Stoff", ermunterte mich Walter Treser, Projektleiter und Mitfahrer im Prototyp A 1. Die klare Aufforderung, das Gaspedal weiter durchzutreten, war berechtigt. Selbst im Schnee verkraftete der allradgetriebene Audi die volle Leistung des Turbomotors, ohne die Richtung zu verlieren oder gar hilflos auf der Stelle zu wühlen.
Nach ausgedehnten Testfahrten erwartete mich die Audi-Crew mit gespannten Gesichtern. Ob es denn nichts auszusetzen gäbe, am Fahrverhalten und so? "Nein", musste ich gestehen, allerdings mit der Einschränkung, nur auf schneeglatter Fahrbahn mit Steigungen und Gefällen bis zu 23 Prozent gefahren zu sein. Die seinerzeit noch latent vorhandene Befürchtung, das Allradkonzept könnte in einem so sportlich ausgelegten Auto irgendwo einen Pferdefuß zeigen, erwies sich bis heute als unbegründet.
Warum es klappt? Wir wissen es nicht
Gründe für derlei Befürchtungen gab es jedoch genügend. Bisher scheiterten nämlich alle Versuche, das theoretisch vorteilhafte Antriebskonzept bei schnellen Straßenautos in die Praxis umzusetzen. Der 1965 gestartete Jensen-FF (Formula Ferguson) war ein Flop, da der Allradantrieb mehr Probleme als Vorteile — besonders auch im Handling — mit sich brachte. Und kein Geringerer als Colin Chapman, Konstrukteur der erfolgreichen Lotus-Rennwagen, versuchte 1970, mit vier angetriebenen Rädern auf der Rennpiste zu siegen. Auch dieser Versuch scheiterte.
"Wenn mir alle Negativ-Beispiele bekannt gewesen wären, hätte ich das Projekt nie so unbelastet in Angriff genommen", gesteht denn auch Entwicklungsmann Walter Treser. Und auf die Frage an Cheftechniker Ferdinand Piëch, warum gerade bei Audi der Allradantrieb keine Probleme mache, kam die von feinem Understatement zeugende Antwort: "Wir wissen es nicht."
200 PS und Differentialsperren
Was damals unter der Entwicklungsnummer EA 262 erste Gehversuche machte, läuft heute in Gestalt des Audi Quattro-Coupés in Ingolstadt vom Band. Die Stückzahl von täglich zehn Exemplaren ist zwar bescheiden, doch reicht sie aus, das vorläufig gesteckte Ziel von etwa 1.000 Autos im ersten Produktions-Halbjahr zu realisieren.
Um den Absatz brauchen sich die Audi-Leute dabei sicher keine Sorgen zu machen. Denn das formal eher gewöhnungsbedürftige Sportcoupé stößt überall beim Publikum auf reges Interesse. Dies ist auch kein Wunder, wenn man bedenkt, dass der neue Audi neben dem extravaganten Vierradantrieb noch eine ganze Reihe weiterer technischer Leckerbissen anzubieten hat. Neben dem 200 PS (147 kW) starken Turbomotor mit Ladeluftkühlung zählen das serienmäßige Fünfganggetriebe, die beiden zuschaltbaren Differentialsperren und die 15 Zoll großen Leichtmetallräder mit sechziger Bereifung zu den nicht alltäglichen Besonderheiten. Die heruntergezogene Frontschürze und der hinten aufgesetzte Heckspoiler unterstreichen auch optisch den sportlichen Anspruch, den das Quattro-Coupé von der Technik her erhebt.
Reisetauglicher Sitzkomfort
Im Interieur bietet der Quattro standesgemäßen Komfort. Ausgeformte Frontsitze, Lederlenkrad und Lederschaltknopf sowie eine reichhaltige Instrumentierung erwarten den Quattro-Piloten. Auch Rücksitzpassagiere sind gut genug aufgehoben, um mehr als nur einen Kurzstreckentrip mitzumachen. Dass auch lange Reisen schnell genug vonstatten gehen, dafür sorgen die 200 PS (147 kW) des vor der Vorderachse eingebauten Turbomotors. Jener ist freilich kein Unbekannter. Er stammt im Prinzip von jenem Fünfzylinder-Aggregat ab, das im Audi 100 als Einspritzer mit 136 PS (100 kW) Dienst tut und im Audi 200 T als aufgeladene Turbomaschine 170 PS (125 kW) abgibt.
Für den Quattro wurde es freilich modifiziert, denn eine spezifische Leistung von 93 PS pro Liter ist auch für einen Turbomotor kein Pappenstil. Um sie zu erzielen, waren Änderungen am Ansaugtrakt, eine vollelektronische Hitachi-Zündanlage sowie ein Ladeluftkühler notwendig. Vor allem letzterer ist für die Leistungssteigerung verantwortlich, da er die Ladeluft um bis zu 60 Grad abkühlt und so für eine wesentlich bessere Füllung sorgt. Eine großvolumige Auspuffanlage, ganz aus rostfreiem Material, lässt die vom Turbolader entspannten Abgase durch zwei Endrohre ins Freie. Der dabei hörbare sonore Sound lässt Reminiszenzen an jene bulligen amerikanischen V 8-Motoren aufkommen, die heute fast schon der Vergangenheit angehören.
220 km/h Spitze
Ähnlich wie ein V 8 fühlt sich der Turbomotor im Audi Quattro an. Von der zwar geringen, auch für einen Turbo typischen Anspracheverzögerung abgesehen, legt sich die Maschine in dem immerhin fast 1.300 kg schweren Coupé kräftig ins Zeug. Eine Zeit von 7,1 Sekunden für die Beschleunigung auf 100 km/h nennt das Werk, und der Fahreindruck entspricht durchaus dieser Werksangabe. Natürlich geht es über 100 km/h noch zügig weiter, und die versprochenen 220 km/h Spitze schienen dem noch aus dem Versuchsfuhrpark stammenden Testwagen keine Mühe zu bereiten. Der Clou des Ganzen ist jedoch zweifellos der Allradantrieb. Obwohl jener permanent und nahezu unmerklich mitläuft, prägt er Anfahrverhalten und Fahreigenschaften des Quattro entscheidend.
Ganz gleichgültig, ob man auf trockenem oder feuchtem Untergrund, auf losem oder schmierigem Boden voll startet, stets setzt sich das vierradgetriebene Coupé mit bemerkenswerter Vehemenz in Bewegung. Es gibt kaum ein Durchdrehen der Treibräder und kein Ausbrechen des Hecks; der Wagen beschleunigt einfach so, als würde er von einer starken Seilwinde gezogen. Dieser Effekt verstärkt sich noch, wenn beispielsweise auf glattem Untergrund das zentrale und das hintere Differential gesperrt werden. Die normalerweise selten notwendigen Sperren lassen sich durch zwei auf dem Mitteltunnel platzierte Hebel auch während der Fahrt betätigen.
Sicherheitsaspekt war ausschlaggebend
"Die Traktionsvorteile des Allradantriebes wären für uns jedoch noch kein ausreichender Grund gewesen, den Audi Quattro zu bauen. Erst die zusätzlich gewonnene Fahrsicherheit gab den Ausschlag für die Verwirklichung des Konzepts", erläutert Walter Treser die weiteren Vorteile. In der Tat macht sich der Allradantrieb auch beim Bremsen vorteilhaft bemerkbar, da es einzelne Räder schwerer haben, zu blockieren. Dies gilt besonders bei eingelegten Differentialsperren.
Im Fahrverhalten schließlich gaben sich die Versuchswagen gutmütig neutral, was vor allem auf glattem Untergrund verblüffte. Dabei zeigt das Fahrwerk insgesamt einen recht ausgewogenen Komfort. So scheint den Audi-Technikern mit dem Quattro erstmals das gelungen zu sein, wonach die Autokonstrukteure schon früher strebten: den Allradantrieb in einem starken Sportwagen zu verwirklichen, ohne wesentliche Nachteile in Kauf nehmen zu müssen. Und so gewinnt der Audi Werbespruch "Vorsprung durch Technik" zweifellos eine neue, realistische Dimension.