Original-Test: Audi 80 Rekordfahrt
AMS auf Weltrekordkurs
auto motor und sport fuhr mit der Tankfüllung eines Audi 80 Diesel 3.255 Kilometer weit. Der Original-Artikel erschien am 23. September 1981 in Heft 19.
07.09.2023Die Absicht war eindeutig. Es sollte ein Rekord werden. Ein Weltrekord, aufsehenerregend genug, um auch im Guiness Book of Records Eingang zu finden. Und zeitgemäß sollte dieser Rekord auch sein — sparsam also. Daraus ergab sich schließlich die Aufgabenstellung: mit einer Tankfüllung so weit wie möglich fahren, dabei so wenig wie möglich verbrauchen.
Die Suche nach einem für diese Bestleistungen tauglichen Auto bereitete der Redaktion von auto motor und sport wenig Mühe. Beim Audi 80 Diesel sind die notwendigen Voraussetzungen — sparsamer Motor, geringes Gewicht und großer Tank — auf das vorteilhafteste vereinigt. Zu ebensolchen Überlegungen waren zwangsläufig auch die Techniker bei Audi in Ingolstadt gekommen. Schnell wurde man sich einig, auf Rekordjagd zu gehen.
Shell und VW sind mit an Bord
Die rekordverdächtige Sparidee erweckte in der Folgezeit auch noch das Interesse weiterer Partner. Die Deutsche Shell AG in Hamburg, die zusammen mit auto motor und sport den alljährlichen Spar-Wettbewerb "Kilometer-Marathon" in Hockenheim ausrichtet, wollte auch hier mit von der Partie sein. So organisierte Shell den Start der Rekordfahrt in Hamburg-Harburg und stellte alle treibenden und schmierenden Stoffe für das Unternehmen zur Verfügung.
Um das rollende Gut auf der Sparfahrt bemühte sich auch die deutsche Niederlassung des italienischen Reifenkonzerns Pirelli. Das in Höchst im Odenwald angesiedelte Gummiwerk stellte die Reifen zur Verfügung. Und schließlich griff auch noch das Volkswagenwerk in Wolfsburg seiner rekordlustigen Ingolstädter Tochter unter die Arme. Sie lieh dem Rekordteam einen zum Wohnmobil ausgebauten VW LT 28.
2.640 km von Hamburg bis Palermo
Schon in der Phase der Planung zeigte sich, dass die Rekordfahrt ein recht langwieriges Unternehmen werden würde. Audi-Entwicklungs-Ingenieur Dirk Bösenberg hatte das absolute Verbrauchsminimum des Audi 80 Diesel-Motors bei 1.500 Umdrehungen pro Minute aufgespürt, was etwa 57 km/h im vierten Gang entspricht. Und Bösenberg war sicher, "dass wir so auf jeden Fall unter drei Liter kommen". Außerdem waren die Audi-Leute noch auf einen Trick gekommen, wie sich mehr Kraftstoff für zusätzliche Kilometer in den Tank füllen lässt. Normalerweise ist dort Platz für 68 Liter. Doch weil sich diese Menge bei steigender Temperatur ausdehnen kann, gibt es noch ein zusätzliches Ausgleichsvolumen von etwa fünf Litern. Dieser normalerweise luftgefüllte Raum lässt sich jedoch volltanken, wenn der Wagen rechts etwas höher steht.
So machte sich das Team von auto motor und sport und Audi auf eine Reise von mehr als 2.500 Kilometern und mehr als 40 Stunden Dauer gefasst; und in Anbetracht solch bedrohlicher Zahlen verspürte keiner sonderliche Lust, dieses Marathon-Programm praxisfremd auf dem Hockenheimring abzuspulen. "Dann schon lieber Autobahn", war die übereinstimmende Meinung, und ein entsprechend langes Stück war bald gefunden. Von Hamburg bis Palermo versprach die Autokarte 2.640 km ohne Kreuzungen und Gegenverkehr.
Luxus- statt Sparausstattung
Am Nachmittag des 11. August traf das auto motor und sport-Team auf dem Gelände von Shell in Hamburg-Harburg ein. Die beiden Fahrer Michael Mehlin und Peter Jahn, der Fotograf Gerd Himmen sowie der Chronist Clauspeter Becker mussten sich schon jetzt in Geduld üben, denn der Rekordwagen befand sich noch irgendwo zwischen Ingolstadt und Hamburg. Sie waren auf ein nach allen Regeln der Sparkunst präpariertes Auto gefasst, ultraleicht mit Plastikscheiben, einem mageren Sitz darin, ohne Teppichboden, Innenverkleidungen und bar aller gewichtigen Geräuschisolierung.
Jenes Auto freilich, das die beiden Audi-Leute, der Entwicklungs-Ingenieur Hartmut Padberg und der Mechaniker Werner Schmidbauer mitbrachten, sah geradezu erschreckend zivil aus: ein viertüriger Audi 80 mit üppiger Luxus-Ausstattung einschließlich vier Kopfstützen, bei dem lediglich an den Rädern gespart worden war, denn die waren aus schwerem Stahlblech und nicht etwa aus Leichtmetall.
Cassetenradio sorgt für gute Laune
Die Fahrer Mehlin und Jahn registrierten erfreut das versprochene Cassettenradio. Fotograf Himmen hatte wenig Anlass, begeistert zu sein; den Audi bedeckte ein vornehmes aber finsteres Metallicgrün. "Katastrophal für Nachtaufnahmen" fand der Belichter. Auch unter dem Blech lassen sich keine rekordverdächtigen Maßnahmen ausmachen, und Ingenieur Padberg kann nur wenig berichten. "Wir haben aus dem Testwagenpark der Presseabteilung ein Auto mit relativ hoher Kilometerleistung und geringem Rollwiderstand ausgesucht."
Der Motor wurde nach ähnlichen Kriterien im Wolfsburger Motorenversuch ausgewählt. Er liegt in puncto Leistung und Verbrauchswerte auf der günstigen Seite. Ein wenig mehr an Feinarbeit freilich hatten die Audi-Versuchsmechaniker schon geleistet. Die Radlager waren optimal leichtgängig eingestellt, die vorderen Scheibenbremsen liefen absolut berührungsfrei, und die Vorderachseinstellung war dahingehend korrigiert, dass der Wert für die Vorspur bei 60 km/h Null beträgt.
Pirelli bringt extra Sparreifen an den Start
Wesentlichen Anteil am leichten Lauf des Audi hatten offensichtlich die Pirelli-Reifen mit einer auf fünf Millimeter reduzierten Profiltiefe. Die Untersuchungen von Audi bestätigten, was schon Pirelli-Versuchsleiter Gert Englert versprochen hatte: "Der Rollwiderstand liegt deutlich niedriger als bei heutigen Serienreifen, aber er entspricht in seiner Tendenz unserer Entwicklung für die Zukunft." Die besten Ergebnisse in dieser Richtung erzielte Pirelli verblüffenderweise nicht mit der schmalen Seriendimension 165 SR 13, sondern mit den etwas fülligeren Breitreifen der Größe 175/70 SR 13 sowie mit dem handelsüblichen Profil P 3.
In offizieller Mission begab sich schließlich noch Ingenieur Werner Wildenhain, vereidigter Sachverständiger der Deutschen Automobil Treuhand (DAT) auf die Suche nach unlauteren Sparmaßnahmen. Er ließ das Tankvolumen ermitteln, prüfte die Verlegung der Treibstoffleitungen, suchte nach versteckten Behältern, und er plombierte den Antrieb des geeichten Tachografen. Auch Herr Wildenhain fand nichts Außergewöhnliches an diesem Audi, was er mit Stempel und Unterschrift an Eides Statt erklärte.
Um 3.30 Uhr geht der Wecker
Weil bedeutende Unternehmungen einer wenig humanen Regel zufolge im Morgengrauen begonnen werden, klingelte der Wecker für das Rekord-Team am 12. August um 3.30 Uhr in der Früh. Vorgesehene Startzeit 5.00 Uhr. Aber es gab auch bei Shell viel zu tun an diesem Morgen. Vor dem Auftanken des Audi mussten der Hauszapfsäule von Shell Proben entnommen und begutachtet werden. Erwartungsgemäß fiel das Ergebnis so aus, dass Kraftstoffexperte Klaus Reders die Einhaltung der Daten nach DIN 51601 bestätigen konnte. Es folgte die lange Prozedur des Volltankens mit dem stets zum Schäumen aufgelegten Dieselöl. Beim Stande von 73,821 Liter war der Tank endlich randvoll. Nun konnte auch der Sachverständige und Unparteiische, Herr Wildenhain, wieder in Aktion treten. Er plombierte Tankverschluss und Deckel.
Michael Mehlin übernimmt die erste Schicht der Rekordfahrt, es ist 5.50 Uhr. Der Morgen zeigt noch ziemlich finsteres Grau. Harburgs Straßen sind leer. Die Ampeln zeigen wohlwollendes Grün. Die Autobahn ist nach wenigen Minuten erreicht. Die Realität von 60 km/h Marschtempo wirkt viel ernüchternder als je befürchtet. Laut Fahrplan sind es 148 Kilometer bis Hannover. Normalerweise lässt sich das in einer guten Stunde schaffen, jetzt werden fast zweieinhalb daraus. Michael Mehlin, sonst zügiger Gangart zugeneigt, sieht sich in ungewohnter Rolle. Omnibusse fliegen nur so an ihm vorüber, Lastwagen kaum minder, und selbst behäbige Wohnwagengespanne rauschen ganz ungeniert am Audi vorbei. Der VW Camper folgt dem Audi, und die Aufschrift "Versuchsfahrt" am Busheck verfehlt ihre Wirkung nicht. Die anderen Verkehrsteilnehmer richten sich darauf ein. So wird die Spar-Karawane nicht zum Verkehrshindernis.
Nur noch 42 Stunden!
Mitten in der Lüneburger Heide, nach 60 endlosen Minuten, stellt einer der Busbesatzung fest: "Jetzt haben wir nur noch 42 Fahrstunden vor uns." Die anderen sehen ihn strafend an. Inzwischen ist jedem klargeworden, auf was man sich da eingelassen hat. Nach drei Stunden Konstantfahrt findet Michael Mehlin sein Los erträglicher. Bei Hildesheim kommen die ersten Gefälle, was ihn dazu veranlasst, Sparsamkeit und Kurzweil miteinander zu verbinden. Im Leerlauf und mit abgeschaltetem Motor beschleunigt der Audi zügig talwärts. Nach weiteren drei Stunden Berg- und Talfahrt lässt sich Michael Mehlin in der Rhön ablösen. Der Zeiger der Tankuhr des Audi 80 hat bis dahin noch nicht einen einzigen Rücker nach unten getan. Für die nächsten fünf Stunden schaut nun Peter Jahn gebannt auf dieses Instrument, das sich auch an der Autobahntankstelle Greding (30 km vor Ingolstadt) noch nicht rührt, als der VW Camper seine erste Ration Treibstoff bekommt.
Selbst die Audi-Mannen Padberg und Schmidbauer können das nicht glauben. Sie schütteln am Auto herum und klopfen gegen den Tank — der Zeiger bleibt ungerührt oben. Als wir Ingolstadt gegen 18.00 Uhr passieren, erwartet uns kein Verpflegungswagen mit Kaffee und Kuchen. Aber Kaffeekochen unterwegs ist sowieso die einzige aufregende Kurzweil an Bord des Campers. Der Moment des Aufgießens fällt immer mit heftigen Bodenwellen zusammen, und meist kommt auch noch der für Stunden einzige Lastwechsel hinzu.
Ab zur Fähre
Die Nacht erreicht uns im Inntal, und auf der Brenner-Autobahn muss Michael Mehlin zum ersten Mal seit der Steigung bei Hannoversch Münden wieder auf den vierten Gang zurückschalten. Drei Kilometer lang geht es nur mit 50 voran, dann packt der fünfte wieder. Aufholen lässt sich dieser Zeitverlust auf der italienischen Seite mühelos. Mehlin: "Vom Brenner nach Bozen, das war eine einzige Roll-Tour." Bei Bologna dämmert der Morgen des Donnerstags, und kurz vor Florenz beendet Peter Jahn seine Fahrschicht mit den Worten: "Der Zeiger hat sich jetzt endlich bewegt." Einzige Erinnerung an Rom: Es gibt Spiegeleier mit Speck aus der Bordküche. In den Abruzzen wird es wieder finster, so finster, dass Peter Jahn mit einem mulmigen Gefühl im Magen die kurvenreichen Gefälle herunterrollt.
Der Weg zum Fährhafen San Giovanni scheint endlos. Endlich, um Viertel nach eins, fährt die Karawane auf die Rampe zum Schiff. Der Betrieb ist chaotisch, weil das Personal aller privaten Linien streikt. Nur die Schiffe der italienischen Eisenbahn fahren noch. Und den Eisenbahnern fällt nichts Besseres ein, als den Konvoi zu trennen. Personenwagen auf die eine, Lastwagen auf die andere Fähre. Und die erreichen Messina an unterschiedlichen Landungsbrücken. Es vergehen reichlich drei Stunden, bis die Camper-Mannschaft den beharrlich wartenden Audi wieder aufgespürt hat. Als der Audi 80 die sizilianische Autobahn unter die Reifen nimmt, geht auf der Spar-Tour die Sonne zum drittenmal auf.
In Palermo ist kein Ende in Sicht
Die Nadel der Tankuhr steht immer noch über der Viertel-Markierung. Jedem ist klar: "Das reicht viel weiter als Palermo." Selbst das Verkehrschaos von Catania verfehlt offensichtlich jede anregende Wirkung auf den Appetit des Dieselmotors. In Palermo ist der Tank noch viertel voll. Kurze Fotopause am Hafen, und bei einem Stand von rund 2.700 Kilometern wird die Rückfahrt angetreten. In Messina wartet derweil V-A-G-Händler Masco auf die siegreichen Sparer. Sie treffen am Abend nach 3.056 Kilometer Fahrstrecke dort ein. Sie sind damit längst weit jenseits aller Rekorde, nur, der Tank ist immer noch nicht leer.
Nach 60 Stunden Spar-Tour und 51 Stunden reiner Fahrzeit ist das sechsköpfige Spar-Team dermaßen reif für ein Hotelbett, dass Don Carlo Mazzone von der Firma Masco wenig Mühe hat, die Mannschaft an einer weiteren Nachtetappe zu hindern. Das freilich tut der sizilianische Autohändler nicht allein aus purer Menschenfreundlichkeit. Ihm ist diese Sparaktion zu einem besonders vorteilhaften Zeitpunkt auf die Werbetrommel gerollt. Denn in Messina hält man zu diesem Zeitpunkt die alljährliche Fiera, die große Warenmesse ab, wo jedermann betrachten darf, was es zwischen einer Stecknadel und einem Audi Quattro an Erschwinglichem und Unerschwinglichem zu kaufen gibt. Dort soll am nächsten Morgen das Sparmobil einem vom Benzinpreis gebeutelten Volk präsentiert werden. So finden sich dann Michael Mehlin und Peter Jahn am Samstag, den 15. August, in einer Situation wieder, die in der Geschichte automobiler Wettbewerbe wohl einzigartig ist. Sie werden noch vor Erreichen des endgültigen Ziels als Sieger gefeiert sowie mit Pokal und Ehrenschild bedacht.
Nach 3.255,2 km ist Schluss
Um 14.00 Uhr rollt der Audi 80 von der Fähre wieder auf Italiens Stiefelspitze, und die Fahrt geht zurück über die Autostrada in nördlicher Richtung. Der Zeiger der Tankuhr steht immer noch oberhalb der nachträglich angebrachten Fünf-Liter-Markierung. Jeder denkt, wenn doch endlich Schluss wäre. Nach 3.255,2 Kilometern ist der Tank des Audi endlich leer. Der Durchschnittsverbrauch hätte sich auch beim Kilometermarathon in Hockenheim sehen lassen können: 2,27 Liter pro 100 Kilometer. Was nun noch fehlt, ist eine Amtsperson, die Kilometerstand und intakte Plombierung bestätigt.
Hartmut Padberg, Peter Jahn und Clauspeter Becker machen sich auf die Suche und werden in Frascineto bei einem Posten der italienischen Autobahnpolizei fündig. Allerdings hat niemand Lust vom Comando Distaccamento Polstrada, eine Dienst-Alfetta auf die Autostrada zu bewegen. Die Polizisten rufen den Abschleppdienst. Eine halbe Stunde später lenkt der kalabrische Tiefladerpilot Laster samt Audi den Polizisten vor die Tür, die dazu keineswegs eine gute Miene machen, sondern eher so grimmig dreinblicken wie die Hauptdarsteller eines Italowestern. Der zornig hinzugezogene Comandante sieht die Sache dann aber nicht ganz so eng. Er ist bereit, die Plombe zu öffnen und das Certificato di Prova auszufüllen, zu stempeln und zu signieren. Er macht damit seinem Namen Angelo Buoncuore alle Ehre, denn das heißt auf deutsch Engel Gutherz.