Ford Fiesta Mk4/5, Opel Corsa B, VW Polo 6N
Künftige Kult-Youngtimer?
Corsa B, Fiesta Mk 4/Mk 5 und Polo 6N sind die Hidden Champions der Youngtimer-Szene. Eine ganze Generation hat in diesen Autos das Fahren gelernt, doch bisher finden sie kaum Beachtung. Es wird Zeit, das zu ändern.
30.11.2020 Daniel EndreßAn einem Winterabend im Jahre 2008: Ein Ford Fiesta, ein Opel Corsa und ein VW Polo fahren durch eine Kleinstadt nördlich von Bremen. Das Ziel: der eingeschneite Parkplatz eines Möbelhauses. Es ist dunkel, und das Geschäft hat bereits geschlossen. Perfekte Bedingungen für uns vier Oberstufenschüler, um unsere Kleinwagen über den rutschigen Platz schlittern zu lassen.
Der Vierzylinder heult auf, als der Polo im ersten Gang Fahrt aufnimmt. Aus dem Auspuff schießen Dampfwolken, die bei Minusgraden unter den gelb leuchtenden Laternen gut zu erkennen sind. Der Fahrer des Polo hat eine Hand am Lenkrad, die andere am Hebel der Feststellbremse. Plötzlich lenkt er ein, reißt am Hebel, und das Heck schleudert herum. Die anderen Jungs grölen, während der VW über die festgefahrene Schneedecke driftet.
Den Führerschein besaßen wir erst seit dem Sommer, und die Autos hatten wir entweder von größeren Geschwistern bekommen, von Großeltern geerbt, die das Fahren bereits aufgegeben hatten, oder wir hatten uns das Geld zusammengespart, um nach der bestandenen Führerscheinprüfung direkt losfahren zu können. Die Marke, die Leistung oder die Ausstattung waren egal. Fahren musste es, eine Weile Rest-TÜV war auch nicht schlecht, und vor allem durfte es nicht viel kosten. Die meisten, die bei uns in der Oberstufe schon über ein Auto verfügten, hatten somit eines der besagten drei Modelle.
Doch schon damals waren diese Autos Underdogs. Klar, wir liebten sie, weil wir dank ihnen mobil waren, doch die Mitschüler, die von ihren reichen Eltern einen neuen BMW zum 18. Geburtstag bekamen, wurden beneidet. Und während wir in unseren ersten Autos durch die Gegend fuhren, träumten wir von Alfa Romeo 159, Subaru WRX STI oder einem nagelneuen Mini Cooper.
Das perfekte erste Auto
Doch mit unseren jugendlichen Träumereien unterschätzten wir eigentlich, wie gut Polo, Fiesta und Corsa zu und für uns waren. Sie hatten keine Assistenzsysteme, die uns Arbeit abgenommen haben, teilweise hatten sie ja nicht einmal Servolenkung. Mit diesen Autos lernten wir puristisches Autofahren.
Nehmen wir zum Beispiel den Fiesta. Er besticht durch einfache, altbewährte Technik, an der man auch seine ersten Gehversuche als Schrauber unternehmen konnte. Als die vierte Generation 1995 auf den Markt kam, war sie technisch noch eine überarbeitete Version der dritten Generation. Die Bodengruppe wurde fast unverändert vom Vorgänger übernommen, nur die Karosserie sowie einige technische Features wurden modernisiert. Die Nachfahren der Kent-Motoren, die bereits seit 1959 in Ford-Modellen eingesetzt wurden, waren als Basismotorisierung im Fiesta nach wie vor erhältlich. Der Ford auf den Fotos wird durch die modernste Ausbaustufe der Motorenfamilie mit dem Namen Endura-E angetrieben. Bei dem 1,3-Liter-Vierzylinder ist die Nockenwelle seitlich neben der Kurbelwelle in den Motorblock eingelassen und betätigt die hängenden Ventile über Stoßstangen. Das Aggregat leistet damit 60 PS.
"Wenn man nicht gerade zu fünft in dem Kleinen unterwegs ist, kommt man damit flink durch den Stadtverkehr", berichtet Sarah, die bei unserem Fototermin den Ford fährt. Das Fünfganggetriebe ist angenehm knackig, und die Schaltwege sind kurz. Wenn man dem Motor etwas Drehzahl gönnt, kommt einem der Kleinwagen fast ein wenig sportlich vor.
Schnell wird klar, weshalb der 3,83 Meter kurze Fiesta so ein gutes Anfängerauto ist. Man setzt sich hinein, startet den Motor und fährt los. Alle Schalter sind dort, wo man sie erwartet, die Rundumsicht ist nur in einem leeren Gewächshaus besser, die Lenkung ist präzise, und man bekommt so viel Feedback von der Straße, dass man den Untergrund praktisch erfühlen kann. Einen Fiesta zu fahren, ist so einfach, wie einem Baby den Schnuller zu klauen. Allerdings auch wenig aufregend. Aber das sind genau die automobilen Tugenden, die sich Eltern für das erste Auto ihrer Kinder wünschen. Diese Tugenden verkörpert allerdings auch Yannecks VW Polo.
Einmal Polo, immer Polo
Der Dreißigjährige fährt bereits seinen zweiten 6N. Der erste war zugleich sein erstes Auto. Den Polo von den Fotos übernahm er von seinem größeren Bruder, als dieser sich ein neues Auto kaufte. "Eigentlich brauche ich auch nichts anderes. Der Wagen lässt sich sparsam bewegen und ist günstig im Unterhalt, man hat zu zweit ausreichend Platz, und man kann viele Dinge mit wenigen Handgriffen reparieren."
Unter der Haube des Volkswagens arbeitet ein Einliter-Vierzylinder mit 50 PS. Der kleinste, aber nicht der schwächste Motor, der für den Kleinwagen bestellbar war. Bis zum Modelljahr 1996 mussten sich Käufer der Basisausstattung mit 45 PS begnügen. Motorblock und Zylinderkopf sind aus Leichtmetall, und die zwei Ventile pro Brennraum werden über eine obenliegende Nockenwelle betätigt.
Nicht zuletzt dank des leichten Aggregats bringt der Polo nur 888 Kilogramm auf die Waage. Dafür reichen die 50 PS absolut aus. Im Stadtverkehr und auf Landstraßen schwimmt der Polo souverän mit. Erst auf der Autobahn geht dem kleinen Motor spürbar die Puste aus. Oder wenn wir damals zu Abi-Zeiten nachts zu fünft in dem kleinen Auto von der Disco nach Hause getuckert sind. Gestört hat uns die für heutige Verhältnisse schwache Leistung nie. Wir waren eher froh, dass sich irgendwer erbarmte, zu fahren, und wir uns so das Geld für ein Taxi sparten.
Wie der Fiesta überzeugt auch der Polo durch die simple und intuitive Bedienung und großartige Rundumsicht, die durch die etwas höheren Fenster noch besser ausfällt. Die Schaltung fühlt sich einen Hauch zu teigig an, und die Schaltwege sind etwas länger als bei den anderen beiden Kleinwagen. Viel wichtiger war für uns aber damals, dass man das originale Kassettenradio durch etwas Moderneres mit CD-Spieler oder sogar USB-Schnittstelle austauschen konnte. Und das geht dank der einfachen Konstruktion des Armaturenbretts in wenigen Minuten.
Überhaupt ist der Polo 6N sehr schrauberfreundlich. VW verfolgte bei der Konstruktion eine umfangreiche Gleichteilstrategie, weshalb auch viele Ersatzteile für den Golf III oder Seat Ibiza passen. Zudem entstanden in Wolfsburg circa 2,5 Millionen Polo dieser Baureihe inklusive der Limousine und des Kombi. Die Plattformbrüder von Seat sind da noch nicht mitgezählt. Diese große Zahl sorgt heute für kleine Preise und ein riesiges Angebot an Ersatz- und Tuningteilen. Daher sieht man auch heute noch viele Fahranfänger, die ihren jugendlichen Autogeschmack in Form von billigen Anbauteilen aus Fernost an einem Polo 6N auslassen. Es gibt kaum ein geeigneteres Auto, außer vielleicht einen Corsa B.
Opel mit vielen Gesichtern
Der Dritte im Bunde, der Corsa, teilt das Schicksal mit dem Polo und dient ebenfalls häufig als Plattform für mal mehr und mal weniger geschmackvolle Basteleien. Das schwarze Exemplar auf unseren Bildern hatte hingegen Glück. Es landete bei Rolf, seines Zeichens Typreferent für den Corsa B bei der Alt-Opel IG. Er hat sich diesem Modell verschrieben und hegt und pflegt seine zwei Corsa wie kaum ein anderer. "Mittlerweile bin ich mit ihnen auf vielen Youngtimer-Ausfahrten unterwegs, und mit meinem seltenen Dieselmodell haben meine Frau und ich schon die Ostsee umrundet", berichtet der Opel-Enthusiast.
Dass die zweite Corsa-Generation mitunter verbastelt wird, liegt quasi in ihren Genen. GM vertrieb diese Plattform weltweit in den verschiedensten Formen. Als Chevrolet Prisma oder Buick Sail, als Vauxhall Corsa oder Holden Barina. Es gab sie für die verschiedenen Märkte zudem auch als Kombi, Stufenheck, Pickup und Cabrio. Ein echter Alleskönner eben. Selbst der Opel Tigra bekam die gleiche Bodengruppe. Rolfs Auto ist mit dem 1,2-Liter-Sechzehnventiler ausgestattet, dem modernsten Motor in unserem Trio, in dessen Leichtmetall-Zylinderkopf zwei kettengetriebene Nockenwellen rotieren. Die 65 PS lassen sich über ein straffes Fünfgang-Schaltgetriebe optimal ausnutzen. Wie schon die anderen beiden ist auch der Corsa angenehm unkompliziert – einfach reinsetzen, losfahren und wohlfühlen sowie den Flitzer mithilfe des dicken Lenkrads durch den Stadtverkehr zirkeln.
Der Corsa vermittelt den Eindruck, dass man ihn auf einem Bierdeckel wenden könnte, und trotzdem bietet er innen ein Raumgefühl, das kaum etwas vermissen lässt – außer vielleicht auf den hinteren Plätzen.
Echtes 90er-Jahre-Flair
Alle drei bestechen dabei durch stilechtes 90er-Jahre-Interieur. Seien es die Muster der Sitzbezüge, die so 90er-typisch sind, dass man bei ihrem Anblick an den Ohrwurm "Coco Jamboo" von Mr. President denkt. Oder die texturierten, rundlich geformten und massiven Plastikoberflächen der Armaturenbretter, die heute selbst in Lieferwagen nicht mehr verwendet werden würden. Ein besonderes Highlight sind darüber hinaus die türkisfarbenen Drehschalter im Corsa, die das Stilempfinden so herausfordern, dass sie schon wieder ein Must-have sind.
Natürlich könnte man sich heutzutage einen Polo GTI, Corsa GSi oder Fiesta Ghia kaufen, die mit Klimaanlage, elektrischen Fensterhebern und teilweise sogar Ledersitzen und Holzoptik ausgestattet sind. Aber wenn man ehrlich ist, dann kommt in ihnen nicht das Gefühl auf, das man hatte, wenn man im Sommer die mit Gummi überzogenen Fensterkurbeln betätigte, um frische Luft ins Auto zu lassen. Oder die Erinnerung, dass man sich in die abgewetzten Sitzbezüge gefläzt hat und zu jedem noch so kleinen Fleck eine Party-Story erzählen konnte. In ihren Basisversionen verkörpern diese drei Autos genau dieses unbeschwerte Gefühl der Jugend, als wir zwar schon einen Führerschein, aber meistens noch keine wirklichen Sorgen hatten.
Alle drei eignen sich noch immer als günstige erste Autos für Fahranfänger, auch wenn sich die Zeiten geändert haben und weitaus neuere Autos als erschwingliche Starterkutschen nachgerückt sind. Für unsere Generation hängen tolle Erinnerungen an diesem Blech, die wir nicht missen wollen.