Opel Astra 1.6 und Ford Focus 1.6 16V

Vom Reiz des Reizlosen

Ford Focus und Opel Astra sind Autos für Pragmatiker – Vernunftkäufe für alle, die einfach irgendwie vorwärtskommen wollen. Haben sie trotzdem das Zeug zum Klassiker?

Opel Astra 1.6, Ford Focus 1.6 16V, Exterieur Foto: Dino Eisele 15 Bilder

Auffällig unauffällig, nüchtern, zurückhaltend, dezent – oder einfach nur langweilig. Es gibt viele Möglichkeiten, die Optik von Ford Focus Mk 1 und Opel Astra G mehr oder weniger wohlwollend zu beschreiben. Das Erscheinungsbild der beiden Kompakten ist so reiz- wie zeitlos. Reizlos deshalb, weil sie im alltäglichen Straßenverkehr nicht weiter auffallen, man aber, sobald man etwas mehr auf diese Modelle aus den späten 90er-Jahren achtet, feststellt, wie viele von ihnen eigentlich noch auf unseren Straßen umherkurven. Und zeitlos, weil sie dabei noch nicht einmal besonders alt wirken.

Zwei wie Feuer und Eis

Dem Focus gelingt diese Übung noch etwas besser als dem Astra. Das von Ford 1996 mit dem Ka eingeführte "New Edge Design" lässt den Kölner im Vergleich zu seinen Konkurrenten Astra G, Golf IV und Peugeot 306 heute immer noch recht modern aussehen. Während die anderen drei bereits zu Neuzeiten eher optische Hausmannskost boten, war der Focus innovativ, beinahe progressiv. Alles an ihm folgt konsequent der neuen Linie; jede Fläche wird von einem anderen Element durchschnitten oder begrenzt, alles ist geschwungen und gleichzeitig scharfkantig. Das endlos lange hintere Seitenfenster lässt den Dreitürer zudem fast schon zum Coupé werden. Je länger man sich mit ihm beschäftigt, umso mehr weiß der Focus zu gefallen.

Der Astra gibt sich da schon deutlich konventioneller. Design-Gags und stilistische Spielereien sind ihm fremd. Auch eine Coupé-Linie mag man ihm mit seinem hohen Stummelheck nicht andichten, zumal es vom Astra sogar ein "richtiges" Coupé gab – das obendrein deutlich eleganter ist. Der Dreitürer liegt ästhetisch eher irgendwo zwischen Manta CC und Kadett City.

Opel Astra 1.6, Interieur Foto: Dino Eisele
Der schlichte Stil des Opel setzt sich im Innenraum konsequent fort.

Der schlichte Stil des Opel setzt sich im Innenraum konsequent fort. Im Vergleich zum Vorgänger hat sich hier nur wenig getan – und noch weniger weiterentwickelt. Die leicht fahrerorientierte Mittelkonsole wurde gestrichen, die praktischen Ablagefächer auf und unter dem Armaturenbrett ebenfalls. Die zeittypisch schrill gemusterten Sitzflächen und Türverkleidungen sorgen immerhin für ein paar kleine rote, blaue, gelbe und grüne Farbtupfer in der großen dunklen Plastiklandschaft.

Der Ford folgt dagegen auch im Inneren strikt dem New-Edge-Prinzip. Zwar ist hier ebenfalls alles entweder grau, dunkelgrau oder schwarz, doch das Zusammenspiel von Bögen und Kanten, Kurven und Spitzen erzeugt zumindest formal Spannung. Dabei beeindruckt die Tiefe des Designs; bis zu den zitronenschnitzförmigen Bedientasten für Klimaanlage und Scheibenheizung ist alles konsequent durchgestylt – und erstaunlich gut erhalten. Man hat nicht den Eindruck, in einem 20 Jahre alten Auto zu sitzen. Und genau dieses Gefühl fehlt so ein bisschen, um sich in einem Klassiker zu wähnen.

Zwei gegen vier

In unserem Fotoauto arbeitet der 1,6-Liter-Vierventiler mit 101 PS, der heute als Idealmotorisierung gilt, da er den besten Kompromiss aus Spritzigkeit und Sparsamkeit darstellt. Mit nur knapp über einer Tonne Ford hat der Doppelnocker leichtes Spiel und lässt den Silberling im Duett mit der fabelhaften Control-Blade-Hinterachse mit ihren charakteristischen, bananenförmigen Längslenkern flink durch die Hallen des alten Eisenbahn-Ausbesserungswerks wieseln.

Ford Focus 1.6 16V, Motor Foto: Dino Eisele
Der 1,6-Liter-Vierventiler mit 101 PS im Ford, der heute als Idealmotorisierung gilt, da er den besten Kompromiss aus Spritzigkeit und Sparsamkeit darstellt.

Der Grauguss-Vierzylinder des saturnblauen Astra muss mit acht Ventilen und 17 Pferdestärken weniger auskommen als das Leichtmetalltriebwerk des Focus. Trotzdem geht der Opel gefühlt irgendwie besser. Grund: Er stellt sein maximales Drehmoment von 138 Nm schon bei entspannten 2.600 Umdrehungen pro Minute zur Verfügung. Der Ford würde ihn mit 145 Nm im Autoquartett zwar ausstechen, doch liegen diese erst bei ambitionierten, für den täglichen Gebrauch viel zu hochtourigen 4.000 Umdrehungen an – das gibt bei schaltfaulen Fahrern Abzüge in puncto Alltagstauglichkeit. Wer es jedoch sportlich mag, ist mit dem Focus deutlich besser beraten. Offenbar dachten die Entwickler des Computerspiels "Need for Speed: Underground" dasselbe, denn der Focus schaffte es in den Fuhrpark der virtuellen Tuning-Werkstatt.

Zwei gegen die Welt

Apropos Tuning: Optische Modifikationen mit mehr oder weniger großem Budget waren (und sind) bei beiden Fabrikaten nach wie vor sehr beliebt. Wen also beim Lesen dieser Zeilen spontan der Ehrgeiz packt, einen Ford Focus oder Opel Astra bis zum H-Kennzeichen in mindestens zehn Jahren durchzuhätscheln, der sollte darauf achten, dass der Kaufkandidat möglichst so aussieht wie auf unseren Bildern – also mit original Lenkrad, Rückleuchten und Alufelgen. Auswahl findet sich auf dem Fahrzeugmarkt reichlich.

Neben, sagen wir, 2.000 Euro Barvermögen zum Kauf sollten Interessenten später ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein mitbringen, um mit den beiden Youngstern ein Youngtimer- Treffen zu besuchen – und eine gesunde Portion Optimismus. Es kann nämlich gut sein, dass sie an der Zufahrt mit einem lapidaren "Der Besucherparkplatz ist dort hinten" abgewiesen werden. Es ist nicht immer leicht, seiner Zeit voraus zu sein.

Opel Astra 1.6, Ford Focus 1.6 16V, Exterieur Foto: Dino Eisele
Weitverbreitete Alltagshelden brauchen einfach etwas länger, um als Klassiker anerkannt zu werden.

Weitverbreitete Alltagshelden brauchen einfach etwas länger, um als Klassiker anerkannt zu werden. Das war schon bei Hundeknochen-Escort und B-Kadett so. Doch heute sind die Biedermänner von einst das Salz in der Suppe von Ikonen wie 911, E-Type und Pagode. Warum sollte es bei Focus und Astra anders sein?

Bis dahin erfreut man sich einfach an der Gewissheit, ein altes Auto zu fahren, ohne die Widrigkeiten erleiden zu müssen, die Besitzern eines "richtigen" Klassikers mitunter widerfahren. An der Tankstelle wird einen niemand auf den schönen Oldtimer ansprechen, der Wagen wird beim AvD-Oldtimer-Grand-Prix am Nürburgring garantiert nicht geklaut, und keine Frau wird rufen: "Ach, ist der süüüüß." Nur Kenner werden anerkennend nicken und sagen: "Schön, dass Sie einen für die Nachwelt erhalten."

Wie bei den meisten Autos dieser Preisklasse gilt: Das bessere Auto ist der bessere Kauf und trotz höherem Anschaffungspreis erfahrungsgemäß langfristig günstiger. Kaufen Sie also den besten Astra oder Focus, den Sie finden können, dann werden Sie sehr lange viel Freude mit Ihrem Youngtimer haben. Doch seien Sie sich darüber im Klaren, dass (noch) niemand außer Ihnen den Reiz dieser reizlosen Autos erkennen wird. Auch von profitabler Wertsteigerung sind beide noch weit entfernt. Gut Ding will bekanntlich Weile haben.