Mille-Miglia-Teilnahme (2019)
10.000 Euro – ist es das wert?
Die 1000 Miglia ist eine der begehrtesten Oldtimer-Rallyes. Zu Recht? Ein Erfahrungsbericht von der Traumveranstaltung mit Pro und Contra – lohnt der Traum von der Mille-Teilnahme überhaupt?
22.05.2019Eines vorweg: Die Teilnahme an der Mille Miglia dürfte für die meisten Oldtimer-Fans ein unerfüllbarer Traum bleiben. Nicht nur der Kosten wegen, sondern weil die Voraussetzungen zur Teilnahme kaum erfüllbar sind, vor allem was das richtige Auto angeht. Zwar stehen 876 teilnahmeberechtigte Modelle bzw. Modellversionen auf einer Liste, aber die wenigsten sind in großen Stückzahlen gebaut worden und verfügbar. Allein 35 beispielsweise sind Modelle der Marke S.I.A.T.A. (Società Italiana Applicazioni Trasformazioni Automobilistiche), die in den 50ern hübsche Karossen – meist mit Fiat-Technik – in kleinsten Serien herstellte.
Und doch ist der Besitz auch eines solchen exotischen Autos nur notwendige und nicht hinreichende Bedingung. Die Veranstalter wählen aus dieser Liste nach einem komplizierten Schlüssel nach Bedeutung des Fahrzeugs für das von 1927 bis 1957 ausgetragene Straßenrennen sowie Mischung des Feldes im aktuellen Jahr aus. Und Auswahl haben sie reichlich: Etwa 1.500 Teams bewerben sich auf 430 Startplätze, die zusätzlich durch Sponsoren reduziert werden. Insider rechnen mit etwa 250 frei verfügbaren Plätzen. Wer sein Glück dennoch versuchen will, findet weiter unten entsprechende Tipps dazu.
Startgeld, Kost und Logis beliefen sich übrigens 2019 allein auf 9.760 Euro brutto. Darin enthalten ist allerdings eine Uhr von Sponsor Choppard im Wert von etwa 2500 Euro. Um die könnte man die Kosten also rein theoretisch wieder reduzieren. Zusätzlich Geld einplanen sollte man hingegen für ambulante Wartung und Reparaturen des Fahrzeugs. Die kann selbst oder gerade bei hochpreisigen Klassikern angesichts der Distanzen und Beanspruchung einen ziemlichen Aufwand bedeuten. Und wer will schon einen Ausfall bei der teuren Veranstaltung riskieren?
Doch was erwartet einen abgesehen von der Rechnung? Sind die vier Tagesetappen den Aufwand und die Kosten wert? auto motor und sport durfte 2019 in einem Mercedes 300 SL ausprobieren, wie sich 1.800 Kilometer Oldtimerrallye durch Italien anfühlen. Mercedes-Benz Classic ist seit Jahren Sponsor der Mille Miglia. Entsprechend viele Fahrzeuge bringen die Schwaben an den Start, etliche davon auch aus Kundenhand. Begleitet werden sie von einem mehr als 100 Mann starken Team, das die Logistik übernimmt – und vor allem die technische Betreuung der Fahrzeuge.
Sorglos konnten wir also nach der technischen Abnahme am Morgen des 14. Mai tags darauf in Brescia starten, wo die ganze Stadt auf den Beinen ist und scheinbar alle Augen auf die Teilnehmer der Mille gerichtet sind.
Was die Mille Miglia so besonders macht
Womit wir bei den ersten beiden Pluspunkten sind. Beide haben mit Italien als Austragungsland zu tun: Der erste ist die Vielzahl schöner Städte mit historischen Bauten und Plätzen, an denen die Rallye Station macht, wie Ravenna, Assisi, Rom, Siena, Florenz und Bologna. Das zweite sind die autobegeisterten Bewohner, die den lärmenden Rallye-Tross in nahezu jeder der pittoresken Städte enthusiastisch begrüßen: Mit lachenden Gesichtern applaudieren sie den Autos, recken die Daumen oder winken einfach nur, Mädchen werfen Kusshände, Jungs wollen die Fahrer abklatschen („da me cinque!“). Selbst nüchternen Zeitgenossen fällt es schwer, sich dieser ansteckenden Freude zu entziehen. Man winkt zurück, hupt zum Gruß oder öffnet zum x-ten Mal die Flügeltüren, um die „Ahs“ und „Ohs“ zu hören oder kleine Kinder auf dem Schweller für Handyfotos posieren zu lassen. Wem das zu viel ist, der lässt die Türen zu, konzentriert sich auf den nächsten Zeitstempel – und hat dennoch nie das Gefühl, der Spielverderber zu sein.
Die Autobegeisterten bleiben auch unterwegs – sie stehen an Kreisverkehren oder Tankstellen, selbst Regen hält sie nicht ab – und sie sitzen natürlich auch in den anderen Teilnehmer-Fahrzeugen. Das Wir-Gefühl stellt sich bei Oldtimer-Fahren in der Gruppe von selbst ein und führt bei jedem Stopp zu internationalen Benzingesprächen: Autos, die teils nur in zweistelligen Stückzahlen gebaut wurden, regen Automobilbegeisterte automatisch zu Fragen an, die bereitwillig beantwortet werden.
Weiterer Pluspunkt: Die roten Wegweiser-Pfeile der Mille Miglia-Organisatoren sind so zuverlässig auf der ganzen Strecke verteilt, dass es weniger schlimm ist, wenn der Beifahrer mal aus dem Takt kommt oder vom Winken abgelenkt ist: Die Route lässt sich zum überwiegenden Teil auch ohne Roadbook absolvieren, zumal an neuralgischen Punkten in abgesperrten Innenstädten Heerscharen von Helfern dafür sorgen, dass keiner vom rechten Weg abkommt.
Streckenweise assistieren sogar Polizisten auf Motorrädern und geleiten das Feld über weite Strecken an dichtem Verkehr oder Staus vorbei. In den meisten Regionen ist das Verständnis der anderen Verkehrsteilnehmer überraschend groß – und wann kommt man schon mal in den Genuss einer Polizeieskorte?
Zu guter Letzt bietet die Mille jede Menge Kilometer Oldtimer-Fahren über reizvolle Strecken und gute Kontaktmöglichkeiten zu Fahrern attraktiver Oldtimer aus einer Zeit, in der aufs Karosseriedesign vor allem in ästhetischer Hinsicht großer Wert gelegt wurde. Dazu reicht auch ein Besuch an einer Station. Aber wer die Autos intensiv fahren sehen und hören will, muss eigentlich dabei sein.
Was gegen die Mille Miglia spricht
Klar: Wer an einer Oldtimer-Rallye teilnimmt und Schlauchprüfungen nicht mag, hat ein Problem. Aber die Mille setzt einseitig auf die teils kleinteiligen Sonderprüfungen, wo bestimmte Wegstrecken in einer möglichst auf Hundertstel genauen Zeit durchfahren werden sollen oder mit konstanter Geschwindigkeit zurückgelegt werden wollen (die Zeitnahme löst dabei beim Überfahren eines Schlauches aus, daher der Name). Geschicklichkeitsprüfungen, Manövrieren oder Slalom, wo es auch um Fahrzeugbeherrschung und nicht nur um die der Stoppuhren geht, gibt es hingegen nicht.
Außerdem sorgen fahrzeugspezifische Koeffizienten dafür, dass bestimmte Modelle oder Baujahre kaum Chancen auf gute Gesamtplatzierungen haben, Vorkriegsmodelle haben dabei bessere Koeffizienten, obwohl sie dank freistehender Räder für die Schlauchprüfungen eher besser geeignet sind (man sieht, wann der Reifen den Schlauch überrollt).
Den Spaß vermiesen kann einem auch in modernen Autos ein Stau. In Oldtimern mit schwergängiger Lenkung und eventueller Hitzeempfindlichkeit potenziert sich der Unmut. 2019 musste man den Eindruck gewinnen, dass auch die Routenführung an einem Freitagnachmittag das Problem war. Ab einem gewissen Grad der Verkehrsdichte kann auch eine Polizeieskorte nichts mehr ausrichten.
Womit wir bei einem weiteren kritischen Punkt wären: Viele Teilnehmer verlieren, drohende Zeitstrafen vor Augen, jeglichen Sinn für Prioritäten, fahren weiter so, als wäre die Eskorte noch da, blockieren den Gegenverkehr, missachten rote Ampeln und fahren rücksichtslos. Besonders ärgerlich ist es, wenn sich auch manche der zahlreichen Service-Fahrzeuge an der wilden Fahrt beteiligen und versuchen, von den Durchleitungen der Polizei zu profitieren.