NSU RO 80 im Test
Revolutionärer Oldtimer mit Wankelmotor
Vor mehr als 50 Jahren debütierte der revolutionäre NSU Ro 80 mit Drehkolbenmotor und windschlüpfigem Design. Nun kommt er als Alter zum Test – der Versuch einer Annäherung.
01.06.2019 Heinrich LingnerNein Otto, sag es nicht, will ich ihm zurufen, als ich auf dem Messgelände in Lahr aus dem Auto steige. Zu spät: Roh 80, gekocht 160, deklamiert er und zitiert damit den gleichnamigen Komiker mit dessen Spruch zum revolutionären NSU.
Der Satz gehört zu den Witzeleien, die sich jeder Ro-80-Fahrer anhören musste – wie jene unwahre Geschichte, nach der sie sich gegenseitig mit den beim Grüßen erhobenen Fingern die Zahl der Austauschmotoren signalisierten.
Der Frühling meint es gut, fast 20 Grad sind für das Badische angekündigt. Das heißt, und da kommt Testfahrer Otto wieder ins Spiel, gefühlte 40 im klimaanlagenlosen Ro 80. Jetzt bin ich aber da, der NSU rollt in die Halle, es ist kühl, und in der Ecke steht ein Getränkeautomat. Die Testmannschaft umschwärmt den kupfermetallicfarbenen Oldie. Ich könnte die Kollegen jetzt mit unnützem Wissen zu diesem Auto langweilen, widerstehe der Versuchung aber und schaue stattdessen lieber nach, was es so auf die Waage bringt.
Drehkolben mit Exzenterwelle
1.285 Kilogramm sind es inklusive 83 Litern Super. Der NSU ist trotz des kompakten Wankelmotors kein ausgesprochenes Leichtgewicht, eine zeitgenössische Mittelklasse-Limousine wie der Audi 100 Typ 43 (ersetzt 1977 den Ro 80) ist rund 100 Kilogramm leichter, ein Mercedes 230 oder ein Citroën CX dagegen etwa 100 Kilogramm schwerer.
Vielleicht sollte man was erzählen über den genialischen Erfinder, Motorenkonstrukteur ohne Führerschein und Abitur, Bootsbauer, Nichtschwimmer und Tierfreund Felix Wankel, dessen Name eng mit der Erfindung des Kreiskolbenmotors verbunden ist. Doch deswegen sind wir nicht hier, sondern wegen dieses besonderen Autos mit dem besonderen Motor.
Den erfand streng genommen der NSU-Ingenieur Hanns-Dieter Paschke, denn er hatte die Idee, den bei Wankels ursprünglicher Konstruktion mitrotierenden Außenläufer stillzulegen. Erst dadurch entstand eigentlich der Kreiskolbenmotor, bei dem der Innenläufer nicht nur den Gaswechsel steuert, sondern zudem das Drehmoment über die Exzenterwelle abgibt.
Das haben Sie möglicherweise ebenso wie Otto bereits gewusst. Also schweige ich und beobachte ihn, wie er die Messapparaturen an die Scheibe und den GPS-Empfänger aufs Dach pappt. Wie die Fahrt denn gewesen sei, fragt er. Immerhin habe ich den NSU aus Lindau herchauffiert, etwas mehr als 200 Kilometer über die Alb und durch den Schwarzwald. Das reicht, um ein Auto kennenzulernen.
Unser Testwagen kommt von der Neckarsulmer Filiale der Audi Tradition, die sich um die NSU-Fahrzeuge kümmert. Die großen Heckleuchten und die gummibelegten Stoßstangen weisen ihn als ein spätes Exemplar nach den Werksferien 1975 aus.
Audi hat zur Übergabe nicht nur den Wagen nach Lindau geschickt, sondern auch Albert Keicher. Der erfahrene Wankel-Spezialist hat ein paar Tipps zum Umgang mit dem Ro 80. Keine dumme Idee, denn nicht alles an diesem Auto ist selbsterklärend. Das gilt etwa für das Getriebe, das über einen Drehmomentwandler und eine Trennkupplung verfügt, die auskuppelt, sobald der Schalthebel berührt wird. Die drei Gänge müssen von Hand eingelegt werden.
Zudem gibt es eine Parksperre links vorn, und die restlichen Gänge sind im umgekehrten H-Schema angeordnet. Albert erklärt das alles, er hat es wohl schon häufiger getan. Nach dem Öl müsse man schauen, einen Liter verbrennt der Wankel alle 1.000 Kilometer, doch der Vorrat reiche vermutlich, meint er.
Dann darf ich los. Die Lenkung ist servounterstützt, das Unterdrucksystem betätigt zudem die Kupplung. In NSU-Foren ist zu lesen, dass es mitunter für Ärger sorge. Nicht so bei diesem Exemplar. Nur an die langen Schaltwege musst du dich gewöhnen und die damit verbundenen Pausen.
Wankel mit Wandler
Freilich gibt es nicht viel zu schalten. Der erste Gang reicht bis 80 km/h, der zweite bis 130, und anfahren kann man dank Drehmomentwandler in beiden. Gewöhnungsbedürftiger ist allerdings die Anfahrschwäche des Wankels, dessen Drehmomentkurve eher sanft auf jene 164 Nm steigt, die erst jenseits von 4.500/min auf dem Drehzahlmesser erreicht werden.
Das ist nicht störend, nur anders – so wie der ganz spezifische Klang, der sich selbst von dem des Wankel-Mazda-RX unterscheidet. Bei hohen Drehzahlen wird der Motor eher leiser, das zweitaktähnliche Geplötter zum turbinenartigen Heulen.
Irgendwann windet sich die Landstraße vom Bodensee zum Schwarzwald hoch, der NSU hängt im Zweiten bei 5.000 Umdrehungen gut am Gas. Leistung? Nicht überschäumend, aber durchaus vorhanden. Es reicht für Überholmanöver, sogar bergauf.
Die Messgeräte in Lahr sind inzwischen startklar, wir auch. Zuerst rollen wir ein paarmal die Bahn auf und ab, Otto fremdelt ein wenig mit der an den Schalthebel gekoppelten Trennkupplung. Dann wird gebremst. Die 175er-Reifen beißen sich bei 100 km/h in den Flugplatzasphalt, quietsch, der Wagen steht.
Bremst und fährt
Etwas mehr als 46 Meter benötigt er hier, dabei hat er mit seinen vier Scheibenbremsen eine für jene Zeit recht aufwendige Bremsanlage. Der Porsche 924 etwa hatte zeitlebens hinten Trommeln. Abgehakt, der nächste Punkt: Geräuschmessung. Sein leiser, ruhiger Lauf zählt ja zu den Kernkompetenzen des Kreiskolbenantriebs. 76 dB(A) bei 130 km/h sind ein achtbares Ergebnis, und sie entsprechen den bei zeitgenössischen Tests gemessenen Werten.
Doch auch subjektiv ist es ruhig. Ab 100 km/h dominiert der Wind, der an der windschlüpfigen Karosse (cW 0,355) entlanggleitet. Die Sonne steht inzwischen ziemlich senkrecht über Lahr, die großen Glasflächen des NSU bieten wenig Schutz. Mit anderen Worten: Es wird noch wärmer innen. Eine Klimaanlage gab es übrigens nie für den Ro 80, nur die Vorstandsautos der Audi-Oberen sollen damit ausgestattet gewesen sein, heißt es.
Ausreichend schnell (180 km/h) und fix für den heutigen Alltagsverkehr ist er ohnehin. Die 14,9 Sekunden bis 100 km/h fühlen sich schneller an, ein beträchtlicher Teil dieser Sekunden verschlupft scheinbar beim Anfahren ab Festbremsdrehzahl im Drehmomentwandler.
Standard-Slalom und Ausweichtest liegen ihm nicht so sehr. Er untersteuert heftig und zeigt beachtliche Seitenneigung, bleibt dabei aber brav und gut beherrschbar. Lastwechselreaktionen? Eher nicht. All das sind Eigenschaften, die den Testern bereits vor 50 Jahren auffielen.
Zu denen zählt ebenso der geschmeidige Federungskomfort. Obwohl die NSU-Entwickler keine Erfahrung mit so großen, schnellen Autos hatten, fanden sie eine noch heute akzeptable Abstimmung. Dank langer Federwege und straffer Dämpfung überrollt der Fronttriebler große und kleine Wellen ungerührt, nur kurze Unebenheiten kommen etwas herber durch. Das stört hier kaum, auch weil die Sitze groß und gut gepolstert sind. Bei unserem Auto stammen sie aus dem Audi 100, die früheren Exemplare hatten NSU-Gestühl.
Weitere 200 Kilometer über die Alb nach Stuttgart stehen nun bevor. Kurz hinter Lahr wird es waldig und kühl, das Fahrerfenster bleibt runtergekurbelt. Es ist nicht viel los werktags im Schwarzwald. Ferienzeit. Die Tankanzeige pendelt um die mittlere Markierung, also lieber tanken und Öl checken. Nur 25 Liter fließen rein, die Anzeige scheint übervorsichtig.
Später rechnen wir den Testverbrauch aus: 14,5 Liter auf 100 Kilometer. Auf der Öko-Runde sind es nur 11,1, nach einer schnelleren Autobahnetappe fast 18 Liter. Zu übertriebener Sparsamkeit neigt der Ro 80 also nicht, auch das hat sich nicht geändert.
An der Tankstelle fragt ein älterer Herr mit jüngerer E-Klasse, ob das ein Ro 80 sei. Sein Schwager habe früher einen gefahren. Und, bevor ich einsteigen kann, sagt er: „Roh 80, gekocht 160, haben wir damals gesagt.“ Das ist von Otto Waalkes, könnte ich ihm nachrufen. Aber ich lasse es.
Vor- und Nachteile
- wegweisendes Design, sehr gutes Raumangebot, großer Kofferraum, hervorragende Sicht, solide Verarbeitung, wenig Windgeräusche und nicht zuletzt wunderschöner Lack in Kupfermetallic
- toller Federungskomfort, sehr bequeme Sitze vorn und hinten, insgesamt sehr leise
- Kreiskolben-Triebwerk mit hervorragender Laufkultur, bequeme Halbautomatik
- sicheres, leicht untersteuerndes Eigenlenkverhalten, leichtgängige, gefühlvolle Lenkung
- kein Bremsfading, Dreipunkt-Automatikgurte
- serienmäßige Abgasnachbehandlung mit Lufteinblasung
- kein Wertverlust, günstige Steuer und Versicherung
- Innenraum heizt sich sehr stark auf, hoher Auffälligkeits- grad im Alltagsverkehr, erfahrungsgemäß sehr rostempfindlich
- mäßig wirkende Lüftung, beengter Einstieg hinten
- nur drei Gänge
- starke Seitenneigung bei schneller Kurvenfahrt
- mäßige Bremswirkung
- hoher Kraftstoffverbrauch, Ölverlustschmierung, sehr intensiver Abgasgeruch
- Preise in den letzten Jahren deutlich gestiegen
Fazit
Eigentlich müssten wir dem NSU ja mindestens einen Stern abziehen – für den Verbrauch etwa. Wir geben ihm aber fünf: für das Design, den eigenwilligen Antrieb, den Fahrkomfort, das Raumangebot und den Kultfaktor.