Mitsubishi Sigma 3000 V6 gerettet!
3,0-V6 billigst geschossen
650 Euro wurden für diese entzückende Oberklasse-Limousine aufgerufen, ich war der einzige Interessent, Zeit zum Verhandeln. Der Mitsubishi Sigma kostete nicht mehr als ein Nachmittag im Freizeitpark. Meine Stunden mit ihm waren schöner.
20.11.2015 Alf CremersEigentlich wollte ich mir endlich den lang ersehnten Cadillac Seville STS kaufen. Ein Auto aus einer völlig anderen Welt, mit imposantem Northstar-V8, vier Nockenwellen, 32 Ventilen und 300 PS. Ein Auto aus dem Vollen, eines, das polarisiert und meine Frau provoziert, schon mit seinem schroff-kantigen Design. Eines, das meine Kollegen schon beim ersten Mittagessen nach dem Kauf in der Kantine herzhaft verreißen würden, wie immer halt. Diesmal wären es eben Frontantrieb und Quermotor, die gar nicht gingen. Wie kann man nur? Und dann die Ersatzteile, wenn mal was ist, mörderteuer und von ganz weit her über den großen Teich?
Im Internet über den Mitsubishi Sigma gestolpert
Doch die beiden avisierten Caddy-Okkasionen sind geplatzt wie Seifenblasen. Der bei Zimmermann in Friedrichshafen sprang nicht an, wahrscheinlich Benzinpumpe oder doch schlimmer? Und der in Augsburg war schon weg, als ich dort eintraf. Auf den Kiesplätzen gilt eben das Recht des Schnelleren und Stärkeren. Abdrücken und mitnehmen. Alles andere ist in dem rauen Geschäft was für Mädchen. Frustriert legte ich eine Nachtschicht bei mobile.de und autoscout24 ein, da stieß ich bei den ganz Billigen unter 1.000 Euro auf einen Mitsubishi Sigma 3000 V6: aus erster Hand, 262.000 km, alle Kundendienste, TÜV zwei Monate.
Die große Japan-Limousine mit der böse blickenden Haifischschnauze und dem kessen dritten Seitenfenster gefiel mir schon, als die Ulmer Polizei so einen Mitte der 90er als Zivilstreife fuhr. Im gleichen Cavalier-Grau, die beste Tarnung, die es geben kann. Der Mitsubishi Sigma gäbe ein schönes zeitgenössisches Pendant zu meinem Nissan Maxima ab. Beides sind vom Aussterben bedrohte japanische Tierarten, die oft nach Westafrika ausgesetzt werden und bei Altöl und Altreifen in den Straßen eines Städtemolochs dahinsiechen.
Der große Unbekannte
Stilistisch hat der Mitsubishi Sigma in seiner breithüftigen Bulligkeit etwas Amerikanisches, den günstigen cw-Wert von 0,31 sieht man ihm nie und nimmer an. Er könnte ein Chrysler sein, den Dreiliter-V6-Motor mit 177 PS hatte die US-Marke unter dem Penta-Stern ja sowieso lange Zeit von Mitsubishi Motors ausgeliehen. Bei Chrysler hieß der Sigma eben Saratoga, so einfach geht das. Also auf nach Ingolstadt, adieu Seville, neues Spiel, neues Glück. Den Mitsubishi Sigma scanne ich schon im Vorbeifahren, wie alle meine Lieblinge steht er ganz hinten in der Ecke. Zunächst beschnuppere ich ihn still und ohne Aufsehen, inkognito, aus dem Hinterhalt.
Das ist für mich wichtig, erst wirken lassen, ganz in Ruhe, ohne bedrängt zu werden. Okay, ich repetiere in Gedanken vor mich hin: lange gestanden, Laubreste, Schmutz in allen Ecken, aber nicht gruselig, Rost an den hinteren Schwellern und Radläufen, aber im Frühstadium. Ein Rücklicht und ein Scheinwerfer ziehen Wasser. Der Auspuff des Mitsubishi Sigma sieht aus, als hätte man ihn in Salzlake eingepökelt.
Aus Tiefschlafphase erwecken
Innen wirkt der Mitsubishi Sigma durchs getönte Glas betrachtet sauber. Außen ein paar Kratzer, 24 Jahre hinterlassen ihre Spuren, 262.348 Kilometer erst recht. Die Radkappen sind zwar original, aber gar nicht schön, darunter verbergen sich rostschorfige Stahlräder. Schön, dass Alus dabei sind, eins dieser martialischen Räder wurde lieblos auf die Rückbank geworfen. Erste Annäherungsphase bestanden, ich gehe ins Büro, das kein Container ist, Kiesplatzhändler Riza Elibal gibt mir den Schlüssel, lässt mich in Ruhe schalten und walten.
Der Mitsubishi Sigma scheint noch in der Tiefschlafphase, der Anlasser dreht, aber der robuste Zahnriemen- V6 verweigert sich. Das ruft meine innere Stimme auf den Plan, sie sagt: "Tu es nicht!" Der Tank ist noch viertel voll, daran kann es nicht liegen. Ich pumpe und starte mit halb durchgetretenem Gaspedal, jetzt läuft der Sechszylinder zaghaft und ruckelig an, die "Check Engine"-Kontrollleuchte flackert dabei, das könnte eine defekte Lambda-Sonde bedeuten. Ich bitte um eine längere Probefahrt, Riza Elibal stimmt zu, ein junger Mann von ausgesuchter Höflichkeit, der seine Chance wittert, die japanische Standuhr endlich vom Platz zu kriegen, bevor sie Moos ansetzt.
Mitsubishi Sigma ist ein stiller Star
Zwei, drei Kilometer Ingolstadt-auswärts raufen wir uns so zusammen, der Mitsubishi Sigma und ich. Während das Ruckeln und die schlechten Übergänge beim Gasgeben langsam nachlassen, checke ich die Fensterheber und das Schiebedach, gebe am Bahnübergang den Radiocode ein und fühle mich langsam wohl im Mitsubishi-Flaggschiff.
Der Mitsubishi Sigma liegt satt auf der Straße, er federt komfortabel, längst vorbei sind die Zeiten primitiver japanischer Starrachs-Fahrwerke. Der Sigma hat hinten eine Achtlenkerachse. Ich mag Mitsubishi, hatte vorher schon zwei Galant Typ E10 und einen Sapporo Typ E16, ehrliche unprätentiöse Autos, die mein Herz wärmen, aber wohl auch nur meins. Und keinesfalls das von Frauen.
Dreiliter-V6 mit kernigem Klang
"Check Engine" ist erloschen und die Betriebstemperatur erreicht. Jetzt drehe ich den V6 raus aus dem Bummelmodus, rein in den trashigen Ingolstädter Suburban-Gürtel, wo sich Einkaufscenter, Tankstellen und Fast-Food-Restaurants abwechseln. Richtung Manching, nähe Auffahrt Ingolstadt-Süd. Dort wo alles grell ist, schreiend Konsum diktiert und wo rote Leuchtreklamen Sündiges signalisieren. Um entspannte 3.000 Touren zeigt der robuste, keineswegs überzüchtete Dreiliter im Mitsubishi Sigmasein durchzugsstarkes Zupacken gepaart mit kernigem Sound.
Motorseitig glänzt der Mitsubishi Sigma so sehr, dass man ihm seinen Frontantrieb verzeiht. Aber er ist kein samtigschmusiger Leisetreter wie der BMW-Reihensechser. Rostige Doppelrohre spielen einen verruchten Bass. Ein Hauch von Ami-V8 mischt sich in die Frequenz. Intoniert satte Zufriedenheit im breiten mittleren Drehzahlband, was seins ist und auch meins, der nicht wahnsinnig drehen möchte, um voranzukommen. Kernig wird er obenraus, fast trompetet er. Der Wagen gefällt mir, er ist anders und besonders.
Leistung satt, Image null
Leistung satt, Image null, aber Autokenner spüren seine Kompetenz, es ist eben kein Fiat Bravo. Eine Viertelstunde später bin ich bei Riza. Ich grinse, er grinst, wir runden eine belanglose Summe ab. Tauschen Papiere und Geld, tatsächlich handelt es sich bei diesem Mitsubishi Sigma um ein Ersthand-Auto von einem Elektromeister, alle Kundendienste, der letzte bei 249.000 km, inklusive Zahnriemenwechsel.
Aus dem original Grundig-Cassetten-Radio trällert bei offenem Schiebedach "Landslide" von Fleetwood Mac, eine meiner Lieblingsballaden: "Oh Mirror in the sky, what is love?" Nur die Bremsen des Mitsubishi Sigma holen mich ab und an runter von der Wolke sieben des glückselig machenden Schnäppchenkaufs. Ihre Wirkung ist rostverschorft erst mal ziemlich mäßig.
Raus aus der Stadt, bei Burt-Bacharach-Musik sinniere ich über den Mitsubishi Sigma an und für sich. Über das scheinbar unbekannte japanische Wesen. Meditativ wähle ich die drei oberen Gänge, rauf und runter, mehr brauche ich nicht bei der geschmeidigen Motorelastizität. Selbst Seilzugschaltung und Quermotor lassen noch genügend Präzision beim Gangwechsel übrig, wie von selbst saugt der Vierte den Fünften beim Hochschalten an. Drei und vier finden sich von alleine.
Neue Bremsen würden den Zeitwert auffressen
Der kühle Wind presst mir durchs offene Schiebedach ein Träne ab, ich nehme sie symbolisch als "Missing you" für die Automatik. Sie stünde einem so talentierten Cruiser wie dem Mitsubishi Sigma noch besser zu Gesicht. Es gab übrigens vom Sigma 3.0 V6 24V eine Hightech-Version mit Automatik, elektronisch verstellbarem Fahrwerk und gar Vierradlenkung. Den 205-PS-Motor hätte ich wohl gerne, weil er blendend aussieht, aber die futuristische Fahrwerkstechnik könnte im Alter hochgehen. Schon Bremsen neu zu belegen, würde am Zeitwert meines Sigma nagen.
Ich lasse mich im und vom Mitsubishi Sigma treiben, bei der Bahn hieß das mal "Der schöne Tag", entdecke bei Moto-In in der Kälberschüttstraße verrückte Jungs, die Kreidler-Mofas aus den Siebzigern verticken, aber auch größere Sachen. Sie schicken mich zu einem befreundeten Abschleppunternehmer, der mir seine DeLorean-DMC-12-Sammlung zeigt, er hat sechs Stück.
Ein Verrückter - wie ich. Ferrari gut finden kann jeder. Aber Mitsubishi Sigma und DeLorean, beide übrigens mit Dreiliter-V6, zu preisen, erfordert schon eine gewisse Differenziertheit. Ich bin gespannt, was meine Frau heute Abend zum Sigma sagt.