Milivié 1
Käfer-Restomod für 570.000 Euro
Ein Start-up aus Leipzig bringt den VW Käfer zurück. Milivié verwendet für sein Erstlingswerk nur feinste Zutaten – und lässt sich diese fürstlich bezahlen.
21.06.2022 Thomas HarloffDie Milivié GmbH existiert seit Februar 2021. Doch wer glaubt, eine so junge Firma soll erst einmal Demut walten lassen und zeigen, was sie überhaupt kann, sieht sich von den Leipzigern eines Besseren belehrt. Für sie sind die bedeutungsschwersten Worte gerade groß genug. "Milivié ist die Idee von Jonathan Engler, einem aktiven, innovativen Ingenieur und Künstler mit der Vision, aussterbende deutsche Automobilikonen zu feiern und sie auf diskrete Weise mit unvorstellbaren Standards neu zu gestalten." Diese Sätze stehen in jener Pressemeldung, in der die Firma sich selbst und ihr Erstlingswerk dem Publikum vorstellt.
Zurückhaltung? Demut? Sich erst einmal beweisen, bevor man verbal auf den Putz haut? In der jungen Start-up-Szene ist das offensichtlich derzeit nicht gefragt. Aber wer 570.000 Euro aufruft für das erste Produkt, das er je auf den Markt geworfen hat, muss das eben irgendwie mit Anspruch untermauern. Zum Verständnis: Hier ist nicht die Rede von irgendeinem High-End-Automobil in der Liga superseltener Porsches, Ferraris oder Ähnlichem. Beim Milivié 1 handelt es sich um den Restomod-Umbau eines VW Käfers, dem Synonym für die Massenmobilisierung Deutschlands in der Wirtschaftwunderzeit. Bis 2003 wurden mehr als 21,5 Millionen Exemplare gebaut. Exklusivität sieht anders aus.
Chassis und Karosserie stark verändert
Was bekommen Käuferinnen und Käufer eines Milivié 1 also als Gegenwert für ihr Geld? Zuerst einmal einen VW 1303 als Spenderfahrzeug, der von den Leipzigern höchstpersönlich (aus)gesucht wurde; also gut genug in Schuss ist, um "die Grenzen des Restomods in einen neuen Bereich" zu verschieben (O-Ton Milivié). Obwohl das auserwählte Auto damit automatisch zur Käfer-Elite gehören müsste, bleiben vom Unterbau nicht mehr als das Chassis und die Bodengruppe übrig – und das in stark veränderter und komplett überholter Form.
Apropos Form: Die Truppe um Jonathan Engler behält beim Karosserie-Design zwar die bekannte Käfer-Silhouette bei, will bei zahlreichen Details jedoch verschiedene Porsche-Modelle zitiert haben. Die Originalkarosserie findet weiter Verwendung, wird aber entschlackt: Dinge wie die Fensterrahmen, Tankklappe, Regenrinnen, Türgriffe, Spiegel, Antenne, Stoßstangen sowie die oben angebrachten Blinker, die aufgesetzten Heckleuchten und das gesamte Chromdekor gibt der Käfer ab. Die Fronthaube wandert zugunsten eines moderneren Erscheinungsbildes und einer optimierten Aerodynamik acht Zentimeter nach vorne und zeigt sich abgeflacht. Auch die Windschutzscheibe verschiebt Milivié in Frontrichtung, während der Bürzel-Spoiler der sächsischen Kreation einen Hauch Sportlichkeit verleiht.
Völlig neuer Innenraum
Innen verfügt der Milivié 1 über vier einzelne beheizte Schalensitze, wobei beide Paare von einer Mittelkonsole getrennt werden. Als Schnittstelle zwischen der Fahrerin oder dem Fahrer und dem Auto dienen zwei 12,3-Zoll-Bildschirme mit selbst programmierter Software, die in einem gemeinsamen Gehäuse aus Klavierholz sitzen. Mit Wischbewegungen lassen sich die Designs und die angezeigten Informationen ändern. Wer möchte, kann auf Instrumente im Stile der Käfer-Originalarmaturen oder dessen analoger Uhr schauen. Zugunsten möglichst glatter Oberflächen verzichtet der Milivié 1 weitgehend auf Tasten oder Knöpfe. Dafür gibt es verschiedene Strom- und Ladeanschlüsse mit 220 Volt, USB oder auch kabellos sowie ein Audiosystem mit neun Lautsprechern. Die Materialien und deren Farben sucht sich die Kundschaft individuell aus; ein passender Koffer liegt jedem Auto bei.
Ins Heck pflanzt Milivié ein Typ-1-Boxer-Triebwerk mit 2,28 Litern Hubraum, das auf Basis eines Magnesium-Aluminium-Blocks aufgebaut wird. Es verfügt über zwei Weber-Vergaser und eine elektronische Zündanlage, erweiterte Ölkanäle und eine gewuchtete Kurbelwelle. Die Edelstahl-Abgasanlage mit titanummantelten Krümmer und zwei mittig positionierten 64-Millimeter-Endrohren stammt von einem schwedischen Zulieferer. Der in puncto technische Daten nicht näher spezifizierte Motor wird aus einem handgefertigten 56-Liter-Tank aus Aluminium mit Kraftstoff versorgt.
Mit modifizierter Porsche-Tiptronic
Getriebeseitig ist die Tiptronic aus dem Porsche 964 Carrera 2 angeschlossen, Experten unter der Bezeichnung "ZF 4HP22HL" bekannt. Milivié überholt nicht nur deren Technik von Grund auf und passt sie an den Vierzylinder-Boxermotor an, sondern verpasst ihr auch eine eigene Software, sodass nun drei Fahrmodi hinterlegt sind: Drive, Sports und Manual. Wer den manuellen Modus nutzt, wechselt die Gänge mit Schaltwippen, die komplett aus Kohlefaser gefertigt werden und sich an die Handform der Besitzerin oder des Besitzers angepasst zeigen.
Das Fahrwerk arbeitet vorne wie hinten mit Einzelradaufhängung samt Doppel-Querlenkern und wird in Hinblick auf Höhe, Spur, Sturz und Nachlauf auf die Vorlieben des Käufers oder der Käuferin hin abgestimmt. Die Bremsanlage besteht rundum aus 343 Millimeter großen Scheiben, in die sich vorne Sechs- und hinten Vierkolben-Monoblock-Sättel verbeißen. Für die 19-Zoll-Aluminiumfelgen bietet Milivié drei Finishes an, die jeweils auf die Karosseriefarbe abgestimmt sind. In dieser Hinsicht stehen viele verschiedene Farbtöne aus der früheren Käfer-Ära, aber auch zahlreiche Neukreationen zur Wahl.
Auf nur 22 Exemplare limitiert
Am Ende noch einmal zurück zum Preis: Dieser resultiert auch aus der knappen Limitierung auf 22 Exemplare (eines pro – großzügig gerundet – einer Million Käfer), wobei jeder Milivié 1 während des Design- und Produktionsprozesses derart individualisiert wird, dass er als Einzelstück durchgeht. Ausgeliefert wird zwischen Juli 2023 und Mai 2025, wobei Interessenten ab sofort ihr Exemplar reservieren können. Komplett ist die Ausstattung für jene Kundinnen und Kunden, die es bei 570.000 Euro belassen, allerdings noch nicht. Automatische Scheibenwischer und Fernlichtsteuerung, eine geschwindigkeitsabhängige Servolenkung oder Parkpiepser samt Kamerasystem kosten extra.