Mercedes W196R im Fahrbericht
Fangios Meisterstück-Silberpfeil
Der vor 60 Jahren präsentierte Mercedes-Benz W196 mit Direkteinspritzung und Desmodromik deklassierte die Konkurrenz nach Strich und Faden und bescherte Juan Manuel Fangio die Weltmeisterschaft 1954 und 1955. Fahrbericht.
13.01.2015 Hans-Jörg GötzlAusnahmefahrer Juan Manuel Fangio
Es ist schon faszinierend: Auch fast 60 Jahre nach seiner aktiven Rennkarriere bezeichnen viele den Argentinier Juan Manuel Fangio noch heute als besten Formel-1-Fahrer aller Zeiten. Als Beweis dient die Statistik - von den 51 Grand Prix, an denen Fangio teilnahm, gewann er beinahe die Hälfte, nämlich 24, und diese Quote ist bis heute unerreicht.
Die 24 Siege genügten zudem für fünf Weltmeistertitel, und dazu muss man wissen, dass in den 50er-Jahren pro Saison nur sieben bis neun Läufe ausgetragen wurden, die zur Fahrer-WM zählten. Ein Ausfall schmerzte also umso mehr. Doch Fangio fiel im Gegensatz zu seinen Mitstreitern niemals wegen eines Fahrfehlers oder gar Erschöpfung aus, und auch zur Technik hatte der gelernte Mechaniker aus der sonst für ihre Kartoffeln bekannten Kleinstadt Balcarce ein inniges Verhältnis.
In einer Saison auf Maserati und Mercedes unterwegs
Er habe die seltene Gabe, seinem Rennwagen stets nur das abzuverlangen, was nötig sei, lobte einst Alfred Neubauer. Kein Wunder also, dass der Mercedes-Rennleiter den Argentinier unbedingt für das neue Mercedes-Formel-Team in der Saison 1954 verpflichten wollte, obwohl Juan Manuel Fangio zu dem Zeitpunkt erst einen WM-Titel, 1951 auf Alfa Romeo, vorweisen konnte.
Doch Fangio zierte sich, schließlich lag die drückende Überlegenheit der Vorkriegs-Silberpfeile schon 15 Jahre zurück. Neubauer arbeitete wie immer mit allen Tricks: Er spendierte Fangio ein Zimmer am Nürburgring mit Badewanne, kaufte ihm eine neue Rennbrille und ließ schließlich sogar dessen havarierten privaten Straßen-Alfa-Romeo von den Mercedes-Rennmechanikern wieder flottmachen.
Es störte Neubauer auch nicht, dass Fangio die ersten beiden Grand Prix des Jahres 1954 auf einem Maserati 250F fuhr – und gewann –, weil der neue Mercedes-Formel-1 erst zum Großen Preis von Frankreich im Juli fertig wurde. In Reims saß Fangio dann am Steuer des neuen, mit einer Stromlinienkarosserie versehenen W196R, ging sofort in Führung und wurde nach 506 Kilometern als Sieger abgewunken, knapp vor seinem Teamkollegen Karl Kling.
Vorherrschaft von Fangio und W196-Silberpfeil
Was folgt, ist die absolute Vorherrschaft von Fangio und seinem Silberpfeil in der Formel 1. Von den zwölf Grand Prix auf Mercedes-Benz W196 gewinnt er acht und wird Formel-1-Weltmeister 1954 und 1955. Und es ist bis heute nicht klar, ob er seinem jungen Teamkollegen Stirling Moss nicht bei dessen Heimrennen 1955 im englischen Aintree den Vortritt ließ - was wiederum ein bezeichnendes Licht auf den großzügigen Charakter des Argentiniers wirft.
Der zweite Garant für den Erfolg war – wie schon in der Vorkriegszeit - die unglaublich penible Vorbereitung und akribische Arbeit des Mercedes-Teams, das stets für alle Eventualitäten gerüstet war und mitunter Wunder ermöglichte. So hatte man für Notfälle, falls im Training etwas zu Bruch gehen sollte und Ersatz aus Stuttgart angefordert wurde, einen Renntransporter gebaut, der 160 km/h rannte – damals so schnell wie ein Porsche.
Das Herzstück des Erfolgs aber war der neue W196R, bei dem die Daimler-Benz AG alle Register zog: Die Rennabteilung mit den Vordenkern Fritz Nallinger und Rudolf Uhlenhaut schielte erst gar nicht nach der Konkurrenz, sondern betrat mutig Neuland – und produzierte einen ähnlichen technischen Overkill wie bei den Vorkriegs- Silberpfeilen.
Neue Rennformel ab 1954
Angesichts der ab 1954 geltenden neuen Rennformel, die den Hubraum für Saugmotoren auf 2,5 Liter begrenzte, entschied man sich für einen stark nach rechts geneigten Reihenachtzylinder, der im Prinzip aus zwei gekoppelten Vierzylinderblöcken bestand, was die Verdrehschwingungen der Kurbelwelle in Grenzen hält - ähnlich wie beim Alfa P3 von Vittorio Jano aus den 30er-Jahren. Der Antrieb der Nockenwellen und Nebenaggregate über Zahnräder sowie die Kraftabnahme über eine Zwischenwelle erfolgte zwischen den Zylindern.
Revolutionäres geschah im Zylinderkopf: Die zwei Ventile pro Brennraum wurden nicht über eine Feder, sondern über einen Schließhebel geschlossen, was schärfere Steuerzeiten und stärkere Ventilbeschleunigungen erlaubte. Allerdings musste Motorenchef Hans Gassmann, dem die Idee zur Zwangssteuerung in der Straßenbahn eingefallen war, später feststellen, dass die Desmodromik schon 40 Jahre zuvor in Frankreich erfunden worden war. Ganz neu in einem Rennwagen war dagegen die Benzin-Direkteinspritzung.
290 PS bei 8.500/min
Der Gitterrohrrahmen, dessen Stahlrohre nur auf Zug und Druck belastet waren, sowie das Fahrwerk mit Dreieckslenkern vorn und Eingelenk-Pendelachse hinten entsprach dem Stand der Technik, die Trommelbremsen lagen bei fast allen W196-Versionen innen zur Reduzierung der ungefederten Massen. An der Hinterachse gab es dafür eine trickreiche Mechanik, mit der sich bei leerendem Tank durch Verdrehung der Drehstäbe wieder der negative Sturz wie bei vollem Tank herstellen ließ.
Mit anfangs 257, später 290 PS bei 8.500/min lag die Leistung weit unter dem Silberpfeil-Maximum der Vorkriegszeit mit bis zu 649 Kompressor-PS, dennoch schneller. Das Geheimnis neben besseren Reifen: leichtere Beherrschbarkeit.
"Er fährt sich viel einfacher als die Vorkriegswagen W25 oder W154", erklärt Gert Straub vom Mercedes-Benz Classic Service Center, während die Mechaniker den Wagen warm laufen lassen und die knapp 40 Liter (!) Motoröl auf Temperatur bringen. Die Menge war nötig, weil die M196-Motoren bis zu 2,75 Liter Schmierstoff pro 100 Kilometer verbrauchten.
Souveräner Sieg beim Belgien-GP in Spa
Sitzprobe. Durch den breiten Kardantunnel werden die Beine weit gespreizt, Kupplung links, Bremse und Gas rechts - wenigstens liegt das Gaspedal nicht mehr in der Mitte wie bei den Vorkriegswagen. Dieser W196 ist übrigens die Nummer 8, damit hat Fangio 1955 den Großen Preis von Belgien in Spa gewonnen. Beim Gedanken daran lässt sich eine leichte Gänsehaut nicht vermeiden: Hinter diesem Lenkrad hat der beste Fahrer aller Zeiten mit 270 km/h die schnelle Masta-Kurve angebremst, hat im regennassen Training Stirling Moss fast drei Sekunden abgenommen – Karl Kling beinahe acht – und im Rennen den Streckenrekord um fünf Sekunden verbessert.
Nun aber los. Die Kupplung greift weich, doch das Fünfganggetriebe stellt dieselbe Herausforderung dar wie im Vorkriegs- W154: Das Schaltschema ist umgedreht. Vom ersten Gang links vorn geht es rückwärts rechts in den Zweiten, vor in den Dritten, rückwärts rechts in den Vierten, vor in den Fünften. Wer im Fünften ist, sich im Vierten wähnt und mit dem normalen Schema im Kopf zurückschaltet, landet im Zweiten – und produziert Kernschrott.
Trockengewicht nur 758 kg
Volle Konzentration auf die Schaltung also, zum Glück macht es der W196 seinem Fahrer ansonsten in der Tat recht einfach: Der Achtzylinder liefert schon bei niedrigen Drehzahlen Kraft. Ab 4.500 Touren beschleunigt er den mit Betriebsstoffen rund 835 kg leichten Monoposto (Trockengewicht 758 kg) ziemlich heftig. Kurz darauf ändert sich der Ton von einem lauten Brüllen in ein noch lauteres Heulen – ohne Ohrenstöpsel beinahe schmerzhaft –, und jetzt geht es wirklich voran. Der Vorwärtsdrang ist auch für heutige Verhältnisse beeindruckend.
Auf der feuchten Piste der Teststrecke drehen in den unteren Gängen die Reifen immer wieder durch, dennoch lässt sich der W196 leicht beherrschen. Kurve anbremsen, die Trommelbremsen lassen sich in der Wirkung fein dosieren, mit Zwischengas runterschalten, einlenken, leichtes Stützgas, kurz vor dem Scheitelpunkt kann man schon wieder stärker aufs Gas, dann mit Vollgas zur nächsten Ecke.
Mercedes-Benz W196 benimmt sich lammfromm
Im Vergleich zu den Vorkriegs-Silberpfeilen mit ihren aggressiven, schwer zu bändigenden Kompressormotoren benimmt sich der W196 geradezu lammfromm, was die Leistung der Fahrer keineswegs schmälert. Aber es zeigt eindrucksvoll den technischen Fortschritt der damaligen Zeit – und im Unterschied zur einstigen Konkurrenz auch die typische Mercedes- Philosophie, es dem Piloten so angenehm wie möglich zu machen.
Angesichts der Qualitäten des W196 hätte Mercedes vielleicht nicht unbedingt einen Fangio gebraucht, um zu siegen. Doch so saß der beste Fahrer im besten Auto, gemeinsam wurden sie zur Legende.
Fangio-W196 brachte mehr als 22 Millionen Euro
Im Jahr 2013 wurde ein Mercedes-Benz W196 im Rahmen des Goodwood Festival of Speed versteigert. Bonhams verkaufte den Silberpfeil mit Chassisnummer 000 06/54, der auch von Karl Kling und Hans Herrmann gefahren wurde, am 12. Juli 2013 für 19,6 Millionen britische Pfund - rund 22,67 Millionen Euro.