Mercedes Targa Florio Rennwagen von 1924
Nach 100 Jahren wieder auf der Straße
Mercedes hat einen 100 Jahre alten Rennwagen restauriert, der 1924 an der Targa Florio teilnahm und dann Jahrzehnte im Museum stand.
06.06.2024 Peter MichaelyIn leuchtendem Rot war der Mercedes 2-Liter-Targa-Florio-Rennwagen einer der Stars im Mercedes-Benz Museum. Zum 100. Geburtstag restaurierte Mercedes-Benz ihn akribisch. Wir durften das Projekt begleiten und berichten über die Arbeitsschritte, die Hochzeit von Motor und Chassis und die erste Probefahrt.
Das ist die Targa Florio
1924 nahm die Daimler-Motoren-Gesellschaft (DMG) zum dritten Mal an der Targa Florio auf Sizilien teil. Stirling Moss, der 1955 mit Peter Collins auf einem 300 SLR gewann, verglich sie mit der Mille Miglia, nannte sie aber puristischer. Der Italiener Giulio Masetti gewann 1922 auf einem privat eingesetzten Mercedes 115 PS Grand-Prix-Rennwagen und lackierte seinen Wagen dunkelrot, statt in Weiß. Denn Wagen in ausländischen Nationalfarben legten patriotische Fans manchmal buchstäblich Steine in den Weg. DMG kopierte Masettis Trick zwei Jahre später.
Der Rennwagen von 1924
Ferdinand Porsche, seit 1923 Chefingenieur bei DMG, verantwortete die Entwicklung des Rennwagens. Basis waren von Paul Daimler konstruierte Serien-Mercedes mit Vierzylinder-Kompressormotoren. Vorbild war der 2-Liter-"Indianapolis"-Rennwagen von 1923, den Porsche optimierte.
Der Wagen, der sich seit 1937 im Konzernbesitz befindet, wurde im Deutschen Museum in München und später im Mercedes-Benz Museum ausgestellt. Eine Zeit lang war der Wagen im Besitz von Wilhelm Eberhardt, der ihn für Rennen und den Straßenverkehr modifizierte. Es stellte sich heraus, dass es nicht der Siegerwagen, sondern der Wagen mit der Startnummer 32 von Christian Lautenschlager war. Christian Lautenschlager war ein DMG-Urgestein, der schon 1922 und 1923 an der Targa Florio teilnahm. Die Restaurierung zielte darauf ab, den Rennwagen in den Zustand von 1924 zurückzuversetzen
Die Lackierung in Rot
Das fragmentarische Rot von damals entwickelt im Restaurierungsprozess eine besondere Strahlkraft. "200 Stunden haben wir allein mit Versuchen zugebracht", erklärt Volker Lück, der den Rennwagen wie einst von Hand lackieren wird. Lück trug die Lackschichten auf Leinölbasis mit dem Pinsel auf. "Die Herausforderung ist nicht das Lackieren, sondern herauszufinden, wie man es vor 100 Jahren gemacht hat", erklärt Lück. Die Rezepturen für Haftgrund und Farbe bleiben ein Geheimnis, entwickelt hat sie Dr. Gundula Tutt, auf dem Gebiet der Oberflächen-Analyse von Klassikern die führende Koryphäe. Die zu 95 Prozent originale Alu-Karosserie haben die Karosserie-Fachleute um Gert van der Meij aus dem niederländischen Putten wie eine klassische Skulptur restauriert. Sie kennen jede Schraube.
Mercedes-Benz Classic hat ein internationales Experten-Netzwerk zusammengestellt. "Der Jackpot waren die originalen Konstruktionszeichnungen", berichtet Gerd Langer aus dem Konzernarchiv.
Der Motor war desolat
Der Motor, ein Technik-Meisterwerk seiner Zeit, stellte die Fachleute durchaus vor Herausforderungen. "Die Zylinderbank war desolat, der Kühlmantel durchgerostet, außerdem war eine Zylinderlaufbahn gesprengt", zählt Dietmar Krieger auf. Auch habe es vor langer Zeit offensichtlich schon einmal einen missglückten Reparaturversuch gegeben. Diverse Teile wie die Kolben oder die Ventile samt Federn mussten neu angefertigt werden. "Die Ölpumpe haben wir repariert", ergänzt Krieger, "ebenso die Wasserpumpe; alle Lager des Roots-Kompressors sowie ein Großteil der Verschraubungen sind neu." Die Liste ließe sich fortsetzen, so überholten die Experten zum Beispiel auch die Nockenwellen und die Kurbelwelle und lagerten sie neu.
Wann immer möglich, blieben auch sonst die Originalteile an Bord, etwa bei Lenkung und Hinterachse. "Im Getriebe sind praktisch nur die Dichtringe neu", ergänzt Manfred Oechsle.
Die Hochzeit von Motor und Chassis
Es ist ein Rennen gegen die Uhr wie bei der Targa Florio anno 1924. Am frühen Morgen des Hochzeits-Tages läuft der per Roots-Gebläse aufgeladene Vierzylinder-Vierventiler mit den obenliegenden, per Königswelle angetriebenen Nockenwellen noch bei Motoren-Experte Dieter Braun in Benningen/Neckar auf dem Prüfstand. Kurz vor Mittag trifft er, quasi handwarm, in der Werkstatt des Mercedes-Benz Classic Centers in Fellbach ein, um mit dem Chassis vereinigt zu werden.
Ein Hauch von Nervosität mischt sich daher in die ansonsten von ruhiger Konzentration geprägte Atmosphäre. "Vor dem, was unsere Ingenieure und Mechaniker damals geschaffen haben, kann man den Hut nicht tief genug ziehen", sagt Motoren-Experte Dietmar Krieger. Er ahnt, es wird Millimeterarbeit werden, doch er ist zuversichtlich: "Chassis und Motor gehören zusammen, alle Nummern stimmen, also sollte auch nach der Restaurierung wieder alles passen."
Trotz minimaler Toleranzen glückt die Vermählung nach knappen, präzisen Kommandos, alle Trauzeugen atmen erleichtert auf. Doch noch ist das Tagesziel nicht erreicht, denn auch die Doppelkonuskupplung soll noch eingebaut und ans Getriebe angeschlossen werden. Es dauert eine Weile, doch auch sie passt.
Die erste Probefahrt
Einhundert Jahre nach der Targa Florio 1924 glänzt der tiefrote Lack des 2-Liter-Rennwagens in der Frühlingssonne, die über der legendären Einfahrbahn im Werk Untertürkheim leuchtet. Nur einen Steinwurf von hier entfernt ist er einst entstanden. Es ist Samstag, erst am Dienstag zuvor lief der Motor auf dem Prüfstand. Bis in die Nacht haben Manfred Oechsle und Dietmar Krieger vom Mercedes-Benz Classic Center geschraubt. Alle sind sie versammelt, Marcus Breitschwerdt, Leiter Mercedes-Benz Heritage, Projektleiter Andreas Häberle, Archiv-Experte Gerd Langer und Motoren-Fachmann Dieter Braun, auch die Karosseriekünstler um Gert Jan van der Meij.
Es ist ihr Baby, das gleich auf die Strecke gehen wird. Erst am Vortag hat es die ersten Testrunden absolviert. Ex-Formel-1-Pilot Karl Wendlinger gebührte das Privileg, dem Wagen wieder Leben einzuhauchen. Die Mercedes-Benz-Mannschaft schätzt den sympathischen Österreicher wegen seiner Feinfühligkeit und Umsicht.
Es ist eine subtile Mischung aus Serien- und Renntechnik, die den Targa-Florio-Boliden gut fahrbar machen soll. "Getriebe und Lenkung sind zum Beispiel seriennah", erklärt Manfred Oechsle. Die ungekühlten Grauguss-Bremsbacken der per Seilzug betätigten Vierradbremsen seien charakteristisch für Mercedes-Rennwagen aus jener Zeit. "Die hintere Starrachse ohne Sturz geht wohl auf Ferdinand Porsche zurück, ihre Übersetzung von 1:5 wurde speziell an die Targa Florio angepasst, für die ein Höchsttempo von 120 km/h vorgesehen war", so Oechsle. Die Piloten seien die meiste Zeit des Rennens im dritten und vierten Gang gefahren.
Wir wären beinahe gar nicht gefahren. "Die Doppel-Lederkonuskupplung rutschte gestern nach einigen Runden durch", berichtet Manfred Oechsle. In ihrer Nachtschicht lösten Dietmar Krieger und er dieses Problem. Man muss den Hut vor ihnen ziehen, ebenso vor Wilhelm Traub. Wir wissen nicht, wie groß er war, doch der Verfasser dieser Zeilen hat mit 1,83 Metern alle Mühe, sich nach mühsamer Kletterarbeit in die enge Sitzschale neben Karl Wendlinger zu quetschen, der selbst 1,87 Meter misst. Wie in einer Sardinenbüchse sind wir zusammengepfercht.
Links an der Bordwand befinden sich zwei Kraftstoff-Hähne und die Handpumpe, mit denen der Beifahrer Druck aufbaut, sodass Sprit vom Haupttank in einen Zwischentank über dem Motor befördert wird, von wo aus er als Fallbenzin den Vergaser flutet. Beim Fahren übernimmt eine Pumpe am Motor die Förderung – fällt sie aus oder ist das System wider Erwarten leer, kann der Beifahrer einspringen. Darunter befindet sich ein Reservoir, aus dem die Wasserpumpe geschmiert werden kann. Mit einem Rändelrad kann zudem die linke Vorderradbremse nachjustiert werden.
Dietmar Krieger steht schon an der Anlasserkurbel. Nach wenigen Umdrehungen erwacht der Vierzylinder explosionsartig zum Leben. Es ist ein kehliger, für einen Vierzylinder fast untypisch tiefer Klang, der von den Einfassungen der Einfahrbahn widerhallt. Das Trommelfell vibriert, als Wendlinger sich mit gezielten Gasstößen auf den Start vorbereitet. Er muss sich konzentrieren, denn das Gaspedal liegt in der Mitte, rechts ist die Bremse, links die Kupplung. Butterweich kuppelt Wendlinger ein.
Im Kampf mit den Elementen
Rasch schaltet er hoch, dreht nicht über 3000/min. Man spürt die geballte Elastizität des Vierzylinders. Er hängt willig am Gas und setzt kleinste Pedalbefehle sofort um, während der Wind schon bei niedrigem Tempo auf Orkanstärke anschwillt. Als Beifahrer ist man dem Sturm erbarmungslos ausgeliefert, jede Querfuge schlägt zudem auf die Wirbelsäule durch. Unfassbar, dass Wilhelm Traub diese Tortur bei der Targa Florio unter viel schlimmeren Bedingungen so lange ertragen konnte. Über uns hätte er wohl nur milde gelächelt. "Wenn man älter wird, wird man auch kälter", gab er einst der Untertürkheimer Zeitung zu Protokoll. Er muss indes schon als junger Mann erstaunlich kaltblütig gewesen sein.