Mercedes SL Historie (1952-2020)

Flügeltürer, Pagode, Hightech-Roadster

Die Geschichte des Mercedes SL fängt 1952 auf einer Autobahn bei Stuttgart an. Mit dem Super Leicht stieg Mercedes wieder in den Motorsport ein, aus dem Rallye-Engagement aus und lieferte zuverlässig den Traumwagen für Generationen. Wir erzählen die Geschichte von Flügeltürer, Pagode und all den anderen: R 107, R 129, R 230 und R 231.

SL-Generationen (1954-2020) Foto: Mercedes/Patrick Lang 37 Bilder

Zu behaupten, der letzte Mercedes SL wäre 2020 vom Band gelaufen, ist falsch und richtig zugleich. Denn tatsächlich endete schon voriges Jahr die Produktion des großen offenen 2+2. Andererseits wird es natürlich einen Nachfolger geben. Den neuen SL entwickelt AMG und so wird er auch als Mercedes-AMG SL auf den Markt kommen.

Rückkehr zum Motorsport

Zurück zum Sport, wenn man so will. Denn als die Daimler-Benz Aktiengesellschaft am 12. März 1952 auf einer Autobahn bei Stuttgart den neuen 300 SL (W 194) Journalisten zeigt, kündigt die Marke auch ihre Rückkehr in den Motorsport an: "Drei 300 SL wurden inzwischen für das am 3./4. Mai 1952 stattfindende, berühmte italienische Straßenrennen, die ‚Mille Miglia‘, mit den Fahrern Carraciola, Lang und Kling am Steuer, gemeldet." In der Pressemitteilung an die "Sehr geehrte Schriftleitung" verweist Daimler-Benz auf den Sieg Carraciolas bei der Mille Miglia 1931 mit einem Mercedes SSKL.

Sicher ein Hinweis, dass man es ernst meint mit dem Sport. Ein anderer: SL steht für super-leicht, erklärt die Presseabteilung. Der Gitterrohrrahmen, dessen dünne Rohre nur auf Zug und Druck beansprucht sind, wiegt nur 50 Kilogramm. Wegen des Rahmens liegt der Einstieg hoch, die Türen sind am Dach angeschlagen – daher der Spitzname Flügeltürer. Zwei Mal senkt Mercedes den Einstieg ab: 1954 für das Serienmodell W 198 und 1957 für den 300 SL Roadster. Der hat schließlich konventionelle Türen.

Mercedes SL gewinnt 1952 mehrere Rennen

Mercedes 300 SL W 194 (1952) Foto: Mercedes-Benz
Mit dem 300 SL gewinnt Mercedes 1952 in Le Mans.

Und der Sport? Bei der Mille Miglia 1952 belegt der 300 SL die Plätze zwei und vier. Noch im selben Jahr holt Mercedes beim Sportwagenrennen in Bern einen Dreifachsieg, bei den 24h von Le Mans einen Doppelsieg und beim Sportwagenrennen auf dem Nürburgring einen Vierfachsieg. Die Carrera Panamerica in Mexico gewinnen die beiden Duos Karl Kling/Hans Klenk und Herrmann Lang/Erwin Grupp ebenfalls noch 1952. Ab 1954 engagiert sich Mercedes in der Formel 1.

Mit dem Gitterrohrrahmen dem für die Saison 1953 entwickelten, aber dann nicht eingesetzten Dreiliter-Reihensechser-Direkteinspritzer entwickelt Mercedes die Serienversion des 300 SL. Die hat am 6. Februar 1954 während der International Motor Sports Show in New York Premiere.

Der Motor leistet 215 PS. Je nach Hinterachsübersetzung wird der SL bis zu 260 km/h schnell. Das ist auch heute noch beachtlich – doch damals, zwischen Goggos, Motorrädern und 1200er-VWs mit etwas mehr als einem Zehntel der Motorleistung muss das wahnsinnig schnell gewesen sein.

Neupreis 1954: 29.000 Mark

Mercedes 300 SL Flügeltürer W 198 (1954) Foto: Mercedes-Benz
Wer es sich leisten kann, fährt Ende der 50er Mercedes SL.

Wer es zu etwas gebracht hat, fährt einen Mercedes 220. Der kostet damals 12.500 Mark. Für einen 300 SL verlangt Mercedes mehr als das Doppelte: 29.000 Mark. Inzwischen ging die Preisschere noch weiter auseinander, Flügeltürer kosten je nach Zustand, Ausstattung und Historie etwa eine Million Euro. Von 1954 bis 1963 baut Mercedes 1.400 Flügeltürer, davon 29 mit Aluminium-Karosserie, und 1.858 Roadster. Wesentliche Änderungen während der Bauzeit: Scheibenbremsen vorn ab 1961, Leichtmetall-Motorblock ab 1962.

Mercedes 190 SL: Der SL für den Boulevard

Mercedes 190 SL W 121 (1955-1963) Foto: Mercedes-Benz
Geschickter Imagetransfer: 190 SL auf Ponton-Basis, Design im Stil des 300 SL.

Strategisch geschickt stellt Mercedes 1954 den 190 SL zusammen mit dem 300 SL in New York vor. Image und Designmerkmale des Flügeltürers strahlen auf den Roadster ab. Technisch ist der jedoch bieder: Der 105 PS starke Vierzylindermotor stammt ebenso wie Bodengruppe, Vorderradaufhängung und die hintere Eingelenk-Pendelachse aus dem Baukasten der Ponton-Limousinen. Mit 170 km/h Höchstgeschwindigkeit und 14,5 Sekunden von null auf 100 km/h sind die Fahrleistungen im Vergleich zum – viel teureren – Flügeltürer eher Mittelmaß. Von 1955 bis 1963 entstehen im Werk Sindelfingen 25.881 190 SL. Heute kostet ein 190 SL in gutem Zustand rund 100.000 Euro.

SL W 113 "Pagode": Nachfolger für 300 SL und 190 SL

Die Aufgabe, einen Nachfolger für 300 SL und 190 SL zu finden, löst Mercedes elegant mit der Pagode. Der 230 SL hat 1963 auf dem Genfer Salon Premiere und wegen der Gestaltung seines Hardtops schnell einen Spitznamen: Pagode. Die nach innen gewölbte Form des Dachs erinnert an geschwungene Dächer asiatischer Tempel, hat aber praktische und ästhetische Gründe: Weil die Außenkante höher liegt, ist die Rundumsicht besser, der Einstieg bequemer und das Design filigraner als bei einem konventionell nach oben gewölbten Dach. Mit dieser funktionalen und filigranen Lösung ist die Pagode ein typischer Vertreter des 60er-Jahre-Designs, das später unter dem Begriff "Midcentury" eine Renaissance erlebt und für einen Aufbruch in Technik, Architektur und Gesellschaft steht.

Die Technik des W 113 hingegen ist eher bodenständig als spektakulär: Sie stammt vom 220 SE. Die "große Heckflosse" W 111 liefert Bodengruppe, Pendelachse und Sechszylindermotor. Der wird auf 2,3 Liter aufgebohrt und bringt damit 150 PS. Von 1967 bis 1968 übernimmt der 250 SL, bevor dann der 280 SL mit 170 PS kommt. Bis 1971 baut Mercedes 48.912 W113 – ein Erfolg. Nach einem Höhenflug ins Sechsstellige notieren sehr gute 280 SL heute bei etwa 90.000 Euro.

R 107: offene S-Klasse mit 18 Jahren Bauzeit

Mercedes SL R 107 (1971-1989) Foto: Mercedes-Benz
Meistverkaufter und längstgebauter SL: Mercedes baute in 18 Jahren 237.287 R 107.

Rein rechnerisch verdoppelt Mercedes mit dem R 107 die jährliche SL-Produktion. Doch das ahnt noch niemand, als der neue SL im Frühjahr 1971 Premiere hat. Der Stil: Im Detail noch 60er-Jahre, doch eckige Scheinwerfer und geriffelte Rückleuchten nehmen das Design der S-Klasse W 116 vorweg. Mit großem Zentralstern im breiten Kühlergrill pflegt der R 107 SL-Tradition und die Dachbetätigung mit separater Kurbel wirkt sehr klassisch.

Erstmals baut Mercedes einen Achtzylinder in den SL; 200 PS leistet der 3,5-Liter-V8 im 350 SL. Auch der Doppelnockenwellen-Reihensechszylinder M 110 ist neu im SL. Mercedes-Fahrer kennen ihn schon aus dem /8. Bis 1981 läuft zeitglich die 36 Zentimeter längere Coupé-Variante SLC vom Band, die sozusagen die Brücke zwischen W 111 Coupés und W 126 SEC schlägt. Vom Coupé baut Mercedes 62.888 Exemplare und vom Roadster rekordverdächtige 237.287 Stück. Die Bauzeit von 18 Jahren übertrifft nur noch das G-Modell. Die Preise haben zuletzt angezogen; rund 35.000 Euro sind für einen frühen 350 SL einzuplanen.

R 129: Bestseller im Sacco-Design

Als der neue SL 1989 auf dem Genfer Auto Salon steht, sieht der R 107 schlagartig alt aus. Breitspurig, flach und leicht keilförmig steht der R 129 auf seinen serienmäßigen Leichtmetallrädern. Der leistungsfähige Viernockenwellen-V8 im 500 SL ist ebenso neu wie der Vierventil-Reihensechser im 300 SL-24. Serienmäßig elektrisch einstellbare Integralsitze, automatischer Überrollbügel und das elektrohydraulische Verdeck: Der R 129 ist ein heute noch alltagstaugliches Cabrio mit dem Komfort und der Solidität einer S-Klasse. Auch dieser SL läuft lang, erlebt 1995 und 1998 jeweils eine Modellpflege über deren Vorzüge Fans eifrig streiten. Die Produktion im Werk Bremen endet im Sommer 2001 nach 204.940 Fahrzeugen. Die Jahresproduktion liegt damit höher als beim Vorgänger. Topmodell, Hubraumkönig und Sammlerstück ist der SL 73 AMG mit 525 PS aus einem 7,3-Liter-V12. Bester Begleiter für den Alltag ist – je nach Anspruch – ein 320er oder 500er. Rund 20.000 Euro genügen für ein solides Exemplar.

R 230: Hightech-Cabrio mit bis zu 670 PS

Mercedes R 230 (2001-2012) Foto: Mercedes-Benz
Das Variodach sorgt für Aufsehen und dafür, dass der SL von nun an sein Hardtop immer dabei hat.

Dachtechnisch stellt der R 230 ab 2001 wieder die Hierarchie her. Bis dahin hatte der SLK ein komfortableres Dach als der SL. Doch nun das: Die Glasheckscheibe im Variodach dreht sich beim Öffnen um ihre eigene Achse, bevor das Verdeck im Kofferraum verschwindet. Spart Platz und kommt zum Modellwechsel drei Jahre später auch im SLK R 171.

Doch der SL bietet noch mehr Hightech: Activ Body Control (ABC) gegen Wanken und Nicken in Kurven und beim Bremsen, elektrohydraulische Bremse Sensotronic Brake Control (SBC) und natürlich die Dreibuchstaben-Kürzel der aktiven Sicherheit: ASB, ASR, ESP. Die Leistung steigt auf bis zu 670 PS im SL 65 AMG Black Series. Doch auch darunter geht es zur Sache: Der Kompressor-V8 im SL 55 AMG ist so leistungsfähig, dass Mercedes die Leistungsangabe von zunächst 476 PS schnell auf 500 PS anhebt. Mit Performance-Paket sind ab Werk 300 km/h möglich. Bis 2012 baut das Werk Bremen 169.433 R 230, davon 29.570 AMG.

R 231: schneller und leichter

Knapp 60 Jahre nach den Autobahn-Testfahrten des W 194 und 58 Jahren nach der Premiere des Flügeltürers in New York stellt Mercedes in Detroit den R 231 vor. Mit einer Aluminium-Rohkarosserie, die 110 Kilogramm leichter ist als die Karosserie des Vorgängermodells, setzt Mercedes den SL auf Diät. Der Kofferraumdeckel besteht aus einem Stahl-Kunststoffverbund, das Dach hat einen Magnesiumrahmen und Kunststoffbeplankung. Die V6-, V8- und V12-Motoren leisten zwischen 306 und 630 PS. Das Automatikgetriebe hat ab 2016 neun Gänge. Doch der SL ist in der Sinnkrise: Das S-Klasse Cabrio ist mondäner und viersitziger, der AMG GT Roadster sportlicher und alle beide sind moderner als der SL. Doch der Nachfolger ist in Arbeit: Er kommt von AMG und hat noch 2021 Premiere.