Mercedes SL 280 und Porsche 964 Cabrio Fahrbericht
Sportcabrios der Luxusklasse
Die Sportlichen: Porsche 964 Cabrio Tiptronic und Mercedes SL 280 Automatik spielten früher bei Sammlern und Fans kaum eine Rolle. Das ist vorbei, gepflegte Modelle sind heute besser als Silber und Gold.
09.09.2014 Heinrich LingnerVielleicht war der Name nie passender als jetzt: Kultmobile heißt das Autohaus von Michael Starke, normalerweise ist es gut bestückt mit gepflegten Mercedes-Limousinen der 70er- und 80er- Jahre. Heute steht bei ihm noch Kultigeres vor der Tür in Lilienthal bei Bremen: ein Porsche 964 Cabrio und ein Mercedes R129, beide im tief glänzenden Silber deutscher Premium-Sportwagen, polarsilbern der Elfer, astralsilbern der 129er. Und beide in eher ungeliebten Versionen: der Porsche 964 mit Viergang-Wandlergetriebe, der Mercedes SL in seiner leistungsschwächsten Version 280 mit Fünfstufen-Automatik.
„Gut gepflegte 129er und 964 gehen immer“
„Finger weg von der Tiptronic“ und „Unbedingt den 500er nehmen“, so oder ähnlich lauten die Ratschläge von Fachleuten, wenn es um den 964 und den R129 geht. Doch warum? Ist es wirklich so schlimm, einen Porsche mit ZF-Wandler oder einen Mercedes SL mit Sechszylinder zu fahren? Probieren wir es aus, denn es gibt genug Gründe, sich gerade für diese unterbewerteten Modellversionen zu entscheiden. Niedrigere Preise etwa, oder ein größeres Angebot an gut gewarteten Fahrzeugen aus pflegendem Vorbesitz.
Das sieht auch Händler Starke so: „129er oder 964er Cabrios im Bestzustand gehen immer, auch als 280 oder mit Automatik“, sagt er. Die beiden Autos auf diesen Seiten sind längst verkauft, Anrufe zwecklos. Doch 129er hat er praktisch immer vorrätig, einfach mal bei www.kultmobile.de vorbeischauen.
193 PS prallen beim Mercedes SL auf 1.700 kg
Doch jetzt fahren wir erst mal. Und zwar, weil wir so neugierig auf den Automatik-Elfer sind, zuerst mit dem Mercedes SL 280. 193 PS leistet der Sechszylinder, klingt nicht nach viel für einen über 1.700 kg schweren Roadster. Zumal der Doppelnocker ja ohnehin den Ruf hat, eine drehmomentschüchterne Orgel zu sein.
Doch zunächst umschmeichelt der SL 280 seine Insassen mit dem Mercedes-Wellnessprogramm der 90er: dickes Leder auf den Sitzen, massive Türen, poliertes Holz an Instrumentenbrett und Lenkrad sowie ein D-Netz-Telefon, mit dem man Einbrecher in die Flucht schlagen könnte. Dazu der typische Wischer-/Blinkerhebel und ein Lichtschalter, der aussieht, als wäre er für den Bundeswehr-Wolf konstruiert worden.
Diskretes Fahren ohne Leistungsprobleme im SL
Motor und Getriebe des Mercedes SL 280 geben sich dagegen eher unspektakulär. Sie funktionieren, sanft und leise, mit völlig ausreichender Performance. Klar, ein Rennwagen ist der 280er nicht, laut Werksangabe spurtet er in 9,9 Sekunden auf 100 km/h, im auto motor und sport-Vergleichstest von 1997 schaffte er es sogar in 8,6 Sekunden. Das ist heute völlig gleichgültig, ein Gefühl von Leistungsmangel kommt nie auf, der sehr kultivierte Sechszylinder summt fast unhörbar vor sich hin, und das Getriebe sortiert die Planetenräder sehr diskret.
Dazu passt das komfortable Fahrwerk des Mercedes SL 280, auch wenn es ohne die adaptiven Dämpfer auskommen muss, die es ab Modelljahr 1996 für 7.590 Mark Aufpreis gab. Die hochschultrigen 16-Zoll-Reifen helfen beim Federn und Dämpfen ein wenig mit, größere Räder mit Niederquerschnittsreifen sehen beim 129er nicht nur unpassend aus, sie vermasseln zudem den hervorragenden Federungskomfort.
Schnelle Kurven sind nix für den SL
Die Kehrseite der Komfortqualitäten: Um Kurven will der Mercedes SL nicht so gern. Da knautscht er unwillig in Schräglage, der Fahrer rudert an der Servolenkung mit großen Lenkwinkeln wie in einem 124er-Taxi hinterher. Und wissen Sie was? Es stört in diesem Auto gar nicht, denn der 129er ist heute kein Sportwagen mehr, sondern ein großer, offener und zweisitziger Mercedes, dessen Talente nun mal nicht im schnellen Kurvenfahren liegen.
Dafür bietet der Mercedes SL 280 jenes schwer beschreibbare Gefühl, einen großen Mercedes zu fahren. Und er ist außerdem mit seinen klaren geometrischen Linien ein Design-Meisterwerk. Ein schöneres Auto aus der Ära von Designchef Bruno Sacco (1975 bis 1999) gibt es nicht, allein das ist schon ein Grund, sich in den SL zu verlieben.
Porsche 964 – Unterschiede zum G-Modell unterm Blech
Der Porsche 964 dagegen brach nicht so radikal mit dem Design des Vorgängermodells. Genau betrachtet unterscheidet er sich nur durch Stoßflächen und Rücklichter von jenem bis 1989 gebauten 911, der ebenso häufig wie meist unzutreffend G-Modell genannt wird.
Die wahren Unterschiede trägt der Porsche 964 unterm Blech. Es sind so viele, dass sich damit mühelos ein eigener Artikel bestücken ließe, daher hier nur die wichtigsten: Der Hubraum des luftgekühlten Boxers wuchs auf gerade noch verträgliche 3,6 Liter. Weil das nur mit der riesigen Bohrung von 100 Millimetern erreichbar war, wurde die Doppelzündung erforderlich. Daher besitzt der 964 zwölf Zündkerzen und einen exotischen Doppelzündverteiler, bei dem der Hauptverteiler einen zweiten per Zahnriemen antreibt.
Erster Serien-Elfer mit Servolenkung und Schraubenfedern
Okay, weiß jeder. Ebenso wie allgemein bekannt ist, dass der Porsche 964 der erste Serien-Elfer mit Servolenkung, Schraubenfedern und Automatikgetriebe war. Jedenfalls wenn man von den Sportomatic-Elfern der 70er absieht.
Das alles ist im silbernen Auto aus Starkes Angebot versammelt, plus der elektrohydraulischen Verdeckbetätigung, die das Stoffdach bedächtig und geräuschvoll über dem Motorenabteil zusammenfaltet. Nur die Persenning will von Hand übergezogen werden – wie fast immer ein Fall für zwei und nichts für manikürte Fingernägel. Fotofahrerin Nathalie räumt nur ungern den Platz hinterm Porsche 964-Lenkrad. Sie fährt sonst XJ-S und Old Mini und ist von der Direktheit des Porsche begeistert.
Automatik-964 ist besser als sein Ruf
Denn so schlimm wie von sogenannten Fachleuten kolportiert und selbst befürchtet ist der Automatik-Elfer gar nicht. Auch dann nicht, wenn er direkt mit dem handgerührten Porsche 964 verglichen wird. Natürlich fährt der Schalter den Automaten nach Zahlen in Grund und Boden. Über eine Sekunde nimmt er ihm bis 100 km/h ab, für Sportwagen- und Stammtischfreunde eine Ewigkeit.
Doch andererseits: Wer lässt seinen Porsche 964 heute bei Ampelduellen in 5,5 Sekunden auf 100 km/h fliegen? Eben, ich auch nicht. Und voll durchbeschleunigt dürfte der Tiptronic heute kaum langsamer sein, schließlich wird er von einer materialschonenden Wandlerkupplung in Bewegung gesetzt. Klack, wrumm, so klingt das, und ab geht's.
Und ja, das ZF-Getriebe mit Namen 4HP22 HL war bereits Anfang der 90er nicht das neueste und schnellste. Heute fallen die recht betulichen Schaltvorgänge umso mehr auf. Doch über die manuelle Schaltgasse lässt es sich überlisten. Was dann übrig bleibt, ist ohnehin Elfer-Fahren, wie es sein sollte: mit dem Wind in den Haaren, dem Käfer-Flair im Innenraum und dem heulenden Sechszylinder im Nacken.
Doch genug davon, wir müssen zurück, die Sonne geht hinter den Deichen unter, die Bilder sind auf den Speicherkarten und Michael Starke wartet auf seine Autos. Außerdem wollte Nathalie noch einmal Tiptronic fahren. Sorry, das wird heute doch nichts mehr, Nathalie! Klack, wrumm.
Fazit von Motor Klassik-Redakteur Heinrich Lingner
Selbst mit der ungeliebten Tiptronic ist der Porsche 964 das fahraktivere Auto, der Sechszylinder-Boxer begeistert auch mit Wandlerautomatik. Lenkung und Fahrwerk sind top, die Karosserie solide und verwindungssteif.
Dagegen spielt der Mercedes SL 280 die Rolle des kultivierten Reise-Cabriolets mit seidenweichem Reihensechszylinder, sanfter Automatik und gediegenem Federungskomfort. Und das Beste daran: Ein gepflegter SL kostet nur halb so viel wie ein vergleichbarer 964.