Mercedes-Benz MB 100 D
Ein Transporter nicht nur für Hähnchen-Griller
Es müssen nicht immer nur Sportwagen sein, manchmal taugt selbst ein bescheidener Transporter zum Pulsbeschleuniger. Etwa wenn es ein so außergewöhnlich interessantes Nutzfahrzeug ist wie der im Baskenland gebaute Mercedes MB 100.
09.05.2021 Heinrich LingnerNun ist es also so weit. Bei einem auf Mercedes-Oldtimer und -Youngtimer spezialisierten Händler steht ein MB 100. Für 25.000 Euro. Echt. Zwar ist es ein wirklich sehr zauberhaftes Weinsberg-Wohnmobil (für die Wohnmobilisten: ohne Nasszelle), doch uns sagt es vor allem eines: Wir müssen endlich nach einem MB 100 in gutem Zustand und für wenig Geld Ausschau halten. Bevor die Szene ihn entdeckt und die Preise (wie vor wenigen Jahren beim T3) abheben.
Womöglich werden Sie mir das nun nicht glauben, aber der ab 1981 gebaute MB 100 ist eigentlich ein DKW Schnelllaster mit Mercedes-Dieselmotor. Mit einem OM 616, um genauer zu sein. Der Zweiliter-Diesel nagelt sich mühsame 72 PS (später 75 PS) und 140 Nm zusammen. Sie verleihen dem MB 100 ein eher mildes, nach damaligen Maßstäben aber sehr brauchbares Transporter-Temperament. Denn fixer als ein T2 oder T3 mit 50 PS ist der MB allemal. Längere Autobahnetappen vergehen dennoch quälend langsam, wie der Autor dieser Zeilen aus seiner Semesterferien-Monteurs-Vergangenheit Mitte der 80er weiß.
Damals reisen wir in Zweier-Montagetrupps mit himmelblauen MB 100 durch die Republik, erden Mietskasernen in Offenbach und blitzschützen Kirchendächer in Fritzlar. Zwischendurch kehren wir in Gasthöfen ein, bevorzugt in solchen mit angeschlossener Metzgerei. Manchmal reist ein Kompressoranhänger mit, das macht den MB 100 nicht schneller. Mit Tempo 80 geht es über die Autobahn, mitunter muss ich zurückschalten. Denn der Mercedes hat serienmäßig fünf Gänge. Dazu greife ich mit der rechten Hand weit zurück, so als wollte ich in einer hinter dem Fahrersitz abgestellten Werkzeugkiste kramen. Wenn die Hand dann einen dicken Hartplastikgriff ertastet, könnte es der Schalthebel sein.
Weil Sommer ist, sind die Scheiben runtergekurbelt, sie verschwinden nicht vollständig in der Tür, eine fest eingebaute Ablage schützt die halb versenkte Scheibe. Darauf kann man den Arm stützen und während des Lenkens ein Zigarettchen drehen.
Roadmovie im Diesel-Benz
Mitten in der Fahrerkabine wohnt der Mercedes-Oelmotor 616. Er ist für einen ungebetenen ungebetenen Gast recht laut und ziemlich ungehobelt, doch sparsam. Selbst mit Anhänger verbraucht er kaum mehr als zehn Liter je 100 Kilometer. Der Tank fasst 70 Liter, selten müssen wir zur Zapfsäule. Die Tankquittungen werden sorgfältig in die Klarsichthülle zu den Landgasthof-Metzgerei-Rechnungen getütet.
Das liest sich jetzt vielleicht wie der Drehbuch-Plot für das Roadmovie eines progressiven deutschen Jungregisseurs, doch jeder Satz ist wahr. Sogar jener über den DKW Schnelllaster. Beim Weiterverkauf der Auto Union an Volkswagen behält Daimler nämlich einige Transporterwerke, jene in Düsseldorf und in Vitoria. So wird der Zweitakter im Schnelllaster durch den Mercedes-Diesel ersetzt. Und der im Prinzip sehr ähnliche Transporter später mit modernisierter Karosserie als MB 100 weitergebaut, samt Vorderradantrieb und Drehstabfederung.
Der MB 100 kommt erst 1985 nach Deutschland, bis 1996 bleibt er im Angebot, ab 1992 mit geglätteter, abgeschrägter Front und verlängerter Crash-Struktur. Sein Ruf ist zu jener Zeit nicht der beste, rostanfällig und lahm sei er, sagt man. Viele haben den Jahrtausendwechsel jedenfalls nicht überlebt. Heute sind in den Gebrauchtbörsen kaum mehr als 20 Exemplare zu finden. Und wenn man all jene mit Hähnchengrill- oder Food-Truck-Interieur aussortiert, bleiben vielleicht fünf Kandidaten übrig. Einer meiner derzeitigen Favoriten ist kommunalorange, soll fast 2.500 Euro kosten und sieht schon ziemlich mitgenommen aus.
In Polen steht ein Luna-Wohnmobil für knapp 7.000 Euro, mit Klappdach und deutschen Papieren. Oder ich nehme den Kastenwagen, Nach-Facelift, drei Sitzreihen, nur 113.000 km und 3.500 Euro teuer. Dann müsste ich nicht im Auto, sondern könnte im Gasthof schlafen. Vor allem, wenn’s einer mit Metzgerei ist.