Youngtimer-Schnäppchen Mercedes C180
470 Euro-Gebrauchtkauf: Ein Juwel?
Ein kleines Juwel für 470 Euro? Gibt es tatsächlich. Der rubinrote C 180 mit Esprit-Paket bringt Farbe ins letzte Wintergrau und macht warm ums Herz.
03.11.2018 Alf CremersDer rubinrote C 180 Esprit ist tatsächlich mein erster Mercedes der „neuen“ Generation. Bislang wagte ich es noch nicht, in die Modellpalette der 90er-Jahre vorzudringen, obwohl ich ein paar Mal dem Charme eines 400 SE oder eines S 350 Turbodiesel beinahe erlegen wäre, und ich mich dem Lockruf eines E 420 kaum entziehen konnte. Zu verhaftet war ich bislang den etablierten Youngtimern, der zeitlos schönen S-Klasse W 126, dem kompakten Handlingwunder W 201 und dem archetypischen W 124 vor 1993. Allesamt strenge und souveräne Autos, die für alte Mercedes-Tugenden stehen und die stilistisch eine selbstverständliche Autorität ausstrahlen.
Da gab es keine Design-Experimente mit dem leider nur noch angedeuteten Plakettengrill, einem unmotiviert aus der Motorhaube wachsenden Stern, mit naiv dreinblickendem Vieraugengesicht und weißen Blinkleuchten. Ganz zu schweigen von den Ausstattungslinien Classic, Elegance, Esprit und Avantgarde, die nach Sitzgruppen im Möbelhaus klingen und eher zu VW, Ford oder Renault passen.
So eine nette C-Klasse der Modellreihe 202 nimmt mir die Schwellenangst vor dem Neumodischen und dem berüchtigten Mercedes-light-Effekt. Sie sieht niedlich aus mit ihrem treuen Hundeblick und den bunten, übergroßen Rücklichtlaternen, sie hat noch kein Vieraugengesicht, es gibt sie noch wie Sand am Meer, und sie ist billig. Mein Limit beträgt 750 Euro, das Wunschmodell ist rasch ausgemacht: C 200 Elegance in Rosenholz-Metallic, erste Serie, Stoff rot, mit Automatik, Schiebedach und Blinkern in Orange.
Der erste Eindruck
Aber es kommt ganz anders, Spontanität anstelle surrealer Lieblingskonfiguration, die laut Internet nur ein Exemplar für 1.950 Euro erfüllt, das in Berlin steht. Meinen Mercedes C 180 Esprit entdecke ich reallife und nicht online im März bei einem Händler in Augsburg, als ich mal wieder an einem Samstagnachmittag obskure Kreise am Großstadtsaum ziehe. Von Weitem leuchtet das Rubinrot-Metallic in der tief stehenden Wintersonne, der zwischen drei 124er-T-Modellen und einer 220er-S-Klasse bei Königs Cars geparkte Wagen zieht mich magisch an.
Eifrig umkreise ich ihn, der Bürocontainer bleibt dunkel, so kann ich unbeobachtet nach Herzenslust agieren. Die schrillen multiroten Sitzbezüge und Türverkleidungen im ABC-Design begeistern mich. Sie haben etwas Psychedelisches, man bildet sich ein, der Name „Esprit“ schimmere ständig durch. Nur 650 Euro, so steht es auf dem Preisschild, vierte Hand. Fein säuberlich sind elf Extras aufgeführt. Moderate 191.754 km werden angezeigt, gut zwei Monate Rest-TÜV gibt es noch. Der Zustand ist grenzwertig, Rostblasen an Türunterkanten und Hauben sind bei einer 96er C-Klasse völlig normal, die Schweller und Stoßfänger sehen ramponiert aus. Vorne gibt es verschiedene Blinkleuchten, weiß und orange. Meine Euphorie über die rote C-Klasse lässt nach, kehrt sich in Mitleid um, gilt es doch noch, ein leeres Radiofach auf der Mittelkonsole, eine Anhängekupplung und aufgeblühte Aluräder auszuhalten.
Ein Schiebedach, grün getöntes Glas und vor Profil strotzende M+S-Reifen versöhnen wiederum. Leider wird von Hand geschaltet, das kultige Mercedes-Essential-Automatikgetriebe wurde ab Werk nicht bestellt. Es wäre mir auch in Kombination mit dem kleinen 1,8-Liter-Sechzehnventiler recht. Dank munterer 122 PS läuft der C 180 im Ernstfall beachtliche 193 km/h Spitze und beschleunigt tapfer in 12,3 Sekunden von 0 auf 100 km/h.
Später wälze ich zu Hause alte Prospekte, nehme mir die Preisliste vom September 1995 vor, bin erstaunt, dass ein bis auf die avantgardistischen Polster unspektakulärer C 180 nach Liste 43.930 Mark kostete. Mit den elf Extras komme ich auf stolze 52.968,75 Mark. Aus der Distanz, aufgeladen von schönen Hochglanzfotos, finde ich „meinen“ C 180 Esprit wieder ganz toll. Zwei Tage später trete ich vor dem Container von Königs Cars sehr entschlossen auf, verlange wortkarg nach dem C-180-Schlüssel und inspiziere das Auto, das vorn plötzlich gleichfarbene Blinker trägt, gründlich bei geöffneten Türen und Hauben.
Fahrverhalten und -komfort
Auf den zweiten Blick präsentiert sich die C-Klasse besser als erwartet, die Probefahrt verläuft bis auf ein gelegentliches Motorruckeln erfreulich. Nach einer Viertelstunde bin ich zurück, um mit dem verbindlichen Oktay Gabalci geradezu unangemessen hart zu verhandeln, ich biete wegen der 21 Mängel auf meiner Liste 350 Euro, bei 470 Euro schlagen wir ein. Forsch und mit etwas zu viel Drehzahl fahre ich vom Hof. Ich habe Angst, dass ich den Motor abwürge, die Batterie ist schwach, Oktay winkt im Rückspiegel.
Mein erster Weg führt zur Tankstelle, gierig lässt der Mercedes 52 Liter Super Plus hineingluckern. Nach 30 Kilometern Überlandfahrt, auf denen wir uns aneinander gewöhnen, stelle ich fest, dass technisch alles in Ordnung ist, der sportive Doppelnockenwellen-Motor nimmt willig Gas an und klingt oben- heraus kernig, das Fünfganggetriebe mit dem Esprit-Logo auf dem Schalthebel fühlt sich keineswegs ausgeleiert an. Kein Heulen dringt aus dem Antriebsstrang. Auch das Fahrwerk wirkt straff und federt korrekt ohne lästiges Poltern. Die Sonne hat von Winter auf wärmenden Vorfrühling umgeschaltet, es ist Zeit, das Schiebedach zu öffnen und die Fahrt im C 180 erst richtig zu genießen.
Es zeigt sich, dass Bescheidenheit glücklich macht, im Esprit ist für alles gesorgt, es gibt genügend Platz, reichlich Komfort, kraftvollen Vortrieb, und selbst der Qualitätseindruck ist weit besser als erwartet. Man vermisst eigentlich nur ein Radio, der leere Schacht ist Auslöser für meine spontane rollende Optimierung, die ich mit Leidenschaft anstrenge.
Der letzte Feinschliff
Beim Autoverwerter in der Nähe überlässt mir eine junge Frau für 30 Euro ein passendes Blaupunkt-Radio und ein weißes Blinkergehäuse für den Originalzustand. In der feinen Mercedes-Niederlassung Augsburg kaufe ich den Stern für die Kofferraumklappe und eine Dose rubinrotes Lackspray, das in einer stillen, einsamen Gegend gleich am verschrammten Stoßfänger zum Einsatz kommt.
Es ist schon dunkel, als ich die 70 Kilometer lange Fahrt nach Hause antrete. Mein Wohlfühltempo 120 entspricht im großen Gang gerade einmal 2.800 Touren, das kann der C 180 besser als mein 280 SE. Die Instrumentenbeleuchtung schimmert im warmen gelben Licht. Alles ist gut und wäre noch schöner, wenn die Nadel eines Öldruckmessers ganz oben bei beruhigenden 3 bar anschlagen würde. Aber den gibt es bei Mercedes light nicht mehr, eiskalt wegrationalisiert, es ist das Einzige, was ich bei der C-Klasse wirklich vermisse.