Mercedes C123, Lancia Gamma, Peugeot 504
3 Traum-Coupés der 70er
Sie haben kaum etwas gemeinsam, diese drei: Lancia Gamma Coupé, Mercedes 230 CE und Peugeot 504 Coupé interpretieren das Thema des 2+2-Sitzers so unterschiedlich, dass der Geschmack allein kein Urteil erlaubt.
26.12.2014 Michael OrthEs ist ja beileibe nicht nur eine Geschmackssache. Dann wäre es leicht, sich zu entscheiden. Dann wäre der Lancia Gamma das schönste Coupé dieser drei, so wie auch der Peugeot 504 das schönste wäre und der Mercedes ebenfalls. Aber es ist vielmehr eine Frage der inneren Haltung, der Erwartung und auch der Perspektive: Der Mercedes sieht im Profil am besten aus, der Lancia wirkt schräg von hinten am reizvollsten, der Peugeot schräg von vorn. Und natürlich gilt das mit den unterschiedlichen Sichtweisen auch im übertragenen Sinn.
Der erste Prospekt preist das Lancia Gamma Coupé als "Lancia-Faszination in ihrer schönsten Form" und textet weiter, es gebe noch Autos, "die mit Begeisterung gebaut werden". Das Gamma Coupé sei das "Spitzenmodell einer traditionell exklusiven Marke und Ergebnis eines technischen und gestalterischen Engagements, das gängige Normen in Frage stellte". Ein Auto für jene, die sich "die Freiheit der individuellen Entscheidung gönnen". So kann man das natürlich sehen, wenn es im Rückblick auch nicht ganz frei von Komik wirkt. Denn "die Freiheit der individuellen Entscheidung" wollten sich in Deutschland 1984, im letzten Jahr, in dem Lancia das Gamma Coupé produzierte, genau 26 Menschen gönnen. Und wesentlich mehr waren es in den Jahren zuvor ja auch nicht gewesen: 576.
Woran mangelte es denn?
Das wirft Fragen auf: Mangelte es an Freiheit? Mangelte es an Individualität? Mangelte es an der Bereitschaft, gängige Normen in Frage zu stellen? Im heißen Herbst 1977, kurz nach dem Debüt nicht nur des Lancia Gamma Coupé, sondern auch des C123 von Mercedes gab es vor allem ja in Deutschland hochaktuelle und brisante Belange. Diabolisch also, zu spekulieren, dass gerade sie den immensen Erfolg des Stuttgarter Coupés mit anschoben. Wobei der Gedanke so abwegig nicht ist. Wurde doch der Mercedes meist von eher Konservativen und nicht mehr ganz Jungen so gekauft, wie er konstruiert worden war: im Hinblick auf Status und Solidität.
Der Mercedes 230 CE ist kein Wagen, der Normen in Frage stellt. Er definiert sie. Den "Geruch des genial Intuitiven" sollte er laut Pressemappe so wenig verströmen, wie er "anfällige Exotik" zu verkörpern hatte. Mit anderen Worten bemühte sich der Hersteller, das 123er-Coupé treffender zu beschreiben als "Ergebnis wissenschaftlich erforschter Zusammenhänge beim Fahren. Es hat das Ziel, in dem Funktionsdreieck Fahrer–Fahrzeug–Straße entlastend zu vermitteln." Wow, hört sich das verstockt an. Fährt sich aber gut. Egal wo Sie hinwollen, Sie sind schon zu Hause, sagt das Interieur und streckt dem Fahrer ein Lenkrad entgegen, dessen immense Dimension sogleich das Gefühl vermittelt, dass hier auch Großes zu steuern sei. Obwohl es ja im Vergleich zur Limousine Kleineres ist. Das aber meint nur die Außenmaße. Das Coupé ist in Länge und Radstand um 8,5 Zentimeter gekürzt. Mit der tatsächlichen Größe haben die paar Zentimeter freilich nichts zu tun. Sie liegt in der gestalterischen Zurückhaltung des 123er-Coupés. Manche dichten ihm Pummeligkeit an oder gar, wie einst der "Spiegel" an den Tatsachen völlig vorbei, etwas "Schwäbisch-Wagnerianisches".
Nur keine Hetze
Sicher hat das Fahrgefühl des Mercedes 230 CE nicht eben was von Leichtfüßigkeit, ziemlich indirekt die Servolenkung, auch das Fünfganggetriebe kein Wunder an Präzision. Doch lässt man sich in diesem Wagen ohnehin gerne etwas Zeit, in die Gänge zu kommen. Weshalb auch der ab 1980 angebotene Vierzylinder mit Einspritzung keine arme Verlegenheitslösung, sondern vielleicht gar die bessere, zumindest vernünftigere Alternative der Motorisierung darstellt. Der 280er-Doppelnocker hat ihm zwar zwei Zylinder und ein paar PS voraus. Ruhiger, leiser und genügsamer aber läuft der kleinere Antrieb.
Das Lancia Gamma Coupé, 1978 auf dem deutschen Markt eingeführt, wirkt wie Aldo Brovarones avantgardistischer Gegenentwurf zum dezenten Mercedes: die sachlich klare Form, das strenge Trapez, der gerade nach hinten in den Stoßfänger geführte Strich der hinteren Radhäuser. Eine breite Sicke streckt das Profil, und wie ein Targa-Bügel scheint die C-Säule das Dach zu halten. Tür und vorderer Kotflügel begegnen sich nach gegenläufigem Schwung so spitz, wie die hinteren Kotflügel sich mit dem gewölbten Kofferraumdeckel zu einem angedeuteten Schwalbenschwanz-Design zusammenfinden. Es reicht, allein die Türöffner auf sich wirken zu lassen, um einen Eindruck von der Besonderheit dieses Autos zu bekommen, das optisch wie technisch den Anspruch der Marke verkörpert, anders zu sein.
Lancia Gamma mit konstruktiven Besonderheiten
Es müsste gar nicht fahren, schon als Skulptur kann das Lancia Gamma Coupé überzeugen. Darin steckt leider eine traurige Wahrheit, denn oft genug fährt oder fuhr der Gamma tatsächlich nicht. Sein Vierzylinder leidet unter einigen Materialmängeln und konstruktiven Unausgereiftheiten, denen nur mit Vorsicht sowie dem Wissen und Gefühl für die richtigen Umgangsformen zu begegnen ist. Dazu gehört etwa, den Wagen nicht über längere Zeit mit voll eingeschlagenen Rädern abzustellen oder ihm im kalten Zustand die Lenkung nicht auf Anschlag zu drehen. Sonst neigt der hitzige Boxer zur Selbstzerstörung, weil der Zahnriemen, der neben der Servopumpe auch eine Nockenwelle antreibt, gerne mal überspringt.
Die Zicken verzeihen
Auf solcherlei, sagen wir, Befindlichkeiten muss man sich einlassen, dann kann es laufen mit dem Gamma Coupé, weil dann auch das Gamma Coupé laufen kann. Und zwar brillant: exakt gelenkt die vorderen Antriebsräder, das Fahrverhalten in Kurven lange neutral, mühelos und erstaunlich schnell das Ganze, untermalt vom großvolumigen Brummen und Rauschen des Vierzylinder-Boxers aus Aluminium. Man würde dem Lancia das Kapriziöse glatt verzeihen und alle Zicken gerne in Kauf nehmen, wenn es nicht eine Alternative gäbe, die seine Extravaganz mit der Verlässlichkeit des Mercedes vereint. Sie heißt Peugeot 504 Coupé.
Es ist, als wären sich Lancia Gamma Coupé und Mercedes 230 CE im Peugeot 504 Coupé begegnet. Der Peugeot sieht aus und er fährt sich auch wie eine Synthese aus den beiden anderen. Nicht so behände wie der Lancia, nicht so gediegen wie der Mercedes. Seine Linie ist weniger extravagant als die des Lancia, weniger elegant ist sie nicht. Sie stammt aus gleichem Haus.
Nicht Sturm und Drang
Auch er, der Peugeot 504, wurde als Coupé und Cabrio bei Pininfarina gezeichnet und gefertigt. Dazu kommt eine Technik, die nicht weniger langlebig als die des Mercedes ausfällt. Allein die Fertigungsgüte kann das Niveau der konstruktiven Sorgfalt nicht in allen Details widerspiegeln.
Weich und sanft rollt der Peugeot 504 ab, zackig zu bewegen ist er trotz seiner aufwendigen hinteren Schräglenkerachse nicht. Trägheit findet sich als Gelassenheit treffender formuliert. Das Coupé reizt nicht zu forcierter Fahrweise. Komfort und Zurückhaltung umreißen seinen Charakter, nicht Sturm und Drang. Dazu passt die wenig ambitionierte Sitzhaltung, in die einen der Peugeot hinters steile, hohe Lenkrad, nein, nicht zwingt, sondern bittet. Und dazu passt ein Vierzylinder, der sich weniger mit Spitzenleistung, aber umso mehr mit gutem Durchzug empfiehlt, mit anständiger Elastizität und moderatem Verbrauch. So ist denn auch der Euro-V6, den Peugeot ab 1974 anbot, mehr Prestige als Notwendigkeit.
Das wird zwar auch vom Coupé per se ganz gerne behauptet. Ist dann aber nur eine reine Geschmackssache.
Fazit von Michael Orth zu Lancia Gamma, Mercedes 230 CE und Peugeot 504
Am Ende würde ich mich wohl für den Mercedes 230 CE entscheiden, um Peugeot 504 und Lancia Gamma nachzuweinen. Lange ließe sich lamentieren, ob man sich nicht den Gamma trauen sollte – der Mercedes funktioniert ja brav, da bleibt viel Zeit zu grübeln: Ob nicht der Peugeot der beste Kompromiss wäre? Andererseits – Kompromisse. Also her mit dem Lancia, Punkt. Oder doch Fragezeichen?