Mercedes-Benz C 111 (1970) Wankel mit 350 PS
So fährt der Traumwagen der 70er
Mercedes ließ uns ans Steuer des C 111 mit Vierscheiben-Wankelmotor. Lesen Sie hier, wie sich der Traumsportwagen der 70er fährt – und die Geschichte des ersten Showcars mit Stern.
03.01.2025 Andreas Of-AllingerSchneetreiben und null Grad sind nicht das beste Setting für ein erstes Date mit einem Traumauto. Doch man muss die Termine nehmen, wie sie kommen. Auf dem winterlichen Bosch-Prüfgelände in Boxberg steht ein silberner Mercedes Actros mit offenen Klappen da – und eine Handvoll Menschen mit offenen Mündern frierend daneben.
Aus den Klappen blitzen zwei Mercedes C 111. Stünden wir nicht auf einem Testgelände, sondern in einer Fußgängerzone, würden die beiden Sportwagen einen Menschenauflauf verursachen wie damals bei den Messeauftritten des C 111 in den Jahren 1969 und 1970.
Was ist das Besondere am C 111?
Der C 111 war das erste Konzeptfahrzeug und Showcar von Mercedes. Vom 11. bis 21. September 1969 stand der Wankel-Sportwagen auf der IAA in Frankfurt. Das war damals noch die erste Generation, die deutlich bulliger wirkte als die überarbeitete Version. Der C 111-II mit neuem Design, wie wir ihn heute fahren dürfen, hatte vom 12. bis 22. März 1970 auf dem Genfer Autosalon Premiere.
Mit seinen Flügeltüren erinnert der C 111 sofort an den 300 SL, der 1954 in New York Premiere hatte: Der W 198 war vor allem auf dem US-Markt ein voller Erfolg und ist bis heute eine Ikone der Marke mit dem Stern.
Ein Mittelmotorauto hatte es bis dahin bei Mercedes ebensowenig gegeben wie eine Designstudie. Der Wankelmotor war ebenfalls neu. Kurz: Der C 111 war damals, Ende der Sechzigerjahre, wie ein Auto von einem anderen Stern. Ein Traumwagen, der später in seiner Version mit Vierscheiben-Wankelmotor die Fahrleistungen eines Lamborghini Miura erreichen konnte.
Dabei war die Zeit knapp gewesen: Erst im Spätherbst 1968 hatte der Vorstand für das intern C 101 genannte Projekt grünes Licht gegeben. Das Team gab Vollgas, arbeitete teils nachts und an Wochenenden.
Neue Methoden halfen, Zeit zu sparen: Zum ersten Mal berechnete Mercedes eine komplette Bodengruppe mit ESEM, einem selbst entwickelten Computer-Programm auf Lochkarten, mit dem bisher nur einzelne Bauteile entwickelt worden waren.
Hat Sacco den C 111 gestaltet?
Im Design verwendete Mercedes zum ersten Mal Plastilin statt der bis dahin üblichen Holz- und Tonmodelle. Joseph Gallitzendörfer und Peter Pfeiffer hatten bereits bei Ford mit diesem Material gearbeitet, bevor sie 1967 und 1968 zu Mercedes gewechselt waren und ab Ende 1968 die Form des spektakulären Sportwagens entwickelten.
Stefan Heiliger schuf nicht nur einen nicht realisierten Alternativentwurf des Sportwagens, sondern gestaltete auch die erstmals beim C 111 präsentierten Leichtmetallfelgen, und als Projektkoordinator für das Design fungierte Bruno Sacco, der nach einer Zeit in der Karosserievorentwicklung unter dem legendären Béla Barényi erst kurz zuvor wieder in die Stilistenabteilung zurückgekehrt war. So entstand ein Design, das bis heute Köpfe verdreht.
Am Steuer des 70er-Jahre Traumwagens
Heute dürfen wir ans Steuer des 70er-Jahre-Traumwagens. Denn Mercedes hat einen C 111 aus dem Museum geholt und mit einem Vierscheiben-Wankelmotor wieder auf die Straße gebracht. Am 15. August 2024 führte der Wagen die Pebble Beach Tour d’Elegance an und legte dabei 100 Kilometer auf dem Highway 1 zurück. Zuletzt lief 2003 ein C 111 mit Wankel, als das Mercedes-Benz Classic Center in Fellbach zum 10-Jährigen Bestehen "Duelle unter Freunden" ausrichtete. Im März 1970 fuhren Journalisten auf einem kleinen Kurs bei Genf erstmals den C 111-II mit Vierscheiben-Wankelmotor.
Alle Details der spannenden Entwicklungsgeschichte des C 111 erzählen Gerhard Heidbrink, Joachim Hack und Wolfgang Kalbhenn im 520 Seiten starken Band „Mercedes-Benz C 111 – Design-Ikone, Traumsportwagen und Rekordjäger“, das im Motorbuch Verlag erschienen ist.
In Boxberg rollen an diesem winterlichen Tag zwei C 111 aus dem Laster: Der V8 mit 3,5 Liter Hubraum unspektakulär, leise und auf schmalen Reifen. Dieser Wagen ist seit 2014 wieder auf der Straße und von zahlreichen Veranstaltungen wie der Silvretta Classic bekannt.
Vierscheiben-Wankelmotor mit 350 PS
Der zweite Wagen, Nummer 33, ist heute der Star. Doch erst einmal muss er seinen Vierschieben-Wankelmotor warmhusten. Breite Rennreifen an der Hinterachse machen klar, wer der Chef im Ring ist: 350 PS leistet der Kreiskolbenmotor M 905 F. Bis zu 400 PS leisteten die Motoren im Versuch – ein Viertel davon genügte Anfang der 70er für ein sportliches Alltagsauto.
Außerdem ist der C 111 mit Wankelmotor rund 50 Kilogramm leichter als die V8-Version. Er ist also noch etwas handlicher. Theoretisch machen die 350 PS des Vierscheiben-Wankelmotors 300 km/h möglich. In rund 5 Sekunden beschleunigt der Sportwagen von null auf 100 km/h. Vergleichbare Fahrleistungen hätte 1970 höchstens ein Lamborghini Miura geboten.
Die Schneeflocken haben sich verzogen, für Momente blitzen Sonnenstrahlen aus den dunklen Wolken. Der Handlingkurs ist salzfrei, das versteht sich bei Autos, die es für kein Geld der Welt zu kaufen gibt, von selbst.
Zuerst ist der V8 dran. Der fährt ohne Spektakel los, klingt dezent nach Achtzylinder. Direkt und präzise reagiert die Vorderachse auf die Lenkung. Schon die Fotorunden bei moderatem Tempo machen Spaß. Das Lenkrad ist viel kleiner als damals bei Mercedes üblich, das niedrige Gewicht und die Mittelmotor-typisch geringe Trägheit um die Hochachse machen den C 111 handlich. Über die kurze, flache Schnauze lassen sich Kurven herrlich anpeilen.
So fährt der Mercedes C 111 mit Wankel
Umstieg in den Wankel-C-111. Erstmal Respekt: breitere Rennreifen, 75 Prozent mehr Leistung und ein kaum zu beziffernder Wert flößen Respekt ein. Zu viel Respekt offenbar, denn beim Anfahren geht der Wankel erst einmal aus. Zu wenig Gas, zu wenig Schwungmasse. Wo der V8 praktisch mit Standgas losrollt, braucht der Kreiskolbenmotor einen Tapser mehr Gas und extraviel Gefühl an der Kupplung. Zu langes Schleifenlassen würde die 215 Millimeter messende Scheibe zu sehr stressen, das blitzschnelle Hochdrehen des Wankelmotors macht die Übung nicht einfacher.
Fällt die Drehzahl unter 2.000/min, ruckelt der Motor unlustig vor sich hin. Das bessert sich mit jeder gefahrenen Runde. Bei 3.000/min fängt der Motor an, Spaß zu machen: Mit steigender Drehzahl legt er spürbar an Kraft zu, dreht gierig hoch, hängt spontan am Gas und klingt dabei wie ein Antrieb aus einer Zukunft, die nie kam. Leistungsentfaltung und Klang sind eher mit einer Turbine als einem Verbrennungsmotor vergleichbar. Vibrationen gibt es nicht, weil sich die vier Läufer im Kreis drehen – und nicht nach oben und unten strampeln wie die Kolben bei einem Hubkolbenmotor.
Der Innenraum ist mit Becker-Radio, funktionierender Heizung und Pepitastoff gemütlich eingerichtet. Das Lenkrad sieht aus, als stammte es aus einem SL von 1971, ist aber kleiner. Die Zugschalter stammen vom Strich-Acht, ebenso die Lenkung.
Dem mutmaßlich höher angesiedelten Grenzbereich wegen der deutlich breiteren Hinterreifen bleiben wir fern – für einen Tanz am Rand des Kammschen Kreises ist die Temperatur zu niedrig und der Wert des Autos zu unschätzbar.
Kein Geld der Welt kann einen C 111 kaufen
Denn schon 1970 konnte kein Geld der Welt einen C 111 kaufen. Dabei sollen Kunden Mercedes Blankoschecks für einen C 111 geschickt haben. Als der C 111 im Oktober 1969 auf der London Motor Show stand, soll ein Kunde Mercedes eine halbe Million D-Mark angeboten haben.
Doch Mercedes hat nie einen C 111 verkauft. Alle 13 Exemplare, die noch existieren, gehören heute zur Fahrzeugsammlung des Unternehmens. Doch warum gab es trotz großem Interesse nicht wenigstens eine kleine Serie von wenigen Dutzend Exemplaren?
Warum hat Mercedes den C 111 nicht gebaut?
Tatsächlich hatte das Werk eine Kleinserie für den C 111 durchgerechnet. Doch mehrere Probleme verhinderten letztlich den Bau des Traumwagens, der ein Nachfolger des 15 Jahre zuvor präsentierten 300 SL Flügeltürer hätte werden können. Am Geld allein lag es nicht.
Bei der Zuverlässigkeit des Wankelmotors war Mercedes schon weit vorangekommen. Doch das größere Problem war prinzipbedingt: Weil ein Kreiskolbenmotor eine ungünstige Brennraumform hat, verbraucht er viel Sprit und verbrennt diesen unzureichend. Ein Thema, mit dem alle Hersteller von Wankelmotoren zu kämpfen hatten und das spätestens mit der Ölkrise 1973 relevanter wurde.
Der Wankel soff im Versuch 25 bis 30, zum Teil sogar bis zu 38 Liter Benzin auf 100 Kilometer. Der Ölverbrauch schwankte zwischen gerade noch vertretbaren 2,5 und enormen 4 Liter je 1.000 Kilometer. Dazu kamen unbefriedigende Abgaswerte, die vor allem mit Blick auf Grenzwerte im wichtigen US-Markt problematisch waren.
Doch letztlich überwog bei allen Überlegungen ein Argument: Für die Zulassung auf dem US-Markt hätte der C 111 an rund drei Dutzend Vorschriften angepasst werden müssen. Das hätte eine komplette Neukonstruktion des Autos bedeutet.
Was nicht nur viel Geld gekostet, sondern auch viele Kapazitäten gebunden hätte. Mit den neuen Baureihen 107, 116 und 123 hatte die Entwicklungsabteilung ohnehin schon alle Hände voll zu tun. Hätte zusätzlich noch der C 111 zur Serienreife gebracht werden sollen, wäre der pünktliche Marktstart von W 116 und W 123 in ernster Gefahr gewesen. Dieses Risiko wollte Mercedes nicht eingehen, und so blieb der C 111 endgültig nur ein Versuchsträger.
Mehr als eine Idee: SL und W 123 mit Wankel
Den Wankelmotor hatte der Mercedes-Vorstand 1976 endgültig beerdigt. Auch weil es keine Gleichteile mit den Hubkolbenmotoren gab, sparte man sich den Aufbau einer eigenen Wankel-Fertigungslinie. Dabei wäre der Motorraum des 1976 erschienenen W 123 auch für den Einbau von Kreiskolbenmotoren vorbereitet gewesen.
Der W 123 hätte je nach Leistung alternativ zu den bekannten Vier- und Sechszylindermotoren Wankel mit zwei oder drei Scheiben bekommen. Für SL und SLC der Baureihe 107 sowie die S-Klasse W 116 waren Vierscheiben-Wankel angedacht – dazu kam es jedoch nicht. Mit einer Ausnahme: Felix Wankel ließ einen unter der Hand beschafften M 950 in seinen SL einbauen und nutzte das Auto im Alltag. In einem Test von auto motor und sport erreicht Wankels Auto eine Höchstgeschwindigkeit von 240 km/h.
Welche Rekorde fuhr Mercedes mit dem C 111-II?
Die Geschichte des epochalen Mittelmotor-Sportwagens war mit dem Wankel-Aus nicht zu Ende. Im Mai 1975 begann ein neues Kapitel: Projektleiter Hans Liebold legte Entwicklungsvorstand Hans Scherenberg ein Konzept für Rekordfahrten mit einem Fünfzylinder-Turbodiesel vor.
Die Diesel-Rekordfahrt
Im Oktober 1974 war der 240 D 3.0 auf den Markt gekommen. Dessen OM 617 sollte mit Turbolader genügend Leistung entwickeln, um künftig auch die S-Klasse zumindest halbwegs adäquat motorisieren zu können und ganz nebenbei die 1972 von Opel in Dudenhofen gefahrenen Rekorde zu übertreffen. In Rüsselsheim war ein aerodynamisch optimierter GT mit einer aufgeladenen Version des 2,1-Liter-Vierzylinder-Dieselmotors aus dem Opel Rekord ausgerüstet worden und hatte 10.000 Kilometer mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 190,88 km/h zurückgelegt.
Damit Mercedes in derselben Klasse für Motoren mit zwei bis drei Liter Hubraum antreten konnte, musste der Hubraum des Fünfzylinders (serienmäßig: 3.005 cm³) um mindestens fünf Kubikzentimeter reduziert werden.
Mit den 196 PS des 2.999 Kubikzentimeter großen OM 617 A beschleunigte der C 111-II in 6,5 Sekunden von null auf 100 km/h und erreichte eine Höchstgeschwindigkeit von 260 km/h. In Nardo brach der Mittelmotor-Sportwagen am 14. Juni 1976 mehrere Weltrekorde: Über 5.000 Meilen, 10.000 Kilometer und 10.000 Meilen bei Durchschnittsgeschwindigkeiten zwischen 251,798 km/h und 252,540 km/h.
Dieser Rekordwagen war immer noch in Weißherbst lackiert und sah dem Wankel-C-111 sehr ähnlich. Geschlossene Räder, eine tiefergelegte Front und der pragmatisch durch die Heckblende geführte Auspuff verraten das Rekordauto.
Im Folgejahr entwickelte Mercedes auf Basis des C 111 eine Aerodynamikstudie, die ebenfalls einen Fünfzylinder-Turbodiesel erhielt – diesmal mit 230 PS Leistung – und 1978 weitere spektakuläre Rekorde einfuhr. Eine weitere Variante mit V8-Biturbo rundete 1979 die Erfolgsliste ab.