Mercedes-Benz SL (R230) oder Porsche 911 (996)?
Welchen nehmen für 25.000 Euro?
SL oder 911? Diese Car-Frage bewegt Auto-Enthusiasten seit Generationen. R 230 und 996 spitzen sie dramatisch zu und sorgen für den aufregenden Stoff, aus dem Sportwagen-Träume sind.
27.12.2020 Alf Cremers, Paul KrügerEin altes Industriegelände im Süden von München. Verwitterte Holzfassaden in allen Schattierungen von Braun und Beige. Farblich passend zeigt sich der fein gekörnte Asphalt in Sepia. Metallisch glänzende Lamellen-Jalousien unterbrechen die Monochromie der warmen Töne. Ist das der geeignete Ort, um zwei hochkarätige Sportwagen näher zu erfahren? Beim Fotografen kommen Zweifel auf, aber die Akteure Maximiliane und Paul, die Mercedes SL 500 und Porsche 911 Carrera bewegt haben, sind sich sicher, das hier ist es!
Hier lässt sich völlig ungestört alles anstellen, von der Designkritik vor einer Kulisse, die sich sehr zurücknimmt, bis zum Fahreindruck an den lederbezogenen Lenkrädern. Das Gelände ist riesig. Um die verwitterten Gebäude lässt sich mit Fantasie ein kleiner Rundkurs legen, ein Oval, das auch höhere Tempi zulässt. Alles, was über den dritten Gang hinausgeht, holen wir uns draußen auf der Landstraße.
Seit 1963, also seit vier Modellgenerationen beim Mercedes und fünf beim Porsche, sind SL und 911 natürliche Rivalen in der gleichen Preis- und Leistungsklasse. Es sind die Lieblings-Kaufobjekte betuchter Autokenner und die Traumautos passionierter Autoliebhaber, denen das nötige Geld fehlt. Doch nie zuvor war die Erfüllung so nahe wie beim Mercedes R 230 und beim Porsche 996. Für knapp über 15.000 und ein wenig über 20.000 Euro kann man diese scheinbar gewagten Träume reuelos leben. Die Autos sind noch jung und entsprechend günstig, ihr Mythos strahlt fast schon so hell wie der ihrer Vorgänger, 300 PS sind allemal drin, und ihr Design fasziniert.
Das Günstige hat aber auch seinen Preis, das sei hier nicht verschwiegen. Bei konservativen Auto-Connaisseuren, die gerne als Gusseiserne bezeichnet werden und die den Marktwert beeinflussen, sind R 230 und Porsche 993 noch nicht angekommen. Das Design zu wenig klassisch, Spiegelei-Scheinwerfer und die auch im Interieur gelebte Boxster-Nähe des Porsche verstören sie ebenso wie das Vieraugengesicht und das volksnahe SLK-Fluidum beim Mercedes. Und war da beim ersten wassergekühlten 911 nicht was mit dem Motor?
Beide zeigen formale Präsenz
Hier auf dem Sepia-Asphalt rücken diese Empfindlichkeiten in weite Ferne, hier dominiert die Begeisterung über zwei großartige Sportwagen, die bei Sonnenlicht und blauem Himmel posieren, nein, noch nicht einmal das – sie sind einfach da. Die Kulisse nimmt sich zurück wie leise Hintergrundmusik, die Präsenz von SL 500 und 911 Carrera beeindruckt schon im Stand: skulpturhafte Karosserieformen, deren jeweils einzigartige Eleganz von hellen Metallicfarben noch unterstrichen wird. Die Sonne inszeniert ein zartes Lichtspiel an Sicken, Lichtkanten und Flanken. Der SL 500 trägt extravagantes Topasblau Metallic als bezaubernde Sonderfarbe zusammen mit Lederpolstern "Tealblau" Ton in Ton. Er kostet 17.900 Euro, ist erst 71.654 km gelaufen und wird von Automobile Hagenbusch in Schwabmünchen angeboten. Die Lufteinlässe an den vorderen Kotflügelflanken sind ein Zitat vom 300-SL-Flügeltürer, sie wirken authentisch und werden nicht als Chichi empfunden. Die starke Keilform, die den cW-Wert von 0,29 mit Coupédach erst ermöglicht, erinnert neben der Heckgestaltung tatsächlich an den Mercedes SLK, R 170. Doch Mercedes-Chefdesigner Peter Pfeiffer gelang die stimmige Überhöhung bis in den mythologischen SL-Maßstab.
Der Porsche präsentiert sich formal noch mehr aus einem Guss als der Mercedes, nur der kurze Radstand passt nicht ganz zu dieser austarierten Kreation von Harm Lagaay. Er simuliert den perfekt geglätteten Strömungskörper, bringt es aber dennoch "nur" auf einen cW-Wert von 0,30. Doch sonst gibt er sich weit exklusiver als der SL. Sein Carrera-GT-Silber verströmt einen Hauch von Titan. Es passt nicht nur wie ausgesucht zu den sensiblen Tönen der Umgebung. Es weist ihn mit den hochglanzpolierten 18-Zoll-Rädern und einem winzigen Heckschriftzug unter der Ziffer 911 als Sondermodell "40 Jahre 911" aus, das nur 2004 in einer Auflage von 1963 Exemplaren gebaut wurde. Aus der Traum vom günstigen Glück.
Mit 59.900 Euro katapultiert sich dieser prächtige 996 vom Autohaus Isartal in Baierbrunn im taschentuchgepflegten, lückenlos gewarteten Jahreswagen-Zustand aus dem realen Traumkosmos, den wir für frühe 996 noch mit dottergelben Blinkern im Spiegelei und weit friedlicherem Frontspoiler ohne martialische Cayenne-Typ-9PA-Attitüde um 23.000 Euro taxiert haben. Nur 31 078 km stehen auf dem LCD-Display des kreisrunden großen Drehzahlmessers. Die übrigen vier Sekundärinstrumente, zu den nun auch ein Wasser-Thermometer gehört, sind wie die Eulerdiagramme der Mengenlehre ineinander verschlungen. Dem Autor gefällt es, wie er auch den ganzen Wagen überaus mag. Er findet, auch ein Elfer darf sich verändern und mit modischen Effekten liebäugeln. Der 996 ist trotz blasphemischen Opferns der sakrosankten stehenden Pedale, im Vergleich zu den Nachfolgern 997, 991 und zum neuen 992, noch eine moderate Mutation.
Wasserboxer mit 24 Ventilen
Der Autor findet auch, dass die Wasserkühlung nicht nur ein Segen für Geräuschdämmung und Abgasverhalten ist, auch die Leistungsausbeute des Sechszylinder-Boxers stieg beim Porsche 911 Carrera beachtlich, nämlich von 272 vormals luftgekühlten PS auf 300 PS bei 6800/min aus nur 3,4 statt vormals 3,6 Litern Hubraum, dann beim 2002er-Facelift auf 320 PS aus 3,6 Litern und bei unserer 40-Jahre-Edition auf 345 PS bei nunmehr traditionellen 6800/min, die als "WLS" apostrophiert werden, was für "Werksleistungssteigerung" steht. Abgesehen von der ungewollten mechanischen Fragilität früher DOHC-24V-3,4-Liter kann der Wasserboxer alles besser, weil die Konstrukteure in Zuffenhausen diesmal nicht mit Nockenwellen und Ventilen geizten und eine direkte Ventilbetätigung per Tassenstößel einführten. Dem SL 500 ist das nicht so wichtig, er schöpft seine Leistung aus dem Hubraum, bemüht bis zum Facelift 2006 den M-113-V8 mit nur zwei Nockenwellen, 18 Ventilen und Doppelzündung. Danach zieht der M 273 mit 5,5 Litern Hubraum und 388 PS im SL 500 wieder alle Register wahrhaft sophistischer Ventilsteuerung. Doch kommen wir nach so viel Philosophie wieder auf den Sepia-gekörnten Boden der Tatsachen, umrahmt von camouflierenden Holzfassaden. Maximiliane und Paul sind schonganzungeduldig. Der Kurs ist abgesteckt, das jeweils reichliche Motoröl erwärmt, es kann losgehen, beide fahren zehn Runden, mal bequem im Cruising-Style, mal forscher. Am Ende ihrer gummimarmorierten Kreise fällt das Urteil beinahe unisono aus. Zunächst sind beide erstaunt, wie sehr sich SL und 911 im Laufe der Zeit angenähert haben, es ist nicht mehr das Duell Fahrmaschine gegen Komfort-Cabriolet.
Beide Luxus-Sportwagen, der R 230 führt den frugalen "Roadster" nur aus Tradition, sind hochgezüchtete Comfort-Lounges, zig Elektromotoren sorgen dafür, dass man nur einen Finger krumm machen muss, um sich noch wohler zu fühlen. Hätte der Porsche die für das Sondermodell nicht lieferbare Fünfgang-Tiptronic, lägen sie noch näher beieinander, denn der SL hat in Sachen Fahrdynamik dank Raumlenkerachse und Zahnstangenlenkung deutlich gewonnen, der 911 im Komfort. Dank Servolenkung und Federbein-Fahrwerk mit Mehrlenker-Hinterachse, die schon der Typ 993 in den Elfer-Genpool träufeln ließ und die ihm seine abrupte Neigung zum Übersteuern nahm. Den ballastreichen Allradantrieb braucht der Elfer nun wirklich nicht.
Paul ist eher dem Mercedes zugeneigt, sein Komfort und die leise Lässigkeit seiner Kraftentfaltung imponieren ihm. Als Cabriolet ist der 996 fast doppelt so teuer wie ein Erstserien-Coupé mit 300 PS, deshalb musste der SL aus Fairnessgründen sein Variodach lange aufbehalten, bis Maximiliane es erwartungsvoll öffnete. Sie tendiert trotz Frischluft-Dusche klar zum Porsche. Sound, Handling, Schaltpräzision und Leistungsentfaltung faszinieren sie nachhaltig. Das wertvolle schwarze Leder des innen wie maßgeschneidert wirkenden 911 Carrera gefällt ihr besser als die türkisblaue Welt des SL, dem es an V8-Klang mangelt.
Fahren in der schönsten Form
Beides sind vorzügliche Reisewagen, der Mercedes SL 500 lädt zum forcierten Gleiten ein, Raumgefühl und Fahrkomfort sind noch einmal deutlich besser als im Porsche. Schade, dass man dank der modischen Instrumente nicht mehr dieses Gefühl hat, heimzukommen. Das vereinte früher einen 200 D mit einem 600 SL.
Der Porsche beglückt seinen Fahrer schon ab Linksdrehung am Zündschloss, er ist direkter, bissiger, anspornender als der Mercedes, in ihm giert man mehr nach der Unvergänglichkeit des Augenblicks, er stürmt schneller voran, als man mit dem Schalten nachkommt. Es ist wie im Rausch, wie in einem schönen Traum, der das Aufwachen zur Qual macht. Doch den Traum vom Fahren unter freiem Himmel in einer lauen Sommernacht, den kann für 17.000 Euro nur der SL 500 erfüllen.