Mercedes-Benz Silberpfeil-Weltrekordfahrt 1939
Caracciola im 465 PS-Rekordwagen
Im Februar 1939 wurde der Autobahnabschnitt zwischen Dessau und Bitterfeld zur Piste für Rekordfahrten. Jetzt sind im Archiv eines verstorbenen Fotografen historische Bilder der letzten Rekordfahrt von Mercedes-Benz aufgetaucht, die wir exklusiv veröffentlichen.
27.01.2015 Dirk JohaeAm 28. Januar 1938 um kurz vor zwölf scheint alles vorbei zu sein: Der erst 29 Jahre alte Bernd Rosemeyer stirbt beim Unfall mit seinem Auto-Union-Rekordwagen. Werden jetzt die prestigeträchtigen Jagden nach Geschwindigkeitsrekorden gestoppt? Während Auto Union keine weiteren Rekord-Rennwagen baut, geht die Arbeit bei Daimler-Benz weiter. An maßstabsgerecht verkleinerten Modellen werden verschiedene Formen im Windkanal des Forschungsinstituts für Kraftfahrwesen und Fahrzeugmotoren Stuttgart (FKFS) getestet.
Aus der Windkanalerforschung entsteht die Karosserieform für einen Rennwagen mit verkleideten, frei stehenden Rädern auf der Basis des Grand-Prix-Wagens W 154, der von einem Kompressor-V12 mit drei Litern Hubraum angetrieben wird. Gebaut wird dieser Wagen speziell für die anstehenden Rekordversuche mit stehendem Start. Im Februar 1939 verbessert Rudolf Caracciola mit diesem Stromlinien-W-154 den internationalen Rekord in der Klasse D für Autos mit zwei bis drei Litern Hubraum zunächst auf 175,1 km/h über einen Kilometer und auf 204,6 km/h über die Meile.
Neue deutsche Rekordstrecke
Als neue Strecke für den Weltrekordversuch nutzt das Team von Daimler-Benz ein neues, erst im Herbst 1938 fertiggestelltes Teilstück der Autobahn Berlin–Leipzig–Halle. Das Autobahnstück Frankfurt–Darmstadt gilt spätestens seit dem Rosemeyer-Unglück für Geschwindigkeiten jenseits von 400 km/h als ungeeignet. Dagegen ist die 29 Meter breite und rund 10 Kilometer lange Piste zwischen Dessau und Bitterfeld mit einem betonierten Mittelstreifen speziell für die Rekordfahrten ausgelegt.
Rudolf Caracciola zeigt sich mit der Piste trotz der neuen Bestmarken unzufrieden. "Auf der linken, noch neuen Fahrbahn lag Sand, sodass die Räder durchdrehten und die volle Leistung nicht übertragen werden konnte", fasst Caracciola-Biograf Günter Molter zusammen und erläutert: "Also probierte er es beim nächsten Start auf der rechten, bereits befahrenen Strecke. Doch auch hier hatte er den Eindruck, nicht die volle Geschwindigkeit gefahren zu haben." Molter beschreibt die des Mercedes-Werksfahrers vom zweiten Rekordtag, als er mit dem bereits 1938 eingesetzten Rekordwagen zwei neue Klassenrekorde mit fliegendem Start aufstellt und dabei über eine Meile 399,6 km/h erzielt. Für den Versuch bei Dessau ist ebenfalls der Dreiliter-V12 des W 154 eingebaut.
Caracciola im 465 PS-Rekordwagen
Fünf Tage später rückt das Rekordteam mit dem anderen, speziell für stehende Starts gebauten Wagen erneut an, um die Bestmarke zu steigern. Am 14. Februar 1939 erreicht Caracciola mit dem rund 465 PS starken Stromlinienauto aus dem Stand nach einem Kilometer die Geschwindigkeit von 177,4 km/h. Dies ist der letzte Weltrekordversuch mit einem Mercedes-Benz für viele Jahrzehnte. Der unter der Leitung von Ferdinand Porsche entwickelte Typ 80 zum Angriff auf den absoluten Geschwindigkeitsrekord, der von einem 3600 PS starken Flugzeugmotor mit 44,5 Litern Hubraum über eine Doppelachse angetrieben werden soll, kommt nicht mehr zum Einsatz: nicht zuletzt, weil sich die geplante Rekordpiste bei Dessau als ungeeignet erweist.
Bereits wenige Wochen nach der Eröffnung des Autobahnteilstücks in Sachsen-Anhalt fällt Daimler-Benz-Direktor Wilhelm Kissel ein vernichtendes Urteil: "In Deutschland ist die Durchführung eines Weltrekordversuchs unmöglich, weil selbst auf der neuen Rekordstrecke bei Dessau der Anlauf und Auslauf zu kurz sind", zitiert Buchautor und Fernsehredakteur Eberhard Reuß in seiner detailreichen Dokumentation "Hitlers Rennschlachten" von 2006 aus dem damals als streng vertraulich eingestuften Dokument.
Der Silberpfeil sollte in Bonneville 600 km/h erreichen
Kissels Schlussfolgerung: Zum Salzsee bei Bonneville in den USA, den auch die englischen Weltrekordfahrer für ihre Versuche nutzen, gebe es keine Alternative. Dort hat der Engländer George Eyston die Bestmarke auf 575,314 km/h nach oben geschraubt. Für den Mercedes T80 haben die Konstrukteure mit einer erforderlichen Spitzengeschwindigkeit um 600 km/h gerechnet - doch der Krieg vereitelt alle Anstrengungen.
15 Jahre später aber tragen die Windkanalarbeiten Früchte: Die Form der Heckpartie findet sich beim Stromlinien-Formel-1-Wagen W 196 R von 1954 wieder.