Mercedes-Benz 540 K Stromlinienwagen

Ein Rennwagen, der nie rennen durfte

Exklusives Debüt: Als erste Zeitschrift der Welt durften wir den frisch restaurierten Mercedes-Benz 540 K Stromlinienwagen aus dem Jahr 1938 dort fahren, wo er hingehört – auf der Autobahn.

Mercedes-Benz 540 K Stromlinienwagen, Seitenansicht Foto: Hans-Dieter Seufert 18 Bilder

Oldtimer sind fliegende Teppiche, die ihre Piloten auf zauberische Art zurücktragen in eine längst vergangene Zeit. Mit ihrem Sound, ihrem Öl- und Benzinduft, mit der schwergängigen Lenkung und den Trommelbremsen, die riesig sind, aber trotzdem nur allmählich verzögern, und mit den noch unsynchronisierten Gängen: So beschwören sie eine viele Jahrzehnte zurückliegende Epoche herauf.

Basis ist Luxus-Liner 540 K

Der 1938 auf Basis des kompressorbestückten Luxus-Liners 540 K bei Mercedes in Sindelfingen fertiggestellte Stromlinienwagen verdichtet das Vergnügen einer zügigen Reise zurück in die Anfangsjahre der Autobahn so sehr, dass alle inneren Überdruckventile unmittelbar vor dem Abblasen stehen – beim Fahrer, nicht beim Auto. Der winzige Zündschlüssel unter dem Armaturenbrett wird gedreht, und das rote Lämpchen im Nussbaum-Armaturenbrett signalisiert die Fahrbereitschaft.

Der Anlasser muss sich nicht lange quälen: Bei so vielen Zylindern zündet immer einer, und das reißt alle anderen mit – brumm, der Reihenachtzylinder läuft. Der Chromring auf der Lenkradnabe ist der Schalter für den Winker, und unter des Fahrers skeptischem Blick in den runden Außenspiegel setzt sich die Fuhre in Bewegung.

Mit dem Stromlinienwagen auf der A 81

Diese Szene hätte sich 1938 vermutlich irgendwo im Berliner Tiergarten abgespielt, zwischen Brandenburger Tor und Siegessäule, am Start der Fernfahrt Berlin – Rom. Dort wollte Mercedes den ganz besonderen Achtzylinder ursprünglich einsetzen. Er wäre über die Avus geflogen, runter bis zum Berliner Ring und danach bei Michendorf auf die nagelneue Autobahn, Kurs Südwest, 535 Kilometer volles Gespräch, down to the river Isar, bis nach München.

Von dort aus wäre der Stromlinienwagen über Landstraßen gefegt, hätte die Alpen überquert, wäre vor Florenz noch mal über etwa 70 Kilometer italienische Autobahn gemetert und dann, so Gott es gewollt hätte, in Rom angekommen, vor allen anderen. Das Rennen fand allerdings nicht mehr statt. Der Zweite Weltkrieg radierte den von 1938 schon auf 1939 verschobenen Renntermin aus dem Kalender.

Heute geht es bei Ludwigsburg auf die A 81, Paradestrecke zwischen Stuttgart und Heilbronn für Staus im Berufsverkehr. Die sind aber bereits vorüber, und die drei Spuren gehören uns. Der erste Gang bleibt nur fürs Anrollen reserviert. Kaum in Bewegung, ruft das Alu-Coupé schon nach der zweiten Stufe. Auskuppeln und den Leerlauf einlegen, dann einkuppeln und wieder auskuppeln, nun in die zweite Übersetzung schalten und wieder einkuppeln. So war das damals, und die weiteren Wechsel bis in den vierten sind ein getreues Dacapo.

Mercedes 504 K Stromlinienwagen leistet 180 PS

Der Mercedes 504 K Stromlinienwagen lässt sich fantastisch fahren. Wunderbar sein Geradeauslauf, die Lenkung reagiert sensibel und präzise, die vordere Einzelradaufhängung lässt Komfort verspüren, und wenn die Bahn frei ist, wird das Gaspedal bis zum Bodenblech niedergetreten. Dann schaltet sich über eine Lamellenkupplung der Kompressor zu, aus 115 PS werden plötzlich 180, und mit dem heiseren Heulen einer leicht erkälteten Wolfsmeute donnert das 2,4 Tonnen schwere Renncoupé über die A 81, als säßen ihm 300 Konkurrenten im Genick.

Zeit und Ort verschwimmen. Schreiben wir nicht das Jahr 1938, und fahren wir nicht gerade über die Elbe? Ach nein, das war ja der Neckar. Bald kommt die Dessauer Rennstrecke, oder ist es der Abschnitt bei Wunnenstein, wo die kleinlichen 120-km/h-Schilder nicht mehr gelten? Der Tacho signalisiert Tempo 110, 120 … Bis 150 dürften wir, so weit reicht die Reifenfreigabe.

Riskieren wollen wir nichts. Der Neuaufbau der Stromlinienkarosserie nach den alten Plänen vom Mercedes-Sonderwagenbau in Sindelfingen verschlang bereits 4.800 Arbeitsstunden, dazu kommen die neue Inneneinrichtung, Instrumente, Nussbaumholz, Räder, vordere Querlenker und ein 540-K-Kompressormotor samt Getriebe aus dem Fundus des Werks. Der Wert des Stromlinienwagens dürfte somit tief im siebenstelligen Bereich angesiedelt sein, vielleicht sogar im achtstelligen.

Stromlinienwagen für Dunlop-Reifentests

In den 30er-Jahren freilich dürfte der Mercedes 540 K Stromlinie ebenfalls zu den kaum bezahlbaren Preziosen gehört haben. Dunlop bestellte Ende 1937 bei Mercedes ein schnelles Autobahncoupé für Reifentests im Highspeed-Bereich. Mercedes baute den Stromlinienwagen und merkte bei Testfahrten, dass genau die Reifen das Problem darstellten. Also sollte Dunlop testen, was das Zeug hielt, und im Herbst wollte man dann zum großen Showdown antreten.

Die Berlin-Rom-Fahrt war als Kombination aus Rennen und Rallye geplant, und wer auf den Autobahnetappen schneller war, als es die Sollzeit vorgab, erntete pro Minute einen Gutpunkt. Folglich musste die Fahrt auf den 535 Autobahnkilometern zwischen Berlin und München gewonnen werden, und da war Aerodynamik gefragt.

Mercedes entwickelte damals den Stromlinienwagen im Windkanal. Mit einem cw-Wert von nur 0,36 war er deutlich windschlüpfiger als ein 150 km/h schnelles Seriencoupé, das auf cw 0,57 kam. Die Unterbodenverkleidung umschloss dabei die Auspuffanlage, und der Cockpitboden lag höher als gewohnt.

Sieg im Rennen gegen die Zeit

Vor dem Weinsberger Dreieck drehen wir um und fahren zurück nach Untertürkheim. Plötzlich schwirren eine Menge schwerer Motorräder vorbei. Sind wir schon bei Nürnberg, wo sich 1938 die Zweiradfahrer zur Fahrt nach Rom den Automobilen anschließen sollten? Aber nein, es ist nur der Harley-Club Heilbronn.

Der Streamliner tat bis zum Kriegsausbruch Dienst bei Dunlop. Später landete er wieder in Untertürkheim, erhielt eine Museumslistennummer, verlor seine Karosserie und wurde eingelagert. Zweieinhalb Jahre gingen ins Land, bis der Rennwagen, der nie rennen durfte, vom Chassis an aufwärts wieder hergestellt war. Das Rennen gegen die Zeit hat das Mercedes-Benz-Classic-Team damit klar gewonnen.

Vollgas in Papenburg

Michael Bock, Chef der Classic-Abteilung bei Mercedes, und Projektleiter Ralph Hettich wollten es wissen: Wie schnell ist der Stromlinienwagen wirklich? So ein Versuch ist in der Liga der sündhaft teuren, antiken Werksrenner eigentlich ein absolutes No-Go – mit mehr als der halben Nenndrehzahl werden die edlen Museumsstücke anderer Hersteller kaum mehr bewegt. Zu riskant, den Preziosen noch mal die Kante zu geben. Bock und Hettich ließen hingegen in Untertürkheim auf- und erst auf dem Testgelände Papenburg wieder abladen. Das Resultat: Mit 185,57 km/h erreichte der Stromlinienwagen tatsächlich das 1938 errechnete Tempo. Ohne Kompressor lief er noch stramme 167,97 km/h. Kompliment an das Classic-Team für den spektakulären, erfolgreichen Test.