Mercedes-Benz Typ 220 „Ponton“
Oldtimer-Liebe leicht gemacht
Was passiert, wenn zwei absolute Oldtimer-Neulinge in einem Ponton-Mercedes von Stuttgart an die belgische Küste fahren? Sie haben den Spaß ihres Lebens!
22.11.2019 Madeleina Schwantes, Philipp KörnerBäm-bäm-bäm! Verdammt, hat sich das Gepäck im Kofferraum gelöst? Bäm-bäm-bäm! Moment, die lauten Knall-Geräusche kommen doch von außen? „Nicht wundern, das sind wir“, lacht Michael Abele vom Mercedes-Museum. „Der Reihen-Sechszylinder macht sich gerne mal bemerkbar, wenn man vom Gas geht. Super, oder?“
Gleich zu Beginn wird uns klar, dass die kommenden zwei Tage alles andere als ein normaler Ausflug werden. So geht es nicht nur von Stuttgart aus zum legendären Circuit de Spa-Francorchamps und danach zum Zoute Grand Prix, sondern auch zurück in eine Zeit, in der noch nicht Hitradio Pusemuckel vor sich hin dudelte und Autofahren Muskelkraft verlangte. Herausforderung angenommen!
Goldstück der 50er Jahre
Als „Fahrschulauto“ hat das Mercedes-Museum einen Typ 220a (W 180) Baujahr 1955 auserkoren. Oldtimer-Fans fasziniert bis heute seine selbsttragende Bauweise in der Form einer schwungvollen Karosserie ohne freistehende Kotflügel. Die Assoziation mit Schwimmpontons lieferte gleich den passenden Spitznamen „Ponton“ – simpel und schön.
In der Front des Pontons steckt der 1954 eingeführte Reihen-Sechszylinder M180 II, dessen 85 PS immerhin bis zu 150 km/h möglich machen sollen. Der Mercedes mit Vergaser galt in seiner Zeit als Maßstab für Federungskomfort und wurde schnell zu einem Erfolg. Wer in den Wirtschaftswunder-Jahren etwas auf sich hielt, verschwendete nicht nur einen Gedanken an den Mittelklassewagen aus Sindelfingen.
Dann mal rein in die gute Stube!
Los geht es im Mercedes Benz Classic Center in Fellbach. Nach einer technischen Einweisung und ersten Experimenten mit dem Choke rollen wir vom Hof. Wo war doch gleich der dritte Gang? Die Lenkradschaltung ist zu Beginn noch etwas gewöhnungsbedürftig, genau wie die Seitenspiegel, die sich als eher dekorativ erweisen. Da wird der Beifahrer schnell zum Toter-Winkel-Warner.
Zunächst stauen wir uns aber erstmal durch Stuttgart und haben immerhin Zeit, das Innere zu begutachten. Schick! Bis zur ersten Kaffeepause regnet es dann auch noch in Strömen und wir senden ein kleines Dankeschön an den Konstrukteur der kleinen Scheibenwischer, die ganze Arbeit leisten.
Besonders an die Lenkung muss man sich erst gewöhnen. Nicht nur, weil es selbstverständlich keine Servolenkung gibt, sondern weil das Lenkrad mit Chromring zum Blinken und Hupen so viel Spiel hat, dass es eigentlich nie still in der Hand liegt. Doch die erste Unsicherheit verfliegt schnell. Der Ponton macht richtig Spaß, vor allem auf der Landstraße! Selbst ein Radio vermisst hier sicher niemand, denn die knallende Sportauspuffanlage liefert eine einzigartige Soundkulisse, während wir uns unter anderem über die Strecke des ehemaligen Trierer Bergrennens schlängeln. Jetzt, da sich der Herbst von seiner besten Seite zeigt, kann man ruhig auch mal das Faltdach öffnen. Bäm-bäm-bäm!
Weiter geht's nach Spa-Francorchamps. Auch wenn der Ponton „nur“ 150 km/h schafft, so ruhig und ausgeglichen, wie er noch bei 130 auf der Autobahn liegt, kann man das gerne mal vergessen. Einmal in Fahrt rollt er so mondän und selbstsicher wie seine modernen Nachfahren über den Asphalt. Spätestens in Belgien klappt dank Tempolimit dann auch das eine oder andere Überholmanöver.
Spa-Behandlung
Eau Rouge, Pouhon oder auch Blanchimont – der legendäre Circuit de Spa-Francorchamps ist durch seine Vielfalt an Kurven eine der anspruchsvollsten Rennstrecken der Welt. Wer hier Runden dreht, kann sein ganzes Leben davon erzählen. Zu unserem Pech hat es kurz vor unserer Ankunft allerdings kräftig geschüttet und das weltbekannte Asphaltband glänzt verräterisch, als wir durch die Boxen auf die Strecke gelassen werden. Egal, wir greifen die Gelegenheit beim Schopfe!
Mit dem gestiegenen Vertrauen kommt plötzlich ein bisschen Über- und auch Wagemut ins Spiel. Mit jeder Übungsrunde wird länger auf dem Gas gestanden und später eingelenkt. Dank seiner eher gemächlich-robusten Art lässt der Ponton vieles davon unbeirrt durchgehen und zeigt seine Grenzen höchstens mit einem sanften Rutschen an. Da das Hotel bereits wartet und alle Bilder im Kasten sind, lassen wir es bei fünf Runden bewenden. Denn eine Geschichte über einen peinlichen Abflug sollten wir garantiert nicht mitbringen.
An der Nordseeküste
276 km haben wir noch vor uns, als uns der Ponton am nächsten Morgen lautstark begrüßt. Im Hotel sind jetzt jedenfalls alle wach. Bonjour! Der zweite Tag beginnt mit einer längeren Autobahnfahrt: Höchste Zeit auch mal die Rückbank zu testen. Sie ist geräumig und wahnsinnig bequem, man versinkt förmlich in den braunen Lederpolstern. Aber irgendwas fehlt. Ah richtig, der Sitzgurt! Den gibt es nur an den beiden vorderen Schalensitzen, die extra für die moderne Mille Miglia angefertigt wurden. Unser Auto ist nämlich eigentlich ein Rallye-Wagen, also zumindest in seinem zweiten Leben.
Auf dem Weg nach Zoute legen wir einen kurzen Zwischenstopp am Atomium in Brüssel ein. Erbaut für die Weltausstellung „Expo 58“ ist es immer noch drei Jahre jünger als unser Ponton. Und weil man nicht durch Belgien fahren kann, ohne eine Waffel zu essen, nutzen wir die Gelegenheit für einen kleinen Snack zwischendurch.
Ein Oldtimer kommt selten allein
Egal, ob in der Innenstadt oder auf der Autobahn, unser Ponton zieht so einige Blicke auf sich. Hier und da erntet er sogar ein anerkennendes Hupen. Denn zwischen all den modernen Autos fällt er auf wie ein bunter Hund. Über hundert Kilometer weiter in Knokke-Heist sind wir jedoch längst nicht mehr der einzige Oldtimer auf den Straßen. Beim Zoute Grand Prix treten jährlich 200 Fahrzeuge an. An der dazugehörigen Rallye darf teilnehmen, was zwischen 1920 und 1965 erstmals zugelassen wurde.
Wir schlängeln uns durch die schmalen Gassen, um uns den Zieleinlauf anzusehen. Gar nicht so einfach, einmal falsch abgebogen und schon steckt man in einer Sackgasse, die kaum breiter ist, als der W180 lang ist. Bitte wenden! Das erfordert Feingefühl im Fuß und jede Menge Muskelkraft. Da weiß man wirklich, was man heutzutage an so einer Servolenkung hat.
Das Highlight des Tages war übrigens keines der Autos in Zoute, sondern ein auto motor und sport-Leser und Instagram-Follower, der extra aus dem zwei Stunden entfernten Tilburg zu Besuch kam. Wir haben Justin selbstverständlich gerne eine Runde mitgenommen.
Die Alten, die Neuen und die Eleganten
Beim Concours D'Elegance finden sich in Zoute nicht nur Oldtimer, sondern ganz besondere Fahrzeuge aus allen Jahrzehnten. Da wäre zum Beispiel der „Papst-Ferrari“, ein 1988 Ferrari Mondial 3.2, in dem Papst Johannes Paul II. bei seinem Besuch in Maranello die Menge segnete. Oder einer von nur 25 straßenzugelassenen Mercedes-Benz CLK GTR von 1999.
Das Wetter lässt leider zu wünschen übrig und so verschwinden so manche Roadster schon bald wieder unter ihren Pyjaman. Gut geschützt stehen vor allem die Hypercars. Während Bentleys ältestes Auto, der EXP 2 von 1921 auf dem Rasen im Regen stehen muss, haben Bugatti Chiron und co. ein überdachtes Plätzchen im Pavilion bekommen. Auch den neuen Bugatti Centodieci kann man hier bewundern. Der 1.600 PS starke Sportwagen soll an den Bugatti EB110 erinnern und kostet 8 Millionen Euro.
So ein Preisschild können wir natürlich nicht an unseren Ponton hängen. Genau genommen ist dieser W180 ein Einzelstück und einen unbezahlbaren emotionalen Wert. Wer einmal mitgefahren ist, trennt sich nur schweren Herzens. So wie wir, denn auch die schönste Reise hat einmal ein Ende.