Mercedes 500 SEL V140, E 280 W210, C 220 W202
Youngtimer mit wahrem Mercedes-Gefühl?
Bietet erst ein 500 SEL echtes Mercedes-Gefühl, oder reicht ein C220? In jedem Fall genügen wenige Tausender für den Erwerb dieser Youngtimer mit Stern. Unterwegs auf der Suche nach Gediegenheit, Sicherheit und ein bisschen Luxus. Welcher wird's?
23.05.2020 Alf CremersWas macht einen Mercedes wirklich aus? Geht es um Größe, Leistung, Komfort und Luxus? Sicherlich, aber das bieten andere ehrgeizige Premium-Hersteller wie Audi, BMW oder Jaguar auch. Ist es der Ausblick auf den Stern, der glücklich macht, sind es die breiten, bequemen Sitze, oder liegt es an der Logik intuitiver Bedienung? Kann man es in eine Punktwertung fassen, oder ist es völlig irrational? Mit mir auf die Suche nach dem geheimnisvollen Mercedes-Gefühl begeben sich drei Limousinen aus einer Epoche, 500 SEL, E 280 und C 220. Sie sind sich sehr ähnlich, gehören zu einer Familie, erhielten von Mercedes-Chefdesigner Bruno Sacco das Erscheinungsbild funktionaler Windkanal-Ästhetik: die wuchtige und kompromisslos konstruierte S-Klasse W 140, die erwachsen gewordene erste C-Klasse W 202, die längst kein Baby-Benz mehr ist, und die E-Klasse W 210. Sie erwarb sich anfangs den zweifelhaften Ruf als Protagonist des Vieraugengesichts, das viele Freunde der Marke irritierte.
Es waren die 90er-Jahre, die in der jüngeren Stern-Historie auch für eine umstrittene Firmenpolitik standen. Die sogenannte Modelloffensive wurde nicht von jedem Freund der Marke goutiert, und der damit verbundene Weg in die Massenproduktion von über einer Million Autos pro Jahr erst recht nicht. Rost- und vor allem Qualitätsprobleme nagten am legendären Ruf solider Verarbeitung. In Sindelfingen sparte man sich sogar gedankenlos die Wachskonservierung von Stoßdämpferdomen und Achsaufnahmen. Kurzum, das Mercedes-Gefühl von Geborgenheit, Verlässlichkeit und Solidität wurde vom Rotstift massiv attackiert. Besonders linientreue Mercedes-Enthusiasten störten sich auch an den neuen Ausstattungspaketen wie Classic, Elegance, Esprit oder Avantgarde bei C- oder E-Klasse, die viel zu sehr nach Ghia, Berlina oder Karat klingen und die man mit dem Plüsch und Prunk eher volkstümlicher Marken wie Ford, Opel oder VW in Verbindung bringt.
Seriöse Hersteller belassen es bei nüchternen Buchstaben und Zahlen, wie 260 E, Punkt. Seit diesen Zeiten, als sich der Stern andersherum zu drehen begann, sind die Vorgänger W 126, W 201 und W 124 als letzte echte Mercedes in engagierten Youngtimer-Kreisen scheinbar heiliggesprochen. Und das, obwohl auch sie im Alter ihre Schwächen haben. Sie rosten auch sehr gerne, die Fahrersitzwangen sind immer durchgescheuert, ihre elektrischen Schiebe- dächer laufen stets in Zeitlupe, und Öl lässt sich bei kaltem Motor niemals ohne Zuhilfenahme einer Wasserpumpenzange nachfüllen, weil der Bajonettdeckel einfach nur gnadenlos festsitzt. Auch das gehört zur Vertrautheit.
S-Klasse mit edlem Flair
Der erste Wagen am Start ist die S-Klasse in Gestalt eines 500 SEL, die traditionelle Typenbezeichnung zielt auf einen frühen W 140 von 1993. Die Langversion mit einem V8 schien mir als Maßstab für Mercedes-Tugenden am besten geeignet, besser noch als der kapriziöse und fast ein wenig dekadente S 600. Ich habe mir vorgenommen, die Mercedes-Nomenklatur von oben nach unten zu deklinieren, um genau zu spüren, was eine Stufe darunter noch übrig ist vom unverwechselbaren Mercedes-Gefühl.
Erfahrungsgemäß tritt dieses Souveräne, dieses Gediegene in unerreicht hochkomprimierter Form bei den Modellreihen S und SL auf. Leistung, Komfort, Solidität und innovative Technik, verbunden mit stilvoller Design-Avantgarde, das macht die sportliche und die repräsentative Mercedes-Krönung seit Mitte der 50er-Jahre aus. Der große Wagen in seriösem Blauschwarz-Metallic kostet 14.900 Euro. Ich lieh ihn mir vom bayerischen Händler Hagenbusch aus, das noch analoge Tachozählwerk zeigt 200.971 Kilometer, also gar nicht mal wenig. Doch die formidable S-Klasse präsentiert sich im Jahreswagenzustand, es gibt keinerlei Kratzer innen wie außen, das schwarze Leder der komfortablen Sessel zeigt ebenso wenig Gebrauchsspuren wie das lederbezogene Lenkrad oder die Wählhebelkulisse. Ein Zeichen für hohe Qualität und für beste Pflege über 27 Jahre. Schließlich wissen wir, dass die Wurzelnuss-Paneele beim 140er oft ausbleichen, Lenkrad und Sitze des Flaggschiffs bekommen mit der Zeit einen speckigen Glanz, und die Verbundglas-Heckscheibe läuft an den Ecken milchig an.
Ich zögere nicht lange, vorne links Platz zu nehmen, vermerke dabei als einzigen Makel die nicht georderte elektrische Sitzverstellung, starte den Fünfliter-Achtzylinder und fahre los. Das Raumgefühl des Langen ist auch vorne und nicht nur in der Fond-Lounge überwältigend. Verloren komme ich mir hinter dem großen Airbag-Lenkrad vor, das in der genau gleichen Form auch E 280 Avantgarde und C 220 Elegance teilen, die für meine späteren Ausfahrten schon bereitstehen: eine Epoche, eine Familie.
Die lässige Kraft des V8
Der kompliziert konstruierte Viernockenwellen-V8 säuselt lässig vor sich hin, er sorgt für eine stets angenehme Hintergrundmusik während der Fahrt. Seine vielen Bauteile scheinen in einem harmonischen Klangteppich verwoben, die 320 PS verheißen auf Abruf über Kickdown oder bei annähernd Vollgas in Fahrstufe zwei und drei eine hohe Dynamik des soliden Zweitonners. Ich kenne das Vierventil-Leichtmetalltriebwerk bestens aus dem 500 E, dort vermag es auf Abruf Bäume auszureißen, aber man muss sich dazu zwingen, erst recht im 500 SEL. Dieser offeriert die gleiche Leistung und viel, viel mehr Auto für den halben Preis eines 500 E. Das geht mir gerade durch den Kopf, während ich so lenke, denke, Gas gebe und herumcruise. Denn mehr muss ich nicht tun, um zügig voranzukommen, S-Klasse-Fahren ist wie Erholung unterwegs, auch ohne Luftfederung bügelt das perfekt gedämpfte Fahrwerk rauen, brüchigen Asphalt einfach glatt.
Wie steht es denn um das mystische Mercedes-Gefühl im W 140? Davon gibt es jede Menge, vor allem Komfort, Solidität, leistungsmäßige Überlegenheit und wertvolle Materialien. Beruhigend ist auch der Blick auf das Cockpit mit dem vollen Set von fünf Rundinstrumenten, nur die elf belegten Kontrollleuchten im 500 SEL sollten während der Fahrt aus bleiben. Ich goutiere die beiden Scheibenwischer, aber die Doppelverglasung brauche ich nicht unbedingt, sie dämpft mir zu sehr das V8-Stakkato, das bei 3.000/min einsetzt. Doch bei aller Liebe bleibt so ein W 140 immer ein wenig unnahbar und seinem Fahrer gegenüber auf Distanz. Er ist nicht der Typ zum Kuscheln. Bei ihm fehlt es an Mercedes-typischer Geborgenheit.
Außerdem hat er uns den Plakettengrill eingebrockt. Der Stern wächst seitdem unmotiviert mitten aus der Motorhaube, die einst stolze dreidimensionale Kühler-Attrappe ist zum flachen, flächigen Grill degeneriert. Und die Türen scheinen zu groß und zu wenig gesickt zu sein, um mit jenem trockenen Schussgeräusch ins Schloss zu fallen wie noch beim Vorgänger W 126. So, lieber 140er, das musste mal gesagt werden, ich hoffe, du ziehst jetzt nicht beleidigt deine Peilstäbe ein, diese Peinlichkeit habe ich dir verziehen, genauso wie die einst empfundene elefantöse Übergröße, welche die Jahrzehnte in einer Art behutsamer ästhetischer Erosion zur ruhigen zeitlosen Eleganz modellierten.
Die stattliche E-Klasse
Die E-Klasse, ein E 280 Avantgarde, wartet schon mit laufendem Motor. Trotzdem nehme ich mir Zeit, den außen angenehm stattlich wirkenden und wohlproportionierten Wagen auf mich wirken zu lassen. Die seltsamen Zubehörräder Modell Alutec Evo Pro 7 müssen natürlich originalen Fünfloch-Felgen weichen. Es ist der luxuriöse Avantgarde, ich erkenne ihn an den blau getönten Scheiben und an der Sonderfarbe Violan-Metallic, ein Dunkelblau, veredelt von einem leichten Violettstich. Meine Versöhnungsphase mit dem einst wegen seines zu treuherzig dreinblickenden Vieraugengesichts abgelehnten W 210 dauert jetzt schon einige Jahre. Nun mag ich ihn sehr, wenn er mir wie dieser Avantgarde eine Extraportion Luxus, ein wenig bizarre Schrillheit und einen Sechszylinder bietet, der an einer Fünfgangautomatik hängt.
Dieser hier besticht durch etliche Eigenschaften, die in mir sofort das wohltuend vertraute Mercedes-Gefühl auslösen. Er ist geräumig, solide und luxuriös, die Linie Avantgarde konterkariert die Grundspießigkeit dieses sternverzierten Archetypus der gehobenen Doppelhaus-Mittelklasse. Ich nehme ihn freudig in Beschlag, der Fahrersitz umgibt mich straff, hier im 97er-Billig-210er für 1.300 Euro bekomme ich meine in der S-Klasse ersehnte elektrische Sitzverstellung, selbst das Lenkrad reagiert lautlos wie von Geisterhand über eine münzartige Silhouette in der symbolischen Schalterminiatur.
Das feine Ambiente aus Vogelaugen-Ahorn und dessousartig gewirkten Sitzbezügen im Stoff "Tiffany" zeigt sich unbeeindruckt von gerade einmal 156.470 Kilometer in der Digitalanzeige. Im Handschuhfach liegt das komplette dicke Bordbuch, auch das gehört für mich zum typischen Mercedes-Gefühl. Die Firma Stop Automobile stellte mir diesen sehr individuellen E 280 zur Verfügung. Nur die vielen Rostansätze im unteren Bereich sind gemein, für die Modellreihe typisch und erklären den Spottpreis. Meiner ausgeprägten Mercedes-Empfindung in diesem Wagen schaden sie nicht. Abtörnender für mich sind gelb verfärbte Kunststoff-Streuscheiben auf den vier Augen, auch so eine 210er-Krankheit.
Ich löse die Fußfeststellbremse, "Plopp" macht das Echo zu diesem Stern-typischen Ritual. Bevor ich den Wählhebel sanft auf "D" durch die unnachahmlich funktionelle Zickzack-Kulisse der Fünfgangautomatik führe, streift mein zufriedener Blick über die Instrumente und die mit kleinen, abgerundeten Kippschaltern übersäte Mittelkonsole. Spätestens beim 210er wird mir klar, das Mercedes-Gefühl wird hineinkonstruiert, die Empfindung des Fahrers reflektiert es.
Ich gebe Gas, sanft setzt sich der E 280 in Bewegung, rasch komme ich auf dem Weg mit dem Violetten ins Grüne auf ein Landstraßentempo von 100 km/h. Es fühlt sich gut an, der 204 PS starke V6 unter der deutlich abfallenden Motorhaube läuft seidig und geschmeidig, er hat eine Ausgleichswelle, die ihm, dem unorthodoxen Dreiventil-90-Gradler mit Doppelzündung, die bauartbedingten Vibrationen nimmt.
Der V6 gefällt in der E-Klasse
Ich gebe zu, ich habe Vorurteile gegen die ganz und gar Mercedes-unwürdige Bauart V6, ich weine dem Reihenmotor nach, dem 2,8-Liter-Doppelnocker mit 24 Ventilen, lehrbuchhaft und ganz ohne Behelfstricksereien konstruiert, direkte Tassenstößel statt Rollenschlepphebel. Zwei Monate früher gebaut, und "meine Violetta" hätte noch den Reihenmotor, dann lägen die 1.300 Euro schon bei Michael, dem Inhaber von Stop Automobile, auf dem Tresen.
Inzwischen glaube ich, den Unterschied zwischen Reihensechser und kritisch beäugtem V6 gar nicht mehr zu merken. Der kraftvolle, leise und sparsame Motor prägt zusammen mit dem komfortablen Fahrwerk die überaus angenehmen Reise-Eigenschaften des W 210. Bis auf die direktere Zahnstangenlenkung stimmt das Fahrwerk mit vorderer Dämpferbein- und hinterer Raumlenkerachse mit dem der S-Klasse überein. Gibt es bis auf den Rost etwas zu bekritteln am 210er? Ja, der Öldruckmesser fehlt. Der beim Gasgeben sanft nach oben schnellende Zeiger ist wichtig für das Mercedes-Gefühl. Er scheint einem zuzuflüstern: "Alles wird gut."
Zu wenig Motor im C 220
Der erste Mercedes ohne Öldruckmesser war die C-Klasse, das fanden die Sternen-Fans mindestens ebenso befremdlich wie die hoch in die Seitenteile aufragenden Rückleuchten. Der 25 Jahre alte C 220 Elegance, Dritter im Mercedes-Familienclan der 90er, parkt mit der Front zur Ausfahrt, was eine gewisse Unternehmungslust signalisiert. Sedattin Yalcin, ein Autohändler aus Fürstenfeldbruck, hat ihn mir zur Verfügung gestellt, der Wagen kostet 2.300 Euro. Im gleichen vornehmen Farbton Blauschwarz-Metallic wirkt er einmal mehr wie eine Miniatur der 140er-S-Klasse. Auch technisch ist er ihr verkleinertes Abbild, das Fahrwerk entspricht der Art des Hauses. Stets ist so ein W 202 mit Raumlenkerachse und traditioneller Servo-Kugelumlauflenkung unterwegs. Motorraum und Fahrwerk haben die Reserven und das Format, einen 306 PS starken V8 des kompakteren Baumusters M 113 aufzunehmen, wie im Falle des unerwartet brachialen C 43 AMG geschehen.
Der C 220 Elegance zeigt sich in Sachen Temperament mit nur 150 PS von der milden Sorte, er versüßt mir den vermeintlichen Abstieg vom E 280 mit Lederpolsterung, Automatikgetriebe und Schiebedach, innen erfreut mich diese Beinahe-Vollausstattung mit einer schaltergespickten Instrumententafel samt Mittelkonsole. Ein Hauch von Luxus und die Automatik, diesmal mit vier Gängen, sind für ein intensiv empfundenes und erhabenes Mercedes-Gefühl wichtig. Diese unterstützt sanftes Gleiten, hält das Drehzahlniveau niedrig und erzeugt die Gelassenheit des großen Wagens, auch wenn er das im Falle der C-Klasse gar nicht ist.
Der Vierventil-Vierzylinder mit seinen zwei obenliegenden Nockenwellen ist zwar von legendärer Sparsamkeit, ich brauchte nur 8,3 Liter auf 100 Kilometer. Doch obenheraus tönt er mit scharfem Klang, und sein Drehzahlniveau erscheint recht hoch. In der Version 240 mit V6-Motor würde ich auch der C-Klasse das typische Mercedes-Gefühl attestieren.